Ewigkeitssonntag 2020
Gedanken zu 1. Korinther 15,35–38.42–44
35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen und mit was für einem Leib werden sie kommen? 36 Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. 37 Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen oder etwas anderem. 38 Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er will, einem jeden Samen seinen eigenen Leib.
42 So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. 43 Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. 44 Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.
Warten Sie noch? Und worauf warten Sie? Zu warten ist ja gar nicht mehr zeitgemäß. Wenn ich ins Internet auf die Seite des Kirchenkreises gehe, um mir die Mittwochsandacht online anzusehen und es dauert länger als 10 Sekunden bis die Seite geladen hat, werde ich schon nervös. Wenn ich etwas bestellt habe und es kommt nicht am versprochenen Datum, krieg ich eine Krise. Warten in der Schlange beim Bäcker am Samstagmorgen? Nein, danke. Ich schlafe lieber aus. Und ich bin sehr froh, dass es in der Regel bei meinem Zahnarzt flutscht. Der hat ein gutes Terminmanagement — meistens.
Warten kann aber unterschiedlich gefüllt und mit Gefühlen besetzt sein. Wenn ich auf eine Bestellung warte, dann ist das eher ein fröhlich-gespanntes Aushalten. Wann endlich werde ich das neue Buch in der Hand halten? Ach so – ich bestelle so gut wie immer über meine örtliche Buchhandlung. An der Tankstelle bin ich eher genervt. Es löst in mir keine besondere Freude aus, wenn der Tank wieder voll ist. Das ist halt eine Notwendigkeit. Und wenn ich dann auch noch bezahlen muss …
Wer beim Arzt war und auf eine Diagnose wartet, der geht mit sehr gemischten Gefühlen ran. Je länger es dauert, desto mehr wächst wohl die Angst, es könnte schlimmer um mich stehen, als ich ahnte.
Warten Sie noch? Und worauf? Heute ist Ewigkeitssonntag oder auch Totensonntag. Obwohl wir es wissen und sogar Psalm 90 uns daran erinnert, mögen wir es nicht wahrhaben. Auf uns alle wartet der Tod. Ein erschreckender Gedanke. Heute besonders bewusst, weil wir an so viele denken, die wir im vergangenen Jahr hergeben mussten.
Der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller lenkt unseren Blick ab. Er lässt uns weitersehen als nur bis zu diesem scheinbaren Endpunkt des Lebens. “Wir warten dein, o Gottes Sohn.” (Ev. Gesangbuch Nr. 152) Wir warten darauf, dass Gottes Herrlichkeit endlich sichtbar wird für uns und alle Menschen. Wir warten auf etwas unvorstellbar Schönes, das uns schon gehört. Denn das ist uns fest zugesagt. Wer an Jesus glaubt, der hat das ewige Leben, so macht es Johannes in seinem Evangelium (Johannes 3,16) deutlich. Dieses ewige Leben gehört uns schon, auch wenn es erst noch ausgepackt werden muss.
Vielleicht ist das ein passendes Bild gerade für das Sterben. Der Tod vernichtet nicht das Leben. Das ist ja unser erster, menschlicher Gedanke. Der Tod nimmt mir selbst meine Möglichkeiten, mein Leben, meine noch unerreichten Wünsche und Ziele. Und der Tod nimmt uns und zerstört uns eine Beziehung, eine Liebe, ein gemeinsames Leben, meine Sicherheit und meinen Halt.
Ja – das stimmt alles. Wenn wir nicht weitersehen und die Wirklichkeit vergessen, die uns umgibt – noch unsichtbar. Aber der Tod packt das neue, ewige Leben, das schon in uns selbst verborgen liegt aus. So jedenfalls beschreibt es Paulus in seinem Brief an die Korinther: Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. 43 Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. 44 Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.
