Wer ist der König der Ehre

Ers­ter Advent. “Macht hoch die Tür!” (Ev. Gesang­buch Nr. 1). Wer kommt da auf uns zu — ein Christ­kind­lein oder der Herr der Welt? Ein mäch­ti­ger Gott oder ein ohn­mäch­ti­ger Gekreu­zig­ter? Der Advent beginnt mit einem gro­ßen Auftritt.
Im Got­tes­dienst zum ers­ten Advent stand Psalm 24 im Mit­tel­punkt und das Evan­ge­li­um vom Ein­zug Jesu in Jeru­sa­lem gehört mit hin­ein in die Gedan­ken rund um den, der da ankommt.

Pre­digt zu Psalm 24

Wie soll ich dich emp­fan­gen (Ev. Gesang­buch Nr. 11)? Und: Wer kommt da über­haupt? Der Advent star­tet erst ein­mal mit Fra­gen. Es ist, als ob wir uns dem Tem­pel nähern. Zu die­sem hei­li­gen Bereich hat nicht jeder Zutritt. Was die Gesang­buchs­fas­sung des Psalm 24 ver­schweigt, sind die ers­ten Fra­gen, die im Psalm schon gestellt wer­den: „Wer darf auf des Herrn Berg gehen, und wer darf ste­hen an sei­ner hei­li­gen Stätte?“
Da könn­ten wir schnell auf die Idee kom­men, dass dort die bekann­ten Schil­der ste­hen: Zutritt erst ab 18 Jah­ren. Jugend­li­che unter 16 Jah­ren nur bis 20 Uhr. Ein­tritt nur für Mit­glie­der. Geschlos­se­ne Gesellschaft.
Tat­säch­lich ist das Schild an die­ser Tür noch viel kla­rer und es schränkt viel mehr ein. Denn die Ant­wort auf die Fra­ge (Wer darf kom­men?) gibt der Psalm auch gleich selbst: „Wer unschul­di­ge Hän­de hat und rei­nen Her­zens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug.“

Ganz schö­ne Hür­de, oder? Ich den­ke, nicht umsonst ist der Advent eine Vor­be­rei­tungs­zeit. Wobei sich die Rich­tung geän­dert hat. Und zwar schon in die­sem Psalm. Die ers­te Fra­ge gilt denen, die Rich­tung Hei­lig­tum, Rich­tung Tem­pel, Rich­tung Gott auf­ge­bro­chen sind. „Wer darf da über­haupt hin?“ Aber der Psalm endet mit den Wor­ten, die wir gebe­tet haben: Wer kommt da? Und: Macht die Tore für ihn weit auf.
Zwei Wege – zwei Per­so­nen, um deren Ankunft es geht. Who is who? Wer ist da wer?

Lasst uns vor­ne anfan­gen. Denn der Psalm beginnt noch ganz anders. Er hat eine lan­ge, dicke, beein­dru­cken­de Überschrift:
„Die Erde ist des Herrn und was dar­in­nen ist, der Erd­kreis und die dar­auf woh­nen. Denn er hat ihn über den Mee­ren gegrün­det und über den Was­sern gebreitet.“
Das hat eine eigen­ar­ti­ge Wir­kung auf mich. Denn ich bin es gewohnt, wir sind es in der Kir­che gewohnt, mit dem drit­ten Teil des Psalms anzu­fan­gen, und das gleich in Lied­form: „Macht hoch die Tür“ (Ev. Gesang­buch Nr. 1). Und dann lese ich die­se zwei Ver­se lan­ge Über­schrift. „Bleib ste­hen“, sagt sie mir. „Setz dich erst ein­mal hin. Schau eine Wei­le hin, bevor du wei­ter­rennst. Und auch bevor du Türen und Tore öff­nest und aller­hand Anstren­gun­gen unternimmst.“

