Eine Sym­pho­nie der Gerech­tig­keit Gottes

Pre­digt zu Mat­thä­us 20,1–16

1 Denn das Him­mel­reich gleicht einem Haus­herrn, der früh am Mor­gen aus­ging, um Arbei­ter für sei­nen Wein­berg einzustellen. 

2 Und als er mit den Arbei­tern einig wur­de über einen Sil­ber­gro­schen als Tage­lohn, sand­te er sie in sei­nen Weinberg. 
3 Und er ging aus um die drit­te Stun­de und sah ande­re müßig auf dem Markt stehen
4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Wein­berg; ich will euch geben, was recht ist. 
5 Und sie gin­gen hin. Aber­mals ging er aus um die sechs­te und um die neun­te Stun­de und tat dasselbe. 
6 Um die elf­te Stun­de aber ging er aus und fand ande­re und sprach zu ihnen: Was steht ihr den gan­zen Tag müßig da? 
7 Sie spra­chen zu ihm: Es hat uns nie­mand ein­ge­stellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. 
8 Als es nun Abend wur­de, sprach der Herr des Wein­bergs zu sei­nem Ver­wal­ter: Ruf die Arbei­ter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letz­ten bis zu den ersten. 
9 Da kamen, die um die elf­te Stun­de ein­ge­stellt waren, und jeder emp­fing sei­nen Silbergroschen. 
10 Als aber die Ers­ten kamen, mein­ten sie, sie wür­den mehr emp­fan­gen; und auch sie emp­fin­gen ein jeder sei­nen Silbergroschen.
11 Und als sie den emp­fin­gen, murr­ten sie gegen den Hausherrn 
12 und spra­chen: Die­se Letz­ten haben nur eine Stun­de gear­bei­tet, doch du hast sie uns gleich­ge­stellt, die wir des Tages Last und Hit­ze getra­gen haben. 
13 Er ant­wor­te­te aber und sag­te zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig gewor­den über einen Silbergroschen? 
14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber die­sem Letz­ten das­sel­be geben wie dir. 
15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? 
16 So wer­den die Letz­ten die Ers­ten und die Ers­ten die Letz­ten sein.

Leo­nard Bern­stein betritt den gro­ßen Musik­ver­eins­saal in Wien. Die Phil­har­mo­ni­ker haben die Instru­men­te gestimmt und erwar­ten einen der größ­ten Diri­gen­ten der Welt. Auf dem Pro­gramm steht die 9. Sym­pho­nie von Anton Bruck­ner. Der Maes­tro führt das Orches­ter durch alle Höhen und Tie­fen. Es stürmt und braust, es umschmei­chelt die Ohren, sanft und zart. Das schwe­re Blech erhebt sich kraft­voll. Die Strei­cher arbei­ten sich an ihren Sai­ten ab, die Flö­ten über­flie­gen den Grund­klang. Und immer wie­der schwenkt die Kame­ra zum Diri­gen­ten, der alles im Griff hat, es mag noch so chao­tisch wir­ken und kaum zu bän­di­gen sein, was dort im Noten­ge­wim­mel über- und durch­ein­an­der notiert ist.

Eine Sym­pho­nie ist ein gewal­ti­ges Stück Arbeit. Und sie ist so, wie sie ist, von einem genia­len Geist zu Papier gebracht. Vom ers­ten bis zum letz­ten Ton ein Gesamt­werk, nur einem ver­ant­wort­lich: sei­nem Schöpfer.

Nein, das wird kei­ne Musik-Vor­le­sung. Musik muss man hören – oder sel­ber machen. Aber ein eigen­ar­ti­ges klei­nes Wort im Gleich­nis von den Arbei­tern im Wein­berg ließ mich an eine Sym­pho­nie denken.

Der Haus­herr näm­lich ist auch ein Sym­pho­ni­ker. Oder viel­leicht bes­ser gesagt: Jesus kom­po­niert eine Geschich­te, in der wie in einer Sym­pho­nie vie­les anklingt, zusam­men­klingt und dar­aus ein span­nen­des Werk wird. Das Gleich­nis ist eine „Sym­pho­nie der Gerech­tig­keit Gottes“.
Gleich am Anfang, als der Haus­herr zu Tages­be­ginn die ers­ten Arbei­ter für sei­nen Wein­berg ver­pflich­tet, einigt er sich mit ihnen auf den Lohn der Arbeit: einen Sil­ber­gro­schen. Und dort spricht Jesus von der Sym­pho­nie. Der Haus­herr und die Tage­löh­ner, die Arbei­ter tref­fen sich in einem Ton, in einem Klang. „Sym­pho­neo“ heißt das grie­chi­sche Wort für die Einigung.
Alle Stim­men, die im Gespräch über den Arbeits­lohn mit­re­den, kom­men zusam­men und fin­den den einen Ziel­ton: „Ein Sil­ber­gro­schen, ja, dar­auf ver­stän­di­gen wir uns. Wir sind mit­ein­an­der im Ein­klang über die­sen Lohn.“ Die Arbei­ter wer­den es nicht so gestelzt gesagt haben. Aber mir ging von die­sem Moment an die Sym­pho­nie nicht mehr aus dem Kopf.

