Zu Beginn des Gottesdienstes wurde der Wochenspruch Matthäus 11,28 gelesen: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ Vor der Predigt stand die Lesung aus Epheser 2,17–22. Der Gottesdienst eröffnete den Bergmannstag, so dass auch das Lied „Glück auf, der Steiger kommt“ gesungen wurde.
Einladungen und Wünsche – sie kennzeichnen diesen Tag und auch diesen Gottesdienst. „Glück auf“ haben wir gesungen. Hinter diesem Gruß steht ja der Wunsch nach Glück: dass die Arbeit glücken möge und die anstrengende und gefährliche Tätigkeit im Berg gesegnet ist; dass die Bergleute einmal mehr wohlbehalten nach Hause kommen. Der Wunsch nach Glück, nach Gelingen, nach Segen ist ja allen Menschen eigen. Und er wird umso deutlicher, je mehr das Glück sich rarmacht. Wir unterscheiden uns darin nicht von unseren Vorfahren, auch nicht von Menschen in anderen Ländern und Kulturen. Wer möchte nicht glücklich sein, glücklich werden?
Zur Zeit Jesu jedenfalls suchten Menschen auch schon nach ein bisschen Glück. Warum sonst wären sie zu diesem Wundermann gegangen, von dem erzählt wird, dass er Kranke gesund machen kann? Oder warum sonst hätten sie seinen flammenden Reden gelauscht, wenn da nicht auch ein Hoffnungsfunke auf sie übergesprungen wäre: Hoffnung, dass die Besatzung durch die Römer endlich zu Ende geht und Judäa wieder unabhängig wird, Hoffnung, dass die Könige eine gerechte Herrschaft ausüben und Betrug und Verleumdung der Vergangenheit angehören.
In den Kirchen feiern wir den 2. Sonntag nach Trinitatis. Das Besondere gerade dieses Sonntages ist sein Thema. An ihm steht das Glück auf dem kirchlichen Kalender. In einer meiner Materialsammlungen habe ich die Überschrift gelesen „Einladung zum Leben“. Und ein Satz führt diese Überschrift kurz aus: „Wenn wir Gottes Einladung annehmen, gewinnt unser Leben Sinn und kann sich entfalten.“ Das ist, in einem Wort gesagt, doch das Glück, oder? Wenn unser Leben Sinn hat, an Sinn gewinnt und wir uns entfalten können mit unseren Möglichkeiten, Hoffnungen und Träumen, dann ist das doch Glück. Wenn man Menschen fragt, warum sie glücklich oder unglücklich sind, dann kommt man mit Sicherheit auf diesen einen Punkt: entweder sehen sie in ihrem Leben einen Sinn – dann sind sie auch glücklich. Oder sie sehen keinen Sinn in ihrem Dasein. Dann sind sie unglücklich. Wenn aber Glück und Sinn so zusammenhängen, dann stellt sich die Frage: Wie bekommt mein Leben Sinn? Wie bekommt mein Leben einen Inhalt, der mich glücklich macht? Auch nicht neu, diese Frage und Suche.
Die Bibelworte an diesem Sonntag sind eine Einladung zum Leben. So wendet sich Jesus an die Mühseligen und Beladenen. Im Wochenspruch haben wir das schon gehört. Müh-Selig – ein altes Wort, aber ein geniales Wort. Da macht sich einer viel Mühe damit, selig, glücklich zu werden. Und alles, was er erreicht, ist eben eine Müh-Seligkeit, ein Zustand, der nicht hält, der ständig bewacht werden muss. Das Glück, die Seligkeit macht so viel Arbeit, dass man im Grunde doch nicht glücklich ist. Kommt Ihnen das bekannt vor? Abrackern, damit man’s besser hat. Und dann hat man es gar nicht besser, weil jedes erreichte Gut schon wieder streitig gemacht wird – vom Staat mit seinen Steuern, von den Nachbarn mit ihrem Neid, von den Kindern, die sich schon um das Erbe zanken. Mühseliges Glück. Jesus lädt ein, es bei der Suche nach dem Sinn des Lebens, der auch glücklich, ja selig macht, mit ihm zu probieren: Kommt her, ich will euch erquicken. So wie ein Regen die Erde nach langer Trockenheit erquickt; wie eine Dusche oder ein kühles Bier nach harter Arbeit erquickt. Nur: dauerhafter, ohne Streit, ohne Ende. Echtes, unvergängliches Glück. Die Lesung aus dem Epheserbrief, ein Brief aus den Anfangstagen der christlichen Kirche, fasst dieses Glück in ein Bild: Wir werden eingeladen, Gottes Hausgenossen zu sein. Es gibt, so sagt der Brief, ein Zuhause für uns, in dem wir uns wohlfühlen können und in dem wir völlig angenommen sind.
