Das Ziel vor Augen

Aus dem Got­tes­dienst zum vor­letz­ten Sonn­tag des Kirchenjahres

2. Korin­ther 5,1–10 (Neue Gen­fer Übersetzung)

So gleicht zum Bei­spiel der Kör­per, in dem wir hier auf der Erde leben, einem Zelt, das eines Tages abge­bro­chen wird. Doch wir wis­sen: Wenn das geschieht, war­tet auf uns ein Bau­werk, das nicht von Men­schen­hand errich­tet ist, son­dern von Gott, ein ewi­ges Haus im Him­mel. In unse­rem irdi­schen Zelt seuf­zen wir, weil wir uns nach der Woh­nung seh­nen, die aus dem Him­mel stammt, und am liebs­ten wür­den wir den neu­en Kör­per wie ein Gewand direkt über den alten anzie­hen. Denn nur dann, wenn wir ´den neu­en Kör­per‘ ange­zo­gen haben, wer­den wir nicht unbe­klei­det daste­hen. Ja, solan­ge wir noch in unse­rem irdi­schen Zelt woh­nen, wo so vie­les uns bedrückt, seuf­zen wir ´voll Sehn­sucht‘, denn wir möch­ten ´den jet­zi­gen Kör­per am liebs­ten‘ gar nicht erst able­gen müs­sen, son­dern ´den künf­ti­gen‘ unmit­tel­bar dar­über anzie­hen. Auf die­se Wei­se wür­de das, was sterb­lich ist, sozu­sa­gen vom Leben ver­schlun­gen. Gott selbst hat uns auf die­ses ´neue Leben‘ vor­be­rei­tet, indem er uns sei­nen Geist als Unter­pfand und Anzah­lung gege­ben hat. Des­halb kann nichts und nie­mand uns unse­re Zuver­sicht neh­men. Wir wis­sen zwar: Solan­ge die­ser Kör­per noch unser Zuhau­se ist, sind wir fern vom Herrn, denn unser Leben ´hier auf der Erde‘ ist ein Leben des Glau­bens, noch nicht ein Leben des Schau­ens. Und doch sind wir voll Zuver­sicht, und unser größ­ter Wunsch ist, das Zuhau­se unse­res ´irdi­schen‘ Kör­pers ver­las­sen zu dür­fen und ´für immer‘ daheim beim Herrn zu sein. Daher haben wir auch nur ein Ziel: so zu leben, dass er Freu­de an uns hat – ganz gleich, ob wir ´schon bei ihm‘ zu Hau­se oder ´noch hier‘ in der Frem­de sind. 10 Denn wir alle müs­sen ein­mal vor dem Rich­ter­stuhl von Chris­tus erschei­nen, wo alles offen­ge­legt wird, und dann wird jeder den Lohn für das erhal­ten, was er wäh­rend sei­nes Lebens in die­sem Kör­per getan hat, ob es nun gut war oder böse. 

Gedan­ken zu 2. Korin­ther 5

Wie wol­len wir leben? Die­se Fra­ge treibt uns in den letz­ten Wochen und Mona­ten ver­mehrt um. Wo wol­len wir hin mit unse­rer Welt? Kön­nen wir sie uns erhal­ten? Bleibt sie auch in Zukunft lebens­wert? Haben wir ein Ziel, das auch über uns selbst und unse­re Lebens­zeit hin­aus­weist? Man braucht kei­ne letz­ten Sonn­ta­ge im Kir­chen­jahr, um die­sen Fra­gen zu begeg­nen. Sie trei­ben uns um, auch wenn wir ihnen ger­ne aus­wei­chen. Wir müss­ten uns und unser Ver­hal­ten ver­än­dern, wenn die Welt lebens­wert blei­ben soll. Aber gera­de in den letz­ten Wochen eines Kir­chen­jah­res wer­den wir auch in den Got­tes­diens­ten beson­ders auf die­se Fra­gen gesto­ßen. Ja, gesto­ßen – denn manch­mal sind die Wor­te schmerz­lich, die uns treffen.
Der lie­be Gott, Opa mit Rau­sche­bart, kurz­sich­tig und schwer­hö­rig, ist näm­lich nicht Gott. Im Regi­ment sitzt einer, der hell­wach ist, der hört und sieht – beson­ders die Not­schreie von Mensch und Natur. Und der nicht ver­gisst. Im Regi­ment sitzt einer, der die Macht hat. Er hat die Welt und das All geschaf­fen und erhält uns und unse­re Erde. Der wird wohl Gott genug sein, auch kla­re Wor­te zu fin­den, wenn wir vor ihm ste­hen. (Vgl. Mat­thä­us 25,31–46)

