Reiß die Him­mel auf!

Pre­digt zum Lied „O Hei­land, reiß die Him­mel auf“
(Ev. Gesang­buch Nr. 7)

Advent – die Zeit des War­tens hat wie­der ange­fan­gen. Also zumin­dest lit­ur­gisch ist das so. Advent heißt zwar Ankunft, aber der da kom­men soll, kommt nicht schon am ers­ten Advent, auch nicht am zwei­ten, drit­ten und vier­ten. Erst Hei­lig Abend ist es soweit. Und der lässt die­ses Jahr sogar län­ger als sonst auf sich war­ten, nach dem vier­ten Advent noch fast eine gan­ze Woche!
Es ist eher so, wie wenn man einen lie­ben Freund am Bahn­hof abholt. Da rennt ja kei­ner auf den letz­ten Drü­cker hin. Nein. Da fin­de ich mich doch schon vor­her ein, um den Freund ja nicht war­ten zu las­sen. Ich bin recht­zei­tig da, könn­te ja sein, ich muss mir noch einen Park­platz suchen und fin­de nicht gleich einen. Ich bin recht­zei­tig da, um noch mal nach­zu­le­sen, auf wel­chem Gleis der nun ankommt. Und da hin­lau­fen muss ich ja auch noch. Also: ne hal­be Stun­de vor­her will ich schon mit dem Auto vorfahren.
Advent – Ankunft. Wir berei­ten uns vor und war­ten dann, mehr oder weni­ger geduldig.

Einer, dem das War­ten zu lan­ge wur­de, war Fried­rich Spee. Ich ver­mu­te, Sie ken­nen ihn nicht dem Namen nach. Spee war ein Jesu­it und leb­te von 1591 bis 1635. Er unter­rich­te­te Moral­theo­lo­gie und Phi­lo­so­phie und war außer­dem ein bekann­ter Dich­ter und Lyri­ker. Er gilt als der bedeu­tends­te katho­li­sche Dich­ter des deut­schen Barock. Sei­ne Lie­der hat er oft für den Unter­richt, für die Kate­che­se, also die christ­li­che Unter­wei­sung geschrie­ben. Vier Lie­der von ihm ste­hen in unse­rem Gesang­buch: das Weih­nachts­lied „Zu Beth­le­hem gebo­ren“ (EG 32), das Pas­si­ons­lied „O Trau­rig­keit, o Her­ze­leid“ (EG 80) und das Oster­lied „Die gan­ze Welt, Herr Jesu Christ“ (EG 110).
Das vier­te Lied – oder eigent­lich das ers­te von ihm im Gesang­buch ist, wer hät­te es geahnt, natür­lich ein Advents­lied. Wer es liest oder noch bes­ser auch singt, merkt sogleich, dass es wahr­haf­tig ein Meis­ter­stück der Dicht­kunst ist:

1. O Hei­land, reiß die Him­mel auf,
her­ab, her­ab vom Him­mel lauf,
reiß ab vom Him­mel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Rie­gel für.

Ich mag die­ses Lied sehr. Es hat Feu­er, es ist vol­ler Sehn­sucht, die einer nicht mehr für sich behal­ten kann, die nach außen drängt, die bewegt. „Reiß die Him­mel auf“. Spee gibt sich nicht mit ein biss­chen Ker­zen­stim­mung und Advents­duft zufrie­den. Es muss doch mal los­ge­hen mit Gott, der muss doch mal ein­grei­fen, der muss doch! „Ach, dass du den Him­mel zer­ris­sest und füh­rest her­ab“, so klagt und schreit es Jesa­ja (64,1). Im Hebräi­schen hört man dabei förm­lich, wie die Him­mels­tü­ren mit lau­tem Kra­chen auf­ge­schla­gen wer­den: „lu kara’ta scha­ma­j­jim.“ Es wird Zeit, dass Gott ein­greift, dass er aus dem Him­mel her­ab­stürmt und dem Leid auf der Erde, der Will­kür, der Unter­drü­ckung und Not ein Ende berei­tet. Bei Jesa­ja ist es das geknech­te­te Volk der Israe­li­ten, das so zu Gott – nein, nicht mehr nur betet. Es schreit zu Gott.
Spee hat das Lied 1622 geschrie­ben. Der drei­ßig­jäh­ri­ge Krieg hat­te gera­de ange­fan­gen. Und zumin­dest spä­ter wird aus sei­nem Leben berich­tet, dass er damit auch mas­siv zu tun hat­te. „O Hei­land, reiß die Him­mel auf.“

