Wer steht vorne?

Geht’s um Gott oder geht’s um mich? War­um Pau­lus sich mal selbst loben muss, aber das gar nicht will.
Gedan­ken zu 2. Korin­ther 12,1–10

„Gerühmt muss wer­den“, schreibt Pau­lus und dann legt er rich­tig los. Dass Eigen­lob stinkt, weiß er gewiss. Aber er fühlt sich gezwun­gen, ein­mal zu erzäh­len, was auch er in die Weg­scha­le der Bedeut­sam­kei­ten zu wer­fen hat.
Ken­nen Sie die Anek­do­te von Kon­rad Ade­nau­er, die nach dem Besuch von John F. Ken­ne­dy in Ber­lin 1963 die Run­de mach­te? Ade­nau­er wur­de von einem Jour­na­lis­ten gefragt, ob er die berühm­tes­ten Män­ner der Welt ken­ne. Sei­ne Ant­wort: „Ich ken­ne die.“ Beschei­den war er nicht. Viel­leicht hät­te er sich mit Pau­lus verstanden.

Was ist mit Pau­lus los im Kapi­tel 12? Wer nach vor­ne blät­tert, sieht noch mehr von Pau­lus, der mal so rich­tig los­legt. Was hat Pau­lus nicht alles getan? Was hat er nicht alles geschafft? Und was hat für Jesus nicht alles auf sich genommen?
Hebrä­er ist er, Israe­lit ist er, ein Nach­fah­re Abra­hams ist er. Und er dient Jesus mehr als vie­le ande­re. Er legt sich an mit Leu­ten, die er Übe­r­apos­tel nennt. Super­apos­tel über­setzt die Basis­bi­bel. Und die Volx­bi­bel nennt die Leu­te, gegen die Pau­lus wet­tert „fet­te Megaa­pos­tel“. In Kapi­tel 11 geht es rich­tig rund.
Aller­dings bahnt sich schon im ers­ten Korin­ther­brief an, was nun offen­sicht­lich noch schlim­mer, hef­ti­ger gewor­den ist. Im 1. Brief nach Korinth tadelt Pau­lus, dass die Gemein­de sich gespal­ten hat. Man­che füh­len sich als Jün­ger von Petrus, man­che zäh­len sich zu Apol­los und ja, Pau­lus hat auch sei­nen Fan­club (1. Korin­ther 1,12). „Das kann doch wohl nicht sein“, schreibt er ihnen. Es geht doch um Chris­tus. Und wer ihn euch bringt, ist doch wahr­lich kein Herr, dem ihr fol­gen soll­tet. Alle drei – und gewiss noch ande­re – haben ihre Eigen­ar­ten. Petrus hat sei­nen Stil, Pau­lus und Apol­los eben­so. Und es ist in Ord­nung, wenn die einen lie­ber und auch leich­ter dem zuhö­ren kön­nen und ande­re kom­men bes­ser mit einem ande­ren klar. Aber das darf die Gemein­de nicht zer­rei­ßen. Alle bau­en an einer ein­zi­gen Kir­che. Alle sind Teil eines ein­zi­gen, eines ein­zig­ar­ti­gen Leibes.

