Osterpredigt 2012
Der Predigt geht die Lesung von 1. Korinther 15,50–58 und von Lukas 24,1–12 voraus.
„Was sucht ihr?“ An Ostern ist die Frage doch leicht zu beantworten: Ostereier natürlich. Frühmorgens, wenn noch alles schläft, passiert es auf geheimnisvolle Weise, dass auf der Wiese, unter den Hecken, in Steinecken versteckt plötzlich Ostereier liegen. Und die Kinder haben dann allerhand damit zu tun, diese Eier zu finden. Was für eine Freude, wenn außer Eiern auch ein bisschen Schokolade dabei ist, und ein Schoko-Osterhase sowieso.
„Was sucht ihr?“ So österlich war es den Frauen gar nicht zumute, die da am frühen Sonntagmorgen auf dem Jerusalemer Friedhof unterwegs waren. Die kannten diesen Brauch noch gar nicht. Die kamen, weil sie traurig waren und eine letzte Pflicht erledigen wollten. Jesus war tot, ihr Freund und Lehrer Jesus, mit dem einige von ihnen drei Jahre unterwegs gewesen waren, war tot. In einem Felsengrab hatte ihn ein reicher Jude, Josef von Arimathäa, bestattet. Und nun kamen einige Frauen, Maria von Magdala, Johanna, noch eine andere Maria, die die Mutter von Jakobus war, und ein paar andere zu diesem Grab, weil sie Jesus einbalsamieren wollten. Das war damals so Sitte, so wie es bei uns heute auch ganz verschiedene Rituale bei Trauerfeiern gibt. Aber: Als sie zum Grab kamen, da war es nicht mehr mit dem großen Stein verschlossen, der üblicherweise wie eine Tür vor solch eine Felsenhöhle gerollt wurde. Der Stein war weg – und, viel schlimmer für die Frauen: das Grab war leer.
„Was sucht ihr? Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“, so fragen sie zwei Männer in glänzenden Gewändern, die plötzlich da waren. Eine Antwort warteten sie gar nicht ab. „Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“ Zu glauben war das ja gar nicht. Und doch: zumindest mussten diese Frauen das weitererzählen, natürlich ihren Freunden, den Jüngern, den anderen, die mit Jesus unterwegs gewesen waren und die doch auch traurig waren. Die waren genauso erstaunt und konnten es nicht fassen. Jesus war nicht mehr tot, er lebte? Ich stelle mir vor, wie Petrus zum Grab rennt, das sieht – das heißt, er sieht ja nichts, nämlich keinen Jesus dort – und wie er kopfschüttelnd und nachdenklich wieder zurückgeht. „Er wunderte sich“, schreibt Lukas in seinem Evangelium.
Was sucht ihr? Was suchen wir? Und sind wir bereit, etwas Überraschendes zu entdecken, etwas, das wir uns gar nicht vorstellen können? Das unsere Gewohnheit, unseren Alltag, auch unsere christlichen Gewohnheiten und Traditionen sprengt? Sind wir bereit, von dieser unglaublichen Wirklichkeit, die Ostern beschreibt, unser Leben bestimmen zu lassen, neu zu bestimmen?
Wir sind es gewohnt, als Christen von Ostern zu reden. Wenn uns einer auf der Straße fragen würde: „Wissen Sie, was die Christen an Ostern feiern?“, dann hätten wir die Antwort darauf: „Klar weiß ich das. Die Kirche feiert, dass Jesus von den Toten auferstanden ist.“ Erst mal gut, das zu wissen – etwa für ein Fernsehquiz.
Solche Quizfragen gibt es ja oft, und gut, wenn man die Wichtigkeiten der Welt in der Zeitung schon mal gelesen hat. Dass die Queen wieder Uroma geworden ist, stand dieser Tage zum Beispiel in der MZ. Schön für sie. Aber das beeinflusst mein Leben in keinster Weise. Obwohl ich das als aufmerksamer Zeitungsleser nun auch weiß. Zu wissen, der wievielte Bundespräsident Herr Gauck ist und wie seine Vorgänger hießen, zeugt gewiss von guter Allgemeinbildung. Aber beeinflusst das unser Leben? Wohl kaum.
Doch wie ist das mit dem Wissen um unsere Feiertage? Wir wissen, was wir an Ostern feiern. Die Kernfrage ist aber nicht, ob wir das irgendwie abgespeichert haben, sondern ob uns diese Tatsache verändert.
Paulus hat mit den Korinthern an diesem Punkt sehr intensiv gerungen. Das ganze Kapitel 15 seines 1. Korintherbriefes beschäftigt sich mit der Auferstehung der Toten – also mit den Folgen von Ostern. Die Korinther wussten zwar, dass Ostern heißt: Jesus ist auferstanden. Aber das war ja nur die äußere Erklärung. Was hatte das mit ihnen zu tun? Kurioser Weise nämlich sagten die gleichen Korinther – also einige von ihnen – dass es gar keine Auferstehung der Toten gäbe. Auch verständlich: denn erlebt, mit eigenen Augen gesehen hatten sie das noch nicht. Die Frage nach Ostern war nicht mehr als eine Quizfrage: gut zu wissen, aber für das Leben unerheblich.