Er nimmt ein Bild aus der Natur. Sein Beispiel ist ein Samenkorn, Weizen oder etwas anders. Aus Sicht des Korns ist es das Ende seines Lebens, wenn es in die Erde gelegt wird. Vom ursprünglichen Korn wird nichts übrigbleiben. Es stirbt. Aber dann. Wenn das Wetter mitspielt und es wenig Mäuse gibt und keine Krankheiten das Korn bedrohen – Pilze oder anderes – dann wir daraus neues Leben. Und das sogar viel reichlicher, als das eine Korn vorher war. Aus einem Saatkorn werden vielleicht 50 neue Körner. So versteht Paulus den Tod. Das Geschehen ähnelt dramatisch, drastisch dem Bild vom Korn. Denn unser Leib, bei vielen heute die Asche, wird ja auch in die Erde gelegt. So ist das Tradition in unserem Kulturkreis.
Ist dann alles zu Ende? Das Bild von Paulus stockt hier ein bisschen, denn natürlich wächst aus einem Grab kein neuer Mensch. Das wissen wir. Das wäre vielleicht eine kindliche Vorstellung, vielleicht sogar ein schöner Gedanke. Aber so ist es ja nicht. Und doch wächst neues Leben. Die Bibel nennt das „Auferstehung“. Und die verschiedenen Zeugnisse der Bibel – ob das die Evangelien sind oder die Briefe, auch die Offenbarung – sprechen sogar davon, dass der Leib, der Körper aufersteht. Unsere Hoffnung auf das ewige Leben, die wir als Christen in uns tragen, ist ziemlich handfest und greifbar, nichts Nebulöses.
Was aber erwartet uns da? Ich bleibe bei den vier Kategorien, die Paulus genannt hat, auch wenn man natürlich viel mehr Bilder hinzunehmen kann. Die Bibel ist voll davon.
Hier leiden wir darunter, dass wir verschwinden werden. „Verweslich“, sagt Paulus. Wir spüren es schon im Leben. Wir werden weniger. Der Körper lässt nach. Meine Oma hat damit immer gescherzt. Sie war am Ende, mit über 90 Jahren, ungefähr halb so groß wie ich. Sie sagte immer – mit einem Schokoladenwerbeslogan verbunden: Quadratisch, praktisch, gut. Wir werden weniger. Es bleibt nichts übrig von uns. Aber das neue Leben ist unverweslich. Der neue Körper wird nicht mehr vergehen, schreibt Paulus.
Hier leiden wir darunter, dass wir vielleicht nicht so angesehen sind, dass es manchmal noch unterschiedliche Klassen von Menschen gibt – in manchen Gesellschaften ganz ausdrücklich, in anderen, auch der unseren, auf alle Fälle spürbar. Vielleicht ist es das, was Paulus mit „Niedrigkeit“ beschreibt. Und geistlich besehen steht unser Leben immer unter dem demütigenden, erniedrigenden Stempel der Ferne von Gott. Wir sind Königskinder – aber wir leben oft nicht so. Das ewige Leben aber wird herrlich sein. Wir gehören zu Gottes Familie. Wir sind Königskinder und werden dann auch so leben. Voller Würde und in vollkommener Schönheit – im Aussehen und im Verhalten.
Hier leiden wir unter unserer Schwachheit. Wir spüren es an unserem Körper, dass uns Grenzen gesetzt sind. Da tut es hier und da weh. Und wo wir früher Bäume ausreißen konnten sind wir froh, wenn wir heute gerade mal noch das Laub zusammenharken können. Auferstehen aber werden wir in Kraft. Es wird uns keine Krankheit mehr zeichnen. Wir werden im Vollbesitz unserer geistigen Fähigkeiten sein – und die werden noch ganz anders sein als hier. Wir werden aufrechten gehen und stehen können, kräftige Stimmen haben, um Gott zu loben, klar sehen können. In Kraft.