Wir wol­len beim Kind in der Krip­pe ankom­men, dann, in drei Wochen. Und wir wol­len, dass Gott bei uns ankommt. Des­we­gen Advent. Des­we­gen ein Kranz, an dem jeden Sonn­tag eine Ker­ze mehr leuch­tet. Im Rau­hen Haus im Ham­burg, wo Johann Hin­rich Wichern den ers­ten Advents­kranz auf­ge­baut hat­te – ein gro­ßes Wagen­rad – wur­de sogar jeden Tag eine neue Ker­ze angezündet.
Der Wichern­kranz hat­te in sei­nem ers­ten Jahr (1839) 19 rote Ker­zen für die Wochen­ta­ge und vier wei­ße für die Sonn­ta­ge. Der in der Stadt­kir­che ist auch so ein Wichern­kranz. Das lohnt sich, weil jeden Tag Men­schen hin­ein­kom­men und ihn sehen. Und hof­fent­lich ins Fra­gen und Nach­den­ken kommen.

Aber wei­ter im Pro­gramm: Weil wir bei Gott ankom­men wol­len und Gott bei uns ankom­men soll, schmü­cken wir die Häu­ser und fei­ern Advents­markt, besor­gen Geschen­ke, schmü­cken einen Baum, bra­ten die Weih­nachts­gans und für Hei­lig­abend berei­ten wir Kartoffelsalat.
„Moment“, sagt mir der Psalm. „Bleib doch ste­hen, bit­te. Setz dich. Schau hin. Nimmst du in dei­ner Eile, in dei­nem durch­aus guten Eifer über­haupt war, um wen es geht?
Zuerst und vor allem, auch vor aller Fra­ge­rei, die folgt, ist da Gott. Er ist der Schöp­fer. Ihm gehört alles. Die Erde ist sein Eigen­tum. Alle, die dar­auf woh­nen, gehö­ren ihm. Er ist der Grund für alles.
Es wäre wohl gut, wenn wir die ers­ten bei­den Ver­se einen gan­zen Tag lang wie­der­ho­len wür­den – in Gedan­ken, lei­se vor uns hin­mur­melnd und laut gespro­chen. Einen Tag lang nur das. Wenn wir die Zei­tung auf­schla­gen und den neus­ten Klatsch und Tratsch lesen. Wenn die Son­der­sen­dun­gen das lau­fen­de Pro­gramm unter­bre­chen. Wenn wir unse­rer Arbeit nach­ge­hen, beim Arzt sit­zen, in der Wan­ne lie­gen – egal wo. Nur das: „Gott ist Herr. Gott ist mein Schöp­fer. Er trägt die Erde und er trägt mich. Ich gehö­re ihm.“

Ich fra­ge mich, ob es David so ging. „Ein Psalm Davids“ steht vor dem ers­ten Vers. Hat der so lan­ge über Gott und sich nach­ge­dacht? Viel­leicht hat er erst dann die­se gro­ße Über­schrift geschrie­ben. Und als die dastand, als ihm das kla­rer war als viel­leicht sonst – Gott ist mein Gott. Und Gott ist der ein­zi­ge Herr der Welt – da fängt er an und fragt sich selbst:
Wer kann zu die­sem Gott gehen – zu dem ein­zi­gen? Wer? Ich nicht. Du nicht. Kei­ner. Gott ist ein­fach zu groß und zu hei­lig, zu rein, zu schön, zu herr­lich. Wenn ich von mir aus zu Gott auf­stei­gen will, blei­be ich schon an der ers­ten Stu­fe hän­gen. Und doch bleibt David nicht resi­gniert stehen.

Es gibt eine Mög­lich­keit. Wer darf kom­men? Wer rein ist. Wer ist das? „Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Ant­litz, Gott Jakobs.“ Wer sich den Fra­gen aus­setzt und viel­leicht sogar dabei resi­gniert, ist auf dem bes­ten Weg. Näm­lich dann, wenn wir unse­re Sehn­sucht nach Gott spü­ren. Wenn die­se Sehn­sucht uns nicht los­lässt, son­dern vor­an­treibt. Wenn die­se Sehn­sucht nach Gott uns zu dem Wag­nis führt und gera­de­zu drängt, dass wir Gott trotz sei­ner Grö­ße und Hei­lig­keit sehen wol­len. Dann näm­lich dreht sich etwas um. Dann näm­lich ändert sich die Blick­rich­tung. Dann wech­selt auch der Akteur. Dann wird Advent.

