Stellen Menschen sich immer gegen Gott? Und was sagt Gott dazu? Wie Jesus dem Bösen entgegentritt und die Geschichte ändert, davon erzählt die Predigt zum Gleichnis von den bösen Weingärtnern.
Vor der Predigt wurde das Evangelium des Sonntags Reminiscere gelesen.
Johannes 3,14–21
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Predigt zu Markus 12,1–12
„Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“, schreibt Johannes. Jesus – Gottes Sohn, Licht der Welt, kommt in die Welt – und er wird abgelehnt.
Verhalten sich alle Menschen so? Es scheint in unserer DNA zu liegen. Vor ein paar Tagen habe ich mich mit einem Artikel über die Erbsünde beschäftigt. In 4.000 Zeichen erklären, was das ist. Das kam mir gleich in den Sinn.
„Ganz die Mama. Ganz der Papa“, sagt die restliche Verwandtschaft, wenn sie das neue Familienmitglied zum ersten Mal sieht. Und so gibt es ja wirklich eine Menge, das wir geerbt haben, rein biologisch schon: Haarfarbe, Augenfarbe, Blutgruppe. Manches setzt sich halt durch von den Eltern oder Großeltern. Wir haben aber auch Mut oder Ängstlichkeit ein stückweit geerbt. Oder vielleicht die Art, anderen zu begegnen, griesgrämig oder freundlich. Manche Eigenart wurde geweckt oder in uns hineingelegt, während wir noch Babys waren. Sogar ein Trauma etwa von der Kriegsgeneration – von unseren Großeltern oder sogar Urgroßeltern – kann in uns heute wirksam sein.
Die Menschen lieben die Finsternis mehr als das Licht. Wir sind wohl lieber dort unterwegs, wo Gott uns nicht reinredet als da, wo er das Sagen hat. So könnte man es übersetzen. Und oft, lange merken wir gar nicht, wie sehr uns das schadet. Jesus gibt uns eine Beispielgeschichte. Sie erzählt davon, wie heftig sich Menschen manchmal gegen Gott zur Wehr setzen. Unvorstellbar! Oder vielleicht doch Teil unserer eigenen Geschichte? Hören wir mal zu, was Markus aufgeschrieben hat (Markus 12,1–12 – Basisbibel).
1 Jesus begann, ihnen Gleichnisse zu erzählen: »Ein Mann legte einen Weinberg an. Er baute eine Mauer darum, hob eine Grube als Kelter aus und errichtete einen Wachturm. Dann verpachtete er ihn und ging auf Reisen. 2 Als es an der Zeit war, schickte der Besitzer einen Knecht zu den Pächtern. Der sollte bei ihnen seinen Anteil vom Ertrag des Weinbergs abholen. 3 Aber sie packten den Knecht, verprügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen davon. 4 Daraufhin schickte der Besitzer noch einen Knecht. Dem schlugen sie den Kopf blutig und beschimpften ihn. 5 Der Besitzer schickte noch einen weiteren Knecht. Den töteten sie sogar. Er schickte noch viele andere. Die einen verprügelten sie, die anderen töteten sie. 6 Da blieb nur noch einer übrig: sein geliebter Sohn. Ihn schickte er als Letzten. Er sagte sich: ›Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.‹ 7 Aber die Pächter sagten zueinander: ›Er ist der Erbe. Kommt, wir töten ihn, dann gehört sein Erbe uns.‹ 8 Sie packten ihn, töteten ihn und warfen seine Leiche hinaus vor den Weinberg. 9 Was wird der Weinbergbesitzer jetzt tun? Er wird selbst kommen, die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen. 10 Ihr kennt doch die Stelle in der Heiligen Schrift: ›Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Grundstein geworden. 11 Der Herr hat ihn dazu gemacht. Es ist ein Wunder in unseren Augen.‹« 12 Die führenden Priester, Schriftgelehrten und Ratsältesten hätten Jesus am liebsten verhaften lassen. Aber sie fürchteten sich vor der Menge. Sie hatten verstanden, dass er in dem Gleichnis von ihnen gesprochen hatte. Sie ließen ihn in Ruhe und gingen weg.
Ist das nicht grell? Wir machen so etwas nicht! Wer käme denn auf so was? Wobei – „Weggegangen, Platz vergangen.“ Heißt nicht so ein alter Kinderspruch? Wer seine Ansprüche nicht verteidigt, hat schon verloren. Da spielt es auch keine Rolle, ob die berechtigt oder auch nur eingebildet waren.
