Mach dies! Lass jenes!
Was, wenn es weniger um Mahnungen ginge als um die Leuchtkraft von Christen und Gemeinden? Ein paar Gedanken zu Ermahnungen aus der Feder von Petrus.
1. Petrus 3,8–17
8 Endlich aber seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt. 10 Denn »wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. 11 Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. 12 Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber sieht auf die, die Böses tun« (Psalm 34,13–17).
13 Und wer ist’s, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? 14 Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; 15 heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, 16 und das mit Sanftmut und Ehrfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen. 17 Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als um böser Taten willen.
Gedanken zum Text
Tja, liebe Gemeinde, so ist das: Tu dies und tu das! Und das andere, dieses und jenes, lasst bleiben. Heute ist der Sonntag der Mahnungen. Da mag mancher keine Lust mehr haben zuzuhören. Das kann die Kirche ja gut: Mahnen. Und überall muss sie sich einmischen. Überhaupt: Christen – sind das nicht die mit den Verboten? Wo man nichts darf, dafür aber ganz viel muss? Gute Nacht, Evangelium. Gute Nacht, Gute Nachricht.
Aber vielleicht ist heute gar nicht der Sonntag der Mahnungen. Allerdings kann es so gehen, wenn man mitten in Texte hinein einsteigt, ohne den Zusammenhang zu sehen.
Wie fängt Petrus eigentlich an in seinem ersten Brief, bevor er am Ende von Kapitel 2 und am Anfang von Kapitel 3 Sklaven mahnt, Frauen und Männer mahnt und dann auch die ganze Gemeinde in den Blick nimmt?
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.
So steht’s am Anfang des 1. Petrusbriefes (1. Petrus 1,3–5). “Gelobt sei Gott!” Denn wir sind Menschen, die ein neues Leben haben. Wir bekommen es nicht erst noch, wir haben es schon. Weil Jesus von den Toten auferstanden ist und lebt, haben wir jetzt schon das neue Leben, sind neugeboren. Und uns gehört schon, was wir dann noch mit den Händen greifen, mit den Augen sehen werden: unvergängliches, unbeflecktes, unverwelkliches Erbe. Gott selbst wird uns so bewahren, dass wir das auch in aller Vollkommenheit empfangen und genießen werden. Seligkeit. Glückseligkeit, die uns schon gehört und die wir feiern werden.
So fängt’s an. Wir haben einen Raum betreten, der Lichtdurchflutet ist. Die Festbeleuchtung in der Stadtkirche ist nichts dagegen.
Ich war noch nie dort, aber ich habe sie schon in Berichten und Bildern gesehen und bestaunt und bewundert: Saint Chapelle in Paris. Eine Kirche, die Wände fast nur aus Glas hat. Gotik in ihrer schönsten Form.
Der Raum, den wir betreten, ist unendlich viel schöner und farbiger. Uns gehört ein unvorstellbar großes, schönes, heiliges Gut. Und der Sonntag ist nicht der Sonntag der Mahnungen. Er ist der Sonntag, der uns zeigt, wie wir dieses farbige, schöne, kostbare Erbe, dieses Licht strahlen lassen können. Heute ist der Sonntag der Gemeinde – und wir sind dieser wunderbare, köstliche Bau, in dem Gott mit all seiner Herrlichkeit wohnt.
Wie aber können wir dazu beitragen, dass dieser Bau, dieser Tempel aus lebendigen Steinen (1. Petrus 2,5) weiter leuchtet und strahlt und hell bleibt? Vielleicht sind die Mahnungen, die Petrus aufgeschrieben hat, so etwas wie eine Pflegeanleitung für den Tempel Gottes, Hinweise zum Fensterputz und zur Reinigung, zum Anbringen der Festbeleuchtung und manchem mehr? Schauen wir noch einmal hinein in das, was Petrus geschrieben hat. Die Neue Genfer Übersetzung hat, wie ich finde, sehr gute Worte für den Anfang des Abschnitts gefunden:
„Euch alle schließlich ´fordere ich dazu auf‘, euch ganz auf das gemeinsame Ziel auszurichten. Seid voller Mitgefühl, liebt einander als Glaubensgeschwister, geht barmherzig und zuvorkommend miteinander um!“
Wir haben ein gemeinsames Ziel. Damit das zum Leuchten kommt, ist es nötig, dass wir uns ausrichten. Das ist wie beim Theater oder auch wie bei der church@night. Alles kommt darauf an, dass das Licht richtig ausgerichtet ist.
