Eine Predigt zum Gottesdienst am 25. Juli 2021
Im Gottesdienst wurden einige Verse aus den Seligpreisungen gelesen — Matthäus 5,13–16, Worte vom Salz und Licht.
Der Predigttext war 1. Korinther 6,9–20. Gelesen wurde aus der Neuen Genfer Übersetzung.
Predigt zu 1. Korinther 6
Soll ich lieber zu Salz und Licht predigen oder zu Paulus? Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Lasst leuchten. Das klingt so hell, so würzig, so frisch und kräftig. Paulus dagegen hebt die Moralkeule. Ich meine, die Korinther brauchen das auch. In dieser Hafenstadt gab es gewiss mehr als ein St. Pauli mit der Reeperbahn. Da muss mal einer sagen, wo es lang geht – oder besser, wo es nicht lang geht. Wenn dann die Christen dort auch noch behaupten: „Mir ist alles erlaubt,“ dann schlägt’s gewiss Dreizehn. Dennoch: Heute ist Paulus dran, sagt die Predigtordnung unserer Kirche. Das hat aber auch sein Gutes. Denn es steckt viel mehr in den Worten aus dem 1. Korintherbrief als eine Predigt gegen schlechte Sitten. Gehen wir auf Schatzsuche in diesen Worten.
Am Anfang steht ein heiliger Schrecken. Überschrift: „Wer alles nicht ins Himmelreich kommt.“ Naja. Bei der folgenden Aufzählung mag sich mancher wieder etwas beruhigt zurücklehnen: Bin ich nicht. Bin ich nicht gewesen. Mache ich nicht, Paulus. Also – drin im Himmelreich. Der eine oder andere erschrickt vielleicht doch darüber. Zählen da auch schon Gedanken, Paulus? „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen“, sagte Jesus – nicht weit von den Salz- und Lichtworten entfernt übrigens, auch in der Bergpredigt. Das trifft vielleicht doch. Wer die ersten beiden Verse alleine liest, kann nur feststellen: Die Korinther jedenfalls sind gewiss raus aus dem Spiel. Nichts mit Himmelreich. „Solche sind einige von euch gewesen“, übersetzt es Martin Luther. Moralisch daneben, christlich unglaubwürdig, verurteilt durch das eigene Denken und Verhalten. Chancenlos.
Doch gleich jetzt stellt Paulus etwas klar, das uns Christen doch immer wieder schwer fällt zu glauben, wenn wir an unsere kleinen Alltagssünden denken – von den großen ganz zu schweigen. „Genüge ich Gott wirklich? Bin ich wirklich ein Kind Gottes? Bin ich fromm genug?“ Das treibt viele Menschen um, mal mehr, mal weniger bewusst. Paulus schreibt: „Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“ Das Verrückte: Die Christen in Korinth, in dieser Gemeinde, die Paulus selbst gegründet hat, leben immer noch so wie vorher, denn sonst müsste er diese Zeilen nicht schreiben. Trotzdem gilt ihnen diese Zusage: „Ihr seid rein, ihr seid heilig, ihr seid gerecht.“ Das gilt unumstößlich. Auch wenn unser Glaube und unsere Treue brechen, hält Gott an uns fest. Seine Treue, seine Liebe kennt keine Schwäche. Sein Ja bleibt ewig ein Ja zu uns. Wenn wir immer noch unser Menschsein als Erdlinge leben und nicht ausschließlich als „Himmlinge“, als Menschen, die zum Himmel dazugehören, dann sieht uns Gott doch schon vollkommen als seine Kinder an. Wir sind es. Immer. Unumstößlich.
Was Paulus nun erklärt ist das, was auch Jesus mit Salz und Licht meint: Ihr seid Salz und Licht der Welt. Das ist euer Wesen und euer Auftrag. Lebt halt auch so. Ihr seid rein, ihr seid Heilige, ihr seid von Gott gerecht gesprochene Menschen. Lebt halt so.
