Eine Predigt zu Römer 10,9–17
9 Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wer mit dem Herzen glaubt, wird gerecht; und wer mit dem Munde bekennt, wird selig. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anruft, wird selig werden« (Joel 3,5). 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle waren dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubte unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Gedanken zum Text
„Die Botschaft hört‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Etwas anders als Paulus interpretiert Goethes Faust die Sache mit dem Hören und Glauben. Ob es uns manchmal ähnlich geht? Paulus bereitet es einiges Kopfzerbrechen und vielleicht auch Bauchschmerzen. Alle Menschen sollen doch von Jesus Christus hören, von ihm wissen und an ihn glauben. Paulus hält die gute Nachricht von Jesus, von Gottes Liebe, von der Erlösung und Befreiung der Menschen für die beste Botschaft der Welt. Und wir als Nachfolger Jesu und in mancherlei Sinn ja auch geistliche Ur-Ur-Enkel von Paulus denken wohl genauso.
Der Glaube macht’s. Das ist uralte Erkenntnis, in der Reformation wieder aufgefrischt durch Martin Luther. „Sola fide“ – „allein durch Glauben“ – das war einer seiner Grunderkenntnisse und Grundlagen, die er für die Kirche wieder freigelegt und befestigt hatte.
Der Glaube macht’s. Im Innern, im Herzen ist es die Gewissheit, dass Gott mich bedingungslos liebt. Und es ist die Gewissheit, dass ich als sein Kind lebe – nicht leben darf oder kann, sondern wirklich lebe. Daran gibt es nichts zu rütteln für einen Menschen, der sich Gott anvertraut, der an ihn glaubt. Nach außen wird der Glaube dann hörbar und sichtbar, er lässt spüren. „Mit dem Munde bekennen“ – das war durchaus wörtlich gemeint und ist es immer noch. Irgendwie ist das klar. Wovon ich überzeugt bin, was mich fasziniert, was mich durch Tiefen und Schwierigkeiten hindurchträgt, wovon ich begeistern bin, davon rede ich auch.
Gott? Klar, der ist mein Gott – „das Größte, das Schönste und Beste, Gott ist das Süßte und Allergewisste, aus allen Schätzen der edelste Hort.“ So hat es Paul Gerhardt einmal gedichtet (Ev. Gesangbuch Nr. 449,10). Jesus? Klar, der ist mein Erlöser, mein Bruder, mein Herr. Der zeigt mir, wie groß die Liebe Gottes ist. Der gibt sich für mich hin, ohne Vorbedingung. Der gibt mir Leben und Gewissheit, Hoffnung und Zukunft.
Und Gottes Geist? Der lässt mich atmen, erkennen und wissen. Der leitet mich. Der begeistert mich im wahrsten Sinn.
Das ist Glauben, der im Herzen verwurzelt ist und nach außen drängt. Nicht nur mit Worten, auch mit Taten, mit Zeichen und Symbolen, auf vielfältige Weise. Schon wenn jemand durchs Dorf geht zum Gottesdienst ist das ja ein Bekenntnis. Der Fisch auf dem Auto oder ein Bibelspruch sind es ebenso.
Der Glaube macht’s. Ich muss Gott keine guten Taten vorweisen, ihm besonders viele Opfergaben bringen, mein Leben hinter Klostermauern und in Askese verbringen oder sonst etwas. Gott vertrauen, ihn lieben, an ihn glauben – das allein genügt, das stellt die Verbindung zu ihm her. Oder besser: Das greift Gottes Verbindungsangebot auf.
Was Paulus umtreibt ist die Frage, wie ein Mensch diese Botschaft empfängt. Wie kommt sie zu ihm? Wie erfährt er davon? Glauben kann man nur, wenn man dazu eingeladen wird. Wenn mir keiner von Gottes Liebe erzählt – wie soll ich davon wissen? Und gar erst darauf reagieren? Gott möchte allen Menschen beistehen. Er will auf unsere Gebete antworten, unser Leben reich beschenken, unsere Bitten hören, sich uns zuwenden. Aber das müssen wir ja erst einmal wissen, sonst fragt doch keiner nach Gott.