Wie in einer sym­pho­ni­schen Dich­tung schrei­tet das Gleich­nis vor­an. Die ers­ten, schon früh am Mor­gen, zie­hen los in den Wein­berg. Es gibt viel zu tun. Im Mor­gen­grau­en, noch von der Küh­le des neu­en Tages umge­ben, fan­gen sie an, sind vol­ler Elan. Sie haben Arbeit. Tage­löh­ner müs­sen sich jeden Tag etwas Neu­es suchen, wie der Name schon sagt. Sie sind froh, dass einer sie gefun­den hat und ein­ge­stellt für die­sen Tag, für fes­tes, gutes Geld. Der Tag plät­schert dahin. Es gibt noch viel mehr zu tun. Der Haus­herr ist drei Stun­den spä­ter wie­der am Markt. Müßig ste­hen dort eini­ge. Er kann sie brau­chen. „Arbei­tet für mich und ich wer­de zah­len, was recht ist!“ Auch um die sechs­te Stun­de, also gegen Mit­tag, und am Nach­mit­tag fin­det der Wein­bergs­be­sit­zer noch Arbeits­lo­se. Sie sind schon müde und matt vom Her­um­ste­hen. Es ist heiß. Und dass nie­mand sie bis­her zur Arbeit brau­chen konn­te, drückt auf die Stim­mung. Was wird da im Wein­berg los sein, wenn der Besit­zer immer noch Leu­te braucht? Gegen Abend, nach einem lan­gen Tag dreht er gar eine letz­te Run­de. Und immer noch fin­den sich wel­che, die er brau­chen kann.

Den gan­zen Tag über waren Men­schen eif­rig am Werk im Wein­berg des Herrn. Wel­che Sym­pho­nie mag das gewe­sen sein? Welch Zusam­men­klang aus dem Schla­gen und Schar­ren der Hacken, dem Zischen der Mes­ser, den Rufen der Arbei­ter. Viel­leicht hat einer ein Lied ange­stimmt und ande­re haben mit­ge­sun­gen. Kom­man­dos schal­len. Dann wie­der schla­gen die Hacken. Viel­leicht pras­selt ein Feu­er, weil dür­re Zwei­ge gleich ver­brannt wer­den. Womög­lich lässt der Besit­zer des Wein­bergs auch Fleisch bra­ten für sei­ne Arbei­ter. Der Duft lässt man­chen ein „Ah“ aus­ru­fen, man hört Schmat­zen. Viel­leicht ent­weicht auch mal ein Bäu­er­chen, das darf sein.

Der Abend ist da. Er brach­te nicht nur noch ein­mal fri­sche Kräf­te vom Markt. Nein, jetzt ist auch die Stun­de der Beloh­nung gekom­men. Fröh­li­ches Mur­meln. Die zuletzt kamen, bekom­men zuerst ihren Lohn. Das mag eigen­ar­tig sein, aber so hat es der Wein­bergs­eig­ner ange­ord­net. Haupt­sa­che jeder bekommt, was ihm zusteht.
Ers­tes Rau­nen macht sich breit. Die nur eine Stun­de gear­bei­tet haben, erhal­ten einen Sil­ber­gro­schen. Da machen sich die­je­ni­gen, die schon früh dabei waren, Hoff­nung auf mehr. Sie haben schließ­lich den gan­zen Tag hier ver­bracht. Bei güns­tigs­ter Pro­gno­se wäre das elf­mal so viel Lohn.

Und dann die­se Dis­so­nanz, die­ser Miss­klang in der Sym­pho­nie. Die am längs­ten gear­bei­tet haben erhal­ten den glei­chen Lohn wie die­je­ni­gen, die zuletzt noch kamen, um gera­de ein­mal die letz­ten tro­cke­nen Rei­ser ein­zu­sam­meln und beim Auf­räu­men zu hel­fen. Das kann doch nicht wahr sein. Die Sym­pho­nie geht auf ein dra­ma­ti­sches Ende zu.

