“Warum macht ihr euch überhaupt Sorgen?”, fragt Jesus seine Jünger einmal (Matthäus 6). Und Petrus hat mal geschrieben, was zu einem Sonntagsspruch, zum Motto für eine Woche im Jahr wurde: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“ (1. Petrus 5, 7)
Wie Gott sich einer speziellen Sorge zuwendet und wie viel mehr er bereit hat, erzählt eine Episode aus dem Leben Abrahams.
Predigt zu 1. Mose 15,1–6
Das ist wirklich nicht leicht mit den Sorgen. Denn mal ehrlich: Uns fällt doch nichts zu. Wenn ich etwas will, sogar Lebensnotwendiges, muss ich dafür bezahlen. Und um bezahlen zu können, muss ich Geld verdienen, Arbeiten gehen. Und das reicht manchmal nicht. Andere können gar keiner Arbeit nachgehen, weil sie körperlich oder geistig dazu nicht in der Lage sind. Irgendwann ist man auch ohne Kraft.
„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“ Hier und da noch eine beliebte Redewendung; meist etwas spöttisch gebraucht, wenn jemand tatsächlich Erfolg hat, ohne dass er dafür etwas tun musste. Ein bisschen Neid schwingt wohl auch mit. Aber jeder Normalsterbliche rackert sich ab, damit er zum Leben hat, was er braucht.
Heute hören wir von Abraham – wobei sein Name ursprünglich etwas anders lautete: Abram. Erst später kommt das „ha“ dazu. Ich bleibe bei dem vertrauteren Namen: Abraham. Er ist der Urvater des Glaubens. Er verlässt sich voll und ganz auf Gott. Sie kennen den Anfang seiner Geschichte.
Gott sagt zu ihm: „Pack zusammen, was du hast und geh los. Wohin? Das zeige ich dir. Ich habe da so ein Land im Blick. Lass dich überraschen. Vertraue mir und geh los, du, deine Frau, deine Knechte, deine Schaf- und Ziegen- und Rinderherden.“ Und Abraham macht sich auf die Socken mit Sack und Pack – nein, nicht mit Kind und Kegel. Denn Kinder hatten er und seine Frau keine. (Nach Genesis 12,1–4) Und dann geschieht ein paar Kapitel später das hier (Genesis 15,1–6 Basisbibel):
Nach diesen Ereignissen kam das Wort des Herrn in einer Vision zu Abram: »Fürchte dich nicht, Abram! Ich selbst bin dein Schild. Du wirst reich belohnt werden.« Abram erwiderte: »Herr, mein Gott! Welchen Lohn willst du mir geben? Ich werde kinderlos sterben, und Elieser aus Damaskus wird mein Haus erben.« Weiter sagte Abram: »Du hast mir keinen Nachkommen gegeben, deshalb wird mich mein Verwalter beerben.« Da kam das Wort des Herrn zu Abram: »Nicht Elieser wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein.« Dann führte er Abram nach draußen und sagte: »Betrachte den Himmel und zähle die Sterne – wenn du sie zählen kannst!« Er fügte hinzu: »So zahlreich werden deine Nachkommen sein.« Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete ihm Gott als Gerechtigkeit an. „Nach diesen Ereignissen“: Inzwischen waren Abraham und Sara mit Knechten und Mägden und Besitz in dem Land angekommen, das Gott zugesagt hatte: Kanaan also war das geheimnisvolle Ziel.
Ein paar spannende Episoden schließen sich an die Ankunft an. Eine Hungersnot im Land treibt die Wanderer nach Ägypten. Sara wird fast die Frau des Pharao, eine ziemlich blöde Sache. Geht aber gut aus. Abraham und sein Neffe Lot, der war mitgezogen, trennen sich. Stress wegen der großen Herden der beiden und Ärger unter den Knechten. Lot wird mit Familie entführt, Abraham kann sie befreien. Und ein seltsamer Heiliger taucht auf und segnet Abraham. Melchisedek heißt er – König der Gerechtigkeit.
Und dann eben dieses Gespräch, das wir gehört haben. „Du wirst reich belohnt werden“, sagt Gott.
Abraham scheint ja schon einen gewissen Reichtum gehabt zu haben. Er hatte so viele Tiere, dass die Weidegründe für ihn und das Vieh seines Neffen nicht reichten. Daher hatten sie sich ja getrennt. Das macht man nicht wegen drei Schafen und einer Ziege. Und wenn er sich mit fremden Königen anlegen kann, die seinen Neffen entführt hatten, dann hat er auch selbst eine Menge Knechte. Die Könige, mit denen er es zu tun hatte, waren Fürsten von kleinen Städten, das dürfen wir nicht mit ganzen Staaten verwechseln. Aber dennoch: Da waren schon ein paar Zig bis Hundert Kämpfer unterwegs. Abraham hat Macht und Einfluss, sogar als Neuzugezogener im Land Kanaan; sogar als Hungerflüchtling in Ägypten.