Aber es geht nicht um Dro­hung und Schre­cken vor einem Gott, der rich­tet. Aller­dings eines sol­len wir: Ihn wirk­lich ernst neh­men und nicht bei dem kom­men­den Weih­nachts­ge­säu­sel und den zurück­lie­gen­den süßen Oster­ha­sen ste­hen blei­ben. Gott ist ganz Gott – im Kind in der Krip­pe, in Jesus, der von den Toten auf­er­stan­den ist und genau­so im Gott, der kla­re Wor­te für jeden fin­det. Das Bild, das Pau­lus in sei­nem 2. Brief an die Gemein­de in Korinth malt, ist eines, das Mut machen kann. Und es hat heu­te unter uns sei­nen Platz. Sein Anstoß: Schaut wei­ter und sucht nach der Sehn­sucht in euch. Eine Sehn­sucht, die über den Tag und über Coro­na und über Umwelt­ka­ta­stro­phen hinausblickt.

Unser Leben gleicht einem Zelt. Wer in einem Zelt lebt, der ist wohl eher auf Wan­der­schaft. Zumin­dest ist Zelt­be­woh­nern stär­ker bewusst, dass das nichts Fes­tes ist, nichts auf Dau­er. Der Anstoß von Pau­lus: Auch unser Lebens­zelt ist kein Palast mit fes­ten Tür­men und dicken Mau­ern, gebaut für die Ewig­keit. Unser Lebens­zelt ist eben ein Zelt, leicht, beweg­lich, ver­gäng­lich. Aber sein Blick macht Mut, denn wir tau­schen die­ses Zelt ein gegen den fes­ten Wohn­sitz in einem „Bau­werk, das nicht von Men­schen­hand errich­tet ist, … ein ewi­ges Haus im Himmel.“
Wäre das nicht was, alles Leid, das manch­mal auch an unse­ren Kör­pern hängt, abstrei­fen zu kön­nen wie ein altes Kleid? Wie vie­le pla­gen sich mit Schmer­zen, es geht nicht mehr so wie in jun­gen Jah­ren, die Kräf­te las­sen nach. Könn­te nicht ein­fach alles neu sein? Es haf­tet auch unse­rer Erde an. Sie wird alt. Sie wird ver­bracht. Wobei wir selbst es sind, die wir sie ver­brau­chen und altern las­sen. Seit Jah­ren macht ein sar­kas­ti­scher Witz die Runde:
Tref­fen sich zwei Pla­ne­ten. Sagt der eine: „Wie siehst du denn aus? Was ist denn mit dir pas­siert? Rich­tig schlecht siehst du aus. Was ist denn los?“ Sagt der ande­re: „Ich habe mir einen Homo Sapi­ens ein­ge­fan­gen.“ „Ach, das geht auch vor­über“, trös­tet der andere.
Wäre das nicht was, wenn auch die Erde erneu­ert würde?
Es gilt ja sogar für unse­re See­len. Was tra­gen man­che Men­schen an Alt­las­ten mit sich her­um. Heu­te ist Volks­trau­er­tag. Wir erin­nern uns an Zei­ten, die immer weni­ger Men­schen direkt mit­er­lebt haben. Wir bemü­hen uns, das Geden­ken wach zu hal­ten, jün­ge­re zu moti­vie­ren. Aber das läuft so gut wie ins Lee­re. Doch täu­schen wir uns nicht: Die Erin­ne­rung an die­se Zeit, die Last, das Gift, das sie in See­len ein­ge­pflanzt hat, über­dau­ert Generationen.
Also auch in der See­le selbst ist eine Erneue­rung drin­gend nötig – gera­de im Blick auf die Zeit der Krie­ge und die Erfah­rung von Unter­drü­ckung und Verrat.
Pau­lus täuscht dar­über auch nicht hin­weg. Genau­so leben wir – in einem Zelt, das hier und da schon löche­rig gewor­den ist und an dem die star­ken Stan­gen, die es auf­recht hal­ten, auch hier und da schon gebro­chen und geflickt sind.