Es steckt nicht nur in den Wor­ten des Lie­des eine unge­brems­te Sehn­sucht. Die Melo­die spielt mit, sie unter­streicht das Gebet, das zum Him­mel schreit. Gleich in den ers­ten Tönen schwingt sich die Melo­die nach oben. Auf dem Grund­ton fängt das Lied an. Der zwei­te Satz beginnt schon auf dem fünf­ten Ton. Und die höchs­te Stel­le wird mit dem drit­ten Satz erreicht, der auf dem 7. Ton anfängt. Es geht gewal­tig nach oben, es geht gewal­tig vor­an, es schreit wirk­lich zum Him­mel, damit Gott es hören möge. Erst die letz­te, vier­te Zei­le führt die Melo­die wie­der nach unten – um aus­zu­ru­hen für einen Moment, um Kraft zu schöp­fen jeweils für die nächs­te Strophe.
Und die sind genau­so bewegt, wie die ers­te. Mit „O“ fan­gen sie an. „O“ – zwei­mal kommt die­ser kla­gen­de Aus­ruf in der zwei­ten Stro­phe vor, und sogar vier­mal in der drit­ten Strophe:

2. O Gott, ein’ Tau vom Him­mel gieß, 
im Tau her­ab, o Hei­land, fließ.
Ihr Wol­ken, brecht und reg­net aus 
den König über Jakobs Haus.
3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, 
dass Berg und Tal grün alles werd.
O Erd, her­für dies Blüm­lein bring, 
o Hei­land, aus der Erden spring.

Sanft wie Tau, mild und heil­sam für die Erde – so erbit­tet sich schon Jesa­ja (45,8) Got­tes Heil und Gerech­tig­keit: Träu­felt, ihr Him­mel, von oben, und ihr Wol­ken, reg­net Gerech­tig­keit! Die Erde tue sich auf und brin­ge Heil, und Gerech­tig­keit wach­se mit auf!“ Aber Heil und Gerech­tig­keit brau­chen nicht nur mil­den Tau, der sanft auf jun­ge Pflan­zen fällt. Heil und Gerech­tig­keit brau­chen auch einen König, der sie im Land umsetzt. Dafür steht der kräf­ti­ge Regen, der den Staub von den Stra­ßen wäscht, den Unrat weg­spült. Dann wird alles grün, was vor­her wie Tod war. Und ein Blüm­lein wächst auf, auf dem alle Hoff­nung Isra­els liegt – und auf dem die Hoff­nung der gan­zen Welt liegt, (Jesa­ja 11,1f.): „Und es wird ein Reis her­vor­ge­hen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus sei­ner Wur­zel Frucht brin­gen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weis­heit und des Ver­stan­des, der Geist des Rates und der Stär­ke, der Geist der Erkennt­nis und der Furcht des Herrn.“
„Es ist ein Ros ent­sprun­gen“ (EG 30) – so greift das bekann­te Weih­nachts­lied die­se Ver­hei­ßung auf. Und auch Fried­rich Spee nimmt die Erwar­tun­gen von Got­tes Heil und Frie­den, von sei­nem Scha­lom auf. Er hält sich eben­falls an die alten Mes­si­as­er­war­tun­gen. Gott hat doch einen Ret­ter ver­spro­chen, schon bei den Pro­phe­ten im Alten Tes­ta­ment wird er ange­kün­digt. Und des­we­gen lesen wir ja auch heu­te noch die­se alten Ver­hei­ßun­gen. Chris­ten glau­ben, dass Jesus von Naza­reth die­ser erwar­te­te Ret­ter sei­nes Vol­kes ist, der Ret­ter nicht nur Isra­els son­dern der gan­zen Welt.
Spee schreibt aber nicht so, als ob es schon gesche­hen ist. Nein, immer wie­der muss die­ses Heil Got­tes vom Him­mel her­ab­flie­ßen, muss Jesus von neu­em in unse­ren Her­zen gebo­ren wer­den – in jeder Gene­ra­ti­on neu, in jedem ein­zel­nen Men­schen neu. O Hei­land, o Gott – die Aus­ru­fe blei­ben, und sie blei­ben drin­gend. Denn wie­der brau­chen Men­schen Trost und Hil­fe. Spee und sei­ne Zeit­ge­nos­sen im 30-jäh­ri­gen Krieg, Kin­der in Afri­ka, die ver­hun­gern, Men­schen im Bür­ger­krieg, in den Umsturz­si­tua­tio­nen in Ägyp­ten oder Liby­en. Trost und Hil­fe brau­chen Alte, die allei­ne gelas­sen wer­den, Kran­ke in ihrer Not und ihren Schmer­zen. Trost und Hil­fe brau­chen Fami­li­en, die manch­mal nicht wis­sen, wovon sie leben sol­len, brau­chen Aus­län­der, die wie Aus­sät­zi­ge behan­delt wer­den. Trost und Hil­fe brau­chen auch die Star­ken, die Mäch­ti­gen – die auf ein­mal nicht mehr wei­ter wis­sen, weil sie mit ihrer Kraft nichts mehr aus­rich­ten können.