Also: Er ist durchaus reich. Aber er schaut gar nicht auf diesen Besitz. „Mit was willst du mich belohnen, Gott? Was soll mir der Reichtum, den ich sogar schon habe? Ich hab keine Kinder, Gott. Das alles wird mein Knecht erben.“ Aller Reichtum ist ihm nichts. Er hat andere Sorgen. Und ich werde hellhörig. Es bedrückt Abraham etwas, das er nicht lösen, nicht loswerden kann.
Vielleicht ist ja eine allgemein mögliche Definition für „Sorge“: Etwas, das ich nicht lösen oder loswerden kann. Oder wo ich zumindest im Moment eher Schwierigkeiten sehe, viele Hindernisse. Manchmal sind die Hindernisse so groß, dass ich keine Hoffnung mehr habe.
So ist es bei Abraham. „Wer kommt nach mir?“, so fragt er. „Da ist doch keiner. Alles, was ich erworben habe, bleibt nicht in meiner Familie. Ein Knecht wird’s erben.“ Elieser, der Knecht, war bestimmt ein toller Mensch, verlässlich, treu, gewissenhaft, weise und er glaubte an Gott. In einer anderen Erzählung lernen wir ihn etwas kennen. Er wirbt nämlich etliche Jahre später für den Sohn Abrahams – ja, das wird die Lösung sein, später – um eine Braut (Genesis 24). Aber Elieser ist eben nicht Familie, ist kein leiblicher Nachkomme. So ist Abraham betrübt. Er sieht über seinen Tod hinaus – aber er hat keine Hoffnung darüber hinaus. Bei ihm macht sich das fest daran, wem er seinen Besitz einmal überlassen wird, überlassen muss. Und obwohl er reich ist, hat er deswegen große Sorgen.
Ich werde nachdenklich: Unabhängig davon, wie gut oder schlecht es das Leben mit Menschen meint – es gibt Sorgen, die lassen sich mit menschlichen Möglichkeiten nicht beseitigen. Abraham denkt hier, obwohl er ja schon sehr viel Gottvertrauen bewiesen hat, ganz menschlich. Und seine Lösungsideen bleiben ganz irdisch. Das war in den Episoden vor diesem Gespräch schon so. Als er wegen der Hungersnot, die ich erwähnt habe, in Ägypten war, hatte er die Sorge, dass der Pharao ihm nicht nur seine wunderschöne Frau Sara ausspannen würde. Er hatte Sorge, dass der Pharao ihn gleich mal beseitigen lässt. Im Nil gibt’s viele hungrige Krokodile. Abraham denkt sich eine irdische List aus: „Sag, dass du meine Schwester bist.“ Und denkt dabei: „Dann geht der Pharao mir nichts ans Leben.“ Der Schwindel fliegt auf durch Gottes Eingreifen. Sonst wäre es komplett schief gegangen.
Abraham – denkt auch nur soweit, wie er sehen kann. Das hat er mit uns doch oft genug gemein. Es ist menschlich. „Ich glaube nur, was ich sehe“ ist zwar ein unsinniger Satz – denn Glauben muss ja über das Sehen hinausgehen, muss diesen Mehrwert haben. Aber verständlich ist es auch. Wir haben lieber etwas Greifbares. Und das gilt für die, die sich mehr ums Tägliche Sorgen müssen, genauso wie für die, die im Alltag gut zurechtkommen. Gott zu vertrauen fällt uns schwer. Bei Abraham braucht Gott auch mehrere Anläufe, bis er Abraham wirklich ganz auf seiner Seite hat. Und immer wieder wird er es mit Abraham üben, dass der sich ganz und ausschließlich auf Gott verlässt, egal wie groß die Herausforderungen an ihn sein werden.
Das tröstet mich auch. Denn auf der einen Seite will ich Gott so vertrauen, wie es Abraham und viele andere getan haben. Auf der anderen Seite frage ich auch lieber nach dem, was ich direkt sehen und hören und begreifen kann. Glauben ist gut. In der Hand halten ist besser.
Was mich an Gott hier begeistert – auch wenn es das Glauben nicht immer leichter macht: Er haut die ganz große Verheißung raus. Gott gibt dem Abraham nicht ein bisschen: „Ja, mein Lieber, das verstehe ich gut. Dann sag ich mal: Du und Sara, ihr bekommt ein, zwei, drei Kinder. Wird sich schon klären lassen, vertrau mir.“ Nein, Gott packt richtig tief in seine Überraschungskiste. Und er holt etwas hervor, das Abraham nur staunen lässt.
