Unterm Kreuz

Gedan­ken zu Karfreitag

Lukas 23,32–49

Es wur­den aber auch ande­re hin­ge­führt, zwei Übel­tä­ter, dass sie mit ihm hin­ge­rich­tet wür­den. Und als sie kamen an die Stät­te, die da heißt Schä­del­stät­te, kreu­zig­ten sie ihn dort und die Übel­tä­ter mit ihm, einen zur Rech­ten und einen zur Lin­ken. Jesus aber sprach: Vater, ver­gib ihnen; denn sie wis­sen nicht, was sie tun! Und sie ver­teil­ten sei­ne Klei­der und war­fen das Los dar­um. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Obe­ren spot­te­ten und spra­chen: Er hat andern gehol­fen; er hel­fe sich sel­ber, ist er der Chris­tus, der Aus­er­wähl­te Got­tes. Es ver­spot­te­ten ihn auch die Sol­da­ten, tra­ten her­zu und brach­ten ihm Essig und spra­chen: Bist du der Juden König, so hilf dir sel­ber! Es war aber über ihm auch eine Auf­schrift: Dies ist der Juden König.
Aber einer der Übel­tä­ter, die am Kreuz hin­gen, läs­ter­te ihn und sprach: Bist du nicht der Chris­tus? Hilf dir selbst und uns! Da ant­wor­te­te der ande­re, wies ihn zurecht und sprach: Fürch­test du nicht ein­mal Gott, der du doch in glei­cher Ver­damm­nis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir emp­fan­gen, was uns­re Taten ver­die­nen; die­ser aber hat nichts Unrech­tes getan. Und er sprach: Jesus, geden­ke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahr­lich, ich sage dir: Heu­te wirst du mit mir im Para­dies sein.
Und es war schon um die sechs­te Stun­de, und es kam eine Fins­ter­nis über das gan­ze Land bis zur neun­ten Stun­de, und die Son­ne ver­lor ihren Schein, und der Vor­hang des Tem­pels riss mit­ten ent­zwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befeh­le mei­nen Geist in dei­ne Hän­de! Und als er das gesagt hat­te, ver­schied er.
Als aber der Haupt­mann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Für­wahr, die­ser Mensch ist ein Gerech­ter gewe­sen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschau­te, sah, was da geschah, schlu­gen sie sich an ihre Brust und kehr­ten wie­der um. Es stan­den aber alle sei­ne Bekann­ten von fer­ne, auch die Frau­en, die ihm aus Gali­läa nach­ge­folgt waren, und sahen das alles.

Es ist ein Tag wie jeder ande­re. Nicht heu­te, hier bei uns. Aber damals, an die­sem Tag vor dem Pas­sa­fest in Jeru­sa­lem. Tru­bel auf den Stra­ßen, letz­tes geschäf­ti­ges Trei­ben, bevor der Sab­bat beginnt und mit ihm das hohe Fest. Für die jüdi­schen Bür­ge­rin­nen und Bür­ger gehört das, was sich vor den Toren der Stadt abspielt, auch schon zum All­tag, zum ver­hass­ten und belas­ten­den All­tag. Die Römer rich­ten Ver­bre­cher hin. Und sie stel­len zur Schau, wer ihnen nicht passt oder wer sich eines schlim­men Ver­bre­chens schul­dig gemacht hat. Das ist Abschre­ckung pur – und Aus­druck der Ver­ach­tung für ein unter­drück­tes Volk.
Poli­tisch ver­ur­teil­te sind unter denen, die gekreu­zigt wer­den – Auf­rüh­rer, Ter­ro­ris­ten, Regime­geg­ner. Mör­der und ande­re Ver­bre­cher eben­so. All­tag. Ver­hasst. Gewohnt. Man hat sich damit arran­giert, irgend­wie jeden­falls. Lukas schreibt: „Es wur­den aber auch ande­re hin­ge­führt, zwei Übel­tä­ter, dass sie mit ihm hin­ge­rich­tet wür­den.“ Alles Verbrecher?