Paulus hat eine einfache Reihe aufgestellt, die beeindruckt und auch nachdenklich macht. Und uns am Ende dann herausfordert: Menschen können sich an Gott wenden, wenn sie an ihn glauben. Menschen können glauben, wenn sie von Gott hören. Menschen können von Gott hören, wenn jemand ihnen von ihm erzählt – in Paulus‘ Worten, wenn jemand predigt. Predigen oder erzählen kann jemand, wenn er sich von Gott dazu beauftragen lässt.
In einem anderen Bild gesagt: Gott beschenkt uns. Überreich. Mit Leben, mit Gaben, mit Liebe, mit Hoffnung, selbst mit Glauben beschenkt er uns. Was er sucht, sind Boten, die dieses Geschenk überbringen.
Ich sehe das manchmal beim Einkaufen im Supermarkt: Da stehen Geschenkkörbe gepackt, schön vorbereitet, Wurst und Käse und was Süßes und eine Flasche Wein und mehr. Wer die wohl bekommt? Ich weiß es nicht, es ist nur eine Vermutung: Manche werden wohl bestellt und dann abgeholt. Ein paar werden vielleicht auch einfach so zusammengestellt – für Kunden, die es eilig haben, die auf dem Weg sind und noch schnell etwas zum Mitbringen brauchen. Die Körbe nützen niemanden, wenn sie dort stehen bleiben und nicht abgeholt werden. Manchmal denke ich das bei den schönen Blumensträußen im Laden. Was, wenn die niemand holt? Werden die weggeworfen, wenn die Blumen doch langsam verblühen? Werden sie neu zusammengebunden? Wie lange bleibt ein fertig gebundener Strauß stehen, bevor er entsorgt wird? Geschenke müssen verteilt werden. Jemand muss sie zu ihrem Empfänger bringen, sonst kommen sie nicht an. Ja – es gibt auch solche Aktionen im Supermarkt: „Wir feiern Geburtstag. Kommen Sie und feiern Sie mit. Es wartet ein Geschenk auf Sie.“ Das finde ich persönlich aber nicht schön. Ich bin auch keiner, der dann mit seinem Bon an die Infotheke geht und sagt: „Ich möchte bitte mein Geschenk abholen.“ Das ist nicht meine Art – auch wenn das ja so gewollt ist und gut gemeint.
Die Logik von Paulus funktioniert auf dem Papier super: Gott sendet, der Gesandte predigt, die Predigt wird gehört, der Hörende glaubt und wendet sich dann an Gott. Manchmal hängt es schon an der ersten Stelle: Wer lässt sich denn überhaupt senden und berufen?
Der Prophet Jesaja, den Paulus hier auch zitiert hat, erzählt davon, wie er zu seinem Job gekommen ist (Jesaja 6). Eines Tages sah er sich im Tempel Gottes. Genauer sah er sich wohl im Thronsaal Gottes, denn der Tempel war letztlich nicht mehr als ein Schemel für die Füße Gottes. Der Saum von Gottes königlichem Mantel füllte den ganzen Tempel aus. Es geht ein wenig hin und her, Engel füllen den Raum, Jesaja erschrickt, weil er seine Unwürdigkeit erkennt, ein Engel heiligt ihn. Das ist ein eigenes Thema.
Aber eins gehört heute an diese Stelle. Gott fragt in die große Runde aus Engeln und vielleicht noch anderen Wesen und dem Menschen Jesaja: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Wie üblich schauen alle zu Boden, jetzt ja nicht räuspern und bewegen. Alte Regel: Wenn es heißt „Freiwillige vortreten“, treten alle einen Schritt zurück, damit die Freiwilligen auch Platz haben. Nein! – so war es natürlich nicht. Die himmlischen Boten sind immer bereit. Aber Gott suchte einen irdischen Boten. Da tut die Antwort von Jesaja richtig gut. Er überlegt nicht lange und sagt schlicht: „Hier bin ich, sende mich.“
Er ist so wohltuend anders als manche, die Gott auch senden wollte und mit denen er lange diskutieren musste. Mose etwa (Exodus 3 und 4). Der fand immer neue Argumente, warum er völlig ungeeignet sei, das Volk Israel im Auftrag Gottes herauszuführen aus der Sklaverei in Ägypten. „Wer bin ich denn? Was soll ich sagen? Ich kenne dich gar nicht, Gott; wer bist du denn? Und überhaupt: Ich stottere, verhaspele mich dauernd, kann nicht reden.“ Da wird sogar der geduldige und langmütige Gott ungeduldig und zornig und ihm geht der Hut hoch – wörtlich: sein Zorn entbrannte. Jeremia, Prophetenkollege Jesajas, dachte, er sei zu jung für den Job (Jeremia 1). Und so mancher, der von Jesus angesprochen wurde mit ihm zu gehen, hatte noch dies und das zu erledigen. Da bleibt das Geschenk Gottes liegen, es kommt nicht zum Empfänger. Jesaja wird zum Vorbild: „Hier bin ich. Sende mich!“ Denn zuerst muss einer mal losgehen und das Geschenk Gottes aufnehmen und weitertragen.
