Predigt zum Gottesdienst am 15. August 2021
Epheser 2,4–10
4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. 8 Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, 9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.
Gedanken zum Text
Sagen Sie auch so gerne „Aber“? So ein kurzes Wort. Aber es steckt so viel drin in diesen vier Buchstaben. Wie schnell können wir mit dieser minimalen Ergänzung aus einer Zustimmung eine Ablehnung machen.
„Lass uns einen Fahrradausflug machen!“ – „Ja, gerne. Aber was ist, wenn es regnet?“ Und das Fahrrad bleibt im Schuppen.
„Wollen wir nicht die Orgel sanieren?“ – „Ja, aber die Kosten.“
„Am 26. September ist Bundestagswahl. Du gehst doch wählen?“ – „Ja, gewiss. Aber ich weiß gar nicht, wenn ich wählen soll. Wen kann man denn überhaupt noch wählen?“
„Gott liebt dich.“ – „Ja, aber wenn ich doch gar nicht richtig glaube.“
Ist Ihnen beim Lesen der Worte aus dem Epheserbrief aufgefallen, dass der Text in der Lutherübersetzung mit einem „Aber“ beginnt? Der Schreiber – und letztlich Gott selbst – sagt dieses Wort. Mich begeistert das, weil Gott damit alles beseitigt, was uns das Leben rauben will. Denn so viel ist mal klar: Vorher waren wir tot. Das kommt jetzt vielleicht überraschend. Denn wir leben ja. Wir leben schon immer, sonst würde es uns doch gar nicht geben.
Nun ist der Epheserbrief aber nicht der erste und einzige Text, der unterscheidet zwischen Leben und Leben. Ihm und den anderen Texten geht es nicht um das biologische Dasein. Das steht ja gar nicht zur Debatte. Lebendig in seinem Sinn ist, wer eine lebendige Beziehung zu Gott hat. Diese Beziehung wird gestört und letztlich sogar getötet, wenn wir nicht nach Gott fragen. In den Worten der Bibel: durch Übertretungen und Sünden. Bevor der Autor vom großen Aber Gottes schreibt, kennzeichnet er dieses Leben ohne Gott: Wir sind gewandelt „nach der Art dieser Welt, in den Begierden des Fleisches. Wir waren Kinder des Zorns (Epheser 2,1–3). Hammerworte. Und unbeliebt. Sie klingen so nach Moral. Doch darum geht es nicht.
Jesus erzählte einmal eine Beispielgeschichte, ein Gleichnis von zwei Menschen, die im Tempel gebetet haben. Das illustriert sehr schön, worum es bei dem Unterschied zwischen „Leben“ und „Leben“ geht (Lukas 18,9–14)
9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Der Zöllner aus diesem Gleichnis lebte vermutlich gar nicht unmoralisch. Er arbeitete für die Römer. Das war politisch nicht korrekt, denn die Römer waren die Besatzungsmacht. Aber wieso sollte er nicht Almosen gegeben haben, seine Familie geliebt, Freunde unterstützt haben und auch manch unliebsamem Nachbarn dennoch freundlich begegnet sein? Zöllner sein bedeutet doch nicht, dass einer einen schlechten Lebenswandel hat. Es heißt auch nicht, dass einer nicht an Gott glaubt oder nicht betet oder nicht zum Gottesdienst geht. Das ist hier gar nicht das Thema. Die Frage ist: Wie stehen wir zu Gott? Wie stehen wir vor Gott?
Andererseits: Der Pharisäer aus dem Gleichnis war ein frommer Mann, gewiss. Der ging sicherlich zum Gottesdienst. Er betete ganz bestimm. Und seine Kinder – wenn er welche hatte – lehrte er vermutlich sehr gründlich die Gebote und Psalmen und andere wichtige Texte der Bibel. Er hatte nur einen einzigen Fehler, und das war ein tödlicher Fehler: Er stellte sich aus eigener Kraft vor Gott hin. Er war stolz auf seine Werke, er war stolz auf seine Frömmigkeit. Er war stolz darauf, alles alleine geschafft zu haben, seinen ganzen Glauben, seine Frömmigkeit, seine Religion. Und damit lebte er an Gott vorbei, ohne es zu merken.
