Raus aus der Sackgasse

Pre­digt zum 3. Sonn­tag nach Trinitatis

Vor der Pre­digt zu Hese­kiel 18 wur­de das Gleich­nis vom “Ver­lo­re­nen Sohn” gele­sen (Lukas 15,11–32)

Gedan­ken zu Hesekiel

Sind Sie schon ein­mal in eine Sack­gas­se gera­ten? Vor einer Wei­le kam unser neu­es Sofa. Es sitzt und liegt sich wirk­lich gut dar­auf. Aber das nur neben­bei. Die Spe­di­ti­on hat­te den Ter­min ange­kün­digt und per Tele­fon auch noch zwi­schen­durch Bescheid gesagt, wann genau sie hier sein woll­ten. Super Ser­vice. Ich ging zur ange­ge­be­nen Zeit an die Haus­tür und sah auf Höhe vom Luthe­ri­schen Weltbund/Töpferstraße einen Mann mit Klemm­brett und Mobil­pho­ne in der Hand etwas rat­los die Jüden­stra­ße hoch und run­ter­schau­en. Da dach­te ich gleich: Der ist bestimmt von der Spe­di­ti­on. Und sie haben den Feh­ler gemacht, der mir auch genau ein­mal unter­lau­fen ist: Sie sind bestimmt dem Navi gefolgt und eben in die Töp­fer­stra­ße hin­ein­ge­fah­ren. Das scheint bei meh­re­ren Kar­ten­an­bie­tern so zu sein, dass sie Auto­fah­rer, die uns wol­len, über die Töp­fer­stra­ße lei­ten. Ist ja auch so gut wie gegen­über und wäre der kür­zes­te Weg. Aber: In der Stra­ße ste­hen am Ende zwei Pfos­ten. Es geht nicht wei­ter. Den bei­den Män­nern der Spe­di­ti­on konn­te ich schnell hel­fen. Sie muss­ten halt umkeh­ren, eine Kehrt­wen­de machen bzw. mit ihrem LKW natür­lich rückwärtsfahren.
In eine Sack­gas­se war auch der jun­ge Mann gera­ten, der all­ge­mein als der „Ver­lo­re­ne Sohn“ bekannt ist. Es ging nicht wei­ter für ihn. Noch tie­fer in den Dreck woll­te nicht. Eben noch haben wir von ihm gehört.

Wis­sen Sie, wie Sack­gas­se auf Eng­lisch heißt? Es gibt meh­re­re Begrif­fe, aber unter ande­rem ist das eine Dead-End-Streetoder Dead-End-Road. Kurz und im über­tra­ge­nen Sinn ein­fach Dead End. Töd­li­ches Ende. Dead End. Dras­ti­scher kann man’s nicht beschrei­ben. Mit die­sem Bild vom töd­li­chen Ende eröff­net der Pro­phet Hese­kiel ein lan­ges Kapi­tel von Tod und Leben, Sün­de und Umkehr. Vier Ver­se aus Kapi­tel 18 (Hese­kiel 18,1–4):

Und des Herrn Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lan­de Isra­els für ein Sprich­wort: »Die Väter haben sau­re Trau­ben geges­sen, aber den Kin­dern sind die Zäh­ne davon stumpf gewor­den«? So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Dies Sprich­wort soll nicht mehr unter euch umge­hen in Isra­el. Denn sie­he, alle Men­schen gehö­ren mir; die Väter gehö­ren mir so gut wie die Söh­ne; jeder, der sün­digt, soll sterben.

Dead-End. Sack­gas­se. „Jeder der sün­digt, soll ster­ben.“ Als Auto­fah­rer weiß ich, was da zu tun ist. Umdre­hen. Wen­den. Not­falls auch rück­wärts­fah­ren. Auf alle Fäl­le raus aus die­ser Situa­ti­on. Und als Mensch? Die ers­te Fra­ge ist: Bemer­ke ich die Sack­gas­se über­haupt? Und die zwei­te schlie­ßen wir ger­ne an: Wer ist schuld daran?
Bei der Töp­fer­stra­ße ist es natür­lich das blö­de Navi, das mich hin­ein­ge­lotst hat. Wobei – habe ich das Schild nur nicht beach­tet, das dort steht? Die Israe­li­ten – an die wen­det sich näm­lich Hese­kiel – mach­ten Gott so ihre Vor­wür­fe. „Du bist unge­recht,“ sag­ten sie zu Gott. „Du hast uns in die Bre­douil­le geführt“. Und das war kon­kret das Exil in Babel. „Unser Lei­tungs­team – König und Pries­ter – und unse­re Eltern haben Mist gebaut und wir müs­sen es nun aus­ba­den.“ Das meint das Sprich­wort von den sau­ren Trau­ben und stump­fen Zäh­nen. Hese­kiel aber bzw. Gott lässt das nicht gel­ten. Jeder ist für sich selbst ver­ant­wort­lich. „Fragt euch mal selbst, wie oft ihr vor mir weg­lauft und mir nicht folgt. Ihr rast ja immer noch wei­ter in die Sack­gas­se hin­ein, solan­ge ihr selbst nicht anhal­tet, nach­denkt, ehr­lich seid mit euch selbst und dann umkehrt.“ In den Wor­ten Hese­kiels (18,21–24):

