Gedanken über Gottvertrauen, übers Losgehen und ein bisschen Verrücktheit, gefunden bei Petrus und Abraham.
Lukas 5,1–11
Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.
Ev. Gesangbuch Nr. Jesus, der zu den Fischern lief
1. und 2. Strophe zum Anhören auf Evangeliumsnet.de
Predigt zu 1. Mose 12,1–4a
Damit hätten Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes wohl nicht gerechnet: dass sie mitten am Arbeitstag mal schnell den Beruf wechseln und sich ihr Leben radikal ändert. Und das nur, weil ein Wanderprediger sagt: „Von nun an wirst du Menschen fischen.“ Damit hätte wohl auch der Zöllner aus dem Lied nicht gerechnet, dass er mal eben zum Gastgeber für den mittlerweile berühmten Rabbi Jesus wird. Und dass er am Ende des Tages den Entschluss fasst: Ich gebe vierfach zurück, was ich zu viel einkassiert habe. Und die Hälfte meines Vermögens verteile ich unter die armen Menschen um mich herum. Zachäus, der ist in dem Liedvers gemeint. Geht das so radikal? So plötzlich von jetzt auf gleich? Was ist Glauben?
Hören wir mal noch eine andere Erzählung. Es ist die erste, die von einer solchen radikalen Entscheidung berichtet. Und sie wird zum Urbild für den Glauben.
In 1. Mose 12 steht sie.
Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.
Die Geschichte ist mir so vertraut, dass ich im ersten Moment dachte: Da steht nichts Neues drin. Es sind ja auch nur vier Verse. Was soll da noch reinkommen zwischen den Zeilen? Aber wie immer beim Wort Gottes: Es redet. Es ist lebendig. Es ist immer gleich und doch ist sein Anspruch jedes Mal auch neu, anders. Ich weiß nicht, wie oft ich über den ersten Satz gelesen habe – schon als jugendlicher Bibelleser und dann auch beruflich. Abram soll losziehen. Aber das bedeutet ja viel mehr, als diese kurze Aufforderung. Ganz ausführlich zählt Gott auf, was das bedeutet.
„Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus.“ Darin steckt eine Steigerung. Gott weiß genau, was er Abram zumutet. Er nähert sich direkt seinem Herzen, so empfinde ich das.
„Geh aus deinem Land!“ Das heißt: Zelte abbauen. Für Nomaden nicht ungewöhnlich. Aber dahinter steckt mehr. Wenn Abram mit seiner Familie und mit seinen Vieherden loszieht und sich weiter entfernt, muss er neue Wege entdecken. Anders als heute gibt es nur wenige Straßen. Die großen Handelsrouten beschränken sich auf wenige Hauptstrecken. Die lassen sich noch finden. Aber alles, was daneben liegt, ist nicht als Straße erkennbar. Mensch und Tier brauchen Wasser zum Leben. In seinem vertrauten Land kannte Abram wohl alle Wasserstellen. Aber jetzt geht es 1.000 km Richtung Süden. Da weiß er nicht, wo Quellen oder Tümpel sind oder auch Oasen. Und Weideland? Man merkt es, wenn man sich darauf befindet. Aber wo liegt die nächste gute Weide? Abrams Alltag ändert sich völlig. Selbst das, was er gut konnte in seinem Umfeld, muss er jetzt neu anwenden und lernen.
„Geh von deiner Verwandtschaft!“ Nicht nur der Alltag wird anders. Auch die Beziehungen muss Abram aufgeben. Onkel und Tanten, Cousins, Nachbarn, Freunde und Bekannte bleiben zurück. Nur seine Frau kommt mit. Sein Neffe Lot. Einige Mägde und Knechte. Alle anderen Beziehungen enden. Zumindest werden sie sehr schwierig, je weiter der Zug nach Süden geht. Das beides kennen Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden oder die geflohen sind – vor Krieg, vor Hunger, vor Arbeitslosigkeit, vor Verfolgung. Es bleibt nicht viel übrig bei solch einem Aufbruch.
