Predigt zu 2. Könige 5,9–15
Vor der Predigt wird ein Abschnitt aus dem Matthäusevangelium gelesen: Matthäus 8,5–13
„Du, hast du schon gehört? In IRGENDWO soll ein neuer Orthopäde sein. Und der ist richtig gut. Meine Schwester war da. Die hat doch seit Jahren – eigentlich schon immer – mit dem Rücken zu tun. Und der? Schaut sie an, greift dreimal beherzt zu, piekst sie mit fünf Nadeln – und seitdem ist alles gut. Die putzt jetzt dreimal schneller die Treppe als ich.“ Das ist so einer der Klassiker im Seniorengesprächskreis. Vielleicht nicht mit dem Orthopäden, aber wenn sich in der Medizin was tut, und einer einen persönlichen Zugang dazu hat, dann macht das die Runde, selbstverständlich. Schon lange ist es so, dass Menschen weit weg zu Spezialisten fahren, weil sich eben alles spezialisiert hat, auch die Ärzte. Da sitzen die Herzspezialisten im Herzzentrum zusammen, andernorts gibt es welche, die unschlagbar sind, wenn es um den Magen geht oder den Kopf. Und Augenarzt ist auch nicht gleich Augenarzt. Mancher begibt sich auf eine 100te Kilometer lange Reise, um die noch bessere Hilfe zu erlangen. Selbstverständlich.
Der Hauptmann, von dem wir gehört haben, musste nicht so weit reisen – äußerlich – um bei Jesus Hilfe zu bekommen. Aber ein Aufbruch, der ihn sicher einiges an Kraft und Überwindung gekostet hat, war es schon. Als römischer Offizier standen ihm doch gute Ärzte zur Verfügung. Da ließ sich Rom nicht lumpen, seine Truppen entsprechend zu versorgen. Und Jesus? Ein Wanderprediger – von den einen sicherlich hoch gerühmt wegen mancher Wunder, von den anderen aber auch gehasst wegen seiner provozierenden Reden von Gott. Vielleicht nicht so gut, mit dem gesehen zu werden. Das kann einem auf dem Karriereweg durchaus hinderlich werden. Noch heute stolpern Politiker über Entscheidungen, Begegnungen und Taten der Vergangenheit. Der Hauptmann wagt‘s und erfährt die Hilfe, die er sich ersehnt.
„Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden …“, so fängt der Wochenspruch an (Lukas 13,29). In der Epiphaniaszeit, die wir ja mit dem Fest der Heiligen Drei Könige beginnen, hören und lesen wir von Menschen, die auf der Suche sind – nach dem Stern, nach dem Heil, nach Leben. Die Bibel erzählt diese Geschichten. Und das Ziel – auch wenn es den Suchern nicht immer gleich bekannt ist – ist immer der Gott Israels. Heil kann es nur bei dem geben, der die Welt geschaffen hat und sie erhält. Obwohl das manchmal sogar Insider nicht gleich auf Anhieb wissen und andere noch nicht ahnen.