Ich denke, dass wir heute genauso wie damals ein Jesaja oder ein Paulus oder viele andere die Bereitschaft wieder wecken und entdecken müssen, Boten Gottes zu sein. Ein ernstes Hindernis kann dabei sein, dass wir oft ein Wort hören, was uns abhält: Der Glaube kommt aus der Predigt. Wie sollen Menschen von Gott hören ohne einen Prediger? Neuere Übersetzungen schreiben hier ohne das verfängliche Wort Prediger. Denn da hört man sogleich auch Pfarrer und Beruf und „hauptamtlich“ mit. Ganz gewiss haben wir Pfarrer und Gemeindepädagogen und andere den besonderen Auftrag, zu predigen und die Bibel mehr auszulegen und tiefer hineinzuschauen; wir bekommen dafür die Zeit zur Verfügung gestellt und haben den öffentlichen Auftrag. Aber es genügt nicht, wenn wir sonntags durch die Kirchen reisen und predigen – zumal da vor allem Menschen sitzen, die selbst das Geschenk Gottes schon bekommen haben. Was aber ist mit den Hunderten und Tausenden anderen?
Paulus schickt seine Gedanken an die Christen in Rom, an eine Gemeinde. Er schreibt nicht den Theologiestudenten oder Vikarinnen oder Predigern. Er schreibt den Christen in der Gemeinde. Und heute kommt der Brief bei uns an, kommt auf die Tagesordnung, auf den Predigtplan. Damit wir uns daran erinnern: „Ja, Mensch, da war doch was. Gott hat mir ein Geschenk anvertraut. Oder zwei: eins für mich und eins für meinen Nachbarn oder Arbeitskollegen oder die Kegelkameradin oder die Partnerin beim Lauftreff oder, oder …“
An der Stelle schließt sich dann der Kreis – oder vielleicht wird er eher zu einer Spirale, die sich nach außen weitet. Mit dem Munde bekennen und mit dem Herzen glauben – schreibt Paulus. Ich will es umdrehen. Erst mit dem Herzen glauben. Das sind doch wir. Wir glauben Gott, in unserem Herzen haben wir ihn und ihm haben wir unser Herz und unser Leben anvertraut. Und dazu gehört das Bekennen. Was nichts anderes meint als zu sagen: Ja, das, was der Paulus von Jesus schreibt, dem stimme ich zu. Was Jesus von Gott erzählt, dem stimme ich zu. Was David über Gott singt, dem stimme ich zu. Ich stelle mich zu meinem Gott und zu allen, die schon vor mir zu diesem Gott gehörten. Ich stelle mich zu allen, die heute zu diesem Gott gehören – hier und weltweit. „Jesus ist der Herr.“ Er ist mein Herr und mein Erlöser. Er ist mein Leben. Dazu stelle ich mich. Und weil er mein Leben ist, gebe ich dir davon weiter. Einfach weil es mich erfüllt und weil diese Fülle auch für dich gedacht ist. Gottes Geschenk an dich. Deswegen erzähle ich dir davon.
Wie Menschen von Gott hören und das Leben bei ihm finden? Vor allem dadurch, dass sie von ihm erzählt bekommen – durch uns. Das ist eine schöne Aufgabe und sie kann unseren Mund zum Lächeln bringen und unser Gesicht zum Strahlen. Auch das wussten schon die Propheten und auch Paulus: „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen.“ Ob wir uns mit lieblichen Füßen auf den Weg machen und anderen Gottes Geschenk vorbeibringen? Lasst uns damit nicht bis Weihnachten warten. Diese Geschenkezeit ist das ganze Jahr über.
Amen.