All­zu oft gehen Men­schen durch ein Jam­mer­tal. Nicht nur damals, als Jesa­ja und Isra­el sich nach Got­tes Hil­fe gesehnt haben, nicht nur zur­zeit des Lie­der­dich­ters. Auch heu­te. Und dar­um ist der Ruf nach Gott immer noch aktu­ell: „Wo bleibst du?“

4. Wo bleibst du, Trost der gan­zen Welt,
dar­auf sie all ihr Hoff­nung stellt?
O komm, ach komm vom höchs­ten Saal,
komm, tröst uns hier im Jammertal.
5. O kla­re Sonn, du schö­ner Stern,
dich woll­ten wir anschau­en gern;
o Sonn, geh auf, ohn dei­nen Schein
in Fins­ter­nis wir alle sein.
6. Hier lei­den wir die größ­te Not,
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit star­ker Hand
vom Elend zu dem Vaterland.

Wäh­rend die ers­ten drei Stro­phen, die alle mit dem Aus­ruf „O“ anfan­gen, Gott vom Him­mel her­ab­fle­hen, kommt mit den nächs­ten drei Stro­phen die Erde in den Blick. Und es ist oft schlimm bestellt mit ihr. Jam­mer­tal wird sie genannt. Fins­ter ist es. Und dar­an ist nicht das dunk­le Mit­tel­al­ter schuld, das ist im 17. Jahr­hun­dert schon längst über­wun­den. Der 23. Psalm fasst das Jam­mer­tal und die Fins­ter­nis zusam­men: „Und ob ich schon wan­der­te im fins­te­ren Tal.“ Es geht durch dunk­le Weg­stre­cken. Und wie froh ist man, wenn es nach lan­ger, müh­sa­mer Qual zwi­schen hohen Fel­sen­mau­ern wie­der an die Wei­te, an die Son­ne geht. Der Mor­gen­stern, die Son­ne der Gerech­tig­keit, die ja auch in Kir­chen­lie­dern besun­gen wer­den, die wer­den sehn­süch­tig erwar­tet. Nicht umsonst ist der Advent und ist vor allem Weih­nach­ten das Lich­ter­fest schlecht­hin. So, wie wir äußer­lich der Fins­ter­nis des Win­ters, den lan­gen, früh ein­bre­chen­den Näch­ten eine Men­ge Licht ent­ge­gen­set­zen und uns beson­ders am war­men Ker­zen­schein freu­en, so brin­gen wir damit sym­bo­lisch zum Aus­druck, dass wir Got­tes Licht brau­chen, damit unser Leben hell wird. Das Ziel: das Vater­land – das Land, in dem das Licht, in dem der Hei­land, in dem Gott zu Hau­se ist.