Was mich dar­an nach­denk­lich macht: Für Pau­lus ist es ganz klar, dass Men­schen, mei­net­we­gen auch auf Chris­ten ein­ge­schränkt, die­se Sehn­sucht nach einer himm­li­schen Erneue­rung haben. Aber die­se Sehn­sucht, die ein Ziel hat, die von einer Hoff­nung genährt wird, die neh­me ich oft nicht wahr, nicht bei mir, nicht bei ande­ren. Wir schaf­fen es gera­de noch bis zum Kla­gen. Wir kön­nen etwas von dem benen­nen, was uns das Leben schwer macht. Aber nicht vie­le wer­den dabei auch von einer Hoff­nung getra­gen, die sie moti­viert. Könn­te unser Leben im Zelt, in die­ser irdi­schen ver­gäng­li­chen Hüt­te, nicht auch schon anders aus­se­hen, wenn wir eine Hoff­nung in uns hätten?

Ich hän­ge an einem Satz von Pau­lus, der sich mir ein­brennt. Ich spü­re: Wenn ich die­sen Wor­ten nach­ge­he und mich von ihnen berüh­ren las­se, dann wird mein Leben jetzt davon ver­än­dert. Er schreibt: „Daher haben wir auch nur ein Ziel: So zu leben, dass er (Gott) Freu­de an uns hat – ganz gleich, ob wir schon bei ihm zu Hau­se oder noch hier in der Frem­de sind.“ Die Bil­der, die Pau­lus vor­her ent­wor­fen hat, sind kei­ne Bil­der für eine fer­ne Zukunft, die wir getrost ver­ges­sen kön­nen. “Ist ja noch nicht so.” Und ins­ge­heim mur­meln wir viel­leicht: “Wird auch nie so.”
Nein. Für Pau­lus steht das fel­sen­fest: Gott kommt. Gott ver­än­dert. Gott macht die Gestalt der Erde neu und er macht uns neu. Er baut uns neu auf. Er gibt uns ein Zuhau­se in einer neu­en Welt. Die Fol­ge für heu­te: Pau­lus will so leben, dass er die­sem neu­en Zuhau­se schon entspricht.

In einem ande­ren Brief (Phil­ip­per 3,13.14) ver­gleicht sich daher Pau­lus mit einem Renn­läu­fer. Der nimmt kei­nen unnö­ti­gen Bal­last mit. Der wirft alles von sich, was ihn am Lau­fen hin­dert. Er hat ein Ziel vor Augen, auch wenn es noch ein Stück ent­fernt ist.
Im Urlaub waren auf dem Weg nach Hau­se noch für einen Spa­zier­gang und einen Kaf­fee auf dem Insel­s­berg. An die­sem Tag fand ein Mara­thon­lauf statt. 42 Kilo­me­ter durch die Ber­ge und bis hoch auf eben die­sen mit­tel­ge­bir­gi­schen Gigan­ten. Lau­fend! Wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, war da Kilo­me­ter 25 oder so, viel­leicht auch 32. Aber es war nicht das Ziel. Puh. Wenn du da nicht ganz klar das Ziel vor Augen hast, das noch etli­che Kilo­me­ter ent­fernt ist, dann wirst du die­se irr­wit­zi­ge Stei­gung nicht bewäl­ti­gen. So meint es Pau­lus. Denkt euer Leben vom Ziel her. Lebt es von dem Aus­blick her, der sich euch bie­tet, den Gott selbst euch ins Herz legt.