Ganz anders das, was Paulus dazu schreibt. Im Grunde heißt Ostern: vergesst alles, was bisher gewesen ist. Ostern macht alles radikal – nämlich von der Wurzel her – anders. Ostern macht alles neu. Das Leben mit oder ohne Ostern ist so unterschiedlich, wie es Tag und Nacht sind. Paulus beschreibt das denn auch mit zwei Gegensatzpaaren: Vor Ostern regiert die Sterblichkeit, nach Ostern die Unsterblichkeit. Vor Ostern bestimmt die Verweslichkeit, nach Ostern die Unverweslichkeit. So anders sollt ihr von nun an denken – und euer Handeln, euer Leben, euren Glauben, eure Gewohnheiten davon bestimmen lassen.
Es ist wie ein Kleiderwechsel. Vor einer Woche lief die Premiere des Musicals „Footloose“. Zwei Szenen des Musicals spielen in einer Kirche. Bei den letzten Proben spielten alle Jugendlichen in den Kleidern, die sie dann auch im Stück tragen würden. In der Kirchenszene trug einer das, was er sonst auch anhatte – ein T‑Shirt, eine alte Hose. „Hast du zu Hause vielleicht einen Anzug, ein Jacket?“ fragte ihn die Theaterleiterin und Regisseurin? Denn in die Kirche geht man anders als auf die Baustelle oder in die Disko. Kleiderwechsel. Das musste im Stück auch deutlich werden.
Ostern ist noch viel radikaler. Denn für den Himmel taugt unsere ganze alte Kleidung, unser ganzer alter Mensch nichts. Wir passen nicht in das ewige Leben hinein so wie wir sind. Ihr müsst neue Kleider anziehen, ihr müsst neue Menschen werden. Oder, wie es im Johannesevangelium gesagt wird: Ihr müsst von neuem geboren werden, dann passt ihr in das ewige Leben hinein.
Ganz sinnbildlich wird das in der Taufe deutlich. Ein Mensch wurde zu früheren Zeiten völlig im Wasser untergetaucht. Und dann wurde er quasi für alle sichtbar von neuem geboren, wenn er aus dem Wasser wieder auftauchte. Eine schöne Tradition, die das ebenfalls sehr deutlich macht, ist, dem Täufling ein neues Kleid anzuziehen, das Taufkleid. Das Bild sagt: Den alten Menschen lege ab mit allem, was an ihm haftet. Den neuen Menschen ziehe an mit allem, was Gott diesem neuen Menschen zusagt.
Der alte Mensch: das sind unsere Gedanken und Taten, die uns von Gott wegbringen. „Ich komme ohne Gott klar und gestalte mein Leben so, wie es mir gefällt. Gott brauch ich nicht dazu.“ Der neue Mensch: das ist der, der von Gott alles erwartet, der nach seinem Willen fragt, der Gott nicht nur irgendwie kennt, sondern ihn sogar „Vater“ nennt, „Papa“.
Der alte Mensch ist der, der einmal stirbt. So drastisch redet Paulus, so erschreckend und wahr ist die Wirklichkeit – ein Symbol, das wir im eigenen Leben erfahren und erleiden, erdulden müssen. Alles muss anders werden – und das bedeutet: das Alte wird vergehen. Der neue Mensch aber stirbt nicht. Er hat das ewige Leben.
Paulus geht so weit, dass er wegen Ostern dem Tod die Zunge rausstrecken kann: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ „Bäh, Tod, du hast verloren, du hast uns gar nichts mehr zu sagen. Tod, du selbst bist tot. Du bist out. Wir lachen über dich.“
Das lässt uns im ersten Moment den Atem stocken. Denn so darf man doch über den Tod nicht reden, er ist doch real, er ist doch da. Das wissen Angehörige, die einen lieben Menschen verloren haben, und erleben es sehr schmerzlich. Das wissen die Bestattungsinstitute und die Verantwortlichen für die Friedhöfe. Und das weiß auch der Pfarrer, der die Verstorbenen ja beerdigt und die Trauer der Angehörigen miterlebt. Zum Lachen ist keinem in solchen Momenten. Es geht uns nicht anders als den Frauen am Grab und den Jüngern, die von der unfassbaren Nachricht getroffen wurden: Wir sind entsetzt, erschrocken, verwirrt.
Und doch: Genau in unserem Erschrecken, in dem, was wir in unserem Leben erfahren und was unseren Alltag ausmacht, trifft uns die Herausforderung von Ostern: Der Tod ist tot. Lacht ihn aus. Viele Osterlieder machen das. Achten Sie beim Singen oder Zuhören einmal darauf, wenn in mancher Wiederholung, manchem Refrain das Halleluja erklingt: es ist wie ein Lachen, wie das Osterlachen. In der mittelalterlichen Kirche hatte das sogar im Gottesdienst seinen festen Platz. Manchmal wurden recht derbe Scherze von der Kanzel herunter erzählt, um die Gemeinde laut loslachen zu lassen. In der Reformation gab es vermehrt aber Kritik dagegen, und auch in der katholischen Kirche fand es nicht mehr die breite Zustimmung. So ist es in dieser extremen Form aus dem Gottesdienst verschwunden. Ausweichplatz ist manche Predigt in der Faschingszeit geworden.