Paulus greift ein paar Gedanken und Argumente der Korinther auf, um das noch zu verdeutlichen. „Alles ist mir erlaubt.“ Was die Korinther verstanden hatten, als sie von Jesus Christus hörten, war: Jesus hat mich frei gemacht. Es gibt kein Gesetz, das noch über mir herrscht. Das hat Paulus verkündet. Der halbe Römerbrief legt das aus. Das Gesetz ist tot, gestorben mit Jesus am Kreuz. Ich bin mit Jesus am Kreuz gestorben und das Gesetz, das mich verurteilt, hat über mich keinerlei Macht mehr. Den Galatern schreibt er: „Was unterwerft ihr euch plötzlich wieder dem alten Gesetz” – er meinte damit Speisegebote oder die Beschneidung, die Juden noch übten, zurecht. Auf einmal aber meinten auch Christen, sie müssten sich diesem Gebot unterwerfen. Nein. Das gilt alles nicht mehr. Ihr seid frei. Völlig frei. „Alles ist mir erlaubt.“ Ja. Und deswegen bin ich nun auch so frei zu fragen, was mir dienlich ist, was mir nützt. Ich bin so frei zu fragen, was meiner Gottesbeziehung guttut und was ihr schadet. Das Gute behalte ich. Aber was mir schadet lasse ich.
„Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich“, übersetzt Luther. Und die NGÜ erläutert in ihrer Übersetzung. »Alles ist mir erlaubt!« ´Wer so redet, dem antworte ich:‘ Aber nicht alles, ´was mir erlaubt ist,‘ ist auch gut ´für mich und für andere‘. – »Alles ist mir erlaubt!« Aber es darf nicht dahin kommen, dass ich mich von irgendetwas beherrschen lasse. Ah. Das klingt anders als der Anfang. Nicht das Gesetz bringt mir die Freiheit – und wenn ich gegen Gottes Gesetz verstoße, lande ich sogleich in der Hölle. Nein! Solche seid ihr gewesen. Aber durch Jesus seid ihr ein für allemal freigesprochen, begnadigt, frei für ein neues Leben. Und das gilt für immer. Gott macht mich frei – und nun kann ich frei für ihn leben, frei für ihn und verantwortlich für mich und für das, was ich meinen Mitmenschen tue oder was ich unterlasse.
Bei zwei Bildern bleibt Paulus hängen. Das eine wird er später in Kapitel 8 deutlicher ausführen. Da geht es ums Essen. Das ist eine Sache des Bauches und nicht des Geistes, kurz gesagt. Kann man Fleisch essen, das ursprünglich für Götzenopfer bestimmt war? Rein sachlich ja. Denn wir glauben nicht an Götzen. Dann kann uns auch egal sein, ob ein Rind für sie bestimmt war oder nicht. Aber ob ich damit vielleicht andere Christen verwirre, kann mir nicht egal sein. So – in aller Kürze.
Hier bleibt Paulus bei der Verbindung von Mann und Frau stehen. Es ist aber ein ähnlicher Grundgedanke. Die Korinther dachten: Meine Seele ist doch befreit und gehört Jesus. Mein Geist ist doch von Gottes Geist und gehört ihm. Und mein Körper? Der ist irdisch, nur irdisch. Das wird er sogar wieder werden. So sagen wir ja noch heute bei Beerdigungen: „Erde zu Erde.“ Also kann der Leib doch machen, was er will. Der ist doch eh nicht vom Himmel. Egal, was ich esse, egal ob ich zu Prostituierten gehe – ist doch nur der Leib. Irrtum, schreibt hier Paulus. Und vor diesem ganzen Hintergrund wird daraus etwas unglaublich Erschreckendes und zugleich Heiliges, Positives. Gott ist unser Körper nämlich genauso wenig egal wie unsere Seele. Wir sind eine Einheit aus Leib, Seele und Geist. Nichts davon kann ohne das andere gedacht werden. Paulus betont das später, in Kapitel 15, noch einmal besonders: Wir werden mit einem neuen Leib von den Toten auferweckt. Ohne Leib keine Auferstehung von den Toten. Gott hat uns als Wesen mit Körper geschaffen und diesen Gedanken behält er bei – in diesem Leben und über den Tod hinaus.
Erinnern wir uns an Ostern: Jesus ist leiblich auferstanden. Es war eben kein Leichnam im Grab. Und die Jüngerinnen und Jünger konnten ihn sehen, sogar anfassen. Und Jesus aß mit ihnen – Lukas hat sogar aufgeschrieben, was er gegessen hat: Gebratenen Fisch (Lukas 24,42).