Im 2. Buch der Könige (2. Könige 5,1ff.) wird solch eine Geschichte erzählt, die ein großes Missverständnis enthält, durch das es fast zum Krieg kommt, in der ein Prophet auf der faulen Haut liegt und dennoch einen Menschen heilt und in dem ein Stolzer vom Pferd herabsteigen und in einem dreckigen Fluss baden muss. Es sieht nach allem aus, aber nicht nach Heil und Hilfe. Und das kam so:
Der Feldhauptmann des Königs von Aram – das beschreibt das Gebiet des heutigen Syriens – war ein Superheld seiner Zeit und seines Königs, ein großer Stratege und Anführer. Nach dem König war er sicher der bedeutendste Mensch im Land, und sein König hielt große Stücke auf ihn. Aber: Naaman, so hieß der Feldhauptmann, war krank. Aussatz – heute würde man vielleicht Lepra sagen, aber die Krankheiten stimmen nicht so ganz überein. Jedenfalls sah er schlimm aus und er litt unter der Krankheit. Die Ärzte des Königs – und das waren auch damals schon keine Quacksalber – konnten ihm nicht helfen. Da half kein Tee und kein Kraut und keine Salbe. Zauberei und Religion änderten auch nichts. Eine Sklavin der Ehefrau Naamans ließ voller Mitleid einen folgenschweren Satz fallen: „Ach dass mein Herr doch bei dem Propheten in Samaria wäre, meiner Heimat. Der könnte ihn vom Aussatz heilen.“ Also eine jüdische Sklavin bemitleidete ihren Herren und setzte eine Bewegung in Gang, die noch spannend werden sollte. Naamans Frau erzählte es ihrem Mann. Der ging zu seinem König. Und der – schlau, wie er dachte, schrieb gleich einen deutlichen Brief an den König von Samarien. Damals war Israel schon ein zweigeteiltes Land. Im Norden nannte man sich Israel oder Samarien, im Süden hieß das Land Juda. „Von König zu König: Ich schicke dir meinen obersten Heerführer, damit du ihn vom Aussatz heilst.“ Klar, mit irgendeinem Landarzt wollte der König sich nicht zu Frieden geben. Solche Wunder, die kann doch nur seinesgleichen vollbringen – obwohl er selbst ja nicht sehr weit gekommen war. Dem König in Samarien, in Israel fiel natürlich die Linse aus der Brille, als er den Brief las. „Wie, will der Aramäer Krieg anzetteln? Bin doch kein Arzt und kein Wundertäter. Das gibt Ärger, das gibt Ärger.“ Wie ein Tiger im Käfig rannte er hin und her. Das aber hörte Elisa. Der war damals Prophet in Israel. Und so schreibt das zweite Buch der Könige:
8 Als Elisa, der Mann Gottes, hörte, dass der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte, sandte er zu ihm und ließ ihm sagen: Warum hast du deine Kleider zerrissen? Lass ihn zu mir kommen, damit er innewerde, dass ein Prophet in Israel ist. 9 So kam Naaman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas. 10 Da sandte Elisa einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden. 11 Da wurde Naaman zornig und zog weg und sprach: Ich meinte, er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien. 12 Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Abana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, sodass ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn. 13 Da machten sich seine Diener an ihn heran, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dir der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wie viel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein! 14 Da stieg er ab und tauchte unter im Jordan siebenmal, wie der Mann Gottes geboten hatte. Und sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben und er wurde rein. 15 Und er kehrte zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten. Und als er hinkam, trat er vor ihn und sprach: Siehe, nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel.
Fast also wäre es zum Krieg gekommen, weil der König von Aram dachte, nur ein König kann ihm helfen. Und weil der König von Israel nicht daran dachte, dass sein Prophet Elisa doch der Mann Gottes ist. Aber beim Propheten klappt es auch nicht so richtig. Die Diener unseres Staates mögen es mir verzeihen, aber: Kennen Sie das Spiel „Beamtenmikado“? – Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Genauso benimmt sich der Prophet, wie die Karikatur eines Beamten. Er liegt auf seiner Matratze bei einer warmen Ziegenmilch vielleicht und lässt den zweitobersten Aramäer mit seinem Diener verhandeln. „Schick ihn mal an den Jordan, soll sich ordentlich waschen und dann ist gut.“ Man muss sich wundern, dass Naaman diesen Propheten nicht gleich einfach einkassiert hat. Naja, er wollte ja keinen Krieg in Israel entfachen. Aber viel hat sicher nicht gefehlt und er hätte die Hütte von Elisa einfach platt gewalzt. So eine Arroganz. Und dann diese Brühe. Der Jordan ist kein schöner, klarer, breit dahin strömender Fluss. Der ist mal mehr, mal weniger mit Wasser gefüllt und quält sich durch Steppe und Wüste. Aber schließlich bringen Naamans Begleiter ihn doch dazu, sich im Jordan zu reinigen. Und er wird rein, nämlich seinen Aussatz los. Die Folge am Ende ist ein großartiges Bekenntnis eines völlig überraschten und glücklichen Menschen: „Nun weiß ich, dass kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel.“
Gleich drei Entdeckungen in dieser Geschichte lassen mich nicht los, weil sie auch heute wichtig sind.