Ich möchte Ihnen aber noch eine dritte Einladung vorstellen, die älteste von den dreien. Ein Prediger, ein Prophet im alten Israel hat sie ausgesprochen. Und so hört sie sich an (Jesaja 55,1–3b): 1 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! 2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. 3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!
Im Stil eines Marktschreiers hat Jesaja diese Einladung Gottes aufgeschrieben. Und dich denke mir, er hat sie in diesem Stil auch unters Volk gebracht – nicht zurückgezogen im Tempel, in der Kirche, sondern auf dem Marktplatz, in den Gassen Jerusalems, im Basar, wo so viele Glücksanbieter tätig sind und man sich mit lauter Stimme durchsetzen muss. Das Erste, was mir bei dieser herausgebrüllten Einladung auffällt, ist eben dieses: Sie wird nicht hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Sie kommt unters Volk. Manchmal sagen Menschen ja, die Kirche soll sich aus der Öffentlichkeit heraushalten. Glauben ist doch Privatsache. Irrtum. Wenn es tatsächlich beim Glauben, bei der Begegnung mit Gott um das Leben schlechthin geht – und das glauben Christen ja nun mal – dann kann das nicht oft genug gesagt werden, öffentlich. Es muss ja nicht immer der Marktschreier sein. Aber ein bisschen mehr Mut zum Wettbewerb – und das sage ich uns Kirchenglieder – der könnte schon sein. Wenn wir ernsthaft glauben, dass wir eine gute Nachricht für unsere Welt haben und dass Gott allen Menschen Leben und Glück und Sinn schenkt, dann ist das doch die beste Botschaft, die es gibt. Sonderangebote und günstige Benzinpreise im Markt sind nichts dagegen. Auch wenn wir die oft eher wahrnehmen als die gute Nachricht.
Das Zweite, das ich bei Jesajas Einladung, die er im Auftrag Gottes ausspricht, beobachte: Er hat sich die Menschen sehr genau angeschaut. „Ihr zählt Geld dar für etwas, das kein Brot ist und sauren Verdienst für etwas, das nicht satt macht.“ Mh, denke ich, Jesaja kannte aber doch noch gar keinen Lebensmittelskandal. Gentechnik und künstliche Aromen und im Labor zusammengebastelte Vitamine waren damals noch gar nicht erfunden. Aber was er sagt, könnte man in mancher Bäckerei oder Metzgerei oder im Gemüseshop auch ausrufen, oder? Tomaten, die nur rot sind aber ohne Geschmack, Brot, das nach einem Tag entweder total trocken schmeckt oder weggeschimmelt ist, Fleisch, das aus kleinsten Teilen neu zusammengeklebt ist – die Reihe ist endlos. Und doch: im Grunde beschreibt er, wie viele ihr Leben so zusammenbasteln. Ihr rennt Angeboten hinterher, die euch nicht glücklich machen werden, so laut und farbig und blumig sie das auch versprechen. Ob das nun Versicherungen sind oder die Lotterie, Wellness ohne Ende oder Flugreisen zum Nulltarif – es macht nicht satt und frisst den sauren Verdienst. Ehrlich: wenn Jesaja mit diesen Worten auf dem Bergmannsfest stünde oder in Zeitz auf dem Roßmarkt oder in Teuchern vor der Eisdiele und die Menschen auch nur halbwegs mit offenem Ohr zuhörten, sie würden ihm alle beipflichten in seiner Beobachtung, oder?
Jesaja blickt genau hin und trifft den Nerv der Zeit mit seiner Beschreibung. Weniger Zustimmung gäbe es vermutlich zu seinem Angebot: Leben – umsonst. Dabei ist nichts im Leben umsonst. Wie sagen manche salopp? Nur der Tod ist umsonst. Und der kostet das Leben. Woran es liegen mag, dass weder Jesaja noch Jesus, weder die ersten Christen noch die Kirche heute so großen Zulauf haben wie mancher Marktschreier, der im Grunde Schrott verkauft? Ich denke es liegt daran, dass wir das Angebot Gottes nicht in unserer Hand haben. Zum einen können wir es uns nicht verdienen, nicht erwerben, nicht kaufen. Es ist ein Geschenk. Das macht es für uns verdächtig. Ich kann mich gut an manche Situation erinnern, bei der ich anderen einen kleinen Gefallen erweisen konnte. Nachbarschaftshilfe. Eine liebe, ältere Dame hat gelegentlich mal ihren Fernseher verstellt – also nicht den Apparat, sondern die Sender mal wieder durcheinander gewürfelt. Ist ja auch mit den modernen Geräten immer verrückter. Da war ich öfter mal dort und hab dem Gerät einfach die Hände aufgelegt – bzw. die richtige Taste an der Fernbedienung gefunden, und alles lief wieder. Aber geschenkt wollte die ältere Dame das nie. Dabei war es ein wirklich einfaches Geschenk, das ich ihr damit machen konnte. Leben, DAS Leben – umsonst? Gibt’s nicht.
