Die Passionszeit ist eine Werbezeit voller Leidenschaft Gottes. In der Andacht mit Aschekreuzsegen am Aschermittwoch standen Gedanken aus dem Propheten Joel im Mittelpunkt der Predigt in der Wittenberger Stadtkirche.
Der Text aus Joel 2,12–19 (Übersetzung: Die Basisbibel)
12 So lautet der Ausspruch des Herrn: »Noch ist es nicht zu spät! Kehrt um zu mir von ganzem Herzen! Fastet und bereut unter Weinen und Klagen!
13 Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!« Ja, kehrt um zum Herrn, eurem Gott: Reich an Gnade und Barmherzigkeit ist er, unendlich geduldig und voller Güte. Er ist einer, dem das Unheil leid tut.
14 Vielleicht ändert er seinen Beschluss? Vielleicht tut ihm das Geschehene noch leid und er lässt euch etwas vom Erntesegen übrig? Dann könnt ihr dem Herrn, eurem Gott, davon Speiseopfer und Trankopfer darbringen.
15 Blast ins Widderhorn auf dem Zion! Bestimmt einen heiligen Tag für das Fasten, ruft einen allgemeinen Bußgottesdienst aus!
16 Versammelt das Volk, ruft es als heilige Gemeinde zusammen! Versammelt die Alten, holt die Kinder und Säuglinge zusammen! Mann und Frau, die frisch verheiratet sind, sollen aus ihrem Hochzeitszimmer kommen!
17 Und die Priester, die Dienst tun für den Herrn, sollen zwischen Vorhalle und Altar treten. Dort sollen sie weinen und beten: »Herr, hab doch Mitleid mit deinem Volk! Erspare deinem Eigentum eine solche Schmach! Sonst reimen die Völker noch Spottverse darauf. Lass nicht zu, dass man in der Völkerwelt sagt: Wo ist er denn nun, ihr Gott?«
18 Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land, und er hatte Mitleid mit seinem Volk.
19 Der Herr sagte zu seinem Volk: »Ich lasse euch Korn, Wein und Olivenöl zukommen, damit ihr satt werdet. Ich setze euch nicht mehr dem Spott der Völker aus.
Gottes leidenschaftliche Werbung
„Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider!“ Der Prophet Joel spricht bildgewaltig. Manchmal greifen Menschen auch heute zu bildhafter Sprache, um ihre Gemütslage auszudrücken: „Es ist zum Haare raufen.“ „Ich könnte aus der Haut fahren.“ Wenn etwas zum Verzweifeln ist oder unsere Wut entfacht, dann fallen uns solche Bilder ein.
Ich habe in den letzten Tagen in der Bibel die Geschichte von Josef gelesen – einer der zwölf Söhne von Jakob. Seine Brüder hassten ihn. Sie wollten ihn gar ermorden. Einer kam zum Glück auf die Idee, ihn „nur“ als Sklaven nach Ägypten zu verkaufen. Aber seinem Vater Jakob erzählten sie, ein wildes Tier habe ihn zerrissen und sie legten ihm die blutgetränkten Fetzen seines Gewandes vor. Und Jakob zerreißt seine Kleider – so sehr zerreißt der Schmerz seine Seele. (1. Mose 37,34)
Als der zukünftige König David erfährt, dass sein Freund Jonathan im Krieg umgekommen ist und auch König Saul tot ist, zerreißt er seine Kleider. Auch die um ihn her sind, tun es ihm gleich (2. Samuel 1,11).
Am 14. März feiern die Juden das Purimfest. Es erinnert an die Rettung der Juden in Persien. Ein übelwollender Regierungsbeamter am Hof des persischen Königs Xerxes hatte diesen überlistet oder verlockt, die Ermordung aller Juden anzuordnen. Das Komplott wurde entdeckt und die Juden wurden gerettet. Aber bevor das so glücklich ausging, erfuhr der Jude Mordechai erst einmal von dem mörderischen Plan, zerriss seine Kleider (Ester 4,1) und kleidete sich in Sack und Asche.
Der Prophet Joel kennt diesen Brauch. Er hat gerade den „Tag des Herrn“ angekündigt (Joel 1; 2,1–11), und das bedeutet: Gott kommt und richtet über sein Volk und die Welt, die ihn vergessen haben. Die Reaktion: Alle zerreißen ihre Kleider. Und Joel treibt um, was das wohl bedeutet. Meinen die Menschen es ernst mit diesem Zeichen der Trauer? Hat das Volk gemerkt, was Gott wirklich will? Nehmen sie Gott ernst und ergreift es ihr Herz – oder ist das nur ein äußeres Zeichen, während Herz und Sinn ganz unberührt bleiben?
Wir regen uns heute auch gerne auf – über Trump, über einen Kanzlerkandidaten, der Demonstranten beschimpft. Wir regen uns auch auf über zu hohe Preise und Straßensperrungen. Was davon ist ernst? Und was bewegt dabei unser Herz? Ist es die Fürsorge für andere, die Achtung vor Menschen und ihrer Würde, das Leid von einzelnen – oder geht es uns um unsere persönlichen Wohlstands- und Bequemlichkeitsverluste? Manchmal kommt es mir so vor, dass Menschen gerne einmal öffentlichkeitswirksam ihre Kleider zerreißen – aber im Herzen bleiben sie unberührt und unverändert.
