Warum der Sabbat so wichtig ist und warum Jesus gerade diesen Tag zum “Tag der Heilung” gemacht hat.
Eine Predigt zu Lukas 13,10–17.
Und er lehrte in einer Synagoge am Sabbat. Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.
Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? Musste dann nicht diese, die doch Abrahams Tochter ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren. Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.
Es ist Sabbat, der siebte Tag der Woche. An diesem Tag lassen die Menschen ihre Arbeit ruhen. Alles, was irgendwie nach Arbeit aussieht, bleibt liegen. Nicht einmal der Herd wird angeheizt. Das ist schon seit alter Zeit so. Der Grund: Am siebten Tag lässt Gott alle Arbeit liegen. So steht es am Anfang der Bibel. Sechs Tage hat er alles geschaffen, was es in der Welt gibt – angefangen bei Licht und Dunkelheit, bei Erde, Meer und Weltall bis zu den Pflanzen, Tieren und Menschen. Und macht am siebten Tag nur eins: Er ruht. Oder er feiert. Er segnet diesen Tag und nennt ihn heilig.
Martin Buber, ein jüdischer Gelehrter, der auch die Bibel übersetzt hat, sagt das so (Genesis 2,1–3 „Die Schrift“):
Vollendet waren der Himmel und die Erde, und all ihre Schar. Vollendet hatte Gott am siebenten Tag seine Arbeit, die er machte, und feierte am siebenten Tag von all seiner Arbeit, die er machte. Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an ihm feierte er von all seiner Arbeit, die machend Gott schuf.
Als das Volk Israel in Ägypten war und Sklavenarbeit leisten musste, wussten die Israeliten nichts mehr von diesem Tag. Aber dann befreite sie Gott. Und durch Mose gab Gott den Israeliten auch das Gebot, am siebten Tag nicht zu arbeiten (Exodus 20,8–10a):
Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun.
Ein Tag, herausgenommen aus allem, was sonst den Alltag bestimmt. Das bedeutet das Wort „heilig“. Sonst arbeiten wir – für uns, für andere, für unseren Lebensunterhalt, für einen schönen Garten, für Glück und Wohlstand. Aber der siebte Tag gehört allein Gott. Er ist so etwas wie die Erinnerung an das Paradies, an diesen einen besonderen Tag in der Schöpfungsgeschichte: Gott ruht. Erinnert euch daran, indem ihr genau das tut, was Gott getan hat: ruhen, feiern, segnen, heiligen.
Jesus ist in der Synagoge. Da war er übrigens oft. Matthäus schreibt, dass Jesus in ganz Galiläa unterwegs war – also grob gesagt in Nord-Israel, und dass er dort in den Synagogen lehrte und predigte (Matthäus 4,23). Und Lukas schreibt, dass Jesus in den Synagogen des jüdischen Landes predigte (Lukas 4,38). In der Synagoge wird gelehrt. Die Bibel wird gelesen: was Mose geschrieben hat, was die Propheten gesagt haben. Und die Psalmen werden gesungen. Sie waren und sind das Liederbuch Israels. Über die Texte wird gepredigt. Und: Gott wird gefeiert. Da kommen alle hin: einfache und hoch angesehene Leute, Gesunde und Kranke, Alte und Junge. Die sich in den Schriften der Bibel sehr gut auskennen sind da und wer nicht so viel weiß, feiert genauso mit. Wie immer, wenn Jesus redet, wird es spannend. Was wird er sagen? Immer bewegen seine Worte die Menschen. Manche ärgern sich. Er ist sehr direkt. Manche staunen über die Vollmacht seiner Worte. Keiner kann sich dem entziehen.
Heute geht es nicht um die Predigt. Lukas verrät uns nicht einmal den Predigttext. Heute in dieser Synagoge sieht Jesus eine Frau, die schon 18 Jahre nicht mehr gerade gehen kann. Sie geht nur gebeugt. Ich stelle mir vor, dass sie einen oder sogar zwei Stöcke braucht, um laufen zu können und nicht hinzufallen. „Sie war verkrümmt“. Aber sie ist im Gottesdienst in der Synagoge. Das war ihr wichtig. Auch sie ruht von der Arbeit. Was mag das gewesen sein? Vielleicht hatte sie ja einen Haushalt, eine Familie. Vielleicht hat sie Getreide gemahlen, für ihre Kinder Kleidung hergestellt. Vielleicht auch war sie allein, ging betteln vor der Synagogentür, an der Hauptstraße, in der Fußgängerzone. Heute nicht. Es ist Sabbat. Die Arbeit ruht, sie ist im Gottesdienst. Sie ist bei Gott. Ob sie das weiß? Ob sie deswegen sogar da ist – um sich nach sechs gewöhnlichen, normalen Tagen bewusst zu Gott zu setzen? Der ruht. Der feiert. Der segnet. Der heiligt. Da tut sie mit.
