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Mat­thä­us 28,16–20

16 Aber die elf Jün­ger gin­gen nach Gali­läa auf den Berg, wohin Jesus sie beschie­den hat­te. 17 Und als sie ihn sahen, fie­len sie vor ihm nie­der; eini­ge aber zweifelten.

18 Und Jesus trat her­zu, rede­te mit ihnen und sprach: Mir ist gege­ben alle Gewalt im Him­mel und auf Erden.19 Dar­um gehet hin und leh­ret alle Völ­ker: Tau­fet sie auf den Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes 20 und leh­ret sie hal­ten alles, was ich euch befoh­len habe. Und sie­he, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

 

Pre­digt zu Mat­thä­us 28,16–20

Da ste­hen sie, die elf Jün­ger. Was haben sie nicht alles hin­ter sich? Am Anfang war da die­ser Unbe­kann­te. Mit­ten her­aus aus ihrem Leben hat er sie gefischt. Ein paar waren selbst Fischer gewe­sen – Petrus und Andre­as, Johan­nes und Jako­bus. Die hat­ten Fische aus dem See Gene­za­reth gezo­gen. Bis zu dem Tag, an dem Jesus sie ansprach, so mir nichts dir nichts, aus hei­te­rem Him­mel. Aus Fischern, Zöll­nern, Träu­mern oder Wider­stands­kämp­fern waren Nach­fol­ger gewor­den, Jün­ger. Drei Jah­re war das nun her, dass die ers­ten von ihnen mit Jesus durch Gali­läa und Judäa und Sama­ri­en gelau­fen sind. Sie waren mit einem Wan­der­pre­di­ger unter­wegs. Was für ein selt­sa­mer Hau­fen. Nicht unge­wöhn­lich damals, gewiss nicht. Aber schon selt­sam. Aben­teu­er hat­ten sie erlebt: ein Sturm auf dem See Gene­za­reth, die Bedro­hung durch mör­de­ri­sche Beses­se­ne – das stel­le ich mir so vor, Unver­ständ­nis und Anfein­dung durch die geist­li­che Eli­te. Wun­der hat­ten sie gese­hen. „Wun­der gibt es immer wie­der“? Mit Jesus ganz gewiss. Und die waren nicht roman­tisch-ver­träumt. Die­se Wun­der grif­fen ins Leben ein und ent­ris­sen Men­schen ihren Ket­ten: Blin­de konn­ten wie­der klar­se­hen, Lah­me konn­ten tan­zen, Tau­be hören und Stum­me sin­gen. Sogar dem Tod hat­te ihr Meis­ter Jesus Men­schen entrissen.

Hart waren die Tage vor eini­gen Wochen: Jesus – ver­haf­tet, ver­ur­teilt und gekreu­zigt. Und jeder, der mit ihm Kon­takt hat­te, stand in der glei­chen Gefahr. Petrus waren sie direkt auf die Pel­le gerückt damals im Gar­ten des Hohe­pries­ters. Man hat­te ihn erkannt. Muss­te er auch immer so vor­ne­weg sein. So ein Gesicht merkt man sich. Und an sei­nem Dia­lekt hör­ten doch alle, dass er nicht von hier, von Jeru­sa­lem war. Er stritt alles ab und kam gera­de noch so davon. Aber zu wel­chem Preis: Jesus, sei­nen Freund, hat­te er ver­leug­net, ver­ra­ten. Gera­de­zu unglaub­lich, was dann gesche­hen war: Jesus war von den Toten auf­er­stan­den. Unglaub­lich. Ver­mut­lich waren sogar jetzt noch man­che nicht davon über­zeugt. „Eini­ge aber zwei­fel­ten“, schreibt Matthäus.

Da ste­hen sie, die elf Jün­ger. Und da sit­zen wir, die fünf, elf, vier­zehn Men­schen an einem Sonn­tag im Juli in unse­rer Kir­che. Und Jesus? Das Fina­le fällt kurz aus. Aber dafür umso ein­präg­sa­mer. Viel­leicht wiegt es dadurch schwe­rer, als wenn Mat­thä­us noch Lich­ter­spie­le und dra­ma­ti­sche Musik hin­zu­ge­fügt hät­te, eine lan­ge Abschieds­sze­ne. Nein. Hier hat jedes Wort Gewicht. Kurz, aber tref­fend. Die Zusam­men­fas­sung der vor­aus­ge­gan­ge­nen 28 Kapi­tel. Und der Auf­trag, der die Jahr­tau­sen­de über­brückt und bis heu­te gilt und trägt.