Am Ende meines Vikariats – eine Weile her – durfte ich einige Male den spanischen Pantomimen Carlos Martínez auf einer Tour begleiten und für das richtige Licht sorgen. Der Künstler gehört ganz in den Fokus. Auf ihn muss der Scheinwerfer gerichtet sein.
Auch einen großen Gospelchor durfte ich bei solch einer Tour begleiten und ausleuchten. Viele Scheinwerfer waren da im Spiel. Solange sie nicht ausgerichtet sind, ist vom Chor nicht viel zu sehen. Aber wenn dann zig Leuchten auf den Punkt genau strahlen, mit vielen Farben, dann wirkt nicht nur die Musik. Das Auge hört mit.
Alles kommt auf die richtige Ausrichtung an. Nicht anders ist es mit uns. In der Gemeinde und auch darüber hinaus mit den verschiedenen Gemeinden in Wittenberg. Wir haben so viele Ideen, so viele Wünsche. Wir haben sie viele Stilarten, unseren Glauben zu leben, so viele Verschiedenheiten.
Manchmal passiert es, dass wir uns wegen dieser verschiedenen Eigenarten voneinander wegdrehen. Dann leuchtet jeder in eine andere Richtung. Der gemeinsame Fokus – Jesus Christus – geht uns dabei verloren oder kommt nicht mehr so zur Geltung.
Vor einiger Zeit habe ich beim ökumenischen Frühstückstreffen der hauptamtlichen Mitarbeiter der verschiedenen Gemeinden gefragt, warum das eigentlich ökumenischer Gottesdienst zum Pfingstmontag heißt, wo doch faktisch nur evangelische und katholische Kirche miteinander feiern. Wäre es nicht viel lichtstärker, wenn alle zusammenkämen, die Christen sind?
Und in der Stadtkirchengemeinde selbst? Es geschieht selten, dass wir alle beisammen sind. Nie kommen alle zu einer Veranstaltung. Manchen passen die Zeiten nicht, andere mögen den einen oder anderen Prediger bevorzugen. Der Familiengottesdienst ist einigen zu laut und unruhig, der Gottesdienst recht streng nach gewohnter Liturgie ist anderen nicht offen genug.
Ganz gewiss – davon bin ich überzeugt, dazu stehe ich auch – brauchen wir die vielen verschiedenen Formen von Gottesdiensten und auch von Gesprächskreisen und mehr. Und wir brauchen auch die unterschiedlichen Gemeinden. Denn wir bringen so viele verschiedene Fragen des Lebens mit uns. Aber wo wird sichtbar, dass wir eins sind und ein Ziel verfolgen – nämlich Gott groß zu machen und seine Liebe auszuteilen? Gemeinsam. Eins. Als EINE Gemeinde! Das wird oft nur erkennbar beim Blick auf die Gemeindegliederliste. Denn da stehen alle drin – Junge und Alte, Frauen, Männer, Alleinstehende, Verheiratete, Wittenberger und Zugezogene.
Könnte das nicht auf andere Weise viel klarer werden? So eine Liste hat wahrlich keine Strahlkraft. Aber wenn wir zusammen zu sehen wären in der Stadt, was wäre das für ein Signal! Ausrichten auf ein Ziel: Alle sehen, dass wir auf Jesus Christus ausgerichtet sind.
Und sie staunen über unseren Umgang miteinander, geprägt von Mitgefühl, durch das wir uns gegenseitig unterstützen und beistehen. „Seht, wie sie einander lieben“, schrieb der antike Schriftsteller Tertullian über die Christen seiner Zeit.