Der Aschermittwoch aber wirbt um unser Herz. Gott wirbt an diesem Tag und mit der folgenden Passionszeit um unser Herz.
Am Ende von Joels Weckruf steht eine Beobachtung, die mich berührt. „Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land und er hatte Mitleid mit seinem Volk.“ (Joel 2,18 Basisbibel). Gott liegt am Herzen, wie es in unserem Herzen aussieht. Er schaut an, was uns umtreibt. Er sieht die Zerrissenheit, die wir in uns tragen.
Was war bei Joel geschehen? Er wirbt in seinem Volk für eine Umkehr zu Gott. Es ist schon fast kurios, wen er da alles aufzählt – Menschen, die vielleicht vergessen könnten, nach Gott zu fragen. Weil sie gerade glücklich sind; weil sie schon zu alt sind, um umzukehren oder zu jung, so dass sie noch gar nicht die Notwendigkeit sehen. „Versammelt die Alten, die Jungen, die Säuglinge.“ „Holt das Brautpaar aus seinem Hochzeitszimmer.“
Und die Priester sind auch angesprochen. Die sind äußerlich so nah bei Gott, dass sie vielleicht übersehen, wie groß ihr Abstand zu Gott im Innern geworden ist. Alle sollen kommen und beten und die Herzen zerreißen vor Gott.
In den folgenden 40 Tage wirbt Gott um unser Herz – egal ob wir gerade sehr zufrieden mit uns sind oder ob wir den ganzen Weltschmerz spüren. Egal ob wir entsetzt sind über markante politische Sprüche, die die Wirklichkeit verzerren, über das Leid in den Kriegsgebieten, oder ob wir eine Zeit des persönlichen Glücks erleben.
„Lasst mich in euer Herz hinein,“ so wirbt Gott. Bleibt euch selbst gegenüber nicht an der Oberfläche stehen, wagt euch in die Tiefe eures Herzens.
Die Fastenzeit ist eine Zeit, in der wir intensiver wahrnehmen sollen. Deswegen auch das Fasten – der Verzicht auf Dinge, Genussmittel oder Tätigkeiten, die uns von uns selbst und von Gott ablenken. Deswegen verzichten Menschen zum Beispiel auf Medienkonsum. Fernsehen oder Social Media bleiben mal aus. Und plötzlich bemerke ich die Bewegung in meinen Gedanken und meinem Herzen. Was mir vorher verborgen war, was ich aus mir selbst weggeklickt und weggezappt habe, ist immer noch da – und jetzt kann ich es hören.
Öffne das Herz, lass es zu. Schau dich an und lass dich von Gott anschauen. Das meint: „Zerreißt eure Herzen und nicht eure Kleider!“ Liefert euch Gott aus. Er kommt nicht als Richter, der unsere Not noch vergrößert. Er kommt als Heiland – als einer, der uns heilt. Deswegen noch einmal: Gott wirbt um unser Herz. Seine Leidenschaft für uns ist erwacht.
Bei Joel hat das Glück, das diese Umkehr, dieses Fasten bringt, ganz irdische Symbole: „Ich lasse euch Korn, Wein und Olivenöl zukommen, damit ihr satt werdet.“ (Joel 2,19 Basisbibel)
Korn – daraus wird Brot gebacken, das sättigt. Wein – der erfreut schon seit Alters her des Menschen Herz; er ist das Getränk für die Festtage, für Hochzeiten und mehr. Olivenöl – wir brauchen es für die mediterrane Küche. Aber mit dem Öl werden auch Könige und Priester gesalbt. Mit dem Öl kühlt und schützt man sein Haupt in der Sonnenglut. Gott wirbt um uns, denn die Beziehung zu ihm tut uns gut und wir liegen Gott am Herzen.
Am Ende dieser 40 Tage liegt zuerst Karfreitag. Gott bekräftigt, dass er sein Werben, seine Leidenschaft für uns ernst meint; so sehr, dass sein Sohn für uns stirbt. Und dann folgt Ostern – der Sieg über den Tod. Das Symbol dafür, dass Gott von unserem Herzen wegnimmt, was uns den Tod gebracht hat, ist wieder ein Zerreißen: „Der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus“, schreibt Matthäus (27,51).
Wenn wir unser Herz öffnen und uns nicht hinter äußerer Symbolik verstecken, sehen wir es: Gott zerreißt selbst, was uns von ihm trennt. Wir könnten damit heute anfangen – durchaus mit einem äußeren Symbol verbunden, dem Aschekreuz und dem Segen, der dazugehört. Dann würden wir gewiss das Wunder erleben, dass Gott unsere Seele sättigt und erfreut und ihr wohltut. Das wünsche ich uns für heute und für die kommende Passions- und Fastenzeit.
Nach dem Gottesdienst wurde die Ausstellung “Cyklus Die Passion Christi” von Thea Schleusner in der Stadtkirche St. Marien in Lutherstadt Wittenberg eröffnet: Bilder der Passion