Und zuletzt verlässt Abram dann auch das Haus seines Vaters. Das war irgendwie die letzte Reserve. Den stärksten Halt bietet die Familie. Sollte sie. Damals war das ganze Sozialsystem, die Renten- und Krankenversicherung auf die Familie gestützt. Geboren und gestorben wurde zuhause. Die Kranken waren zuhause geborgen.
Abram lässt alles los, jegliche Sicherheit. Das ist nicht einfach ein Urlaubsflug ein paar Stunden weg – und nach 14 Tagen kehre ich zurück. Das ist auch kein Auslandseinsatz für eine Firma, auf Montage in einem anderen Land. Abram weiß: Dieser Weg führt in ein anderes Leben. Zurück geht’s wohl nicht mehr.
Warum macht er das? Und wie hören wir das? Abram ist das Vorbild für Gottvertrauen schlechthin. Und das heißt auf der einen Seite: Lass alles los, was dir irgendeine menschliche Sicherheit gibt. Trau Gott alles zu – auch dass er dein ganzes Leben radikal auf den Kopf stellt und du es nicht wiedererkennst.
Das macht uns für gewöhnlich Angst. Die wenigsten sind solche Abenteurer, die scheinbar gar keine Bindung haben und nichts Vertrautes brauchen. Aber selbst Indiana Jones – wer kennt ihn? – ist glücklicher, wenn er seinen Schlapphut wieder hat, sofern der ihm mal abhandengekommen ist.
Was aber setzt Gott gegen die Angst? Zuerst einmal: Er geht vorneweg. Es ist sein Ziel, auf das er mit Abram zugeht. Und er kennt den Weg schon. „Geh in ein Land, das ich dir zeigen will.“ Wer mutig aufbrechen will, der braucht ein Ziel. Und am besten ist es, wenn einer mitgeht, der sich auskennt. Ganz schlicht gesagt: Gott kennt den Weg. Der weiß auch, wo die Brunnen und Quellen sind und grünes Gras für die Schafe. „Der Herr ist mein Hirte“, wird König David viele Hundert Jahre später schreiben. Und irgendwie kann er damit auf die Erfahrung von Abram zurückgreifen.
Gott geht mit. Und er verheißt gleich mehrfachen Segen. Das Unmögliche zuerst: „Ich will dich zum großen Volk machen.“ Wir kennen Abram. Der war zwar verheiratet mit Sarai. Aber sie hatten keine Kinder. Denkbar schlecht, wenn man ein Volk gründen soll. Aber Gott meint es ernst. Und irgendwie trifft Gott damit auch das, was sich Menschen und besonders Ehepaare wohl am meisten wünschen: Kinder. Nachkommen, die den Namen tragen, die ein Werk fortsetzen. Kinder, in denen wir uns selbst entdecken und die über uns hinauswachsen.
Segen bedeutet in der Bibel zuerst wirklich materiellen Segen. Wohin wir auch schauen: Gott verheißt Nachkommen, er verheißt Wohlstand, reiche Ernte, Arbeit die gelingt. Frieden gehört dazu, langes Leben, Kinder und Kindeskinder und immer noch mehr. Sein Segen spielt sich nicht im luftleeren Raum ab, irgendwo hinter der Grenze des Sichtbaren. Bei aller Zerbrechlichkeit des Menschen: Segen ist etwas für diese Welt.
Segen – das bedeutet für Abram auch: ich will „dir einen großen Namen machen.“ Wer von Abram und dann später von Abraham sprechen wird, der wird ihn voller Hochachtung und Ehrfurcht nennen. Schon die Fürsten, denen Abraham im verheißenen Land begegnet, ehren ihn. Paulus und der Hebräerbrief beziehen sich auf ihn und heben besonders sein Gottvertrauen hervor.