Das wirkte nicht immer. Das blieb nicht immer so. Die Christen, wir Christen müssen es oft neu lernen und üben. Aber wenn wir das könnten – das müsste doch andere beeindrucken.
Petrus zeigt weitere Leuchtmittel auf. „Vergeltet Böses nicht mit Bösem und Beschimpfungen nicht mit Beschimpfungen! Im Gegenteil: Segnet! Denn dazu hat Gott euch berufen, damit ihr dann seinen Segen erbt.“
Das klingt ja wie die Bergpredigt oder doch genauer die Feldrede von Lukas: Nicht nur den Nächsten lieben, sondern sogar die Feinde lieben und die segnen, die mir fluchen, heißt es dort (Lukas 6,27–28). Und natürlich klingt es so. Petrus hat Jesus schließlich zugehört und von ihm gelernt.
Wir müssen noch nicht einmal nach draußen rennen. Wenn wir das schon in der Gemeinde üben – den anderen segnen, statt uns über ihn aufzuregen – verändert sich etwas, wird es heller, strahlender; leuchtet Gottes Liebe auf. So gibt es mancherlei Möglichkeit, wie wir Gottes herrlichen Tempel zum Strahlen bringen können – wir, die lebendigen Steine darin.
An einer Stelle bin ich auch noch hängengeblieben. Vielleicht ist der Satz nicht über die Maßen bekannt, aber er gehört zum Standard christlicher Mahnung:
Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.
Ist doch klar, dass jeder Christ über seinen Glauben Auskunft geben sollte. Im Alltag begegnen wir Menschen viel häufiger als in Kirchen und Bibelstunden. Da müsste doch jede und jeder etwas über Jesus sagen können. Und viele können es auch und tun es.
Aber ich bin an dem kleinen Nachsatz hängen geblieben. Bei Luther sind es nur zwei Begriffe: Tut das mit „Sanftmut und Ehrfurcht.“ Die Genfer Übersetzung schreibt:
Und seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch auffordert, Auskunft über die Hoffnung zu geben, die euch erfüllt. Aber tut es freundlich und mit dem gebotenen Respekt.
Das macht mich nachdenklich: Wie reden wir als Christen mit denen, die es nicht sind? Oder noch etwas kritischer gefragt: Wie reden wir über sie? Darüber habe ich bei diesem Vers noch nie nachgedacht. Er ist auch einer dieser Verse, die oft nicht im Zusammenhang betrachtet werden.
Es berührt sich mit den Gedanken am Anfang. Ist Mahnsonntag, wenn ich von meinem Glauben spreche, oder lade ich ein? Respektiere ich den Glauben anderer, ihre Erfahrungen, die sie im Leben gemacht haben und die sie geprägt haben?
Ich will für Jesus Christus werben – also Scheinwerfer sein auf ihn hin, mich und mein Reden und Handeln auf ihn ausrichten. Dazu gehört, dass ich Jesu Einladung für andere nicht verdunkele durch eine Haltung, die Menschen ausgrenzt.
Welche Kraft liegt in den Worten von Petrus, welche Leuchtkraft steckt in ihnen! Eine Gemeinde, die eins ist, die mit einer Stimme redet, wenn es um Jesus Christus geht – die wird gehört.
Eine Gemeinde, in der wir uns wahrnehmen und aufeinander achthaben, die wird wahrgenommen als Ort der Geborgenheit, als Kraftquelle. Hier kommen Menschen her, weil sie auftanken können, weil sie angenommen sind, weil ihre Würde geachtet wird.
Eine Gemeinde, in der wir zuvorkommend miteinander umgehen, wirbt ohne große Worte. Wer’s sieht, will kommen und dazu gehören.
„Richtet euch ganz auf das gemeinsame Ziel aus. Seid voller Mitgefühl, liebt einander als Glaubensgeschwister, geht barmherzig und zuvorkommend miteinander um!“
Das wirkt. Das ehrt Gott. Dass lässt uns stark werden. Und das strahlt aus in unsere Stadt.
© Fotos: 2019 Matthias Keilholz
aus der Show “Und die Ohren werden Augen machen — Carlos Martínez und Jürgen Werth”