Es kommt mir eigen­ar­tig und schmerz­haft bekannt vor. Leben wir unse­re ver­schie­de­nen Gemein­de­struk­tu­ren heu­te nicht ähn­lich? Manch­mal sind es tat­säch­lich Per­so­nen, denen Men­schen auch heu­te fol­gen. Oft sind es ein­ge­üb­te und bewähr­te Tra­di­tio­nen, die Gemein­den aus­ein­an­der­brin­gen oder eine gemein­sa­me Arbeit über Gemein­de­gren­zen hin­aus brem­sen. Das ist die Situa­ti­on in Korinth, mit der Pau­lus auch nach sei­nem ers­ten Brief nicht fer­tig ist. Immer noch geht es um die Super-Mega-Apos­tel. Viel­leicht weni­ger um Petrus, Pau­lus und Apol­los. Aber es gibt noch ande­re. Und die ver­kau­fen sich als die gro­ßen Heils­brin­ger in Korinth. Sie grei­fen Pau­lus in sei­ner Abwe­sen­heit mit unlau­te­ren Mit­teln an.
„Pau­lus? Ist der nicht ein biss­chen selt­sam? Der ist doch Zelt­ma­cher. Jeden­falls sieht man ihn immer an sei­nen Zelt­pla­nen nähen. Der kann doch gar nicht so viel für den Herrn tun, wie er immer behauptet.“
„Aus wel­chem Haus kommt der über­haupt? Ist der nicht eigent­lich ein Römer? Ich mei­ne, ich hät­te mal so etwas gehört. Bür­ger­recht und so. Das kann doch nicht mit rech­ten Din­gen zugehen.“
„Ist der über­haupt rich­tig bekehrt? War einer von euch dabei? Erzäh­len kann man ja viel.“
„Ja, ja, in sei­nen Brie­fen zieht er ganz schön vom Leder. Aber erin­nert ihr euch nicht dar­an, als er hier war? Der war doch die Sanft­mut in Per­son. So mega ist er doch gar nicht. Und er kocht auch nur mit Wasser.“
„Schaut uns an. Wir arbei­ten wirk­lich hart für den Herrn. Und seht ihr nicht unse­re Wun­der­ta­ten und die Voll­macht? Wir sind die wah­ren Pro­phe­ten und Boten Got­tes. Ja, ich wage mal zu sagen, dass wir mit den Engeln und dem Herrn selbst reden.“

So oder ähn­lich mag es geklun­gen haben. Und Pau­lus reicht’s. „Da vie­le sich rüh­men nach dem Fleisch, will ich mich auch rüh­men“, sagt er in Vers 18 von Kapi­tel 11. „Gerühmt muss wer­den!“ Damit beginnt Kapi­tel 12. Nicht weil Pau­lus danach ist, son­dern weil er im Moment kei­nen ande­ren Weg sieht, sei­ner Gemein­de die Augen zu öff­nen. Er stellt sich einer Argu­men­ta­ti­on, die geist­lich wir­ken soll, die aber nur auf mensch­li­ches Kön­nen und Haben baut. Da nut­zen auch geist­lich schei­nen­de Wor­te nichts.
Und wäh­rend des­sen fängt Pau­lus an, sich wie­der zurück­zu­neh­men. Alles, was er jetzt vor­bringt, ist nicht seins. Es gehört ihm nicht. Er hat dar­an kei­nen Ver­dienst. Es ist nicht auf sei­nem Mist gewach­sen. So redet er von sich wie von einem ande­ren, spricht in der drit­ten Per­son. „Ich ken­ne einen.“
Das machen Men­schen manch­mal, wenn sie etwas fra­gen wol­len, was für sie pein­lich sein könn­te. „Fra­ge für einen Freund“ heißt dann die For­mel. Der Spie­gel hat eine eige­ne Kolum­ne dafür. Aktu­el­le Fra­ge vom 15. Juni: „Ist es okay, kein Trink­geld zu geben?“ Oder eine ande­re Fra­ge: „Kann ich guten Gewis­sens in Urlaub flie­gen?“ Fra­gen, die man eigent­lich nicht stel­len darf.

Pau­lus fragt nicht, er erzählt wie von einem Freund. “Stellt euch vor, ich ken­ne einen, der war im drit­ten Him­mel. Stellt euch vor, ich ken­ne einen, der war im Para­dies und hör­te Unvor­stell­ba­res. Das ist groß­ar­tig. Das ist umwer­fend. Das ist ein unglaub­lich gro­ßes Geschenk, das Gott die­sem Men­schen gemacht hat. Das ist so fan­tas­tisch, dar­über will ich reden.“ Aber, schränkt Pau­lus ein: “Ich will damit nicht von mir erzäh­len. Ich könn­te es, weil es wahr ist. Aber ich will mich nicht groß­ma­chen. Ich will nicht mich dar­stel­len. Denn dann ste­he ich eurem Blick auf Chris­tus im Weg.“
Wört­lich sagt es Pau­lus nicht, aber so wäre es wohl. So beob­ach­tet er es doch, wenn er ande­re anschaut, die für Jesus unter­wegs sind. Ja, sie ver­kün­den Jesus. Aber sie stel­len sich selbst so sehr in den Mit­tel­punkt, dass sie den Blick der Gemein­de ver­wir­ren. „Ich fol­ge Petrus. Ich fol­ge Apol­los. Ich fol­ge Pau­lus.“ Nein – so gera­de nicht.

