Gedanken zu Himmelfahrt.
Vor der Predigt war das Lied “Jesus Christus herrscht als König” zu hören (EG 123).
Und die Predigt nimmt Bezug auf Epheser 1,(15–20a)20b-23:
15 Darum, nachdem auch ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, 16 höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, 17 dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. 18 Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist 19 und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. 20 Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel 21 über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. 22 Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, 23 welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.
„Jesus Christus herrscht als König!“ Ja, sagen wir. Und gehen weiter, als ob nichts gewesen wäre. Ist das so? Gehen wir einfach weiter? Jesus Christus herrscht als König. Aber das muss eine andere Welt sein, in der er herrscht. Vielleicht ein anderes Zeitalter. Sonst würde diese Welt anders aussehen. Himmelfahrt. Es ist schon eigenartig. In der Bibel gibt es zwei Berichte, die die Himmelfahrt beschreiben. Beide sind von Lukas notiert – am Ende seines Evangeliums und am Anfang der Apostelgeschichte.
Die Himmelfahrt Jesu wird auch außerhalb der Bibel schon früh bezeugt und gefeiert. So heißt es im Glaubensbekenntnis, das aus dem vierten Jahrhundert stand: „… aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten Gottes, des Allmächtigen Vaters …“ Manche führen die Worte auf ein Bekenntnis zurück, dass es vielleicht schon im zweiten Jahrhundert gegeben hat. Wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten ist dieses Ereignis also fest im christlichen Glauben und auch im Festkalender der Kirchen verankert.
Zugleich glaube ich, dass es oft im Alltag genauso viel an Bedeutung verliert, wie die anderen Feste. Ist unser Alltag nicht so oft viel stärker als die Überzeugung, dass Gott mitten unter uns ist? Tragen Leid und Katastrophen oder auch unser Reichtum nicht eher dazu bei, dass wir Gott wirklich nur noch an den großen Festen brauchen – quasi als den, der uns ein paar Feiertage verschafft? Klar ist das sehr überspitzt formuliert, wirklich sehr überspitzt. Aber spätestens bei Himmelfahrt wird auch deutlich, wie wenig dieses Fest unsere Lebenswirklichkeit berührt. Nur die Insider reden noch von diesem Fest. Sonst heißt es „Vatertag“ und die Väter und solche, die es werden wollen, machen ihre Ausflüge. Klar ist auch, dass eine Predigt und ein Gottesdienst zu Himmelfahrt daran nichts ändern werden. Außerhalb unserer Kirchenmauern oder unseres Gartenzauns nicht. Und vielleicht nicht einmal innerhalb.
Der Gedanke ist uns in Wahrheit so fremd: „Jesus Christus herrscht als König.“ Was heißt das denn, wenn es mehr ist als nur ein alter, vertrauter Satz? Einige Briefe in der Bibel haben versucht, das etwas zu beschreiben. Und wir können sogar auf Psalmworte (z. B. Psalm 47) zurückgreifen. Ein richtiges Jubellied singt der Epheserbrief. Wobei es dort ein Gebet ist. Wir Christen sollen erkennen, dass es stimmt: Jesus Christus ist der König. Jesus ist „eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird.“
Gehen wir einmal auf diese Vorstellung ein. Jesus sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. So haben wir es eben noch gemeinsam gesprochen. Näher geht nicht. Der Thronfolger sitzt zur rechten Hand des Herrschers. Gottes Sohn allein sitzt zur Rechten Gottes. Kein anderer hat dort seinen Platz. Wir werden wieder daran erinnert, dass der Mensch Jesus in jedem Moment seines Lebens auf der Erde immer auch der Sohn Gottes war. Und wir werden daran erinnert, dass der Sohn Gottes, kein Geringerer, auf dieser Erde lebte und dass er sich unser Bruder nennt. Mir schleicht sich eine ungeheuerliche Vorstellung in den Sinn: Mit Jesus nämlich nimmt der Mensch, nehmen wir den Platz zur Rechten Gottes. Das sprengt meine Vorstellungskraft. Es mutet auch meinem Glauben allerhand zu und will mir fast ketzerisch vorkommen: Jesus wurde Mensch, damit wir Kinder Gottes, Töchter und Söhne Gottes werden. Nicht weniger. Dann herrscht Jesus Christus als König. Und wir gehören dazu.