Der Zöllner aber überlässt sich ganz der Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Gott ist Gott. Ihn kann man nicht kaufen. Mit allem Guten, das wir vollbringen, können wir doch an Gott nicht rankommen. Noch so viele Almosen können uns Gottes Herz nicht gewinnen und erkaufen. Spendenquittungen für die Kirche und Taufscheine taugen fürs Finanzamt und für die Aktenordner. Aber Gott führt keine Akten und berechnet keine Steuern. Er fragt danach, ob wir ihn lieben. Und daran scheitern wir so oft. Vielleicht sogar immer. Was unsere bedingungslose, ungeteilte Liebe zu Gott angeht, sind wir tot. So einfach, so nüchtern steht es im Epheserbrief und in vielen anderen Briefen der Bibel.
Aber! „Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat uns lebendig gemacht.“ Merken wir, wie wichtig dieses Aber Gottes ist? Endlich mal ein Veto, das Leben schafft und Neues hervorbringt. Vor unserem ganzen Leben mag ein Minuszeichen stehen. Aber Gott malt nur einen einzigen Balken dazu – senkrecht von oben nach unten. Und so wird daraus ein Kreuz. Und ein Pluszeichen.
Wir waren tot, weil wir keine Beziehung zu Gott hatten. Oder weil wir versucht haben – und es manchmal immer noch tun – Gott von uns zu überzeugen. Liegt es Ihnen manchmal auch auf der Zunge: Ich bin getauft und konfirmiert und habe kirchlich geheiratet? Das ist wirklich toll, das ist ein Grund zu feiern und uns dessen bewusst zu sein. Aber ehrlich: Das ist nicht das Thema. Wie stehen wir vor Gott, wenn wir uns nicht hinter all diesen Bescheinigungen von der Taufe bis zur Hochzeit oder der Spendenquittung für die Flutopfer verstecken? Sind wir dann lebendig oder könnte Jesus zu uns die gleichen Worte sagen, wie über den Pharisäer?
Gott sagt „Aber!“ Selbst wenn ihr nicht annähernd so fromm seid wie ein Pharisäer, sagte ich Ja zu euch. Und wenn ihr stolz vor mir steht – sage ich auch Ja zu euch. Damit eure Minuszeichen zu Pluszeichen werden.
Der Grund dafür, dass Gott dieses Zeichen malt und uns lebendig macht? Er klingt gleich doppelt an, verstärkt und mehrfach betont: „in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat.“ Liebe, Liebe, Liebe – das ist der Grund, warum Gott sich uns zuwendet und uns Leben schenkt. Es gibt keinen einzigen anderen Grund. Das Zeichen für Gottes Liebe ist aber kein Symbol oder ein Bekenntnis oder anderes. Das Zeichen Gottes ist lebendig. Es ist sein Sohn Jesus Christus. Wie aufrichtig, von ganzem Herzen, ungeteilt und bedingungslos Gott uns liebt, zeigt uns Jesus. Er kommt aus der Herrlichkeit und Einzigartigkeit Gottes heraus und wird ein Mensch, wird einer von uns. Jesus stirbt sogar für uns. „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben lässt für seine Freunde.“ So erklärt es Jesus seinen Jüngern (Johannes 15,13). Weil Jesus für uns stirbt, können wir leben. Wir sind mit ihm lebendig gemacht. Ostern ist ja die Fortsetzung dieser Liebesgeschichte. Das gehört zusammen – nicht nur in den Evangelien, nicht nur für Jesus. Haben wir Anteil am Tod Jesu, so haben wir auch Anteil am Leben, erklärt Paulus im Römerbrief (Römer 6,3.4). Eins geht nicht ohne das andere. Wir leben, weil Jesus lebt.
