Predigt zu 1. Könige 8
Heute ist wieder mal so ein Tag, wo alles in Bewegung ist. Himmelfahrt ist ein richtiges Wallfahrtsfest. Auch wenn viele Wallfahrer das anders deuten mögen als ich. Da wird vorbereitet und eingekauft, das Bier kaltgelegt und die Roster startklar gemacht. Manch raffinierte Konstruktion, mit der die Männer unterwegs sind kann man auf der Straße sehen. Vatertag – und die Väter und solche, die sich einfach so dazugesellen, erwandern die Welt, solange die Füße sie tragen.
Der Gedanke von Wallfahrten an diesem Tag ist ja gar nicht neu. In Bewegung waren schon die Jünger Jesu. Damals in und um Jerusalem wurde dieses Fest begründet – und von dort hat es seinen ursprünglichen Namen: Himmelfahrt. Jesus fährt gen Himmel auf. Und auch wenn die Väter unserer Tage den Vatertag als Gegenstück zum Muttertag gedacht haben – so unrecht ist die Bezeichnung ja nicht. Schließlich geht Jesus zu seinem Vater zurück. Also in gewisser Weise schon auch Vatertag. (Lukas 24,50ff/Apostelgeschichte 1)
Ein Wallfahrtsfest, bei dem es die Menschen ins Freie zieht, an einem Ort zusammenbringt – damals in Jerusalem wusste noch keiner, was da geschehen würde. Die Jünger waren ganz erstaunt, ja entsetzt, als Jesus vor ihren Augen verschwand. Aufgehoben in einer Wolke, wie die Apostelgeschichte es beschreibt. Aber Wallfahrtsfeste, Feste, die die Menschen in Bewegung bringen, sind ja noch älter als Himmelfahrt. Im alten Israel gab es mehrere wichtige Feste, zu denen sich die Menschen in Jerusalem versammelt haben. Eins liegt gerade ein paar Wochen zurück. Wir nennen es Ostern und feiern die Auferstehung Jesu. Bei den Juden heißt es Passa – und gefeiert wird die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Ein anderes wichtiges Fest ist Pfingsten. Es war ein Erntedankfest zu Beginn der ersten Ernte. Im Herbst kam dann noch das zweite Erntedankfest dazu, wenn der Wein gelesen war.
Naja, und das kennen wir ja aus unseren Tagen auch sehr gut: Menschen kommen natürlich zusammen, wenn es um wichtige Persönlichkeiten geht. Bei der Hochzeit von Kate und William waren nicht nur Engländer auf Londons Straßen. Aus dem ganzen Commonwealth waren sie da. Und auch aus den Ländern, die nicht unter der Regierung ihrer Majestät Elisabeth II. stehen, waren sie angereist. Wenn damals, noch vor Jesu Zeiten, in Jerusalem ein neuer König gekrönt wurde, kamen die Menschen auch in die Hauptstadt. Und von einem ganz besonderen Fest haben wir gehört: Der erste feste, aus Stein gebaute Tempel für den Gott Israels wurde feierlich eingeweiht. Klar, dass da viele angereist waren, um dieses Fest mit zu feiern.
Solche Erinnerungen treffen an Himmelfahrt aufeinander. Menschen sind unterwegs. Etwas Besonderes lockt sie heraus, fordert sie heraus. Mir kam die Frage in den Sinn, ob dieses Besondere eigentlich etwas verändert im Leben der Menschen.
Ich schätze, dass es nach einer Männertagswanderung oder ähnlichen Festen weitergeht wie bisher. Brückentag und langes Wochenende werden noch genossen. Danach ist der Alltag wieder da. Die Bewegung am Vatertag unterbricht für einen Moment den Alltag. Aber sie verändert ihn nicht. Kann das sein? Kann meine Beobachtung stimmen? Montag steht der Ärger mit dem Chef wieder an. Der Vatertag hat dafür keine neue Perspektive geöffnet. Menschen leben nächste Woche wieder aneinander vorbei, so wie schon diese Woche und letzten Monat und die Jahre davor. Der Vatertag hat die Verhältnisse nicht verändert. Die Welt im Großen und im Kleinen wird durch unsere Ausreißversuche an diesem freien Donnerstag nicht verändert. Ja nicht einmal eine Idee für eine Veränderung entsteht an diesem Tag; keine neue Hoffnung für eine Welt, die am meisten von uns selbst bedroht wird. Was unterscheidet eigentlich die Wallfahrtsfeste in Israel oder den Himmelfahrtstag vor 2000 Jahren von den Wanderungen und Ausflügen heute?