Er herrscht über alle Reiche, Gewalt, Macht und Herrschaft. Und zwar über die in dieser Welt und über die in der zukünftigen. So beschreibt der Epheserbrief näher, was es bedeutet, dass Jesus König ist. Diese Aufzählung umfasst alles, was wir uns an Mächten denken können. Wenn wir dabei nur an weltliche Reiche denken, greift es zu kurz. Ganz sicher sind diese weltlichen Reiche damit gemeint. Es gab eine Zeit, da war das zumindest dem Namen nach den Menschen noch bekannt. So sprach man lange Jahrhunderte vom Heiligen Römischen Reich und Kaiser oder Könige waren eingesetzt von Gottes Gnaden. Ob Menschen das so empfunden haben, ist ein anderes Thema. Die Wortwahl aber macht den Anspruch Gottes deutlich: Gott setzt Könige ein. Er ist der wahre König und wir – ob einfacher Tagelöhner oder Kaiser oder Bundeskanzlerin – sind seine Verwalter.
Aber nicht allein über diese Macht innerhalb unserer sichtbaren Welt herrscht Jesus. Er ist auch der Herr über alles, was sich außerhalb, für uns unsichtbar abspielt. Mächte und Gewalten meinen im biblischen Sprachgebrauch zum Beispiel die Engel. Da gibt es Engelfürsten und Erzengel – also auch so etwas wie eine Herrschaftshierarchie. Manchmal mutet die Ordnung militärisch an. Da gibt es den Teufel und seine Dämonen. Der wird oft als „Fürst dieser Welt“ bezeichnet. Ein Mächtiger ist er. Und doch nur eine Macht, die dem König Jesus Christus unterworfen ist. Bei manchen Propheten deutet sich ein himmlischer Hofstaat an, etwa wenn wir die Berufung des Propheten Jesaja lesen. Da sind Engel um den Thron Gottes her und dienen Gott. Und in der Offenbarung treten Engelheere im Kampf gegen das Böse an. Sie umgeben den Thron Gottes und singen Loblieder. Sie sind die „Fürstentümer und Gewalten, Mächte, die die Thronwacht halten“, wie es Philipp Friedrich Hiller 1755 so wortgewandt gedichtet hat. Über all diesem ist Jesus Christus der Herrscher, der einzige Herrscher.
Was mich stutzen ließ bei dem kleinen Abschnitt aus dem Epheserbrief: Da heißt es „… nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.“ Worüber ich stutze? Das mit der zukünftigen Welt mögen wir noch glauben. Und wir verweisen es oft in das Reich des Glaubens. Und ehe wir’s uns versehen, ist es auch dort angelangt – in einer vagen Zukunftsidee, gut für die Kirche, gut für das Alter, wenn wir hier nicht mehr viel zu hoffen haben, gut für eine Not, an der wir eh nichts machen können. Da herrscht Jesus – in einer Zukunft oder vielleicht auch unsichtbaren Welt, die so weit weg ist von uns, dass wir sie zumeist gar nicht wahrnehmen. Himmelfahrt erinnert uns daran. Und wer nach dem Gottesdienst einen Ausflug macht vergisst es wieder.
Ich glaube, die Herausforderung an uns ist, unseren Glauben, unser Vertrauen auf Gott, unsere Anbetung Gottes aber nicht in die Zukunft zu verschieben. Jesus ist nicht der Herr im mysteriösen Reich des Glaubens, märchenhaft, traumhaft, irgendwie doch unwirklich. Er ist hier und jetzt König und Herr, Gottes Sohn und wahrer Mensch, auf dem Königsthron und mitten unter uns. Die Herausforderung besteht darin, uns selbst in dieses Königreich hineinzuversetzen, uns in dieser Wirklichkeit zu sehen und zu begreifen. Das ist fast unmöglich, oder? Ich denke an Nordkorea oder die Kommunisten in China. Wer herrscht denn da? Ich denke an den ehemaligen amerikanischen Präsidenten. Wer führte da machtvoll die anderen Mächtigen an der Nase herum um trieb sein machtgestütztes Narrenspiel? Ich denke an unsere Gesellschaft und Politik – in der freien westlichen Welt. Was gut für uns ist, sagen uns Wirtschaft und Werbung und sie diktieren auch unsere Politik.