Jesus. Er ist der Herr. Dar­an gibt es kei­nen Zwei­fel mehr. Alle Voll­macht im Him­mel und auf Erden ist ihm zuge­eig­net. Er hat jedes Recht und jede Mög­lich­keit zu han­deln. Er ist Rich­ter, Herr­scher, König, Deu­ter der Wirk­lich­keit, Wun­der­tä­ter, Hei­land. Er ist Gott. Wer den Mes­si­as von Georg Fried­rich Hän­del kennt, dem kommt viel­leicht der Schluss­chor in den Sinn: „Wür­dig ist das Lamm, das da starb und hat ver­söh­net uns mit Gott durch sein Blut, zu neh­men Stär­ke und Reich­tum und Weis­heit und Macht und Ehre und Hoheit und Segen. Alle Gewalt und Ehr und Macht und Lob und Preis gebüh­ret ihm, der sit­zet auf sei­nem Thron, und also dem Lamm. Amen.“ Wor­te aus der Offen­ba­rung des Johan­nes (5,12). Was Jesus hier nur in kur­zer Form andeu­tet, wird in der Offen­ba­rung fan­tas­tisch aus­ge­malt. Und mit der gewal­ti­gen Musik von Hän­del bekommt man eine vor­sich­ti­ge Ahnung von die­ser Herr­lich­keit, die Jesus gehört.

Das Über­ra­schen­de, ja Über­wäl­ti­gen­de: Er nimmt sei­ne Jün­ger, er nimmt uns mit hin­ein in die­se Herr­lich­keit. Er nimmt uns mit hin­ein, indem er uns an sei­nem Auf­trag teil­ha­ben lässt. Jesus hat nicht nur Nach­fol­ger beru­fen. Er hat sei­ne Jün­ge­rin­nen und Jün­ger beru­fen, damit sie nun selbst als Boten von Got­tes Reich in die­ser Welt unter­wegs sind. „Mir ist gege­ben alle Gewalt im Him­mel und auf Erden.“ Ja, Jesus, schön. Toll, dass wir dich ken­nen dür­fen. Nein – es geht wei­ter: „Dar­um geht hin!“ Weil Jesus die gan­ze Voll­macht Got­tes gehört, dar­um sol­len wir nun los­ge­hen und das wei­ter­sa­gen. Nicht nur wei­ter­sa­gen, son­dern wie­der­um ande­re die­sem Herrn unter­stel­len. „Machet zu Jün­gern alle Völ­ker.“ Baut nun ihr an Got­tes Reich wei­ter. Tauft, lehrt, ver­mehrt die Zahl der Nach­fol­ger Jesu, ver­kün­det, redet, lebt, bezeugt was ihr erfah­ren habt. Wow, Jesus. Wir sol­len das tun, was du bis­her getan hast? Wir sol­len Got­tes Reich auf der Erde aus­brei­ten? Wir sol­len zu Gott ein­la­den? Wir? Hast du uns mal ange­se­hen? Vor­lau­te Fischer. Unterm Fei­gen­baum sit­zen­de Phi­lo­so­phen. Zweif­ler an dei­ner Auf­er­ste­hung. Lieb­lings­jün­ger – wenn das mal nicht eine unge­heu­re Selbst­über­schät­zung ist. Strei­ter um den Sitz­platz neben dir, Eifer­süch­ti­ge. Wir bau­en dein Reich, Sohn Got­tes? Arme, Alte, Kran­ke, Zer­bro­che­ne. Aber auch Vor­wit­zi­ge, Neun­mal­klu­ge, Stu­dier­te. Hand­wer­ker, Lebens­er­fah­re­ne, Rast­lo­se. Wir? Und Jesus sagt nur: MIR ist gege­ben alle Gewalt, alles Recht, alle Mög­lich­keit und Voll­macht zu han­deln. Ent­spannt euch. Ihr braucht das alles nicht aus euch her­aus zu erschaf­fen. Ihr gehört zu mir. Ihr habt Teil an mei­ner Sen­dung. Ihr habt Teil an mei­ner Voll­macht. Ich bin der Herr – und ihr seid mei­ne Schwes­tern und Brü­der, Königs­kin­der, Gotteskinder.

Manch­mal kommt mir das so unbe­deu­tend vor, was da geschieht. Wäh­rend ich mir die­se Gedan­ken auf­schrei­be, reg­net es. Vorm Fens­ter steht ein gro­ßer Ahorn­baum. Von sei­nen dun­kel­grü­nen Blät­tern tropft der Regen. Und ich stel­le mir vor, wie Jesus mit sei­nen elf Jün­gern da irgend­wo im Pfarr­hof Platz fin­det, in einer Nische in unse­rer klei­nen Welt. Und sagt das sei­nen Jün­gern. So unbe­deu­tend. Ledig­lich bei Tau­fen wird das her­vor­ge­holt, oder halt heu­te, alle sechs Jah­re am 6. Sonn­tag nach Trinitatis.