Ich denke, es ist eine neue Perspektive, es ist ein neuer Standpunkt, den die Menschen einnehmen. Es ist die Begegnung mit dem Himmel, die verändert. Es ist die Verbindung von Himmel und Erde, die in den Alltag hineinwirkt. Der Blick geht bei der Tempelweihe in Jerusalem und bei der Himmelfahrt Jesu weg von sich selbst. Die Jünger, die Einwohner und Gäste in Jerusalem sehen eine Spur Gottes in ihrem Alltag aufleuchten. Und diese Begegnung mit Gott verändert sie – verändert alles für sie. Denn ab sofort haben sie eine offene Tür zum Himmel, zu Gott. Diese Tür steht nicht nur sonntags offen, oder gar nur an Heilig Abend. Diese Tür ist für den Alltag geöffnet. Haben Sie die Worte noch im Ohr, die Salomo bei seinem Gebet zur Tempelweihe spricht?
„Gott im Himmel, wende dich zum Gebet deines Knechtes. Lass deine Augen offen stehen über diesem Haus Tag und Nacht. Höre das Gebet deines Knechtes, deines Volkes Israel. Und wenn du es hörst, dann sei gnädig.“ (1. Könige 8,27ff) Mit dem Tempel hat Israel einen Ort, an dem der Himmel die Erde berührt – auch wenn das nur ein Sprachbild ist. Salomo sagt es ja selbst: Der Tempel kann Gott nicht fassen, selbst der Himmel und aller Himmel Himmel sind zu klein für Gottes Größe. Aber hinter diesem Bild, hinter diesem Symbol der Wohnung Gottes verbirgt sich, was Salomo sagen möchte: Gott ist in dieser Welt, im Alltag erreichbar. Er bleibt nicht unerreichbar für seine Menschen. Da ist er ganz anders als so mancher König und Herrscher auf dieser Erde. Die ziehen sich gerne in ihre Paläste zurück, lassen sich bewachen, fahren in gepanzerten Limousinen durch die Straßen. Und wenn sie sich doch einmal ungeschützter sehen lassen, dann ist doch die Polizeiabsperrung da, die allzu nahen Kontakt verhindert. Selbst mit unseren etwas biederen Ministern im demokratischen und bürgerlichen Deutschland ist das ja nicht anders. Es gibt ja sogar Politikverdrossene, die behaupten, dass die Regierung den Kontakt zum Volk verloren hat. Und sie könnten Recht haben.
Gott will anders sein. Gott ist anders. Gott hat die Tür zum Himmel aufgemacht und hält sie offen. In Salomos Gebet wird das wunderbar deutlich. Denn nach diesen Worten wird er sehr konkret. Er bringt Beispiele vor Gott, wo er doch genau hinhören möge und wo Menschen auf sein Erbarmen sehnlichst warten und hoffen. „Wenn dein Volk dich missachtet hat – und nun kommen die Feinde ins Land, oder es regnet lange nicht, so dass alles verdorrt, wenn dann dein Volk zu dir kommt und dich wieder aufsucht, dich um Vergebung bittet, dann höre, Gott. Vergib, sei gnädig. Wenn Hunger oder Pest oder Dürre oder Heuschrecken das Land plagen und die Menschen kommen und breiten ihre Hände vor dir aus, dann höre, sei gnädig.“ Das sind konkrete Nöte im Israel 900 Jahre vor Christi Geburt, Alltagsnöte. Aber – das erstaunt mich– Salomo blickt noch weiter. Selbst wenn ein Fremder ins Land kommt und zum Gott Israels betet, dann möge Gott die Tür auflassen, möge ihn hören und erhören. Die Israeliten, die zu der großen Tempeleinweihung gewallfahrtet sind, gehen nicht mit leeren Händen und einem schalen Geschmack im Mund nach Hause zurück. Der Tempel ist da, dieses Zeichen, dass Gott bei seinem Volk ist, ja unter seinem Volk wohnt. Das werden sie nie vergessen. Das bestimmt von nun an ihren Alltag. Bis heute verabschieden sich fromme Juden beim Passafest mit dem Gruß: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“
Dabei steht dort heute nicht einmal mehr der Tempel. Aber die Hoffnung, dass Gott unter seinen Menschen zu finden ist und nicht irgendwo in der Tiefe des Alls zurückgezogen lebt, die ist groß. Die trägt die Menschen, die an Gott glauben. Das muss dann auch gar nicht der geographische Ort Jerusalem sein. Diese Stadt des Friedens die wird symbolisch überall erreicht, wo ein Stück von Gottes Frieden sichtbar wird. Das kann überall auf der Erde sein und jederzeit geschehen. Hier berührt sich der tiefe Glaube an einen Gott, der mitten unter seinen Menschen zu finden ist, mit dem, was Jesus von Gott deutlich gemacht