Wenn sich aber der Gott­lo­se bekehrt von allen sei­nen Sün­den, die er getan hat, und hält alle mei­ne Geset­ze und übt Recht und Gerech­tig­keit, so soll er am Leben blei­ben und nicht ster­ben. Es soll an alle sei­ne Über­tre­tun­gen, die er began­gen hat, nicht gedacht wer­den, son­dern er soll am Leben blei­ben um der Gerech­tig­keit wil­len, die er getan hat. Meinst du, dass ich Gefal­len habe am Tode des Gott­lo­sen, spricht Gott der Herr, und nicht viel­mehr dar­an, dass er sich bekehrt von sei­nen Wegen und am Leben bleibt?
Und wenn sich der Gerech­te abkehrt von sei­ner Gerech­tig­keit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräu­eln, die der Gott­lo­se tut, soll­te der am Leben blei­ben? An alle sei­ne Gerech­tig­keit, die er getan hat, soll nicht gedacht wer­den, son­dern wegen sei­nes Treu­bruchs und sei­ner Sün­de, die er getan hat, soll er sterben.

Raus aus der Sack­gas­se – rein ins Leben! So ruft Gott sei­nem Volk Isra­el zu. Die­ses „Kehrt um“ wird zum stän­di­gen Auf­ruf der Propheten:

Jesa­ja: Kehrt um, ihr Israe­li­ten, zu dem, von wel­chem ihr so sehr abge­wi­chen seid. (Jesa­ja 31,6)
Jere­mia: Kehrt um, ihr abtrün­ni­gen Kin­der. Ich will euch holen und will euch brin­gen nach Zion. (Jere­mia 3,14) – also nach Hau­se zurück. (Auch 35,15)
Joel: Kehrt um zu mir von gan­zem Her­zen mit Fas­ten, mit Wei­nen, mit Kla­gen! (Joel 2,12) Und wei­ter: Zer­reißt eure Her­zen und nicht eure Klei­der und kehrt um zu dem Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnä­dig, barm­her­zig, gedul­dig und von gro­ßer Güte, und es reut ihn bald die Strafe.
Sachar­ja und Malea­chi spre­chen in dem Zusam­men­hang sogar davon, dass Gott umkehrt, wenn wir uns umkeh­ren: Kehrt um zu mir, spricht der Herr Zebaoth, so will ich zu euch umkeh­ren. (Sachar­ja 1,3; Malea­chi 3,7)
Bei Jesus wird dar­aus „Tut Buße“ – so über­setzt es Mar­tin Luther. Was aber genau das Glei­che bedeu­tet wie eine Kehrt­wen­de: „Kehrt um. Ändert euer Leben.“ Raus aus der Sack­gas­se, raus aus der Dead-End-Road – und rein ins Leben!

Das ist hoch­ak­tu­ell. Schon im All­täg­li­chen, rein Mensch­li­chen. Wir beschul­di­gen ja nicht nur das Navi, uns in die Irre geführt zu haben. Oder die Soft­ware-Pro­gram­mie­rer, die uns ein­fach nicht gelin­gen las­sen, was wir am Rech­ner machen wol­len (das Pro­blem sitzt vor dem Rech­ner). „Blö­der Blit­zer“ (oder ger­ne auch mit einem Kraft­aus­druck ver­se­hen), rufen wir, wenn es uns in der 30er Zone erwischt hat. Aber Hal­lo – der Blit­zer ist doch nicht das Pro­blem. Und Putin fühlt sich durch die Nato bedroht, des­we­gen zer­stört er gera­de ein Land.
Wenn uns gar kei­ner mehr ein­fällt, dann muss es wohl an Gott lie­gen, der unge­recht ist. Stan­dard­fra­ge: Wie­so lässt Gott Krie­ge zu? Wir fin­den immer eine Aus­re­de. Feh­ler zuge­ben ist halt nicht zeit­ge­mäß. War es nie. Aber los wer­den wir damit den Feh­ler nicht, das Pro­blem eben­so wenig – und die Scham dar­über auch nicht. Dead-End.