Die erste berührt sich mit unserer Jahreslosung aus dem 2. Korintherbrief (2. Korinther 12,9): „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Die Schwächste in der Geschichte ist sicherlich die Sklavin im Hause Naamans. Aber sie bringt die Geschichte ins Rollen. Sie hat erstens ein Herz, das mitfühlt, sogar mit einem Feind ihres Land, ihrem Entführer und Besitzer. Sie ist noch fähig, die Not anderer zu sehen und sie anzusehen ohne Gefühle der Rache oder der Schadenfreude. Ihr echtes Mitleid bringt sie zweitens dazu, einen vorsichtigen Hinweis zu geben, wo Hilfe möglich ist. Sie hat den Mut, von der Heimat zu erzählen, von ihrem Glauben an den einen unsichtbaren Gott, der den Propheten zu Wundertaten befähigt. In einem Land, in dem sonst die Götter aus Gold sind und mit großem Pomp verehrt werden, schon eine Zumutung für ihre aramäischen Zuhörer. Gesellschaftlich gesehen war sie das schwächste Glied in dieser Kette von Personen. Aber sie erst macht das Wunder möglich, ihre Offenheit für andere, ihr Mut, ihre – ja, ihre Nächstenliebe, die nicht das Äußere einer Person ansieht, sondern den Menschen selbst.
„Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ So sagt Gott es zu Paulus. Und an der Dienerin in Naamans Haus wird deutlich, wie das gehen kann.
Die zweite Entdeckung lässt sich in einer Redewendung ausdrücken: „Der Schein trügt.“ Und das gleich vier Mal. Der Aramäerkönig wendet sich an seinen Amtskollegen. Das ist typisch, oder? Ihm fehlt der Weitblick dafür, dass es auch andere gibt. Aber die spielen nicht in seiner Liga. Wie ganz anders war da doch die Dienerin aus Israel, die den Blick zu den anderen erheben konnte, obwohl sie sonst wohl eher die Augen niederzuschlagen hatte. Der König in Israel aber ist nicht besser. Auch er lässt sich vom Schein trügen und vermutet eine Stichelei des Aramäers, damit er einen Kriegsgrund hat. Gleich zwei, die nicht in der Lage waren, über ihren Tellerrand zu schauen.
Aber auch Naaman hat zu lernen. Zweimal lässt er sich vom Unscheinbaren und vom geradezu entwürdigenden Verhalten täuschen. Nur der Diener redet mit ihm, nur der Jordan dient als äußeres Mittel für das Wunder. Steht einem solch hohen Herrn nicht eine bessere, würdigere Behandlung zu? Ist er nicht so etwas wie ein Privatpatient? Der Schein trügt.
Und ich frage mich, wie oft uns das nicht auch heute passiert. Gerade vor kurzem wieder kam das Gespräch darauf, warum wir eigentlich nicht bei den Gottesdiensten im Gemeindebrief auch die Namen derer veröffentlichen, die den jeweiligen Gottesdienst leiten. Da würde vielleicht mach einer kommen, wenn er wüsste … Tja – oder eben auch erst recht nicht kommen, kann ja auch sein. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, die Predigenden vorher zu veröffentlichen. Weil es uns um die Begegnung mit Gott selbst in der Gemeinde geht – und nicht darum, eine Art Personenkult zu fördern.
