Predigt zu 2. Korinther 1,18–22 (4. Advent)
„Ja – aber.“ Sie kennen diese kleine, gefährliche Zusammenstellung zweier kurzer Worte. Kommst du zum Essen? Ja – aber ich muss erst noch das hier fertig machen. Und dann wird das Essen derweil kalt. Besucht ihr uns mal wieder? Ja – aber nur, wenn nicht noch was dazwischen kommt. Und dann kommt bestimmt etwas, was den Besuch unmöglich macht. Herr Pfarrer, sind Sie Heiligabend bei uns? Ja – aber nur wenn nicht wieder so viel Schnee liegt, wie im vergangenen Jahr.
Ja – aber. Keine Erfindung unserer Tage. Im Paradies fängt es damit an. „Ja, sollte Gott gesagt haben?“ So fragt die Schlange. Und man könnte das Aber dazusetzen, auch wenn es im Text nicht geschrieben steht. „Ja, Gott hat euch einen tollen Garten gegeben – aber hat er euch nicht gleichzeitig verboten, von den guten Früchten zu essen?“
Auch Jesus begegnet dem Aber hinter dem Ja, das sogleich alles relativiert. Folge mir nach. Kommt mit, sagt er zu einem, den er trifft. Und der ist ganz begeistert. Ja, ich komme. Aber lass mich zuerst noch meinen Vater begraben. Ein anderer kommt sogar von selbst zu Jesus. „Herr, ich will dir nachfolgen.“ Aber vorher würde ich gerne noch zu Hause eine Abschiedsfete schmeißen. (Lukas 9,57–62)
Ja – aber. Es ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir kaum eine Zusage, ein Versprechen geben, ohne das Aber nicht schon mit zu sagen oder mit zu denken. Alle Welt macht es ja vor. Was ist das für ein Hin und Her beim Klimaschutz. Jeder weiß: es wäre wirklich gut, weniger Dreck in die Atmosphäre zu pusten. Und zwar völlig egal, ob das nun das Klima tatsächlich schon bald verändert oder nicht. Schlechter wird die Luft – und das allein ist schon Grund genug. Und was machen wir stattdessen? Was machen die großen Nationen stattdessen? Sie behalten sich vor, doch wieder alles über den Haufen zu werfen. Es geht halt doch nicht so einfach, wie gedacht, sagen sie. Das ewige Gezanke um ein Verbot der NPD macht einen auch schon ganz müde. Jeder Demokrat will sie loswerden – aber die hat doch noch so viele V‑Leute, ein Ei, dass sich der Staat selbst gelegt hat. Und nun?
Irre werden muss man beim Thema Waffenhandel. Klar darf man keine Waffen in Risikoländer verkaufen. Aber die haben das Öl und bezahlen gutes Geld für eine angeblich angeschlagene Wirtschaft. So einfach kann man sich da nicht raushalten.
Das Aber unterwandert unseren Alltag und macht Vertrauen löcherig. Wenn nach dem Ja ein Aber folgt, wird aus dem Ja, das doch tragfähig sein soll, ein wackeliges Vielleicht – und im Grunde damit ein Nein.
Da kommen dann manche auf den Gedanken, die alten Worte, die bei einer Trauung gesagt werden auch gleich mal abzuwandeln und dem Aber-Gefühl der Zeit anzupassen. „Ja – ich will bei dir bleiben, bis dass der Tod uns scheidet.“ Das kann doch heute keiner mehr sagen. Besser wäre: „Wir bleiben zusammen, aber nur solange es gut geht.“
Was, wenn das Gott auch so machen würde? Was, wenn unser Glaube von dem zerstörerischen Aber angesteckt wird? Paulus hat sich dazu seine Gedanken gemacht und sie in einem Brief nach Korinth geschickt (2. Korinther 1,18–22):
18 Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist.
19 Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm.
20 Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.
21 Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt
22 und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.
Paulus stellt fest: Gottes Ja ist ein Ja. Daran kann sich der Glaube immer noch festhalten. So selbstverständlich war das nämlich auch zu seiner Zeit, und auch wenige Jahrzehnte vorher, zu Jesu Zeiten, nicht.