Gott aber denkt ganz anders als wir. Und er springt sogar über sei­nen Schat­ten. Wobei Gott kei­ne Schat­ten wirft – er ist das rei­ne Licht. Gott steht doch schon längst an unse­rer Sei­te. Er ist doch schon längst zu uns umge­kehrt. Vor die Erzäh­lung vom Ver­lo­re­nen Sohn hat Lukas das wun­der­schö­ne Gleich­nis vom ver­lo­re­nen Schaf gesetzt (Lukas 15,3–7). Der Hir­te lässt 99 Scha­fe ste­hen und sucht das Eine, das abge­hau­en ist und nicht mehr zurück­fin­det. Dead-End. Er geht in die­se Sack­gas­se hin­ein und holt das Schaf heraus.
Das ist noch mehr, als die Pro­phe­ten erwar­ten. Wir kön­nen aus eige­ner Kraft nicht ein­mal zu Gott umkeh­ren. Also geht er an die Stel­le der Sack­gas­se, an der die Rück­kehr nicht mal mehr mög­lich ist. Und lädt sich uns auf die Schul­ter, kämpft sich mit uns den Weg zurück und hin­ein ins Leben. Dabei geht die­ser Weg buch­stäb­lich hin­ein in das Tal des Todes. Jesus stirbt. Genau dort näm­lich gibt es kei­nen Umkehr­punkt mehr für uns. Dead-End. Tot ist tot. Nur einer führt noch her­aus: Jesus, der gute Hir­te, der uns schon lan­ge zuruft: Kehr um. Lass mich dich auf mei­ne Schul­ter legen und raus­tra­gen. Lass mich dich tra­gen, ins Leben rein.

Den Schluss von Hese­kiels Wor­ten, die heu­te noch dazu gehö­ren, will ich nicht weg­las­sen (Hese­kiel 18,30–32)

Dar­um will ich euch rich­ten, ihr vom Hau­se Isra­el, einen jeden nach sei­nem Weg, spricht Gott der Herr. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Über­tre­tun­gen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt.
Werft von euch alle eure Über­tre­tun­gen, die ihr began­gen habt, und macht euch ein neu­es Herz und einen neu­en Geist. Denn war­um wollt ihr ster­ben, ihr vom Haus Isra­el? Denn ich habe kein Gefal­len am Tod des­sen, der ster­ben müss­te, spricht Gott der Herr. Dar­um bekehrt euch, so wer­det ihr leben.

Es klingt im ers­ten Moment noch ein­mal bedroh­lich: „Ich will euch rich­ten“, sagt Gott. Sogar im Glau­bens­be­kennt­nis spre­chen wir das aus: „… von dort wird er – Jesus – kom­men zu rich­ten die Leben­den und die Toten.“ Na, da kommt kei­ner mehr raus. Denn Gott ist gerecht. Er ist alle Wahr­heit, er kennt alle Wahr­heit. Auch dar­über, dass wir bei aller Mühe immer wie­der an ihm vor­bei­ra­sen, von ihm weglaufen.
Aber Got­tes Rich­ter­spruch ist anders. Er ver­ur­teilt die Schuld – und ja, er ver­ur­teilt den Schul­di­gen! Doch er hat zugleich den Aus­weg. Er stößt uns mit der Nase drauf. Er schreibt es als Graf­fi­to so groß an die Wand, dass wir es nicht über­se­hen kön­nen: „Ich lie­be dich! Kehr um! Lass dich von mir raustragen!“

Er sieht so klar unse­ren Weg und die Sack­gas­sen, in die wir uns manö­vriert haben und immer wie­der manö­vrie­ren. Das ist die Richterseite.
Doch die Sei­te des Vaters, der uns unend­lich liebt, sieht so aus: Er klet­tert uns nach bis in den hin­ters­ten Win­kel. Und auch da hängt er noch das Schild auf: „Ich lie­be dich. Ich tra­ge dich hier raus. Ich befreie dich. Ich will, dass du lebst.“ Viel­leicht wirk­lich erst ganz hin­ten in der Sack­gas­se, wenn der Boden nicht mehr eben ist, wenn es nur noch Stei­ne und Geröll gibt und tie­fe Spal­ten, steht ein Kreuz. Ein Holz­schild (Johan­nes 19,19): INRI – Jesus aus Naza­reth, der König der Juden.
Aber wer genau­er liest sieht es: „Kehrt um, so wer­det ihr Leben!“ Es gibt nichts, was Gott von uns trennt. Nichts! Er ist immer noch an unse­rer Sei­te. Er trägt uns raus ins Leben.

Sack­gas­se? Nie wie­der. „Du stellst mei­ne Füße auf wei­ten Raum“ betet David in Psalm 31,9. „Du wei­dest mich auf grü­ner Aue, führst mich zum fri­schen Was­ser, auf der rech­ten Stra­ße“, heißt es im 23. Psalm. Am Ende die­ser rech­ten Stra­ße: Got­tes Haus, ein Tisch, voll gedeckt. Wohl­tat, Licht, Leben, Gerech­tig­keit, Wahr­heit, Gott selbst in sei­ner Herr­lich­keit – und wir mit ihm an einem Tisch. Jesus sagt es mit den fol­gen­den Wor­ten (Johan­nes 5,26):

Wahr­lich, wahr­lich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewi­ge Leben und kommt nicht in das Gericht, son­dern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. 

Umdre­hen, Jesus anschau­en, von ihm tra­gen las­sen ins Leben hin­ein. Gott lädt uns ein zum Leben. Packt zu.

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