Und der Segen geht weiter. Der Segen, den Gott Abram verheißt, hat Folgen für die ganze Welt. „Du sollst ein Segen sein.“ „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“
Der größte Segen für die Welt, den wir uns vorstellen können, ist dass Gott zur Welt kommt in dem Menschen Jesus. Und Jesus ist ein Nachkomme Abrams, ein Jude, ein Israelit. Der Evangelist Matthäus beginnt den Stammbaum Jesu mit Abraham. Und Lukas – der zählt rückwärts – endet zwar nicht bei Abraham, er zählt gleich durch bis Adam. Aber eben: Abraham, der von Gott gesegnete, der für alle zum Segen werden soll, ist Vorfahre Jesu. Diese Verheißung zieht sich durch die Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs. Jedem dieser drei Stammväter oder Erzväter des Volkes Israel spricht Gott diese Verheißung zu. So wie er es zu Abram sagte, sagt er es auch zu Isaak und zu Jakob: Durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden.
Die ganze Geschichte Gottes mit seinen Menschen steht hier schon einmal ganz verdichtet in den Segensworten an Abram aufgeschrieben. Alles andere, die vielen Kapitel über Mose, die Könige und Propheten, die Evangelien, die Briefe – sind die Entfaltung dieses Segens.
Weil einer Gott vertraut und sich völlig in Gottes Auftrag hineinfallen lässt, kann sich Segen ausbreiten. Ist es da noch ein Wunder, das Abram losmarschiert? Also – wenn mir einer solche Verheißungen machen würde – ich würde misstrauisch werden. Ja! Es ist ein Wunder, dass er loszieht. Es ist verrückt, ohne jegliche Garantie seine Routine aufzugeben, die vertraute Umgebung zu verlassen, die soziale Absicherung in den Wind zu schießen und ins Blaue loszuziehen. Es ist verrückt.
Und: Das ist Glauben. Genau das geschieht auch bei Petrus. „Du wirst Menschen für Gott gewinnen – Menschenfischer werden.“ Und er lässt alles stehen und liegen. Matthäus, der andere Zöllner, nicht der Zachäus, verlässt seine Zollstation, als Jesus sagt: „Folge mir nach!“ Nachfolger Jesu lassen alles los für Jesus. Sie folgen, sie vertrauen, sie glauben – obwohl es verrückt erscheint.
Das Einzige, was wir haben ist wie bei Abram das Wort Gottes – sein Wort darauf, das er uns alles gibt. Und das erste, was Gott uns gibt ist die Möglichkeit, ihm zu vertrauen: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“ So sagt es der Wochenspruch.
Ein Gedanke noch: „Du sollst ein Segen sein.“ Das kann man passiv hören. Abram glaubt Gott und die fast natürliche Folge ist, dass er zum Segen für andere wird.
Man kann es auch aktiv hören, als Aufforderung: „Werde ein Segen!“ Martin Buber und Franz Rosenzweig – zwei Juden, die die Hebräische Bibel ins Deutsche übersetzt haben, sagen das so. „Werde ein Segen!“ Gibt es einen schöneren Auftrag als diesen? Und das Gute bei diesem Auftrag: Den müssen wir nicht aus eigener Kraft erfüllen. Das könnten wir nicht. Das wäre die pure Überforderung.
Nein: Werde ein Segen – weil Gott dich reich beschenkt. Werde ein Segen – weil Gott dir einen Namen macht, dich bei deinem Namen ruft. Weil Gott dich wachsen lässt; es muss ja nicht ein Volk sein, du kannst auch anders wachsen – etwa in und mit deinen Fähigkeiten und Hobbys und im Beruf und in Beziehungen. Werde ein Segen – weil Gott zuerst dich segnet. Dann kannst du gar nicht anders. Der Segen fließt aus dir heraus. Es braucht nur einen Schritt: Geh Gott hinterher auf dem Weg, den er dir zeigt und trau ihm alles zu. Traue ihm zu, dass er dich überrascht. Das kann dich auch mal verwirren. So ist das mit Überraschungen. Du wirst staunen lernen über Gott, je mehr du ihm zutraust.
„Ich will dich segnen. Werde ein Segen. Du wirst es, denn ich bin mit dir.“ Gott – das will ich glauben. Hilf mir.