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre ein­zie­he.“ Nicht mehr ich lau­fe zu Gott.  Nicht mehr ich muss mehr und noch mehr tun, um zu Gott zu kom­men, um sei­nen hei­li­gen Berg zu erklim­men – auf dem stän­dig Warn­hin­wei­se ste­hen. Nein, es geht umge­kehrt. Gott kommt. David fragt gar nicht: „Kommst du, Gott zu mir? Kommst du, Gott, zu dei­nem Volk?“
David sagt: Macht die Tore auf, damit – hört ihr? – damit der König der Ehre ein­zie­hen kann. Der ist schon da. Der steht schon vor dem Tor – nicht vor dem Tor sei­nes eige­nen hei­li­gen Bezir­kes. Der steht an den Toren mei­ner Welt.
Der steht vor dem Tor, hin­ter dem sich gera­de sein Volk mit den Nach­barn töd­li­che Wun­den schlägt. Der steht vor der Tür, hin­ter der sich gera­de Des­po­ten der Welt die Hand rei­chen. Der steht vor der Mau­er, hin­ter der Ver­trie­be­ne, Geflüch­te­te, Aus­ge­sto­ße­ne ver­ängs­tigt lagern.
Gott, der ewi­ge Gott, betritt die Welt, betritt die Zeit. Macht die Tore auf!

Das ist eine poli­ti­sche Ansa­ge: Ihr Mäch­ti­gen der Welt, der ein­zi­ge Herr der Welt begehrt Ein­lass. Macht das Tor auf.
Das ist eine gesell­schaft­li­che Ansa­ge: Ihr Pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten, macht das Tor auf. Der, dem alles gehört, begehrt Einlass.
Es ist auch eine per­sön­li­che Ansa­ge: Mach die Tür auf, Mensch. Hal­te sie nicht ver­schlos­sen, wenn du gera­de ver­ängs­tigt bist. Lass Gott ein. Hal­te sie nicht ver­schlos­sen, wenn du dich unwür­dig fühlst. Lass Gott rein. Und wenn du gera­de in Eile und in womög­lich from­mem und gutem Eifer aktiv bist: Hal­te ein. Mach das Tor auf.

Wer kommt da? „Der König der Ehre. Der Herr, mäch­tig im Streit. Der Herr Zebaoth. Gott.“ Ich mag gar nicht, aber ich muss den Psalm für einen Moment ver­las­sen. Denn da steht einer auf und zeigt mir noch ein zwei­tes Bild. Mat­thä­us hat es auf­ge­schrie­ben, für uns auf­ge­malt (Mat­thä­us 21,1–11).
Da kommt einer nach Jeru­sa­lem. Er wird auch beju­belt wie ein König. Aber der hat gar nicht die­se Grö­ße und Hei­lig­keit um sich – wenigs­tens nicht auf den ers­ten Blick, nicht für die Augen derer, die nur das Äuße­re sehen.
Jesus zieht in Jeru­sa­lem ein. Er rei­tet auf einem Esel – und der ist auch noch aus­ge­borgt. Der rote Tep­pich für die­sen König besteht aus Klei­dern der Zaun­gäs­te und aus Palm­zwei­gen, schnell und not­dürf­tig von dem Bäu­men geschlagen.
Ich fra­ge mich, wie er durch das Stadt­tor gekom­men ist. Jeru­sa­lem war von einer Stadt­mau­er umge­ben und durch ver­schie­de­ne Tore kamen die Men­schen hin­ein. Er war wohl zu unschein­bar, zu nor­mal. So haben ihn die Stadt­wa­chen ein­fach rein­ge­las­sen, wie so vie­le ande­re Pil­ger, Tou­ris­ten oder Händ­ler und andere.
Ist das der Glei­che? Ist das der glei­che Herr, von dem Psalm 24 spricht? Die Wor­te, die ihm zuge­ru­fen wer­den, drü­cken es aus. Wie vie­le das wohl wirk­lich so gese­hen haben?