Von der ers­ten bis zur sechs­ten Stro­phe ein gro­ßer Schrei nach Gott. In der Geschich­te der Kir­chen­lie­der steht Fried­rich Spee mit sei­nem Lied an einer Wen­de­stel­le. Denn er traut sich, per­sön­lich zu wer­den und Emo­tio­nen, Gefüh­le in sein Lied zu legen. Er traut sich, Gott zu drän­gen, ihn zu bedrän­gen. Er beschreibt nicht ein­fach Got­tes Grö­ße. Erzählt nicht nach, was gesche­hen ist an Taten Got­tes. Nein, er erwar­tet Bewe­gung: reiß auf, lauf her­ab, brich auf, bring her­vor, flie­ße, gie­ße aus, schla­ge aus, komm, geh auf, füh­re. Das sind alles Wor­te der Bewe­gung, im wahrs­ten Sinn Tu-Wör­ter. Mit die­sem Lied greift er den Mut der Pro­phe­ten und Psalm­dich­ter auf, die Gott zum Ein­grei­fen gera­de­zu ermah­nen und her­aus­for­dern. Er unter­drückt nicht die Unge­duld in sei­nem Herzen.
Fröm­mig­keit und christ­li­che Demut kön­nen manch­mal die Unru­he, die Not des Her­zens betäu­ben. Es geziemt sich doch nicht, so mit Gott zu reden. Wie kann ein Mensch es wagen, Gott so aus sei­nem himm­li­schen – mh – Ruhe­sitz? — herauszulocken?
Wenn ich mir’s recht über­le­ge, ist der Advent viel­leicht doch nicht so als die Zeit der ruhi­gen und gedul­di­gen Erwar­tung geeig­net. Die Kin­der machen es uns vor: „Wann ist denn end­lich Weih­nach­ten?“ Klar, die wol­len was haben. Wenn ich die­ses Lied von Fried­rich Spee so lese und sin­ge, dann fra­ge ich mich: Bräuch­ten wir Chris­ten nicht manch­mal auch den Mut zur Unge­duld? Nicht, indem wir dann anfan­gen zu quän­geln und zu nör­geln, ohne dass es kon­kre­te Zie­le gibt. Son­dern indem wir Gott mit der Not die­ser Welt kom­men. Ange­fan­gen bei unse­rer eige­nen Not, die uns viel­leicht gera­de betrifft und bewegt.
Not lehrt beten, sagt ein Sprich­wort. Zei­gen wir, dass das wahr ist und beten in unse­rer Not. Viel­leicht zum ers­ten Mal wie­der. Und hal­ten wir auch die Augen für die Not der Welt offen. Man muss ja nicht mit beten auf­hö­ren, wenn einem selbst nichts mehr weh tut. Wenn ihnen die Nach­ba­rin erzählt, dass ihr Mann wie­der so schlimm krank ist, dann erzäh­len Sie Gott von dem Jam­mer­tal, durch das ihre Nach­ba­rin gera­de geht. Und wenn wir in der Zei­tung lesen, dass wie­der Men­schen umge­kom­men sind auf der Flucht vor Bür­ger­kriegs­par­tei­en, dann kla­gen wir das Gott.
Ist doch eigen­ar­tig: Es gibt ja das Sprich­wort, dass einer Him­mel und Höl­le in Bewe­gung setzt, um etwas zu errei­chen. Soviel müs­sen wir gar nicht. Es reicht, wenn wir den Him­mel in Bewe­gung ver­set­zen. Das Lied von Fried­rich Spee kann uns zei­gen, wie das geht, wenn uns wirk­lich etwas wich­tig gewor­den ist. Und dann heißt es tat­säch­lich: hoff­nungs­voll dar­auf war­ten, dass Gott han­delt. Und er tut es auch.
Übri­gens konn­te schon damals ein Zeit­ge­nos­se Spees auch nicht war­ten. Denn dem war der Schluss nach der sechs­ten Stro­phe zu früh. Der brach­te sei­ne Gewiss­heit zum Aus­druck, dass Gott sich bewe­gen lässt und dich­te­te die sieb­te Stro­phe noch dazu. Die lobt Gott für das, was er ganz sicher tun wird und stimmt ein Dank­lied an:

7. Da wol­len wir all dan­ken dir,
unserm Erlö­ser, für und für;
da wol­len wir all loben dich
zu aller Zeit und ewiglich. 

Amen.

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