Ich will mal lieber noch ein bisschen bei dem Gleichnis bleiben. Ein Mensch pflanzt einen Weinberg. Das macht viel Arbeit. Viel Schutz braucht so ein Weinberg. Nicht auszudenken, wenn da die Wildschweine durchrasen und alles umwühlen. Oder auch etwas zartfühlendere Wildtiere sich an den Blättern und Früchten gütlich tun. Also: Zaun drum herum. Sicher ist sicher. Aber nicht genug. Eine Kelter kommt hinein. Da kann man den Saft gleich vor Ort aus den Trauben pressen. Und ein Wachturm kommt dazu. Menschen sind manchmal doch die größeren Räuber.
„Oh holla, Jesus. Wo willst du mit der Geschichte denn hin? Die kommt mir aber sehr bekannt vor. Geht das etwa gegen uns?“ Wer damals Jesus zuhörte, der kannte seine Bibel. Vor allem die Schriftgelehrten, die drum herum standen. Die hatten eben schon ein etwas unerfreuliches Gespräch mit Jesus gehabt und sind gewissermaßen vorgewarnt. Einer der Propheten, Jesaja, der hatte auch mal eine Geschichte so angefangen (Jesaja 5). „Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.“ Da waren allerdings keine üblen Pächter drin. Im Weinberg aus Jesajas Geschichte brachten die Weinstöcke keinen Ertrag. Was auch Mist ist.
Zurück zu Jesus und seinen Zuhörern. Wo will er hin mit seiner Weinbergsgeschichte? Es geht um die Pächter. Die wittern ihre Chance, als der Eigentümer weg ist und durch seine Boten den Ertrag einfordert. Weggegangen, Platz vergangen. „Wir sind nur Pächter? Naja. Wir hatten die ganze Arbeit. Im Grunde, mein Lieber, gehört uns der Weinberg und der Ertrag.“ Der eine Bote bekommt eins auf die Mütze, der andere wird ganz übel verprügelt und vor Mord schrecken die Pächter auch nicht zurück.
Sind wir Menschen wirklich so? Nicht erst seit einem Jahr dürfte klar sein, dass „die Menschheit“ aus der Geschichte rein gar nichts gelernt hat. Wandel zum Guten? Ich kann ihn nicht entdecken. „Die Welt ist nicht mehr so, wie vorher.“ So war es zu hören nach 9/11 – dem mörderischen Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001. Und nach dem Überfall auf die Ukraine vor einem Jahr sprach man plötzlich von der Zeitenwende.
Ganz ehrlich? Die Welt hat sich nicht verändert. Aus 9/11 haben wir doch nichts gelernt. Menschen werden nach wie vor ausgebeutet und unterdrückt. Wer die Waffen hat, hat das Recht und beugt das Recht. Und diese Unterdrückung, die Missachtung und Herabwürdigung anderer sind häufig die Ursachen für Kriege und Flucht.
Zeitenwende? Vermutlich. Aber nicht zum Guten. Nicht dahingehend, dass der Mensch etwas gelernt hätte, was er dann auch wirklich umsetzt. Nicht im Großen – Kriege sind auch nach dem 24. Februar 2022 immer wieder vom Zaun gebrochen worden. Und im Kleinen? Ich, meiner, mir, mich – das sind die Herrscher. Du – mein Gegenüber – kommst erst danach.
Was macht der Weinbergsbesitzer? Er schickt seinen Sohn. Und damit sind wir mittendrin in der Geschichte Jesu. Wir sind mittendrin in der Geschichte Gottes mit uns. Die Zuhörer Jesu ahnten es schon längst, dass er von ihnen, von sich und von Gott sprach. Und wir wissen es auch.
Die tröstliche Seite der Geschichte Gottes mit uns haben wir im Evangelium des Johannes gehört: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Die schmerzliche Seite, an die wir heute auch erinnert werden – Reminiszere, anders verstanden: „Dies ist sein Erbe; kommt lasst uns ihn töten.“
Hier ist der Kern der Passionsgeschichte. Aber das ist keine vergangene Geschichte. So könnten wir denken. Den Juden wurde das durch die Jahrhunderte vorgeworfen: Sie hätten Gott nicht zugehört und seinen Sohn verworfen. Und die Generationen danach, die Christen – und das ist das Fatale, das Üble, das Böse daran – haben so immer einen Schuldigen gehabt und waren fein raus. „Wir machen so etwas nicht.“ Irrtum! Wir stellen uns von Natur immer noch gegen Gott. Wir sind heute seine Weinbergspächter und er kommt zu uns.
Klar redet Jesus mit seinen Landsleuten. Das sind die, die gerade um ihn herumstehen. Aber uns heute haben die Evangelisten die Geschichte geschrieben, damit wir merken: Wir sind es, zu denen Jesus spricht.