Als Jesus gerade angefangen hatte, öffentlich zu predigen oder Menschen zu heilen, da ließ Johannes der Täufer durch seine Jünger genauer nachfragen (Matthäus 11,3): „Bist du jetzt der Messias, auf den wir schon so lange warten? Oder kommt dann noch ein anderer?“ Und man hört dahinter vielleicht auch ein bisschen Resignation: „… und dann noch einer, und noch einer, und immer so weiter.“ Messias, ja, aber vielleicht immer noch nicht der richtige …
Jesus weist Johannes darauf hin, was gerade in seiner Gegenwart geschieht: Verheißungen aus dem Alten Testament erfüllen sich. Menschen werden gesund und die gute Nachricht wird gepredigt. Ja – der Messias ist da. Nichts anderes bedeuten diese Zeichen.
Eine Generation später schon treiben neue Zweifel die Christen um. Jesus hatte doch gesagt, dass er wiederkommen wird. Und nun ist er immer noch nicht da. Nein, muss Petrus seinen Gemeinden schreiben. Gott hat die Verheißung nicht vergessen (2. Petrus 3,9). Er hat euch nicht vergessen. Im Gegenteil: Ihm ist wichtig, dass die gute Nachricht noch weiter verbreitet wird, weil er nicht will, dass Menschen ohne ihn leben müssen. Er hat noch Geduld, er wartet noch – um euretwillen, um seinen Menschen willen.
Gottes Zusagen gelten immer noch. Sein Ja ist eindeutig und bleibt ein Ja. Und Jesus Christus ist die Bestätigung für das Ja Gottes zu seinen Menschen. Deswegen lesen wir im Advent und auch am Weihnachtsfest die Verheißungen aus dem Alten Testament, die auf den Messias hinweisen. Denn im Zusammenhang soll uns damit wieder deutlich werden: Gott steht zu seinem Wort. Alles, was angekündigt wurde, erfüllt sich in Jesus.
Der Evangelist Matthäus hat aus diesem Prinzip sogar ein Programm für seine Art zu schreiben gemacht. Er zitiert die Verheißungen der Propheten und bringt sie in direkten Zusammenhang mit dem, was Jesus sagt oder tut oder was ihm geschieht.
Heilungen wird der Messias bringen – und Jesus heilt Menschen. Das Evangelium wird der Messias predigen — und Jesus redet von Gott, in einer Weise, die es allen heiß und kalt über den Rücken laufen lässt.
Dass der Messias leiden und sterben wird – die Propheten haben es angekündigt und in Jesus erfüllt es sich. Und Matthäus und auch andere stellen den Zusammenhang schriftlich her.
Aber das größte Ja, das Gott selbst in der ganzen Geschichte sagt, wird drei Tage nach der Kreuzigung hör- und sichtbar: Gott selbst erweckt Jesus Christus zum Leben.
Alles, was Jesus vorher geredet hat, alle Wunder, die er getan all, bestätigt Gott damit, sagt – in den Worten von Paulus – „Ja“ dazu. Seine Kritik daran, dass manche den Glauben an Gott zu einer Gesetzesreligion verbogen haben, seine Kritik an der Vergötterung der eigenen Fähigkeiten oder von Reichtum und Macht bestätigt Gott, indem er Jesus von den Toten auferweckt. Gott sagt Ja zu Jesus, wo der die Verzweifelten aus ihrer Verzweiflung herausgeholt hat. Er sagt ja dazu, dass Jesus zu neuem Mut und zu neuem Glauben aufruft.
Gott sagt Ja: Ja, es gibt mitten im Sturm des Lebens einen, der den Sturm zum Schweigen bringt. Ja, es gibt mitten in der Lähmung und Niedergeschlagenheit einen, der Kraft und Energie gibt, der Flügel verleiht, wie es schon die Menschen im Alten Testament bekannt und gehofft haben.
Und das alles ohne Wenn und Aber.
Das beeinflusst, das bestimmt die Rede von Gott, das bestimmt nun auch alles, was ein Paulus oder ein Petrus sagen und schreiben. Die feste Zusage, die feste Bindung Gottes an Jesus Christus, die feste Bindung Gottes an seine Menschen bestimmt den Glauben bis in unsere Tage. So können Menschen ihrerseits Ja zu Gott sagen.