An Weih­nach­ten selbst ist es noch etwas geheim­nis­vol­ler, noch mehr ver­bor­gen: Im Stall kommt Gott in die Welt (Lukas 2,1–20). Die Tore weit, die Türen hoch? Da war die Stall­tür. Viel­leicht, viel­leicht gab’s auch ein Scheu­nen­tor. Aber jeden­falls kein hoch gebau­tes, hoch erha­be­nes Stadt­tor, impo­sant, beein­dru­ckend, gewal­tig. Ein­fach ein Holz­tor. Ein kräf­ti­ger Fuß­tritt mag es schon öff­nen können.
Ist das der Glei­che? Der Herr der Heer­scha­ren, der Ein­lass begehrt vor den Mäch­ti­gen? Er ist es.

Wer kommt da an Weih­nach­ten zu uns – ein klei­nes Kind, auf Hil­fe ange­wie­sen? Wer zieht da in Jeru­sa­lem ein – ein sanft­mü­ti­ger Volks­kö­nig? Wer hängt da am Kreuz – ein geschei­ter­ter Träu­mer, zu gut für die­se Welt?
Gott kommt zu uns. Und er kommt als der, der aus Lie­be alle sei­ne Macht ablegt (Phil­ip­per 2,6–11). Er kommt und wird aus Lie­be einer der Ohn­mäch­ti­gen, der Aus­ge­sto­ße­nen. Er wird ein Flücht­ling, der um Leib und Leben ban­gen muss. Er wird einer, der gefol­tert und sogar ermor­det wird.
Gott legt aus Lie­be alles ab, was im 24. Psalm und in vie­len ande­ren bibli­schen Bil­dern über ihn gesagt wird: Heer­scha­ren lässt er nicht auf­mar­schie­ren, als er gefan­gen­ge­nom­men wird (Mat­thä­us 26,53). Er hebt die Welt nicht aus den Angeln, um alles wie­der gera­de zu rücken. Er lässt einen Hero­des oder Pila­tus nicht ein­fach tut umfal­len (Lukas 23,1–12).
Aber es ist Der­sel­be, der Glei­che, der ein­zi­ge Gott, der auf einem Esel in Jeru­sa­lem ein­zieht und der im Psalm vor der Tür steht und dar­auf war­tet, dass alle Welt ihm ehr­erbie­tig die Tore öffnet.

Ich den­ke, dass wir des­we­gen den Advent brau­chen und dass wir am ers­ten Advents­tag die­sen gewal­ti­gen Auf­takt brauchen.
Gott ist kein hilfs­be­dürf­ti­ges Wesen. Jesus ist kein Lum­pen­kö­nig. Und er ist nicht nied­lich, wie er da in sei­nem Krip­pel­ein liegt, „hol­der Kna­be mit locki­gem Haar“, viel­leicht mit Paus­bäck­chen, ein biss­chen Lamet­ta im Stroh, ver­schmitzt lächelnd.
Gott gibt alles auf, er legt alles ab für uns. Aber er ist und bleibt Gott, der eine Gott, der Hei­li­ge, der unvor­stell­bar Gro­ße und Ewige.

Damit unser Herz nicht erschrickt, will er in unse­rem Her­zen sei­ne Krip­pe fin­den – ein Gott, der barm­her­zig und sanft­mü­tig und gedul­dig und freund­lich ist. Damit unser Herz Mut gewinnt und der Glau­be wächst und mutig von Jesus redet, kommt Gott in sei­ner gan­zen Grö­ße und gibt uns heu­te eine Ahnung davon.

Die gan­ze Advents­zeit reicht nicht aus, um zu begrei­fen, wer da zu uns kommt. Aber wenn wir nur der einen Fra­ge nach­ge­hen, wer das ist, wer­den wir bis Hei­lig­abend so viel von Got­tes Grö­ße erah­nen, dass wir das Kind in der Krip­pe vol­ler Stau­nen ansehen.

Wer ist der König der Ehre? Jesus – das Kind, der Hei­land, der Gekreuz­te und Auf­er­stan­de­ne – Er ist der König der Ehre.

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