Gedanken zum Gründonnerstag
Abendmahl. Nicht in Jerusalem, nicht in Wittenberg. Irgendwo in Korinth. In der Zeit, in der Paulus lebte. Geschrieben hat er an seine Gemeinde. Da geht es hoch her. Es gibt viel Streit. Wer hat den besseren Apostel als Lehrer? Wie viel darf wer im Gottesdienst sagen? Frauen und Männer – das ist ein eigenes Thema. Wie viel Götzendienst geht noch, wenn einer doch an Christus glaubt? Kann man wenigstens noch vom Fleisch essen, das für Götzen gebraten wurde? Sogar beim Abendmahl herrscht Streit und Unordnung. Wer ist erster, wer letzter? Wer bekommt wie viel ab? Unser Brauch, dass jeder nur eine kleine Hostie essen darf und einen kleinen Schluck Wein trinken, hat damit wenig zu tun. Jesus selbst feierte Passa mit seinen Jüngern. Brot und Wein und Kräuter und Lammbraten standen auf dem Tisch. Auch wenn die Feier dann ganz anders wurde. In Korinth waren einige vollgefressen und angeheitert, andere kamen hungrig und blieben es auch. Das war weder ein Abendmahl nach Jesu Sinn noch ein Passamahl in jüdischer Tradition.
Abendmahl. Irgendwo in Korinth. Wer weiß noch, was er da tut? Wer sind wir, die wir von diesen Gaben nehmen – Brot und Wein nehmen? Abendmahl in Wittenberg. Und in Korinth. 2000 Jahre auseinander und doch eins. Ein Gedanke von Paulus liegt in der Luft – damals und heute (Basisbibel, 1. Korinther 10,16.17):
Denkt an den gesegneten Becher, über den wir das Dankgebet sprechen: Gibt er uns nicht Anteil am Blut von Christus?
Denkt an das Brot, das wir brechen: Gibt es uns nicht Anteil am Leib von Christus?
Es ist ein Brot. Deshalb sind wir ein Leib, auch wenn wir viele sind. Denn wir alle essen von dem einen Brot.
Das schreibt Paulus den Korinthern und uns. Erinnert euch! Denkt dran! Bedenkt es wieder und wieder: Was bedeutet dieser Kelch für euch, der sogar extra gesegnet wird? Was bedeutet dieses Brot, diese Hostie für euch? Und selbst wenn wir die Antwort in unsere Worte fassen können, müssen wir sie neu entdecken und begreifen: Der schlichte Wein im Kelch gibt uns Anteil am Blut Jesu. Die unscheinbare Hostie gibt uns Anteil am Leib Christi. Ist das zu begreifen?
Ich glaube, es ist einfacher, an die Auferstehung Jesu von den Toten zu glauben, als zu erahnen und es zu leben, was diese Gemeinschaft bedeutet, die er uns schenkt. Nicht umsonst heißt es in der Abendmahlsliturgie: „Geheimnis des Glaubens.“ Der Gedanke müsste uns den Atem rauben: Wir werden völlig eins mit Jesus Christus – und zwar im Sterben und im Leben. Wir tragen Christus überall mit uns hin. Wir tragen ihn an uns überall mit hin.
Paulus schreibt diese Worte in einem sehr befremdlichen Zusammenhang. Stellt euch vor, ihr nehmt an einem heidnischen Ritual teil. Voller Begeisterung werft ihr Opfergaben vor die Füße eines goldenen Standbildes – von Zeus oder von Apoll oder Ra oder Vishnu oder wem auch immer. Ihr opfert anderen Göttern und seid doch Christen, habt doch gerade erst Abendmahl gefeiert. So grell war das in Korinth, oder eher: so drastisch malt er es den Christen dort vor Augen. „Das geht doch nicht,“ sagt er. Ihr seid ein Leib mit Jesus Christus. Wo ihr hingeht, wo ihr euch hineingebt, da gebt ihr Christus hinein. Das kann im Guten wie im Bösen sein. Ihr seid nirgends mehr ohne ihn unterwegs.
Ihr beschimpft den lahmen Autofahrer vor euch oder den Radfahrer, der euch auf dem Fußweg fast umgenietet hätte? Euer Mund ist Christi Mund. Welche Worte mutet ihr ihm zu? Ihr segnet ein neugeborenes Kind, seine Eltern und Geschwister? Es ist Christus, der durch euch segnet. Ihr lasst eins eurer Geschwister in der Gemeinde links liegen? Ja, gewiss: ein anstrengender Mensch, redet zu viel, kommt unangenehm nahe, findet kein Ende und keinen Abstand. Bedenkt: Es ist Christus, der euch begegnet. Ihr begleitet und tröstet ein Gemeindeglied, das in Not und Traurigkeit ist? Es ist Christus, den ihr tröstet. Und der durch euch heilsam wirkt.
Durch den kleinen Schluck Wein, durch die unscheinbare Hostie seid ihr mit Christus eins. Ich glaube, dass es dabei vielleicht sogar egal ist, ob wir das als Zeichen verstehen oder als reale Gegenwart Christi – eine Streitfrage, die bis heute sogar Gemeinden trennen kann. Vielleicht trennt sie ja deswegen, weil wir das Geheimnis selbst in der Hand haben wollen und es Gott aus der Hand reißen. Er ist aber der alleinige Herr über diesem Geheimnis, dass Christus in uns ist und dass er sich durch Brot und Wein an uns austeilt.
Ich möchte diesem Geheimnis weiter nachspüren. Ist es nicht eine wunderbare Zusage, die Jesus selbst uns gibt? „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Jesus legt sein Leben in unser Leben. Jesus nimmt uns in sein Leben auf. Noch mal Paulus, aus dem Galaterbrief (Kapitel 2,20)
Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
Wir leben in Christus. Christus lebt in uns. Das heißt: Ich gehe verantwortlich mit meinem Leben um. Und ich bin gewiss, dass das ganze Leben Jesu in mir ist. Ich bin gewiss, dass er das ganze Heil und seine Heiligkeit in mich hineinlegt und mich heiligt. Paulus redet die Christen durchweg mit „Heilige“ an: Menschen, in denen Jesus lebt, in denen der Heilige Geist wirkt, die Kinder des einen, heiligen Gottes sind. Welch ein Vorrecht. Welch eine Gnade. Welch ein Geschenk. Und ein Geheimnis des Glaubens. Zum Zeichen geworden, dass wir schmecken und sehen können in Brot und Wein. Auch heute am Tag, an dem wir in besonderer Weise daran denken, wie Jesus selbst dieses Zeichen eingesetzt hat.