Gerade am letzten Sonntag haben wir das in zwei Gemeinden in der Region noch einmal besonders gefeiert, als nämlich zwei Menschen getauft wurden, zwei Erwachsene, die laut und deutlich Ja zu Gott gesagt haben. So einen Mut, so einen Glauben können wir nicht selbst hervorbringen. Er ist eine Antwort auf Gottes Liebe. Er ist die Antwort darauf, dass Gott uns mit einem herzlichen, liebevollen, über alles gehenden Ja als seine Menschen, als seine Kinder angenommen hat.
Jetzt im Advent lesen wir vermehrt die Abschnitte aus der Bibel, die uns neu an die Verheißungen Gottes erinnern – und an deren Erfüllung. Es sind genauso auch Texte der Sehnsucht und Hoffnung. Denn manche Zusagen Gottes warten noch darauf, dass sie wahr werden, nein – dass sie sichtbar werden in unserer Welt.
Advent – das heißt Ankunft. Wer einen Augenblick nachdenkt, kommt dabei ins Stutzen. Ankunft? Aber müsste diese Zeit nicht eher „Warten“ heißen? Oder Geduld oder Hoffnung?
Nein – Ankunft heißt die Zeit. Weil Gott schon längst da ist, weil Gott schon längst mitten unter uns ist. „Euch IST heute der Heiland geboren“, so werden wir es Heiligabend wieder in den Gottesdiensten hören. Das gilt seit damals, als Jesus auf die Welt kam. Und es gilt für jeden Menschen heute, wo er diesem Jesus begegnet. Gott ist da – lasst euch kein Aber davor schieben, von denen es doch so viele gibt.
Aber — ich sehe ihn nicht, höre ihn nicht. Aber – es ist doch noch nicht alles gut. Aber – wie kann Gott das nur zulassen? Lasst euch dieses Aber nicht vorsetzen. Macht Gottes Ja nicht durch euer Aber klein, verwandelt es nicht in ein Vielleicht.
Aber – und das ist mein persönlicher Favorit: „Aber das sagt sich so leicht. Im Leben ist es nicht so.“ Genau daran verzweifle ich auch – manchmal, oft: wenn das Aber meiner Wahrnehmung so groß wird, dass ich nichts anderes mehr erkennen kann.
Vielleicht kann dann etwas zur Hilfe werden, was von Maria erzählt wird – in der Weihnachtsgeschichte. Als nämlich am Ende dieses langen, sehr eigenartigen Tages in Bethlehem Ruhe einkehrt, als die Engel vom Feld verschwunden sind, die eben noch „Gloria“ gesungen haben, als die Hirten anfangen zu erzählen, was sie im Stall von Bethlehem entdeckt haben, da schreibt Lukas über Maria:
„Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ (Lukas 2,19)
Und eine Weile später, als Jesus 12 Jahre alt war und sich eine recht seltsame Geschichte im Tempel von Jerusalem ereignet hatte, da schreibt Lukas das noch einmal: „Seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.“ (Lukas 2,51b)
Sie hätte wohl mit ihrem Aber kommen können – mehr als einmal -, und am schmerzlichsten ganz gewiss bei der Kreuzigung. Aber sie hält an Gottes Ja fest, genauso, wie sie an ihrem Ja zu Gott und seinem Weg festhält. In ihrem Herzen hält sie sich an das einzige, was trägt, wenn jedes Aber zu groß wird: Gott ist da, und was er zusagt, das hält er auch. Er ist wahrhaftig und verlässlich.
Alles fängt beim unbedingten, unveränderlichen Ja Gottes zu uns an, das ihn Mensch werden lässt, weil er uns anders nicht mehr erreichen kann, das ihn sterben lässt, weil er uns anders nicht befreien kann, und das Jesus von den Toten auferweckt als Ausrufezeichen, als Siegel – für unser Leben.
Ob wir es wagen, einmal, nur einmal vielleicht jetzt im Advent, ein vorbehaltloses Ja zu Gott zusagen? Er hat es schon längst zu uns gesagt.
Amen.