Was sucht ihr? Sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Die Frage, die die strahlend gekleideten Gestalten den Frauen stellen, ist von großer Bedeutung. Sie wird uns heute gestellt. Suchen wir an Ostern die Antwort auf eine Quizfrage? Und wenn wir sie richtig beantworten, dann wissen wir, dass wir zu Kirche dazugehören? Die Antwort wäre in dem Fall also nichts anderes als die Aufzählung einer weiteren kirchlichen Tradition oder Eigenschaft, in die wir vielleicht einfach hineingerutscht sind. Die beliebten Beispiele: Ich zahle meine Kirchensteuer, ich habe eine Konfirmationsurkunde. Schon recht – aber ändert das dein Leben?
Oder suchen wir an Ostern eine Ergänzung zum Ostereiersuchen? Uns ist in Erinnerung, dass das eine christliche Bedeutung hat, auch wenn heute viele die Eier suchen und gar nicht wissen, warum. Als Ergänzung zu einem losgelösten Brauch taugt Ostern aber auch nicht. Denn es will nicht weniger als die Hauptsache unseres Lebens sein.
Paulus bindet die Antwort entsprechend an den Alltag, an das Leben der Menschen, denen er schreibt. „Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herren Jesus Christus“, so gilt es uns. Und sein Fazit: „Darum seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“
Dass Jesus von den Toten auferstanden ist, betrifft unser Leben heute. Nichts ist vergeblich von dem, was wir tun. Das heißt doch, dass jeder Atemzug zugleich ein Hauch der Ewigkeit ist.
Sie kennen die Schöpfungsgeschichte? Ich erzähle sie oft in kurzer Form bei Beerdigungen. Weil dort für mich ein Geheimnis und ein Trost liegen, die von Anfang an mit unserem Leben verbunden sind. Gott formt den Menschen aus Erde. Aber das macht noch kein Leben aus. Genauso wenig, wie die Zusammenballung in einer Ursuppe schon Leben ist. Der entscheidende Moment in der Schöpfungsgeschichte: Gott haucht dem Menschen seinen Atem ein, „und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“
Wir atmen den Atem Gottes, wir leben, weil Gott uns das Leben gibt, weil wir den Atem der Ewigkeit atmen. Ostern bestätigt das und führt es fort. Zwar tragen wir noch das Alte mit uns. Aber das Neue ist schon in uns angelegt. Was wir sind und was wir leben, verwandelt Gott in etwas, das in Ewigkeit bestand hat. Das können wir nicht selbst. Wir können nicht selbst unser Leben adeln und dem, was wir tun, den Stempel „besonders wertvoll“ aufdrücken. Gott macht es.
Die Herausforderung für uns heißt: Lasse ich mein Leben von Ostern bestimmen? Glaube ich selbst, dass ich für das ewige Leben bestimmt bin?
Das müsste dem Leben eine andere Qualität geben. Eine mögliche Folge: Gelassenheit. Was ich hier tue, ist immer Vorletztes. Vollkommen wird es nicht durch immer mehr Anstrengung, die mich womöglich kaputt macht. Vollkommen wird es, weil Gottes vollkommen macht.
Eine andere Folge: Trost. Leben ist nicht bestimmt durch meinen Körper, es ist nicht bestimmt von meiner Gesundheit und Stärke. Leben ist nicht einmal bestimmt oder begrenzt durch den Tod. Mein Leben ist schon längst in Gottes Ewigkeit geborgen und verankert. Wenn ein Mensch stirbt, aus dieser sichtbaren Welt geht, dann legt er die alten Kleider ab und zieht ein neues Kleid an. Krankheit wird nicht mehr sein, Leid und Tränen werden nicht mehr sein, schreibt Johannes in der Offenbarung.
Und ein Drittes: Ich gewinne eine neue Sicht auf die Menschen neben mir. Denn Ostern gilt für sie genauso wie für mich. Das macht bereit zur Vergebung. Wenn alles neu wird, dann werden auch Beziehungen neu. Denn heilen tatsächlich Wunden, auch Wunden, die mir ein anderer beigebracht hat.
Das Osterlachen lacht den Tod aus, lacht das aus, was Gott und Mensch und was Menschen voneinander getrennt hat.
Wir sind vor die Frage gestellt, was wir mit Ostern machen. Sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Bleibt ihr bei euren Erfahrungen und Vor-Urteilen stehen? Oder wagt ihr den Aufbruch, nehmt den lebendigen Jesus, das ewige Leben in euren Alltag mit hinein?
Man muss schon ganz schön verrückt sein, das zu wagen. Aber genau das ist die Herausforderung von Ostern.
Amen.