Ein ande­res Bild taucht auf in dem, was Pau­lus an sei­nen Mit­ar­bei­ter Timo­theus ein­mal schreibt (2. Timo­theus 2,11b.12a): „Wenn wir mit ihm gestor­ben sind, wer­den wir auch mit ihm leben. Wenn wir stand­haft durch­hal­ten, wer­den wir mit ihm herrschen.“Wir wer­den herr­schen? Logisch. Wir sind Königs­kin­der, Got­tes­kin­der. Was also liegt näher, als dass wir uns schon jetzt wie Königs­kin­der ver­hal­ten, die ein­mal das Regi­ment über­neh­men soll, die gro­ße himm­li­sche Ver­ant­wor­tung über­neh­men sollen.
Das mag uns jetzt viel zu groß und abge­fah­ren erschei­nen. Viel­leicht muss man das auch nicht über­stra­pa­zie­ren. Aber wie, wenn wir, wenn letzt­lich die Mensch­heit das ein­mal ernst neh­men würde?
So sieht doch unse­re Men­schen­wür­de vom ers­ten Tag der Schöp­fung an aus: Wir sind als Eben­bil­der Got­tes geschaf­fen. Wir set­zen sein Werk fort, in dem wir selbst ja schöp­fe­risch tätig wer­den. Wir regie­ren ja jetzt schon. Adam hat­te als eine der ers­ten Auf­ga­ben, allen Tie­ren Namen zu geben. Welch ein Vor­recht – aus Sicht eines Herr­schers. Adam und Eva soll­ten die Erde bebau­en und bewah­ren. König­li­che Auf­ga­be. Die bleibt. Die gilt immer noch. Die wird in Zukunft gelten.

So denkt Pau­lus auch hier in unse­rem klei­nen Abschnitt. Lasst euch vom Blick auf die Zukunft, auf eure Zukunft für die Gegen­wart moti­vie­ren! Und dann – das ist für mich das Über­ra­schen­de und auch Tröst­li­che und Ver­ständ­li­che – dann ergibt der Wochen­spruch, der uns immer erst ein­mal erschreckt am vor­letz­ten Sonn­tag im Kir­chen­jahr, einen neu­en, wei­te­ren Sinn: Wir wol­len so leben, dass Gott sei­ne Freu­de an uns hat – egal ob wir noch hier leben oder dann in sei­ner Zukunft. Denn: „Wir alle müs­sen ein­mal vor dem Rich­ter­stuhl von Chris­tus erschei­nen, wo alles offen­ge­legt wird, und dann wird jeder den Lohn für das erhal­ten, was er wäh­rend sei­nes Lebens in die­sem Kör­per getan hat, ob es nun gut war oder böse.“ Das ist kei­ne Dro­hung, nun vor dem Hin­ter­grund all der ande­ren Bil­der. Es ist eine Moti­va­ti­on. Und wir kön­nen gewiss sein: Was es dann noch gera­de zu bie­gen, aus­zu­rich­ten gibt, wird er schon gera­de richten.
Es ist doch logisch, dass wir da erschei­nen. Wir, die wir unse­rer Ver­ant­wor­tung nach­ge­kom­men sind, die wir uns von der Aus­sicht auf Got­tes neue Welt haben moti­vie­ren las­sen. Das wird belohnt wer­den! Das ist ein Grund zur Freude.

Viel­leicht ver­lie­ren wir die­sen Aspekt, die­se gewis­se Hoff­nung auf eine neue Schöp­fung, auf einen neu­en Kör­per, auf neu­es Leben viel zu oft aus dem Blick. Was könn­te pas­sie­ren, wenn wir Gott tat­säch­lich solch eine Neu­schöp­fung zutrau­en? Wür­den wir nicht jetzt schon Freu­den­sprün­ge machen, selbst wenn uns die Kno­chen weh tun?
Ja, ich weiß, das ist leicht gesagt. Aber ich glau­be, dass es sich sehr lohnt, dar­über nach­zu­den­ken. Wo will ich hin? Habe ich dafür eine begrün­de­te Hoff­nung? Las­se ich mich davon moti­vie­ren und dar­an nicht irre machen?
Gott hat’s für uns vor­be­rei­tet, die­ses Neue, Wun­der­ba­re, Fas­zi­nie­ren­de. Neh­men wir es in Emp­fang. Heu­te. Und leben wir den Teil davon schon hier, den wir hier schon gestal­ten können.
Amen.

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