hat und was er am Himmelfahrtstag noch einmal betont. In der Apostelgeschichte des Lukas wird ausführlicher von Himmelfahrt erzählt als in seinem Evangelium. Im einen hört er auf mit der Geschichte Jesu. Und in der anderen beginnt die Geschichte der Gemeinde. Die Nahtstelle ist Himmelfahrt. So verspricht Jesus seinen Jüngern, dass er sie auch jetzt – unsichtbar für ihre Augen – nicht alleine lässt. Seinen Geist, den Heiligen Geist, wird er senden. Der wird so real, so spürbar bei ihnen sein, wer Jesus es als Mensch gewesen ist. Die Verbindung zum Himmel ist dauerhaft hergestellt. Es braucht keine besonderen Tage, keine besonderen geographischen Orte, keine Tempel und Kirchen, keine Priester und Stellvertreter. Ihr alle habt den direkten Kontakt zum Himmel. Aus zwei Gründen:
1. weil Gott mitten unter euch wohnt, durch seinen Heiligen Geist. Im alten Israel war der Tempel dafür das Bild. Für Christen ist dies der Heilige Geist – oder auch die christliche Gemeinde, die Kirche als Gemeinschaft. Gemeinden sind das sichtbare Zeichen dafür, dass Gott in dieser Welt gegenwärtig ist. Wobei jeder weiß, dass diese Zeichen eben nur Abbild sind, manchmal nicht so glücklich wenn’s darum geht, ihre Aufgabe zu erfüllen. Dieses Risiko ist Gott eingegangen. Wir sind hier, damit Menschen an uns merken, dass Gott da ist, dass der Himmel allen offen steht.
2. Den direkten Draht zum Himmel haben wir, weil Jesus Christus dorthin zurückgekehrt ist. Ein Mensch sitzt dort zur Rechten Gottes. Das ist mit dem Verstand nicht zu erklären. Aber unser Fürsprecher bei Gott ist einer von uns. Der hat unser Leben gelebt. Der ist unseren Tod gestorben. Jesus, der Sohn Gottes ist „wahr Mensch und wahrer Gott“, wie es ein Weihnachtslied trefflich formuliert („Es ist ein Ros entsprungen“). Der Hymnus aus dem Philipperbrief, den wir am Anfang gemeinsam gebetet haben, sagt das (Philipper 2,5ff). Und – wie immer, wenn Theologen das Wort haben – mit etwas komplizierter Redeweise beschreibt es das Konzil von Chalzedon im Jahr 451: „Unser Herr Jesus Christus ist als ein und derselben Sohn zu bekennen, vollkommen derselbe in der Gottheit vollkommen derselbe in der Menschheit, wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch derselbe, aus Vernunftseele und Leib, wesensgleich dem Vater der Gottheit nach, wesensgleich uns derselbe der Menschheit nach.“ Klingt kompliziert? Denken Sie nicht drüber nach. „Wahr Mensch und wahrer Gott“ – das genügt.
Der entscheidende Punkt: einer von Gottes Art steht an unserer Seite. Und dieser selbe steht als einer von unserer Art vor Gott und ist unser Fürsprecher und Stellvertreter. Himmelfahrt nun ist die Nahtstelle in der Geschichte, an der das deutlich wird. Darum ist dieses Fest für uns kein Fest, das wir morgen wieder vergessen können. Es ist kein Fest, das ohne Bedeutung für unser Leben bleibt. Unsere Wallfahrt zu diesem Ereignis, etwa zum Gottesdienst, in dem wir das bedenken, soll sich im Alltag fortsetzen. Auch da ist der Himmel offen und Gott ist mitten unter uns. Von Matthäus kennen Sie ja das Versprechen, das er zu seiner Himmelfahrtserzählung herausgehoben hat. Wir hören die Worte mindestens bei jeder Taufe: Jesus sagt dort: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,18–20) Ob der Tempel in Jerusalem, die Kirche in der weiten Welt, der Gottesdienst in der Langenaue oder das Gebet am Küchentisch, ein tröstendes Wort für einen Freund, Versöhnung unter Zerstrittenen, das Staunen über einen Bibelvers, die Freude über die wunderbare Schöpfung Gottes – all das sagt: Gott ist gegenwärtig, er ist mitten unter uns. Himmelfahrt nimmt unsere Anliegen mit vor Gott, bringt uns an Gottes Herz. Ich glaube, dass das unseren Alltag verändert, wenn wir so mutig sind, Gott in unserem Alltag mitmischen zu lassen. So wird Himmelfahrt wirklich zu einem Wallfahrtsfest mit Folgen, indem wir nämlich mit der Gewissheit in unseren Alltag aufbrechen, dass Jesus an unserer Seite ist, der König der Welt, der es sich nicht nehmen lässt, uns seine Schwestern und Brüder zu nennen.
Amen.