Alle Welt weiß, dass die Abholzung des Regenwaldes einer der größten Fehler unserer Zeit ist. Aber wir importieren immer noch Tropenholz. Braucht halt ein Zertifikat. Und CO2? Wir legen Strafzahlungen drauf. Wer es sich leisten kann pustet es weiter in die Atmosphäre. Schweinemast unter unmöglichen Bedingungen? Die Grill- und Fleischgesellschaft will es; niemand wagt es, die Wahrheit zu sagen und für sie auch politisch folgenreiche Entscheidungen zu treffen. Wie sagte ein Ministerpräsident vor Kurzem sinngemäß: Es geht nicht um Charakter. Es geht um die Machtfrage. Da weißt du Bescheid.
Dagegen unseren Glauben an den König Himmels und der Erde zu setzen ist wirklich eine Herausforderung. Ist doch letztlich auch unmöglich. Ich muss an Don Quichote denken, der gegen Windmühlen kämpfte. Wir könnten es aufgeben und einfach mitspielen. Manchmal, oft mache ich das. Oder wir könnten Jesus Christus als König für unser Leben und unsere Zeit anerkennen, ihn in unserem Leben, in unserem Alltag Herr sein lassen. Egal wie wenig uns das vielleicht gelingen mag in den vielen kleinen Alltagsschritten – wir könnten damit immer wieder anfangen und Schritt für Schritt weiterkommen.
Ich glaube, eins dürfen wir nicht verwechseln: Nicht wir müssen diese Königsherrschaft in unserer Welt aufrichten. Die steht schon. Das ist unser Glaube! Das bekennen wir mit unserem Glaubensbekenntnis und wenn wir ein Lied anstimmen wie das vom König Jesus Christus. Er ist König. Er sitzt zur Rechten Gottes. Heute schon. Und das hat Bedeutung für diese Welt und für mein Leben. Was wir tun können: Wir können unser Herz auf diesen König ausrichten. Wir können unser Denken mit dieser Wahrheit stärken. Wir glauben, dass Jesus jetzt herrscht und dass seine Zukunft in unsere Gegenwart hineinwirkt. Und um uns immer wieder daran zu erinnern, haben wir allerhand Hilfsmittel. So sind die Losungen, die manche ja täglich lesen, kleine, kostbare Merkhilfen. Der Gottesdienst oder die Hausandachten sind schon kräftige Kost, die uns manchmal herausfordern und hoffentlich zuversichtlicher und gewisser machen. Nicht nur in Corona-Zeiten helfen genauso die Rundfunk- oder Fernsehgottesdienste. Gemeinsam zu glauben und das auch zu leben, stärkt uns gegenseitig. Wenn einer zweifelt, kann der andere vielleicht ein Stückweit tragen. Wenn einen der Mut verlässt, hat ein anderer vielleicht etwas Mut übrig und es reicht für zwei. So werden wir gestärkt. Gefälschte Wahrheiten verlieren ihre Macht, wenn wir uns gegenseitig unterstützen, miteinander und manchmal auch füreinander glauben. Es stärkt uns, wenn wir merken: Da sind noch 30 andere, die Jesus Christus lieben und ihm vertrauen. Dafür sind wir nicht zu schwach und zu klein. Oder, wie es Hiller gedichtet hat:
Ich auch auf der tiefsten Stufen,
ich will glauben, reden, rufen,
ob ich schon noch Pilgrim bin:
Jesus Christus herrscht als König,
alles sei ihm untertänig;
ehret, liebet, lobet ihn!
Amen.
Fotos: Emporenbild “Himmelfahrt” (Aue-Aylsdorf) und Kirchenschmuck zum Himmelfahrtsgottesdienst
© Matthias Keilholz