Ich muss den Blick auf das, was da geschieht, neu ler­nen. Will sehen ler­nen. Das Lamm, das geop­fert ist, Jesus, der Hei­land und Ret­ter, wird als König ein­ge­setzt an Got­tes Sei­te. Er ist wür­dig. Er ist mäch­tig. Er ist herr­lich und groß­ar­tig. Der und kein ande­rer steht hier. Und beauf­tragt mich. Und jede ande­re und jeden ande­ren, der die­se Wor­te hört und glaubt. Atme. Atme durch. Atme und ent­de­cke, was da geschieht. Das ist kein lit­ur­gi­sches Nischen­ele­ment, das man nur als Bei­werk bei einer Tau­fe braucht. Was Jesus sagt, rückt uns ins Zen­trum des Gesche­hens. Wir sind Nach­fol­ger. Und wir sind Boten Got­tes. Ihr habt die Voll­macht, ande­ren Got­tes Reich nahe­zu­brin­gen. Ihr habt die Voll­macht, ande­re Men­schen in Got­tes Reich mit­zu­brin­gen. Euch ste­hen die Tore in die­ses Reich Got­tes offen. Und sie ste­hen jedem offen, den ihr mitbringt.

Raubt uns das nicht den Atem? Müss­te es nicht? Wir sor­gen uns um eine kaput­te Orgel oder eine Kir­che mit nas­sen Füßen. Wir zäh­len Gemein­de­glie­der und bemer­ken nur, dass es weni­ger wer­den. Und Jesus sagt: Baut an mei­nem Reich. Macht Völ­ker zu Jün­ge­rin­nen und Jün­gern. Völ­ker? Sogar ALLE Völ­ker. Ste­hen blei­ben. Luft holen, tief Luft holen. Es kommt noch ein Satz: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Ein bekann­ter Satz ist das. Beliebt, viel­leicht als Kon­fir­ma­ti­ons­spruch. Als Spruch­kärt­chen, das man wei­ter­ge­ben kann. Die Wor­te gel­ten aber mir! Und sie gel­ten heu­te! Nicht wir bau­en Got­tes Reich. Er selbst baut es. Nicht wir tra­gen die Last der Ver­ant­wor­tung oder des Erfolgs. Er trägt uns. Jesus ist der Bau­meis­ter. Er baut und erhält sei­ne Gemein­de, sei­ne Kir­che. Egal wo wir sind, egal in wel­cher Situa­ti­on wir uns befin­den, egal ob 10 % Chris­ten hier leben oder auch mal 90 % — er ist da. Jesus ist schon längst da.

Oft bemer­ke ich es nicht. So ein Gesche­hen am Rand der Welt­ge­schich­te auf einem Berg in Gali­läa. Was soll’s. Wir haben 2021 und unse­re Wol­ken­krat­zer sind höher als die Ber­ge Gali­lä­as. Naja, fast, viel fehlt nicht mehr. Aber so lang­sam hebt sich mein Blick. Ich höre Jesus. Und stau­ne neu über sei­ne Wor­te. Ich erken­ne neu sein Wesen. Er ist Gott, nicht weni­ger. Ich erken­ne auch neu mein Wesen. Ich bin ein Got­tes­kind, ein Nach­fol­ger, ein Jün­ger. In einer Rei­he mit dem vor­wit­zi­gen Petrus, dem stil­len Johan­nes, dem fein­geis­ti­gen Natha­na­el, dem muti­gen Jako­bus, dem zwei­feln­den Tho­mas und wie sie alle hie­ßen. Wir ste­hen in einer Rei­he mit der star­ken Maria, Jesu Mut­ter, mit Maria Mag­da­le­na, die alles für Jesus gibt, mit Salo­me und vie­len mehr. Es liegt nicht an uns. Was wir wirk­lich sind, sind wir durch Jesus. Was wir wirk­lich sind und was wir bewir­ken kön­nen, gibt er uns. Sei­ner Zusa­ge trau­en wir – und nicht den Zwei­feln, die uns klein machen wollen.

„Ich bin bei euch. Das genügt. Denn mehr als die Nähe Got­tes geht ja gar nicht. Ich bin bei euch, alle Tage, solan­ge die­se Erde sich dreht.“ Dar­um reden wir von Gott. Dar­um loben wir ihn. Dar­um leh­ren wir und erklä­ren. Dar­um tau­fen wir. Wir laden ein zu Gott, der uns liebt und der uns als Königs­töch­ter und Söh­ne ein­setzt in sei­ner Welt – hier und heu­te. Ob wir das sehen kön­nen? Für einen Moment sehen und glau­ben kön­nen? Jesus ist der Herr. Wir sind sei­ne Schwes­tern und Brü­der, Boten in die­ser Welt, Reich-Got­tes-Bau­er. Er ist bei uns und damit ist alles möglich.

Amen.

 

Foto: Kir­chen­de­cke St. Micha­el Hil­des­heim, © Mat­thi­as Keilholz

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