Wenn ich ehr­lich bin, dann kann ich die Beob­ach­tung und Befürch­tung von Pau­lus gut nach­voll­zie­hen. Weil ich doch selbst auch so ticke. War­um höre ich Lob­preis­mu­sik? Weil sie Jesus groß macht. Natür­lich. Aber ehr­lich: Man­che Musik lässt mich ein­fach tan­zen und mit­sin­gen, ohne dass ich gera­de ein beson­de­res geist­li­ches Inter­es­se habe. War­um sin­ge ich in der Kan­to­rei mit? Es ist gesun­ge­ne Ver­kün­di­gung. Aber es macht auch ein­fach Spaß, ohne dass mir per­ma­nent die Bot­schaft dar­in bewusst ist. Manch­mal ist es die Musik und die Wor­te sind das Bei­werk. Und das geht mir auch mit Per­so­nen so. Dem höre ich lie­ber zu als dem ande­ren. So ist es doch, viel­leicht häu­fi­ger, als wir zuge­ben. Die Fra­ge ist nicht, ob wir einen Men­schen schät­zen und auch bewun­dern. Die Fra­ge ist: Steht er zwi­schen uns und Gott?
Pau­lus stellt Fra­ge anders­her­um: Ste­he ich zwi­schen Jesus und den Men­schen, denen ich von ihm erzäh­le? Ste­he ich ihnen im Weg mit dem, was ich kann, mit dem, wie ich mich dar­stel­le, mit der Art, wie ich mehr in den Mit­tel­punkt rücke – und er weni­ger? Gera­de war Johan­ne­s­tag – am 24. Juni. Der Tages­spruch die­ses Gedenk­ta­ges ist ein Wort des Täu­fers Johan­nes, das sei­ne Ant­wort auf die­se Fra­ge gibt: „Er – Jesus – muss wach­sen, ich aber muss abneh­men.“ (Johan­nes 3,30)

Pau­lus bewegt noch etwas ande­res. Denn etwas hin­dert ihn auch dar­an, der uner­müd­li­che, immer star­ke Apos­tel zu sein. Er lei­det. Und das scheint kein vor­rü­ber­ge­hen­des Lei­den zu sein. „Mir ist ein Pfahl ins Fleisch gege­ben.“ Sein Kör­per ist ange­schla­gen. Er hat Schmer­zen. Und das scheint durch­aus etwas Grö­ße­res gewe­sen zu sein. Wegen einer klei­nen Erkäl­tung hät­te er Gott nicht drei­mal ange­fleht. Was ihn plagt, stört sein Leben als Mensch emp­find­lich. Das behin­dert ihn in sei­ner Arbeit. Die­ses Lei­den macht ihm zu schaf­fen, mehr als er akzep­tie­ren will. „Mach dem ein Ende Gott,“ so könn­te er gebe­tet haben.
Und viel­leicht hat er dabei gedacht oder sogar argu­men­tiert: „Gott, schau mal, ich könn­te viel län­ger am Stück pre­di­gen, wenn ich mich nicht alle zehn Minu­ten aus­ru­hen müss­te.“ „Gott, schau mal, ich könn­te am Tag durch­aus 20 Kilo­me­ter wei­ter gehen, wenn mir nicht schon nach dem 2 Kilo­me­ter alle Kno­chen wehtäten.“
„Gott, mach mich von die­ser Schwä­che frei. Mit mehr Kraft und Aus­dau­er könn­te ich viel mehr Men­schen errei­chen. Und außer­dem: Die ande­ren wür­den nicht mehr über mich – und damit über dich – lästern.“