Der eine, Jesus, nicht! Pila­tus fin­det kei­ne Schuld an ihm und auch König Hero­des hat­te nichts ent­deckt, wofür er Jesus hät­te ver­ur­tei­len sol­len. In der Jus­tiz­far­ce wird Jesus des­we­gen zwi­schen die­sen bei­den Mäch­ti­gen hin- und her­ge­schickt. Kei­ner will sich die Hän­de schmut­zig machen. Aber auch das gehört doch zum All­tag, bis heu­te. Men­schen stim­men in Ver­ur­tei­lun­gen ein, ohne zu wis­sen, um was es geht. Fak­ten spie­len kei­ne Rol­le. Das erle­ben wir in Dis­kus­sio­nen, bei man­chen Demos und soge­nann­ten Spa­zier­gän­gen. Mei­nung zählt, aber Wis­sen und Tat­sa­chen spie­len immer weni­ger eine Rolle.
Erschre­ckend aber: Men­schen stim­men Ver­ur­tei­lun­gen auch wider bes­se­res Wis­sen zu. Es ist beque­mer. Es ist viel­leicht gefahr­lo­ser für das eige­ne Leben. Pila­tus weiß, dass Jesus nicht schul­dig ist. Aber er ist Poli­ti­ker und von der Gunst des Vol­kes abhän­gig. Ein fal­sches Wort beim Kai­ser oder bei den Stadt­hal­tern der Nach­bar­schaft und er ist weg vom Fens­ter. „Sie wis­sen nicht, was sie tun.“ Oder wis­sen sie es doch? Jesu Wort ist zur Rede­wen­dung gewor­den. Und uns stellt es vor die Fra­ge, ob wir wis­sen und begrei­fen, was dort geschieht – vor den Toren Jeru­sa­lems, auf der Hin­rich­tungs­stät­te der Römer.

Wie sehen wir die­ses Gesche­hen an? Man­che unterm Kreuz spot­ten. „Ande­ren hat er gehol­fen. Also, Jesus, hilf dir doch selbst auch!“ Das sagen Jesu Anklä­ger und hei­zen die Stim­mung an. Das sagen auch die Sol­da­ten – die ver­mut­lich gar nicht kapiert hat­ten, um was es ging. Sie sahen nur die Über­schrift: Jesus von Naza­reth, König der Juden. Das genügt ihnen für ihren Spott. Ein König, der am Kreuz hängt – lächer­lich. Einer der Ver­bre­cher stimmt in den Spott ein. Ver­zweif­lung, bit­te­re Hoff­nungs­lo­sig­keit und Ver­ach­tung spre­chen aus sei­nen Wor­ten. Der ande­re? „Jesus, geden­ke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Und wir? Wir sehen das Gesche­hen und suchen unse­ren Platz darin.

Manch­mal kom­men wir mit Vor­wür­fen: Gott, wie­so lässt du das zu? Bist du letzt­lich doch ein grau­sa­mer Gott, der Blut sehen muss, um besänf­tigt zu wer­den? Wir wür­den lie­ber den lie­ben Gott sehen, der kei­ne Opfer braucht, der end­lich Schluss macht mit die­ser Blut­ra­che. Dann strei­chen wir alles Schmerz­haf­te aus unse­rem Den­ken. Was nach Gericht klingt, nach einem Gott, der abso­lut hei­lig und gerecht ist und dar­um Sün­de auch mit dem Tod ver­gilt, ver­ban­nen wir.
Manch­mal rei­hen wir uns ein in die­se Gedan­ken­welt, die nicht weg kommt von der Opfer­lo­gik. Eine Logik, die Got­tes Han­deln letzt­lich doch nur mensch­lich defi­niert: Schuld braucht Süh­ne und Jesus wird bestraft; Gott rächt an ihm, was er an uns rächen müss­te. Das ist halt so. Was ist dort los am Kreuz?

Ers­te Annä­he­rung: „Ich, ich und mei­ne Sün­den, die sich wie Körn­lein fin­den des San­des an dem Meer, die haben dir erre­get das Elend, das dich schlä­get, und dei­ner schwe­ren Mar­tern Heer.“ So schrieb es Paul Ger­hardt in einem Pas­si­ons­lied (Evan­ge­li­sches Gesang­buch Nr. 84,3)
Jeder Gene­ra­ti­on wird die­se Zumu­tung wie­der neu vor­ge­legt: Es ist mei­ne Schuld, die Jesus ans Kreuz bringt. Auch heu­te mute ich mir und Ihnen die­sen Gedan­ken zu. Gott selbst schlägt Jesus nicht ans Kreuz. Men­schen tun es. Und das nicht, weil Jesus ein Poli­ti­scher war oder weil er der Gesell­schaft einen Spie­gel vor­hielt oder eine bes­se­re Welt ver­kün­de­te, die er dann Reich Got­tes nannte.
Jesus greift unser Selbst­bild an vom gerech­ten, guten, ehr­ba­ren Bür­ger und Men­schen. Der Mensch ist die Kro­ne der Schöp­fung? So war der Plan. Die Wirk­lich­keit erzählt ande­res. Und Gott bringt es schon im ers­ten Buch der Bibel auf den Punkt: „denn das Dich­ten und Trach­ten des mensch­li­chen Her­zens ist böse von Jugend auf“, so erklärt er es Noah. Und dann setzt er den Regen­bo­gen in die Wol­ken. Er wird die Men­schen nicht mehr ver­nich­ten. Die Zumu­tung steht mir vor Augen: Ich selbst brin­ge Jesus ans Kreuz.