Denn (das ist die letzte Kategorie, die Paulus nennt): Es stirbt ein natürlicher Körper. 70 % Wasser, eine Menge Kohlenstoff, von vielen Elementen Spuren in uns. Der Körper des ewigen Lebens wird anders sein. Unvorstellbar. Aber anders. Und doch auch ein Leib, ein Körper. Darin sind sich die biblischen Autoren einig. Wir schwurbeln nicht als Geister durch die Gegend. Die Evangelisten, also Matthäus, Markus, Lukas und Johannes erzählen alle davon, dass Jesus nach seiner Auferstehung, nach Ostern körperlich sichtbar bei seinen Jüngerinnen und Jüngern war. Lukas erzählt sogar davon, dass Jesus nach seiner Auferstehung aß – und wohl auch trank (Lukas 24,43).
Warten Sie noch? Und worauf warten Sie, worauf warten wir? Als meine Oma im Sterben lag, war sie voller Hoffnung. Sie freute sich auf den Himmel, auf ein neues Zuhause. „Ich gehe heim“, sagte sie. Oder sie wünschte sich, dass sie nun bald heim gehen dürfe. Und das sagte sie nicht als eine freundliche Umschreibung fürs Sterben. Sie war der festen Überzeugung, dass der Tod eine Tür ist in Gottes noch unsichtbare Wirklichkeit und Herrlichkeit. Was für eine Hoffnung! Was für ein Glaube! Ihr Warten war versüßt durch die Bilder von Gott und seiner neuen Welt, die sie ihr Leben lang von Kind auf entdeckt und geglaubt hatte.
Warten wir nur auf den Tod oder trägt und hält uns eine Hoffnung, die uns geradezu beflügelt, die uns motiviert und stärkt und uns lachen lässt, wenn wir daran denken? Eine Hoffnung, die schon hier unser Leben beeinflusst. Vorfreude ist die schönste Freude, sagt man. Ob das stimmt, will ich gar nicht diskutieren. Aber Vorfreude beeinflusst uns ja. Wenn wir auf etwas Schönes warten, dann können uns andere das ansehen. Dann gehen wir mit mehr Schwung durch unseren Alltag.
Wie muss sich das auswirken, wenn wir uns darauf freuen, als Königskinder in Gottes Thronsaal zu sein? „Wir freuen uns schon überdies mit kindlichem Verlangen“, schreibt der Liederdichter (EG 152). „Was wird geschehn, wenn wir dich sehn, wenn du uns heim wirst bringen, wenn wir dir ewig singen!“ Und er endet mit einem Ausrufungszeichen. Was dann erst los sein wird, wenn wir diese Herrlichkeit völlig unverhüllt wahrnehmen können und Teil davon sind! Irre. Unvorstellbar.
Ja – es stimmt. Dieses Versprechen, dieses Geschenk ist hier oft nur grau verpackt in einfachem Papier – unserem Körper, unserem Leben unter den seltsamen Bedingungen dieser Zeit und Welt. Vielleicht ist es nur altes Zeitungspapier, das dieses Geschenk verbirgt. Und wir schauen die Verpackung an und lassen uns entmutigen.
Aber ich wünsche uns den Mut auf Hoffnung. Ich wünsche uns den Mut, den Bildern der Bibel zu trauen. Unsere Vorfreude kann gar nicht groß genug sein – Gottes Herrlichkeit wird jede Fantasie, die wir davon haben, bei weitem übertreffen.
Ganz gewiss, das sage ich auch, ganz gewiss hat die Trauer um einen lieben Menschen in dieser Welt und gerade heute noch einmal ihren festen Platz. Sie hat ihr Recht und braucht ihre Zeit und den Freiraum. Aber sie ist eingebettet in Gottes Zusagen und wir dürfen mit ihr schon jetzt an Gottes Herz kommen. Er tröstet. Er ermutigt. Er gibt uns Hoffnung.
Es wird gesät – all das, was wir sind und empfinden. Und es wird auferstehen – in eine unvorstellbar herrliche, schöne Welt in der unmittelbaren, sichtbaren Gegenwart Gottes.