Und zum anderen fällt uns der Zugang zu Gott auch nicht so leicht. Denn genau wie das Leben, das er anbietet, ist er selbst auch unverfügbar. Nicht umsonst sprechen wir vom Glauben. Um dieses Glück, das Zuhause, die Seligkeit zu erhalten, brauchen wir Vertrauen, brauchen wir den Glauben an Gott. Das aber fällt uns genauso schwer, wie manches Geschenk anzunehmen, weil wir nicht darüber bestimmen können. Das Leben, das Gott uns schenkt, das Glück, das er uns anbietet, liegt nicht in unserer Verfügungsgewalt. Gott selbst liegt nicht in unserer Verfügungsgewalt. Das macht es uns so schwer. Wir müssen darauf vertrauen, einzig und allein auf seine Einladung, sein Angebot vertrauen, dass er wirklich das Leben für uns hat. Vertrauen, auch ohne dass wir sagen können, wie dieses Leben aussehen soll. Vertrauen, auch wenn wir krank sind und uns manche körperlichen Möglichkeiten fehlen. Vertrauen, obwohl es Krieg und Katastrophen auf dieser Erde gibt. Vertrauen, auch wenn sich andere, kurzfristige Ziele viel leichter erreichen lassen und wenigstens für einen Moment satt machen.
Und in dem Moment wird aus dem Marktschreier wieder ein ganz leiser Bote Gottes, der einlädt, es zu wagen. Das Leben, das Gott uns anbietet, das Glück, zu dem er uns einlädt, ist kein Hab und Gut auf dieser Erde. Es ist himmlisch. Aber es berührt und bestimmt und verändert alles auf dieser Erde für den, der das Vertrauen wagt. Der Sinn liegt nicht in irgendwelchen Zielen auf dieser Erde, die wir mit unseren Möglichkeiten erreichen können. Der Sinn ist es, als Gäste, als Freunde, als Kinder Gottes zu leben und zu entdecken, wie Gott ist. Das kann man wirklich nicht kaufen. Und: man kann sich dafür auch nichts kaufen. Keinen Reichtum, keine Gesundheit, keine Arbeit. Trotzdem, oder gerade deshalb, reicht dieses Leben viel weiter, weil es an den ewigen Gott angebunden ist. Mitten in unserer Welt wird etwas von Gott sichtbar, wenn Menschen ihm vertrauen.
Ich war im März in Erfurt. Da hielt ein junger Mann einen Vortrag über ein Leben ohne Grenzen. Ich hatte vorher schon sein Buch gelesen und war gespannt, ihn kennenzulernen. Er hat mich schwer beeindruckt. Nicht nur mich, sondern viele Menschen: Manager großer Firmen, die hunderte Euro bezahlt haben, um an einem Motivationsseminar mit ihm teilzunehmen und für ihren Beruf neue Kraft und neuen Sinn zu finden. Einfache Leute wie ich, die eine andere Perspektive suchten – und auch gefunden haben, die nach diesem Tag neu motiviert waren. Wir waren beeindruckt, angesteckt von seiner Lebensfreude, erstaunt über seinen Glauben, beschämt von seinem Mut. Denn: dieser junge Mann, Nic Vujicic, hat keine Arme und Beine, von Geburt an. Aber was er im Lauf seiner 29 Jahre entdeckt hat: Er hat ein wunderbares Leben, weil es einen Sinn hat. Und er hat einen wunderbaren Gott, der mit ihm einen so verrückten Weg geht und ihm mehr als alles Glück dieser Erde schenkt. Unglaublich? Aber wahr. Dieser Mensch hat seinen Sinn darin entdeckt, andern zu zeigen, dass jedes Leben absolut lebenswert ist, weil Gott selbst das Leben erfunden und geschenkt hat. Und so erzählt er wie ein Marktschreier davon. Und tröstet andere im stillen Kämmerlein, ohne Scheinwerferlicht, wenn er mit einzelnen intensiver redet und ihnen Mut macht, Gott gegen jeden äußeren Schein zu vertrauen.
„Hört, so werdet ihr leben.“ Das sagt der marktschreiende Prophet Jesaja. „Kommt her, ich will euch erquicken.“ So sagt es Jesus. Und lädt uns ein, glücklich zu werden, weil unser Leben einen Sinn hat. Vielleicht lassen Sie sich die Worte dieser Marktschreier des Lebens ja noch einmal durch den Kopf gehen, wenn Sie selbst wieder auf dem Markt des Lebens unterwegs sind auf der Suche nach dem Glück. Glück auf – und das meint nicht nur einen kurzen Moment im Leben, der jeden Tag neu erkämpft werden muss. Glück auf – dass unser Leben wirklich glücklich werde, weil es einen Sinn hat. Gott schenkt uns das Glück. Er schenkt uns DAS Leben. Amen.