Gedanken zum Buß- und Bettag bei der Taizéandacht in Zeitz Aue-Aylsdorf
Lukas 13,6–9
6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Micha 7,18–19
18 Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade! 19 Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.
„Das hältst du doch im Kopf nicht aus“, so geht es mir in den letzten Wochen und Tagen immer mehr – durch den Kopf. Eine tumbe Versammlung dümmlichster Verschwörungstheoretiker, Regierungskritiker, Pegidisten, Nazis und etliche Mitläufer, die sich keine Gedanken darüber machen, wem sie da hinterherlaufen, jagt die nächste. Das hältst du doch im Kopf nicht aus.
Ob Gott das manchmal und immer häufiger auch denkt? „Das, liebe Menschen, halte ich im Kopf nicht mehr aus!“ Aber er sagt es nicht zu denen auf der Straße. Er sagt es – gut, dass ihr schon sitzt – er sagt es zu uns. Am Buß- und Bettag muss das mal ausgesprochen werden. Ich könnte mir vorstellen, dass Gott das wirklich sagt. Zu mir. Denn Gott gegenüber bin ich oft ein Regierungskritiker. Weil er nicht so funktioniert, wie ich das gerne hätte. Weil er mich einengt. Oder was sonst sind seine Gebote und Verbote und Regeln und Anforderungen? Das ist doch keine Freiheit mehr. Ja, vor 2000 oder 4000 Jahren mag das funktioniert haben und wichtig gewesen sein. Aber heute ist doch alles ganz anders, Gott.
Und ist es nicht einfacher, ein Mitläufer zu sein? Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit, sagt ein Sprichwort. Man muss sich doch anpassen. Witzig. Der Philosoph Sigbert Latzel (geb. 1931) lässt ein Wort weg und der Sinn kehrt sich um: „Wer mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“
Das hältst du doch im Kopf nicht aus, sagt Gott. Zu mir. Weil ich der Meinung bin, ich wüsste es besser als er. Und weil ich ihm gar nicht zutraue, dass er es mit mir gut meint.
Im Gleichnis wird es dem Besitzer eines Feigenbaums zu dumm. Drei Jahre lang hat der keine Frucht gebracht. Das hältst du doch im Kopf nicht aus. Hau ihn um! Aber es gibt einen Fürsprecher. Der ist im Gleichnis sparsam. „Warte noch ein Jahr.“ Gott aber ist noch viel geduldiger. Er wartet auf uns. Nicht nur ein Jahr, nicht nur, wenn sich schon Veränderung abzeichnet, Besserung sichtbar wird. Gott selbst macht Veränderung, Besserung, Umkehr ja erst möglich. Er kommt zuerst zu uns, bevor wir noch an ihn denken. Mag er es auch im Kopf manchmal nicht aushalten – seine Liebe ist größer. Sein Herz ist größer. „Wo ist solch ein Gott, der die Sünde vergibt. Denn er hat Gefallen an Gnade.“
So eine Gnade halte ich im Kopf nicht aus – oder besser: die geht über mein Denken und Verstehen. Das übersteigt meine Vorstellungskraft von Gott – wieder einmal. Er ist größer als mein Abstand zu ihm je sein mag. Er lädt uns ein. Gerade heute am Buß- und Bettag lädt er uns ein zu sich – uns Vertrauenslose, die nicht mal mehr ihrem Gott etwas zutrauen wollen; uns Enttäuschte, die andere enttäuschen; uns Kritiker an seiner Art zu regieren; uns Verängstigte, die kaum noch glauben können, dass Gegenwart und Zukunft in Gottes Hand liegen. Uns lädt er ein.
Zu Zachäus, dem Zöllner und Betrüger und Schlitzohr sagt Jesus: „Heute muss ich in deinem Haus einkehren.“ Und meint damit jeden von uns. Bei dir muss ich heute einkehren. Dann können wir unsere Last loswerden, unsere Ängste, unsere Schuld. Können um Vergebung bitten und anderen vergeben.
Das hältst du vielleicht im Kopf nicht aus, so einen Gott. Aber so ist er. Immer auf unserer Seite. Weil er uns liebt. Buß- und Bettag – damit wir uns selbst wieder aushalten und unser selbst gewiss werden. Damit wir wieder vertrauen lernen, glauben lernen, leben lernen – frei und unbeschwert.