Paulus geht soweit, dass er sagt: „Euer Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.“ Das ist zuallererst eine ungeheure Wertschätzung unseres Körpers. Wir dürfen Wohnraum für Gott sein. Alle prächtigen Tempel dieser Welt, jede noch so schöne Kirche ist nichts dagegen, ist nur ein Steinbruch dagegen. Über keine Kirche können wir sagen, dass dort Gott oder sein Geist wohnen. Klar – das sind besondere Orte, besondere Räume; sie heißen sogar Gotteshäuser. Aber Wohnung für Gott, für seinen Geist? Das ist unser Körper. Und zwar jeder! „Mens sana in corpore sano“ heißt eine lateinische Redewendung – „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.“ Damit ist viel Schindluder getrieben worden. Was, wenn der Körper nicht so gesund und stark ist? Für Paulus ist klar: Jeder Körper ist Wohnung für Gottes Geist. Welch eine Würde. Auch wenn die Knochen beim Aufstehen krachen, wenn mir der Atem fehlt, wenn einer im Bett liegen muss, wenn einer gar nur noch mit den Augen kommunizieren kann wie Steven Hawking, wenn ein Körper langsam zerfällt durch Alter oder Krankheit – alle diese Körper sind Tempel, Wohnung für Gottes Geist.
Das macht mich sehr nachdenklich. Zum einen über mich selbst. Mein ganzes Leben gehört Gott. Jeder Gedanke, den ich habe, jedes Gefühl, das mich bewegt, jeder Schritt, den ich gehe, gehe ich als Mensch Gottes, als Kind Gottes. Und eben als sein Wohnort. Das ist wunderbar. Und es ist eine Herausforderung und Verantwortung.
Das macht mich auch nachdenklich über meinen Umgang mit anderen. Wie oft denke ich doch: „Oh man, wie sieht der denn aus, wie läuft die denn rum.“ Klar. Da schlägt auch mein Gewissen an uns sagt mir: Dieser Mensch, dieser Bettler, diese Couchkartoffel ist ein geliebtes Kind Gottes. Und manchmal ist dieser Gewissenschlag auch mehr als nur ein Alibigedanke. „Ja, Gott, ich weiß – du liebst jeden Menschen so, wie er ist.“ Aber meine ich das ernst? Achte ich den anderen Menschen wirklich so sehr? In diesem Menschen will Gott zuhause sein, wenn er es denn noch nicht ist! Diesen Menschen mir gegenüber, den ich vielleicht eher abstoßend finde, hat Gott zu seiner Wohnung erwählt. Gott hat sich eben nicht nur unsere Seelen erwählt und seinen Geist in unser Herz hineingegossen. Er erwählt uns ganz, von Kopf bis Fuß, von Herz bis Hand, mit Haut und auch ohne Haar.
Ist das nicht irre? Großartig? Verwirrend? „Ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe“, schreibt Luther. „Darum geht mit eurem Körper so um, dass es Gott Ehre macht“, übersetzt die NGÜ. Unser Körper soll Gott loben und preisen und Gott Ehre machen. Wir sollen mit allem, was wir sind, Gott loben. Wir dürfen (!) mit allem, was wir sind, innen und außen, Gott loben. Das übersteigt meine Vorstellungskraft. Es lässt mich erschrecken – denn das lebe ich nicht aus, nicht einmal ansatzweise. Das kann ich gar nicht ausleben, nicht mit meiner Seele und meinen Geist und auch nicht mit meinem Körper. Ich kann immer nur darauf zugehen und es beginnen und üben, jeden Tag neu.
Es lässt mich aber nicht nur erschrecken über meine Unvollkommenheit. Es macht mir auch Mut. Noch mal erinnert an den Anfang: „Solche seid ihr gewesen“ – nämlich solche, die weder mit der Seele noch mit dem Leib für Gott ein Lob waren. Seid gewesen. Aber nun sind wir anders. Wir sind Heilige. Wir sind die schönsten Tempel für Gott. Und ja – da ist wohl einiges noch zu sanieren, nämlich zu heilen – lateinisch sanare. Doch das macht Gott. Er heiligt uns. Er saniert uns. Er heilt uns. In seinen Augen sind wir die perfekte Wohnung für ihn und er wohnt schon drin.
Lasse ich ihn machen? Dass er mich an Seele und Leib zu seiner Wohnung gestaltet? Er kann’s! Gott sei Dank. Amen.