Zwei­te Annä­he­rung: Es ist Jesus, der aus eige­nem Ent­schluss ans Kreuz geht für mich. Es ist sei­ne Ent­schei­dung, uns mit Gott zu ver­söh­nen. Er über­lässt die­se Auf­ga­be kei­nem ande­ren. Jesus Chris­tus geht die­sen Weg aus eige­ner Ent­schei­dung. Und zwar weil er liebt, gren­zen­los, bedin­gungs­los liebt.
„Nie­mand hat grö­ße­re Lie­be als die, dass er sein Leben lässt für sei­ne Freun­de.“ Johan­nes hat die­se Lie­bes­er­klä­rung Jesu auf­ge­schrie­ben (Johan­nes 15,13). Wir sind Freun­de Jesu. Und mehr noch. Wir sind Kin­der Got­tes und Jesus ist unser Bru­der. Dass Jesus die­se unsag­ba­ren Schmer­zen und die­sen unmög­li­chen, unglaub­li­chen, uner­träg­li­chen Tod erträgt, ist Zei­chen sei­ner Lie­be für uns. Es ist sei­ne Entscheidung.
„Er hielt es nicht wie eine Beu­te, wie einen Raub fest, dass er Gott gleich war. Er hat sich selbst ent­äu­ßert. Alles Gött­li­che, jede Herr­lich­keit, jede Hoheit hat er abge­legt und zurück­ge­las­sen.“ So bringt es Pau­lus zur Spra­che (Phil­ip­per 2,6 ff.).
Er – Jesus selbst – schlägt die­sen Weg ein. Damit zer­schlägt er jeden Zwei­fel dar­an, ob Gott uns Men­schen liebt, über­haupt lie­ben kann. Gott kann. Jesus kann. Ihr braucht einen Beweis dafür? Aus Lie­be geht Jesus ans Kreuz.

Drit­te Annä­he­rung: Nie­mand wird das Kreuz ver­ste­hen, der nicht selbst unter die­ses Kreuz tritt. Egal wo wir anfan­gen – bei der Lie­be oder dem Opfer oder der Süh­ne – wir schei­tern mit allen Erklä­rungs­ver­su­chen, wenn wir uns nicht selbst unter das Kreuz Jesu stel­len. Gott ist für MICH. Gott ist für DICH. Er han­delt nicht, um irgend­wel­che Theo­rien zu unter­mau­ern. Er han­delt nicht, um der Phan­ta­sie und dem Intel­lekt der Phi­lo­so­phen und Theo­lo­gen eine wei­te­re Nuss zu kna­cken zu geben. Er han­delt mir für mich. Und ich kann es ent­de­cken und Stück für Stück begrei­fen, wenn ich mich dem annähere.
Nah dran, wirk­lich sehr nah, waren die bei­den Ver­bre­cher. Und einer begreift und ergreift sei­ne Chan­ce, einer ergreift das Leben. Er hört die Zusa­ge Jesu: „Wahr­lich, Amen, ich sage dir: Heu­te wirst du mit mir im Para­dies sein.“
Ein ande­rer ist auch nah dran, der Haupt­mann. Lukas lässt ihn sagen: „Für­wahr, die­ser Mensch ist ein Gerech­ter gewe­sen.“ Bei Mar­kus und Mat­thä­us heißt es: „Die­ser Mensch ist Got­tes Sohn gewesen.“
Nur wer unters Kreuz tritt, begreift was geschieht. Und hat die Chan­ce, es für sich zu ergreifen.

Kar­frei­tag und das Kreuz­zei­chen in unse­ren Kir­chen, an man­chem Hals­kett­chen oder Arm­band sind eine Zumu­tung. Gott durch­kreuzt unse­re Heils­we­ge und er durch­kreuzt alle unse­re Vor­stel­lun­gen von ihm.
Zugleich ist das Kreuz das Zei­chen von Got­tes Lie­be – und nicht das eines rach­süch­ti­gen Got­tes. Denn das müs­sen wir beden­ken: In Jesus ist Gott. Nichts ande­res beken­nen wir in unse­rem Glau­bens­be­kennt­nis. Es ist ein Gott.
Und wir wer­den es nur begrei­fen, wenn wir es ergrei­fen, wenn wir in die­ses Geheim­nis ein­tre­ten. Nicht um es zu lüf­ten und erklär­bar zu machen, son­dern um es für uns in Anspruch zu neh­men wie einen kost­ba­ren Schatz.

„Geheim­nis des Glau­bens: Dei­nen Tod, o Herr, ver­kün­den wir, und dei­ne Auf­er­ste­hung prei­sen wir, bis du kommst in Herr­lich­keit.“ (Aus der Abendmahlsliturgie)

 

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