Dass Gott uns liebt, können wir dann mit weiteren Worten ausdrücken: „Aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben; … Gottes Gabe ist es.“ Aus Gnade, durch Glauben, Gottes Gabe oder Geschenk. Wir mögen noch so weit weg gewesen sein – Gott hat uns gefunden. Wir mögen ihm nur halbherzig zugehört haben – Gott spricht uns ins Herz. Wir mögen ihn vergessen haben – Gott vergisst uns nie. Wir mögen weggelaufen sein – Gott geht uns nach. Denn er liebt. Immer. Ohne Einschränkung. Ohne Bedingung. Er liebt.
Und das hat weitreichende Folgen, wenn wir uns von dieser Liebe anstecken lassen. „Wir sind sein Werk, geschaffen zu guten Werken.“ Nicht wir produzieren gute Werke, um Gott zu gefallen. Er hat uns als sein gutes Werk geschaffen. Das ist schon so. Wir können darin einfach leben. Mehr brauchen wir nicht. Alles ist schon da, was wir uns an Gutem wünschen mögen. Nur können wir es meistens gar nicht sehen. Vielleicht schauen wir in die falsche Richtung. Statt Gott zu fragen, wo er schon angefangen hat sein Reich zu bauen, legen wir eine neue Baustelle an nach unseren eigenen Vorstellungen. Wir mühen uns ab. Wir fragen uns, wie wir Gemeinde aufbauen können und probieren aus. Würden wir auf Gott blicken und ihm zutrauen, dass er seine Kirche baut, dann könnten wir wohl sehen, was er schon getan hat. Aber so mühen wir uns ab und verpassen die Anfänge, die Gott vielleicht an anderer Stelle schon längst gelegt hat – für uns. Er hat alles schon zuvor bereitet.
Das können wir uns gar nicht vorstellen. Es liegt wohl ein bisschen an unserem Stolz. „Wo ich noch nicht war, kann doch noch gar nichts sein.“ Manchmal denken wir’s. Es hört sich auch viel zu leicht an, was der Epheserbrief hier sagt. Wir müssen nichts schaffen. Wir können einfach darin wandeln. So etwas gibt es doch gar nicht. „Wenn man nicht alles selber macht.“ Wie oft geht mir dieser Gedanke durch den Kopf. Und manchmal rutscht mir dieser Satz auch raus. Menschlich mag das sogar hier und da gerechtfertigt sein. Aber schon hier auf Erden nehme ich mich damit wohl doch zu wichtig. Leider denke ich bei Gott auch manchmal so. Und mache es selbst – meine Arbeit, meine Predigt, mein Gebet. Statt mir das schenken zu lassen, was bei Gott schon fertig ist. Was mir schwerfällt: Gott wirklich alles zuzutrauen und von ihm wirklich alles zu erwarten. Da kommt mir mein Aber regelmäßig in die Quere. Muss ich Gott wirklich sagen, wie er Dinge regeln soll? Wie er Menschenherzen bewegen soll? Das weiß er doch besser als ich. Schlauer wäre es, ich würde ihn fragen. Dazu gehört Mut. Dazu gehört Demut. Denn es bedeutet, alles Eigene aus der Hand zu geben. Das ist vielleicht die eigentliche Herausforderung – uns selbst loszulassen und hineinfallen zu lassen in Gottes Geschenk.
Beeindrucken können wir ihn nicht. Und brauchen es nicht. Er liebt. Er gibt. Er rettet. Er beschenkt aus dem einzigen Grund, dass er uns schon immer liebt. Da liegt mir schon wieder ein Aber auf der Zunge. Ich lass es liegen und wende mich an Gott – ohne Wenn und Aber. Und bin gespannt darauf, was er machen kann, wenn ich ihn machen lasse. Bei mir ist so Vieles unmöglich. Bei Gott aber nicht. Amen.