Aber ich merke es ja auch bei mir, dass ich denke: Mh, da muss ich eigentlich nicht hingehen, wird mir nichts bringen. Ist das nicht arrogant? Einer Veranstaltung, einer Gemeinde und gar einem ganz bestimmten Menschen gegenüber? Und täuschen wir uns nicht auch dabei? Wie oft ist mir etwas wirklich Gutes begegnet bei Veranstaltungen, zu denen ich gar keine Lust hatte. Ja, auch das Gegenteil gab und gibt es. Aber wieso eigentlich wollen wir Gott immer vorschreiben, wo, auf welche Weise und wie er uns begegnen will? Wir hätten ihn wohl manches Mal treffen können – und vielleicht ein Wunder erleben – wenn wir uns vom äußeren Schein nicht hätten ablenken lassen.
Die Kraft Gottes, die sich durch scheinbar Schwache wunderbar entfaltet, die Beobachtung, dass Gott doch immer wieder so völlig anders handelt und wir viel offener für seine Art und Weise sein müssen, um ihm zu begegnen – und schließlich noch habe ich noch eine dritte Entdeckung gemacht:
Es trifft sich alles bei dem einen Gott. Trotz scheinbar unbedeutender Menschen, die für ihn zeugen, trotz vieler Missverständnisse durch die eigene Voreingenommenheit: Gott bringt die Wege der Menschen an das eine Ziel, er führt sie hin zu sich. Der Prophet Jesaja kündet an, dass die Völker – gemeint sind alle Nichtjuden – eines Tages alle zum Berg Zion kommen werden, nach Jerusalem, zum Tempel des einen Gottes (Jesaja 2). In einer Verteidigungsrede, die Petrus einmal vor dem geistlichen Obergericht in Jerusalem halten musste, bekennt er, dass in keinem anderen das Heil zu finden ist, als allein in Jesus Christus, dem Sohn Gottes (Apostelgeschichte 4,12). Paulus schreibt in einem Brief nach Philippi (Philipper 2), dass im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen – ob das nun Engel im Himmel sind, Menschen auf der Erde oder Geistwesen und Mächte unter der Erde. Alle werden sich diesem einen zuwenden. Die Geschichten der Bibel machen das an einzelnen Menschen immer wieder deutlich: Naaman, der Syrer und der Hauptmann von Kapernaum sind nur zwei von vielen Beispielen.
Für mich heißt das heute zweierlei:
Als erstes brauchen wir die Haltung der Dienerin im Hause Naamans. Wenn unsere Möglichkeiten auch noch so klein sind, wir manchmal nur indirekt etwas machen können, ein leises, auch furchtsam gesprochenes Wort, eine Geste – es kann für einen anderen der Anstoß sein, das Heil, den Frieden für sein Leben zu entdecken, Gott zu finden. Machen wir nicht den Fehler und schieben das auf Pfarrer und andere, die uns durch ihre Art auch wie Profis vorkommen, Profichristen quasi. Es ist Gott, der handelt – und der ist nicht an Amt und Würden gebunden. Der ist am liebsten frei und unabhängig. Dafür braucht er Menschen, die sich ihm zur Verfügung stellen, Menschen, die ein wachsames Herz haben mit einem liebevollen Blick auf ihre Mitmenschen.
Und zweitens gilt es uns selbst ja auch, dass wir uns nicht vom äußeren Schein trügen lassen. Hilfe finden wir nicht in unserer Stärke oder in der Stärke eines anderen Menschen. Heil und Frieden, so wie die Bibel ihn meint — Frieden, der unsere Seele zufriedenstellt und nicht nur ein paar aktuelle, durchaus große Bedürfnisse, gibt es nur bei dem einen Gott. Aber der kann sich ganz schön unscheinbar auf den Weg machen, um uns zu begegnen. Schätzen wir keinen Menschen zu klein ein, als dass Gott uns nicht durch ihn etwas zeigen oder tun könnte. Und schätzen wir auch keine Situation so ein, also ob Gott da nun gar nichts mehr machen könnte. Er hat seine eigene Weise.
Sein Ziel ist, dass wir mit zu denen gehören, die aus Nord und Süd und Ost und West bei ihm zusammenkommen, mit ihm an seinem Tisch sind. Den Vorgeschmack davon gibt er uns hier, mitten in unserem Alltag.
Amen.