Gedanken zu Karfreitag
Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden. Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Es ist ein Tag wie jeder andere. Nicht heute, hier bei uns. Aber damals, an diesem Tag vor dem Passafest in Jerusalem. Trubel auf den Straßen, letztes geschäftiges Treiben, bevor der Sabbat beginnt und mit ihm das hohe Fest. Für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger gehört das, was sich vor den Toren der Stadt abspielt, auch schon zum Alltag, zum verhassten und belastenden Alltag. Die Römer richten Verbrecher hin. Und sie stellen zur Schau, wer ihnen nicht passt oder wer sich eines schlimmen Verbrechens schuldig gemacht hat. Das ist Abschreckung pur – und Ausdruck der Verachtung für ein unterdrücktes Volk.
Politisch verurteilte sind unter denen, die gekreuzigt werden – Aufrührer, Terroristen, Regimegegner. Mörder und andere Verbrecher ebenso. Alltag. Verhasst. Gewohnt. Man hat sich damit arrangiert, irgendwie jedenfalls. Lukas schreibt: „Es wurden aber auch andere hingeführt, zwei Übeltäter, dass sie mit ihm hingerichtet würden.“ Alles Verbrecher?
Der eine, Jesus, nicht! Pilatus findet keine Schuld an ihm und auch König Herodes hatte nichts entdeckt, wofür er Jesus hätte verurteilen sollen. In der Justizfarce wird Jesus deswegen zwischen diesen beiden Mächtigen hin- und hergeschickt. Keiner will sich die Hände schmutzig machen. Aber auch das gehört doch zum Alltag, bis heute. Menschen stimmen in Verurteilungen ein, ohne zu wissen, um was es geht. Fakten spielen keine Rolle. Das erleben wir in Diskussionen, bei manchen Demos und sogenannten Spaziergängen. Meinung zählt, aber Wissen und Tatsachen spielen immer weniger eine Rolle.
Erschreckend aber: Menschen stimmen Verurteilungen auch wider besseres Wissen zu. Es ist bequemer. Es ist vielleicht gefahrloser für das eigene Leben. Pilatus weiß, dass Jesus nicht schuldig ist. Aber er ist Politiker und von der Gunst des Volkes abhängig. Ein falsches Wort beim Kaiser oder bei den Stadthaltern der Nachbarschaft und er ist weg vom Fenster. „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Oder wissen sie es doch? Jesu Wort ist zur Redewendung geworden. Und uns stellt es vor die Frage, ob wir wissen und begreifen, was dort geschieht – vor den Toren Jerusalems, auf der Hinrichtungsstätte der Römer.
Wie sehen wir dieses Geschehen an? Manche unterm Kreuz spotten. „Anderen hat er geholfen. Also, Jesus, hilf dir doch selbst auch!“ Das sagen Jesu Ankläger und heizen die Stimmung an. Das sagen auch die Soldaten – die vermutlich gar nicht kapiert hatten, um was es ging. Sie sahen nur die Überschrift: Jesus von Nazareth, König der Juden. Das genügt ihnen für ihren Spott. Ein König, der am Kreuz hängt – lächerlich. Einer der Verbrecher stimmt in den Spott ein. Verzweiflung, bittere Hoffnungslosigkeit und Verachtung sprechen aus seinen Worten. Der andere? „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Und wir? Wir sehen das Geschehen und suchen unseren Platz darin.
Manchmal kommen wir mit Vorwürfen: Gott, wieso lässt du das zu? Bist du letztlich doch ein grausamer Gott, der Blut sehen muss, um besänftigt zu werden? Wir würden lieber den lieben Gott sehen, der keine Opfer braucht, der endlich Schluss macht mit dieser Blutrache. Dann streichen wir alles Schmerzhafte aus unserem Denken. Was nach Gericht klingt, nach einem Gott, der absolut heilig und gerecht ist und darum Sünde auch mit dem Tod vergilt, verbannen wir.
Manchmal reihen wir uns ein in diese Gedankenwelt, die nicht weg kommt von der Opferlogik. Eine Logik, die Gottes Handeln letztlich doch nur menschlich definiert: Schuld braucht Sühne und Jesus wird bestraft; Gott rächt an ihm, was er an uns rächen müsste. Das ist halt so. Was ist dort los am Kreuz?