„Zähl mal die Sterne über dir.“ Geht nicht. „Probier’s. Wenigstens die paar über deinem Kopf.“ Geht nicht. „Siehst du“, sagt Gott, “du wirst Nachkommen haben, du wirst Erben haben, die viel zahlreicher sind als die Sterne, die du siehst.” An anderer Stelle macht Gott das noch einmal. Und nimmt als Beispiel den Sand am Meeresstrand. Genauso unzählbar (Genesis 22,17).
Ist das nicht unvorstellbar? Und ich lerne etwas über Gott. Wir hätten gerne Lösungen, die wir uns auf der Erde vorstellen können, die wir uns selbst ausdenken können. Lösungen, die machbar sind – technisch und organisatorisch. Lösungen, denen wir glauben können – weil wir, weil irgendein Mensch sie ja doch hinbekommt, wenn er nur mächtig und reich genug ist.
Gott aber hat mehr. Er hat eine Antwort, die menschlich einfach undenkbar und unfassbar ist. Abraham und Sara, bis jetzt ohne Kinder, werden unzählbar viele Nachkommen haben. Gott antwortet nicht klein, mit einer irgendwie schon machbaren Lösung. Er mutet uns unendlichen Reichtum zu. Anders kann ich es nicht sagen.
Gott mutet uns die Größe aller seiner Möglichkeiten zu. Er mutet uns die Weite des Himmels zu: Mensch, denke nicht nur bis zum Horizont. Lass deine Gedanken in den Himmel eilen. Lass deine Hoffnung in den Himmel aufschauen. Öffne dein Herz für Gottes unbegrenzte Möglichkeiten. Vertraue ihm. Er ist Gott. Er kann nicht klein. Er will nicht klein. Gott will Großes an dir tun.
Unglaublich? Abraham hat sich darauf eingelassen. Der Schreiber notiert einfach: „Abram glaubte dem Herrn, und das rechnete ihm Gott als Gerechtigkeit an.“ Dieser einfache Satz ist so wichtig und ein solches Vorbild des Glaubens, dass er von Paulus und von Jakobus in ihren Briefen wörtlich zitiert wird (Römer 4,3; Jakobus 2,23).
Zum Trost, wenn wir nicht so spontan und so groß glauben können: Abraham hat Gott zwar geglaubt. Aber dann war er doch wieder auf menschliche Lösungen aus, zusammen mit seiner Frau Sara. Die übliche Lösung in den Tagen der Altvorderen, die keine eigenen Kinder bekommen konnten: Abraham zeugt ein Kind mit einer Magd Saras, mit Hagar. Und dieses Kind, Ismael heißt der Sohn, soll als beider Nachkomme gelten. Abrahams Nachkomme ist er ja auf alle Fälle. Aber das war nicht Gottes Plan. Seine Verheißung gilt Abraham gemeinsam mit Sara – kein anderer Weg. Keine menschengemachte Lösung. Gottes Geschenk wird es sein.
So lerne ich für mich zweierlei in dieser Geschichte. Zum Einen kann ich Gott alles zutrauen, ich soll ihm alles zutrauen. Es gibt für ihn keine einzige unlösbare Situation. Und er braucht dazu auch keine irdischen Optionen. Er fragt nicht danach, was wir für möglich halten. Er baut darauf, dass wir bei ihm alles für möglich halten. Das ist Glauben.
Zum andern muss ich mit dem Vertrauen nicht erst warten, bis mein Glaube groß genug ist. Gott kommt damit zurecht, wenn ich zweifle, wenn ich auch eigene, menschliche Möglichkeiten einsetze und es dann auch schief geht. Ich kann ihm glauben, selbst wenn ich zweifle.
Zwei Bilder aus Gesprächen mit Jesus weisen darauf hin. „Wenn ihr Glauben habt, der nur so groß ist wie ein Senfkorn – also echt ein Mini-Glaube, dann könnt ihr Berge versetzen“, sagt er zu seinen Jüngern (Matthäus 17,20). „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“, fleht ihn der Vater eines kranken Kindes an (Markus 9,24). Und Jesus hilft. Jesus heilt das Kind.
“Nicht großen Glauben brauchen wir, sondern Glauben an einen großen Gott. Wir mögen versagen, wir versagen ja tatsächlich fortwährend; aber Gott versagt nie.” (in: Martin Haug: Er ist unser Leben: Beispiel- und Stoffsammlung für die Verkündigung) So hat es James Hudson Taylor gesagt. Er war einer der ersten Missionare, die im 19. Jahrhundert anfingen, im Inneren Chinas, Menschen für Jesus Christus zu gewinnen. Er gründete die China Inland Mission, heute die Overseas Missionary Fellowship – Überseeische Missionsgemeinschaft, die im ganzen Südostasiatischen Raum unterwegs ist.
„Nicht einen großen Glauben brauchen wir, sondern Glauben an einen großen Gott.“ Einen Gott, der Nachkommen wie Sterne am Himmel verheißt und das wahr macht. Und der heute noch genauso zu erleben ist.