Was wohl keiner ahnt: Gott ist dieses Mal sogar sichtbar und greifbar. Jesus, Gottes Sohn, ist da in diesem Raum. Und er sieht dies Tochter Abrahams. Er sieht eine Frau, für die etwas gilt, das Gott vor langer Zeit zu Abraham gesagt hatte: Ich will dich segnen […] und du sollst ein Segen sein (Genesis 12,2). Das gilt für die Nachkommen von Abraham, die Israeliten. Und es gilt sogar für alle Menschen. Jesus ruft sie zu sich, spricht zu ihr, legt ihr die Hände auf und heilt sie. Genauer: Er erlöst sie von ihrer Krankheit. Er löst sie von den Fesseln ihrer Krankheit. „Du bist erlöst!“, sagt er. Und es stimmt. Sie kann sich aufrichten. Als ob von ihr Ketten abgefallen sind, die sie immer nach unten zogen, richtet sie sich nun auf. Als ob Fesseln plötzlich durchgeschnitten sind, die ihren Oberkörper nach unten zogen, schnellt ihr Oberkörper empor. Sie steht gerade, kerzengerade. Und so, wie sich ihr Körper aufrichtet, richtet sich auch ihre Seele auf und lobt Gott.
Ich weiß nicht, ob sie das an diesem Tag erwartet hat. Aber es geschieht. Es ist ein Zeichen. Am siebten Tag der Schöpfung, am ersten Sabbat der Geschichte, vollendete Gott seine Arbeit. Die ganze Schöpfung war fertiggestellt, alles war perfekt. „Es war sehr gut“, sagt Gott am Abend des sechsten Tages (1. Mose 1,31). Und er feiert und segnet und heiligt den Tag. Es ist ein Zeichen für das, was Gott geschaffen hatte, und es ist ein Ausblick auf das, was kommen soll: Alles war perfekt. Und alles soll perfekt, wieder „sehr gut“ sein.
Jetzt ist es das nicht. Jetzt sind Menschen krank, sind gefesselt, gefangen. Körperlich und in ihren Herzen. Jetzt leiden Menschen unter den Kriegen in der Welt. Die Menschen in Palästina leiden unter den Terroristen, die sie unterdrücken und missbrauchen als menschliche Schutzschilde. Sie leiden, weil die Weltgemeinschaft es nicht schafft, sie zu befreien. Die Menschen in Israel sind in dauernder Wachsamkeit und viele haben Angst vor dem, was noch kommen kann. Auch wenn sie mit vielen Raketenangriffen gelernt haben zu leben – gewöhnen kann sich niemand an den Krieg. Menschen leiden unter Hunger – oft deshalb, weil Hilfen nicht bei ihnen ankommen. Weil ihr Land ausgebeutet wird und weil Regierungen korrupt sind. Und Menschen leiden unter Krankheiten, die wir trotz allem Fortschritt nicht heilen können. Menschen leiden unter der Verachtung durch andere. Flüchtlinge werden verfolgt. Menschen, die körperlich oder geistig eingeschränkt sind, werden an den Rand gedrängt. Wir können mit ihnen oft nicht umgehen, wissen nicht, wie wir ihnen begegnen sollen.
In dieser Synagoge, an diesem Sabbat damals, setzt Jesus ein Zeichen: Alles soll vollendet sein, soll gut sein. Er erlöst die Frau von ihrer Krankheit – am Tag, der eine Erinnerung ist an die perfekte Welt, die Gott geschaffen hat. Er heilt sie an dem Tag, der uns den Ausblick auf diese neue Vollendung wachhält.
Einer in der Synagoge hat es nicht gespürt. Ihn treibt anderes um. Er feiert nicht, dass Gott alles gut macht. Er ist selbst auch gefangen, gefangen in Regeln. Was er nicht sagt, aber was ich aus seinen Worten höre: „Frau, du bist schon 18 Jahre krank. Du kannst von Montag bis Samstag zum Arzt gehen. Das muss doch heute nicht sein.“ Er spricht sie nicht direkt an, aber auf sie könnte es so gewirkt haben. Ich glaube, unsere Worte, auch wenn wir sie eher allgemein formulieren, können einzelne sehr schnell verletzten. Und ich befürchte, dass uns das manchmal sogar bewusst ist und wir es einkalkulieren. Wie viel mehr mag es unbewusst geschehen, tatsächlich unbeabsichtigt.
