Stehen zwei Menschen vor Gott — ein Pharisäer und ein Zöllner …
Wie stehen wir eigentlich vor Gott? Merken wir noch, was los ist zwischen ihm und uns? Wo es klemmt?
Ein paar Gedanken dazu aus einer alten Geschichte. Und zur Einleitung erst einmal die Story vom Pharisäer und Zöllner: Lukas 18,9–14
Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.
Und dann die Predigt zu 2. Samuel 12
Merken wir es noch? Ich meine: Merken wir es noch, wenn etwas zwischen uns und Gott steht? Und wer könnte uns sagen, wie es um uns steht? Oder wem sollten wir es sagen? Den Pharisäer aus dem Gleichnis, das Jesus erzählt hat, hat vielleicht keiner gewarnt. Oder er hat es nicht hören wollen. Der Zöllner hat sich sehr gering eingeschätzt. Echte Selbsterkenntnis? Oder war er eh immer zurückhaltend? Jesus stellt extreme Herzenshaltungen dar. Auf der einen Seite einer, der vor lauter Stolz nicht merkt, dass er vor Gott gar nicht gerecht dastehen kann, egal was er tut und wie fromm er sich gibt, sich auch ehrlich bemüht. Der andere ist völlig zerknirscht, bringt nichts vor Gott, bleibt draußen. Obwohl er vielleicht doch auch ein Mensch ist, der Gutes zu tun weiß.
Schauen wir einmal auf zwei andere. Die in ein ernstes, tiefes, reinigendes Gespräch eingetreten: König David und der Prophet Nathan. Die Vorgeschichte ist kurz erzählt (2. Samuel 11). König David beobachtet seine Nachbarin beim Baden. Bathseba. Er verliebt sich. Er will sie haben. Techtelmechtel? In der Kürze der Erzählung geht es schnell, keine Zeit für Romanze. David holt sie zu sich, sie schlafen miteinander, Bathseba wird schwanger. David will es vertuschen, ermutigt ihren Mann, der gerade auf Heimaturlaub ist, doch bei seiner Frau zu schlafen. Der aber ist Soldat und schläft vor der Tür des Palastes. Es herrscht Krieg und Uria, so heißt der Ehemann von Bathseba, hat so viel Ehre im Leib, dass er sich nicht die Ruhe und Freude seines Zuhauses gönnt. Und nun? David lässt ihn zurück an die Front und befiehlt seinem Hauptmann, Uria an die gefährlichste Stelle der Belagerung zu stellen und ihn dort dann alleine zu lassen. Auftragsmord, raffiniert verpackt. Uria stirbt, David holt sich Bathseba ganz offiziell. Aber jetzt:
Und der Herr sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war. Und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.
Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der Herr lebt: Der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.
Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen in deinen Schoß, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durch das Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei.
Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den Herrn. Nathan sprach zu David: So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. Aber weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben. Und Nathan ging heim.
So steht es im 2. Buch Samuel im 12. Kapitel aufgeschrieben.
Nathan traut sich was. Er tritt vor David und stellt ihn zur Rede. David ist der König. Der kann und darf alles. Der könnte auch Nathan beseitigen lassen. Der beugt sein Haupt vor niemandem. Muss er auch nicht. Über dem König steht keiner. Über sich lässt David niemanden stehen. Oder doch?
Mein erster Gedanke: Stellt Nathan David eine Falle? Er tappt so wunderbar hinein. Seine Emotionen kochen über: „Der Mann ist ein Kind des Todes.“ Normale Reaktion. Wie kann der Reiche sich am Wenigen des Armen vergreifen? Und dann noch am Schäflein, so süß. Wenn’s wenigstens ein altes Schaf gewesen wäre. Ich denke nicht, dass es eine Falle ist. Nathan öffnet mit seiner Erzählung das Herz Davids. Und tatsächlich: Es schlägt auf dem rechten Fleck. Von wegen „man muss auch mal den Reichen verstehen. Der tut bestimmt auch viel für die Armen. Durch seine Investitionen wird die Wirtschaft am Laufen gehalten. Da kannst du keine Übergewinnsteuer verlangen. Wer weiß, vielleicht durfte das Schäflein ja auch auf den Weiden des Reichen grasen; das wird ja nicht erzählt.“
David reagiert, wie jeder mit ein bisschen Barmherzigkeit und Rechtsempfinden reagieren muss. Gut so.
„Du bist der Mann.“ Nun aber öffnet Nathan nicht nur Davids Herz, sondern er öffnet ihm auch die Augen. Im Grunde sagt er David ja nichts Neues. Der wusste, dass er seine Macht missbraucht hatte. Der wusste, dass Ehebruch und Mord Schuld ist vor Gott und vor Menschen, an Gott und an Menschen. Sonst hätte er ja gar nicht versucht, seine Tat zu vertuschen.