Und er meint gewiss uns, denen Gott die besondere Aufgabe gegeben hat, für seine Gemeinde zu sorgen. Pastoren – Hirten heißen wir, die wir predigen. Ein Gleichnis also zuerst für mich auf der Kanzel. Wir sind ja ein stückweit die Schriftgelehrten unserer Tage. Aber zugleich glaube ich, dass das Gleichnis sich an alle wendet, jeden einzelnen. Spätestens bei dem Gedanken, dass jeder Christ dem anderen auch Priester und Hirte ist, jeder halt mit seinen besonderen Gaben und Aufgaben. Ob wir das Gleichnis so für uns hören können? Es erfordert Mut. Wie antworten wir darauf?
Wir haben einen Vorteil. Wir können über dieses Gespräch hinausblicken. Wir können mehr sehen, als nur dieses eine Gleichnis. Wir wissen, was Jesus tut. Wir kennen die Fortsetzung. Denn Jesus springt für uns ein. Er stellt sich dem Urteil Gottes entgegen und wendet die Folgen von uns ab. Das ist das Wunderbare der Passionsgeschichte, überhaupt der ganze Geschichte Gottes mit uns: Jesus lässt nicht zu, dass die Geschichte so ausgeht, wie er sie im Gleichnis von den Pächtern des Weinbergs selbst erzählt hat.
Dort stirbt der Sohn durch die Hand der Pächter und sein Vater, der Besitzer, rächt sich. Aber Jesus, der Sohn Gottes, ruft: „Stopp. Es soll anders weitergehen.“
„Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Das weiß und sagt schon der Prophet Jesaja (53,5) 500 Jahre zuvor. Gott gibt seinen Sohn. Er lässt ihn sich nicht rauben, wie es hier im Gleichnis geschieht. Er lässt ihn los und gibt ihn für uns. Paulus beschreibt das im 2. Korintherbrief (5,21) auf drastische Weise. Er sagt: „Obwohl Christus ohne jede Sünde war, hat Gott ihm unsere Sünde aufgeladen. Denn durch die Verbindung mit Christus sollen wir an Gottes Gerechtigkeit teilhaben.“ In der Übersetzung von Martin Luther, die ein bisschen schwerer zu hören ist, aber vielleicht sogar etwas deutlicher: „Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Das ist kaum vorstellbar. Im Grunde heißt es: Jesus tritt an die Stelle der bösen Pächter und nimmt die Strafe auf sich, die ihnen gilt. Er tritt für die ein, die sich gegen Gott gestellt haben. Er tritt für uns ein, die wir von Natur aus nicht nach Gottes Reich und nicht nach seiner Herrschaft, seinem Recht fragen. Gottes Liebe durchbricht dieses ganze unheilvolle Geschehen. Er selbst lässt die Geschichte nicht so ausgehen, wie im Gleichnis. Das kostet ihn alles. So groß ist Gottes Liebe, dass er gewissermaßen sich selbst überwindet.
Zurück zum Anfang: „Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.“ Der Punkt aber ist: Das Licht vertreibt immer die Finsternis. Zünde eine Kerze an, und die Finsternis weicht ein Stück zurück. Wenn die Sonne aufgeht, hat das Dunkel der Nacht ausgespielt. Die Nacht kann das Licht nicht aufsaugen. Sie muss dem Licht weichen. Das Böse muss der Liebe Gottes weichen. Das ist Gottes Gesetz.
In einer Welt, in der es zugeht wie in dem Weinberg aus dem Gleichnis, ist das noch längst nicht überall sichtbar. Aber an jeder Stelle, an der Menschen anfangen, Jesus zu vertrauen, an ihn zu glauben, ihm zu folgen, bricht Gottes heller Tag an. Dort wird das Reich Gottes schon sichtbar. Klein manchmal, nur ein Funke, nur wie das Licht einer Kerze. Aber das ist der Anfang des Sonnenaufgangs. Das Böse im Weinberg hat ausgespielt in dem Moment, in dem Jesus durch seinen Tod das Böse besiegt und durch seine Auferstehung das neue Leben schon bringt.
Wir haben noch fünf Wochen Passionszeit, um diesem paradoxen Geheimnis nachzugehen. Und werden wohl unser ganzes Leben dazu brauchen, um auch nur ein Stück davon zu erahnen. Aber mit jedem Tag, mit jedem Blick auf Jesus – auf seinen Tod und auf seine Auferstehung – wird es heller. Wir sind – so schreibt es auch mal Paulus – „Kinder des Lichts und Kinder des Tages“ (1. Thessalonicher 5,5).
Was im Gleichnis und an Karfreitag wie der Sieg des Bösen erscheinen mag – „der Stein, den die Bauleute verworfen haben“ – ist Gottes Sieg, und Jesus ist unser Fundament, der Grund für unser Leben, das Licht der Welt.