Erste Annäherung: „Ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer, die haben dir erreget das Elend, das dich schläget, und deiner schweren Martern Heer.“ So schrieb es Paul Gerhardt in einem Passionslied (Evangelisches Gesangbuch Nr. 84,3)
Jeder Generation wird diese Zumutung wieder neu vorgelegt: Es ist meine Schuld, die Jesus ans Kreuz bringt. Auch heute mute ich mir und Ihnen diesen Gedanken zu. Gott selbst schlägt Jesus nicht ans Kreuz. Menschen tun es. Und das nicht, weil Jesus ein Politischer war oder weil er der Gesellschaft einen Spiegel vorhielt oder eine bessere Welt verkündete, die er dann Reich Gottes nannte.
Jesus greift unser Selbstbild an vom gerechten, guten, ehrbaren Bürger und Menschen. Der Mensch ist die Krone der Schöpfung? So war der Plan. Die Wirklichkeit erzählt anderes. Und Gott bringt es schon im ersten Buch der Bibel auf den Punkt: „denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, so erklärt er es Noah. Und dann setzt er den Regenbogen in die Wolken. Er wird die Menschen nicht mehr vernichten. Die Zumutung steht mir vor Augen: Ich selbst bringe Jesus ans Kreuz.
Zweite Annäherung: Es ist Jesus, der aus eigenem Entschluss ans Kreuz geht für mich. Es ist seine Entscheidung, uns mit Gott zu versöhnen. Er überlässt diese Aufgabe keinem anderen. Jesus Christus geht diesen Weg aus eigener Entscheidung. Und zwar weil er liebt, grenzenlos, bedingungslos liebt.
„Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Johannes hat diese Liebeserklärung Jesu aufgeschrieben (Johannes 15,13). Wir sind Freunde Jesu. Und mehr noch. Wir sind Kinder Gottes und Jesus ist unser Bruder. Dass Jesus diese unsagbaren Schmerzen und diesen unmöglichen, unglaublichen, unerträglichen Tod erträgt, ist Zeichen seiner Liebe für uns. Es ist seine Entscheidung.
„Er hielt es nicht wie eine Beute, wie einen Raub fest, dass er Gott gleich war. Er hat sich selbst entäußert. Alles Göttliche, jede Herrlichkeit, jede Hoheit hat er abgelegt und zurückgelassen.“ So bringt es Paulus zur Sprache (Philipper 2,6 ff.).
Er – Jesus selbst – schlägt diesen Weg ein. Damit zerschlägt er jeden Zweifel daran, ob Gott uns Menschen liebt, überhaupt lieben kann. Gott kann. Jesus kann. Ihr braucht einen Beweis dafür? Aus Liebe geht Jesus ans Kreuz.
Dritte Annäherung: Niemand wird das Kreuz verstehen, der nicht selbst unter dieses Kreuz tritt. Egal wo wir anfangen – bei der Liebe oder dem Opfer oder der Sühne – wir scheitern mit allen Erklärungsversuchen, wenn wir uns nicht selbst unter das Kreuz Jesu stellen. Gott ist für MICH. Gott ist für DICH. Er handelt nicht, um irgendwelche Theorien zu untermauern. Er handelt nicht, um der Phantasie und dem Intellekt der Philosophen und Theologen eine weitere Nuss zu knacken zu geben. Er handelt mir für mich. Und ich kann es entdecken und Stück für Stück begreifen, wenn ich mich dem annähere.
Nah dran, wirklich sehr nah, waren die beiden Verbrecher. Und einer begreift und ergreift seine Chance, einer ergreift das Leben. Er hört die Zusage Jesu: „Wahrlich, Amen, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Ein anderer ist auch nah dran, der Hauptmann. Lukas lässt ihn sagen: „Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen.“ Bei Markus und Matthäus heißt es: „Dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“
Nur wer unters Kreuz tritt, begreift was geschieht. Und hat die Chance, es für sich zu ergreifen.
Karfreitag und das Kreuzzeichen in unseren Kirchen, an manchem Halskettchen oder Armband sind eine Zumutung. Gott durchkreuzt unsere Heilswege und er durchkreuzt alle unsere Vorstellungen von ihm.
Zugleich ist das Kreuz das Zeichen von Gottes Liebe – und nicht das eines rachsüchtigen Gottes. Denn das müssen wir bedenken: In Jesus ist Gott. Nichts anderes bekennen wir in unserem Glaubensbekenntnis. Es ist ein Gott.
Und wir werden es nur begreifen, wenn wir es ergreifen, wenn wir in dieses Geheimnis eintreten. Nicht um es zu lüften und erklärbar zu machen, sondern um es für uns in Anspruch zu nehmen wie einen kostbaren Schatz.
„Geheimnis des Glaubens: Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ (Aus der Abendmahlsliturgie)