Es ist nicht ver­kehrt, so zu beten. Es ist nicht falsch, Gott um Hei­lung, um Stär­ke, um Mut, um Gelin­gen zu bit­ten. Die Men­schen, die sich an Jesus wen­den, haben nichts ande­res im Sinn: der Blin­de will sehen, der Lah­me gehen, der Stum­me reden und der Tau­be hören. Und was macht Jesus? Er macht genau das: er heilt Men­schen. Er sagt nicht zu ihnen: „Sie das doch mal geist­lich an. Dann kannst du dei­ne Schmer­zen leich­ter ertra­gen.“ Ich habe kei­ne eini­ge Stel­le gefun­den, in der Jesus Men­schen auf die­se Wei­se wegschickt.
Pau­lus ent­deckt es für sich. Oder anders: Gott deckt ihm ein beson­de­res Geheim­nis auf – und das gilt zual­ler­erst ihm, Pau­lus: „Lass dir an mei­ner Gna­de genü­gen; denn mei­ne Kraft voll­endet sich in der Schwach­heit.“ In der Schwach­heit kommt die Kraft Got­tes zum Ziel.

Gerühmt muss wer­den. So hat Pau­lus ange­fan­gen. Er bleibt auch jetzt dabei. Aller­dings hat er einen ande­ren Inhalt für sei­nen Ruhm: Es ist Got­tes Kraft, die er rühmt. Und einen beson­de­ren Raum in sei­nem Leben hat die­se Kraft Got­tes gera­de in sei­ner kör­per­li­chen Schwäche.
Die­se Beob­ach­tung und genau­so auch die­se bewuss­te Ent­schei­dung des Pau­lus sagt eines nicht. Sie sagt nicht, dass alle mit kör­per­li­chen oder see­li­schen Schwä­chen auto­ma­tisch die bes­se­ren Zeu­gen für Got­tes Gna­de sind. Denn zunächst hat­te die Schwä­che auch bei Pau­lus den Raum aus­ge­füllt. Er woll­te sie los­wer­den. Und noch­mal: Das ist nicht falsch. Unser Wunsch nach Stär­ke und Hei­lung ist Gott ange­nehm. Nie­mals lehnt er die­sen Wunsch ab, als wäre das zu mensch­lich, zu kurz gedacht. Nein! Ist es nicht.
Doch Gott hat auch ande­re Wege, Men­schen zu erfül­len und sie voll­kom­men zu gestal­ten. Pau­lus hat es ent­deckt – nach drei­mal beten. Viel­leicht geht es bei ande­ren sogar schnel­ler. Oder es braucht mehr Gebe­te. Pau­lus hört Got­tes Zusa­ge: „Mei­ne Gna­de genügt. Mei­ne Kraft wirkt in dei­ner Schwach­heit ganz beson­ders.“ Und Pau­lus gibt Gott den Raum dafür.

Wenn ein Mensch sich vol­ler Ver­trau­en die­ser Gna­de Got­tes aus­lie­fert, erfährt er Got­tes Gna­de und mehr noch: Erlebt er Got­tes Stär­ke. Las­se ich ihm den Raum dafür? Mache ich ihm dafür Platz – viel­leicht auch, indem ich nicht mehr mei­ne Schwä­che zwi­schen ihn und mich stel­le? Pau­lus hört Got­tes Zusa­ge. Und er ent­schei­det für sich: „Wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ Es ist sein Weg. Und die­ser Weg wur­de für Vie­le Wirk­lich­keit: Gott wirkt, wo wir ihn ranlassen.
Das gilt für unse­re Stär­ken: Las­sen wir Gott ran. Las­sen wir ihn machen, las­sen wir ihn mit unse­ren Gaben und Stär­ken machen, was er vor­hat. Das gilt für unse­re Schwä­chen: Las­sen wir Gott ran. Las­sen wir ihn den Raum, der sich für uns leer und viel­leicht sogar sinn­los anfühlt, aus­fül­len mit Sinn, mit Kraft, mit Wundern.

Gerühmt muss wer­den. Und zwar Gott, der durch Star­ke und Schwa­che han­delt und der Star­ke und Schwa­che an sein Ziel führt. Für bei­de gilt: Lass dir an mei­ner Gna­de genü­gen. Die reicht. Immer.

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