Jesus rückt es gerade, was hier schiefläuft. Zuerst hat er die Frau von ihrer Krankheit geheilt und nun richtet er gerade auf, was im Herzen des Synagogenvorstehers und anderer verbogen war: ihre verkrümmte Sicht auf den Sabbat.
Was er zu der Frau gesagt hat, nutzt er jetzt auch in seiner Erklärung, warum er gerade heute heilt. Es ist im Griechischen das gleiche Spiel mit dem Wort, wie im Deutschen: lösen, erlösen. „Du bist erlöst“, sagt Jesus zu der Frau. Und er erinnert die Umstehenden daran, was sie mit ihren Tieren tun, die angebunden sind, damit sie nicht weglaufen. Die binden Menschen natürlich auch am Ruhetag los, um sie zur Tränke zu bringen. Die Frau, die Tochter Abrahams, wird von den Fesseln gelöst, die sie 18 Jahre gebunden haben. Und zwar am Sabbat, natürlich am Sabbat, auch am Sabbat.
Die Menschen haben Jesus gut zugehört und er hat ihre Herzen erreicht. Die einen schämen sich – die, die gegen Jesus waren. „Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.“ (V. 17) Ob Jesus uns heute erreicht? Was mögen die Fesseln sein, die uns heute binden? Was erwarten wir von Gott, wenn wir zu ihm kommen? Was erwarten wir vom Sabbat, der bei uns am Sonntag gefeiert wird.
Die Verschiebung vom Sabbat auf den Sonntag ist eine eigene Geschichte. Aber zumindest angelegt in uns ist der Gedanke, dass der siebte Tag immer noch der Ruhetag ist. Nicht um unsere Arbeitskraft zu stärken, damit wir für unsere Arbeitgeber wieder brauchbar sind, sondern weil Gott an ihm ruhte und weil dieser Tag ein heiliger Tag ist – jeder siebte Tag, jeder Sonntag. Erwarten wir etwas von diesem Tag?
Mir kam der Gedanke, der mich immer noch beschäftigt: „Der Sabbat ist zur Heilung da.“ Gerade dieser Tag soll uns daran erinnern: Gott hat alles gut gemacht. Und er will auch wieder alles gut machen, wiederherstellen, was kaputtgegangen ist. Gott will uns heilen. Er will uns lösen, losbinden, erlösen. Getan hat er das durch Jesus. Der hat uns ein für alle Mal erlöst. Das Zeichen dafür ist das Kreuz, das wir zumindest hier in der Kirche auch immer vor Augen haben.
Gott hat uns erlöst. Aber wissen wir das noch? Glauben wir das noch? Feiern wir das? Jeder siebte Tag nimmt uns bewusst heraus aus dem, was uns an- und umtreibt und lädt uns ins Paradies ein, in den Garten Eden. Es ist nicht alles ok damit. Aber wir vergessen zu oft, was Gottes Schöpfung war und was sie wieder sein soll: Der heilige, gesunde, herrliche, perfekte Ort. Und die heilige, gesunde, herrliche, perfekte Zeit in seinem Königreich. Wenigstens einmal in der Woche sind wir dazu eingeladen. Der Sabbat ist zur Heilung da, damit wir gesund werden, damit wir der Erlösung trauen, sie glauben.
Gott richtet uns auf. Er erlöst uns aus unserer Selbstverkrümmung. Manchmal lässt er das wirklich an Körpern geschehen so wie damals in der Synagoge. Ein Zeichen dafür, dass Gottes Reich schon da ist, auch wenn es oft noch zugedeckt ist. Manchmal lässt er es an Seelen geschehen und befreit uns von Angst, von Süchten, von Bitterkeit. Warum nicht gerade am Sabbat oder am Sonntag?
Ich will es wieder von Gott erwarten. Und ich will es auch vom Sabbat, vom Sonntag, von diesem siebten Tag erwarten. Der soll eine heilige und gesegnete Zeit sein. Das hat Gott selbst in diesen Tag hineingelegt. „Alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn – Jesus – geschahen.“ Heute ist der siebte Tag – Zeit für Ruhe und Feiern, für Segen, für Heil und für Gottes Heiligkeit.