Hat nicht gerade David so viel Gutes von Gott empfangen? Er war ein erfolgreicher Krieger. Gott hat ihn vor den Anschlägen Sauls auf sein Leben bewahrt. Gott hat David zum König gemacht über Israel im Norden und Juda im Süden – über ganz Israel also. Gerade du, David! Nathan hat Davids Herz geöffnet und nun auch die Augen. Mutig. Denn das hätte auch ihn das Leben kosten können. David ist der König.
Aber David hört. David hört zu und lässt sich auch dieses Wort, das direkt an ihn gerichtet ist, zu Herzen gehen. Er kehrt um. Es geht vielleicht nicht einmal um die Erkenntnis, die David jetzt erst überkommt. Die hatte er schon vorher. Aber er spricht es aus. Er lässt sich darauf ansprechen und spricht es aus: „Ich habe gesündigt gegen den Herrn.“ Und Nathan kann ihm daraufhin die Vergebung Gottes zusprechen.
Mir bleiben zwei Gedanken wichtig. Der erste, schon am Anfang als Frage in den Raum gestellt: Merken wir es noch?
Merken wir noch, wo wir an Gott vorbeigehen oder wo wir gar gegen ihn antreten? Dieses „Du bist der Mann – oder freier in der Auswahl: du bist der Mensch“ trifft uns vielleicht häufiger, als wir denken.
„Gerade du, David, der so reich Beschenkte?“ David war von Herzen fromm. Er war ein Mann nach dem Herzen Gottes (1. Samuel 13,14; Apostelgeschichte 13,22). Das greift sogar Paulus 1.000 Jahre später in einer Predigt auf. Doch zugleich ist und bleibt David ein Mensch, der sich jeden Tag neu für den Weg mit Gott entscheiden muss. Und manchmal genau den entgegengesetzten Weg einschlägt und Gott ignoriert. Ich bin und bleibe ein Mensch, der schuldig werden kann an Gott und an anderen Menschen.
Ja, es stimmt: Je näher ich an Gott dran bin, je mehr ich mich mit seinem Wort beschäftige, je tiefer ich meine Beziehung zu ihm pflege, desto mehr bilde ich mein Herz. Und doch bleibt es dabei fähig, auch gegen Gott und Menschen zu entscheiden und zu handeln.
Und – nur ein Nebengedanke, aber ein wichtiger: Je mehr wir Gottes Herz in unserem Herzen tragen, je größer die Liebe zu Gott ist, desto schärfer werden auch die Angriffe des Teufels auf uns. Denn dass wir nach Gott fragen und gar nach seinem Willen handeln, passt ihm so gar nicht.
Merken wir es noch? Es ist in erster Linie nicht einmal die Schuld, die uns gefährlich wird. Denn die hat Jesus Christus ans Kreuz getragen; sie ist mit ihm ans Kreuz genagelt. Wenn unser Herz nicht mehr unruhig wird bei der Frage, wie nah wir Gott noch sind, dann wird es gefährlich. Gut, wenn wir uns darauf ansprechen lassen und dem zuhören, der uns so anredet.
Der zweite Gedanke, der mir wichtig ist: Trauen wir uns, auch selbst wie Nathan Unrecht aufzuzeigen? Bei Nathan beeindruckt mich, wie er das tut: Er sucht das Gespräch unter vier Augen. Er prangert David nicht öffentlich an. Das ist die Gefahr unserer Zeit – aber nicht erst unserer. Nur: heute geht es schneller und bequemer: Andere anprangern, ohne das Gespräch mit ihnen zu suchen, ist so leicht geworden durch die sozialen Medien. Gerade das aber zerstört auch das Vertrauen, das für Gespräche unter vier Augen nötig ist. Bleiben wir vorsichtig und wachsam, wenn es um öffentliche Aussagen und vor allem Anklagen geht.
Und bleiben wir mutig, wenn es darum geht, Unrecht beim Namen zu nennen. Mit Blick auf unsere Gesellschaft heißt das: Treten wir ein für das Recht von Menschen am Rand – sei es für Ärmere, für Flüchtlinge, für Kranke und Sterbende. Sie alle werden oft an den Rand gedrängt. Treten wir ein für das Recht von Schwächeren – für Kinder, für Menschen ohne Lobby, für Menschen, die zu wenig Kraft haben, für sich selbst einzutreten. Treten wir ein, wenn Waffen und Kapital und grenzenloses Wachstum immer wieder hochgelobt werden, wo Menschen zu Nummern und Kollateralschäden und Arbeitskräften werden.
Und – letzter Gedanke: Leben wir aus der Barmherzigkeit und Liebe Gottes heraus. Vertrauen wir uns seinem Herzen an mit allem, was in uns ist. Bleiben wir Menschen nach Gottes Herzen und lernen, so zu leben.