Wäh­rend ich schrei­be, lau­fen ein paar Tak­te von Bruck­ners 9. Sym­pho­nie. Ich muss­te sie in der Abitur­prü­fung ana­ly­sie­ren. Eine span­nen­de Auf­ga­be. Mich hat dabei immer das Blech beein­druckt. Da ducken sich alle ande­ren weg, wenn Trom­pe­ten und Hör­ner und Posau­nen und Tuben los­le­gen. Und die hat Bruck­ner wahr­lich gewal­tig besetzt: acht Hör­ner, vier Wag­ner-Tuben, drei Trom­pe­ten, drei Posau­nen, Kon­tra­bass­tu­ba. Das Blech ist der Gewin­ner. Wenn die sol­len, dann knallt es rich­tig im Orchester.

Und so ähn­lich dürf­te es im Wein­berg geknallt haben. Der Auf­stand der Flei­ßi­gen schwillt an zu einem gro­ßen Mur­ren. „Wie kannst du nur? Wir haben alles hier erle­digt von Anfang an. Wir haben die Mit­tags­hit­ze aus­ge­hal­ten. Wir haben durch­ge­hal­ten, da waren ande­re noch gar nicht hier. Und du ent­hältst uns den gerech­ten Lohn vor?“ Jede Gewerk­schaft wür­de sich auf ihre Sei­te stel­len. Und irgend­wie steht unser Herz wohl auch auf der Sei­te derer, die so flei­ßig waren.
Aber – es ist nicht unse­rer Sym­pho­nie. Der die Par­ti­tur geschrie­ben hat, ist allein Herr des Gesche­hens, auch hier. Und der lässt sich das Heft, den Takt­stock nicht aus der Hand neh­men. Eins müs­sen Orches­ter­mu­si­ker wis­sen, müs­sen alle Musi­ker, die mit­ein­an­der musi­zie­ren, wis­sen: Es geht nach den Noten und allein nach dem, der vor­ne steht. Gewiss: Pro­fi­mu­si­ker und genau­so Lai­en, die zusam­men­spie­len, reden mit­ein­an­der, tau­schen Mei­nun­gen und Emp­fin­dun­gen aus. Aber die letz­te Ent­schei­dung trifft der Diri­gent. Die ers­te Ver­pflich­tung gilt der Par­ti­tur, der Notenschrift.

Ist das unge­recht? Im Orches­ter ent­schei­det die Aus­rich­tung auf den Diri­gen­ten dar­über, ob eine Auf­füh­rung gelingt oder nicht. Dar­auf haben sich alle zu Beginn ihrer Tätig­keit geei­nigt, haben sich auf die­se Sym­pho­nie, die­sen Zusam­men­klang oder Ein­klang eingelassen.
Das führt der Wein­bergs­be­sit­zer auch an: „Freund, wir haben uns geei­nigt. Am Anfang des Tages spiel­ten schon alle in der glei­chen Sym­pho­nie mit. Und im Lauf des Tages sind noch etli­che Stim­men hin­zu­ge­kom­men. Aber alle in einer Sym­pho­nie, alle haben sich auf den einen Klang geeinigt.“
Es ver­wirrt uns aber immer noch. Oder? Beim Arbeits­lohn hört die Freund­schaft auf. Und wir stut­zen: Moment, das ist ja gar kei­ne Arbeits­kampf­ge­schich­te. Das Gan­ze soll­te doch ein Gleich­nis sein.

„Mit dem Him­mel­reich ist es wie …“ – so fan­gen die Gleich­nis­se meis­tens an. Ist das der Himmel?

Wir müs­sen noch ein­mal zurück in unse­rer Sym­pho­nie. In den zwei­ten Satz qua­si, der zur drit­ten Stun­de spielt. Der Haus­herr hat schon die ers­ten Arbei­ter gewon­nen und los­ge­schickt – für einen Sil­ber­gro­schen Tages­lohn. Und nun beauf­tragt er die zwei­te Grup­pe um die drit­te Tages­stun­de her­um, also gegen 9 Uhr nach unse­rer Zeit.
Ein klei­nes Wort ent­schei­det dort über das gan­ze Gleich­nis: „Ich will euch geben, was recht ist“, sagt der Arbeit­ge­ber. Was aber ist recht? Was meint die­ses „recht“. Das grie­chi­sche Wort macht hell­hö­rig: „dikai­os“ steht dort. Was hier mit „recht“ über­setzt wird, heißt an ande­rer Stel­le auch „gerecht“. Und das lässt auf­mer­ken. Die Gerech­ten in der Bibel, das sind die­je­ni­gen, die in Got­tes Augen recht sind. Gerech­tig­keit ist das, was Gott einem Men­schen zuspricht, ihm zueignet.

Mar­tin Luther ist über die­se Gerech­tig­keit zuerst erschro­cken und gestol­pert: Wenn Gott nach mei­ner Gerech­tig­keit schaut, dann sieht es schlecht aus mit mir. Vor Gott bin ich nicht recht, nie­mals. Aus eige­nen Stü­cken, mit noch so vie­len Taten und guten Wer­ken, mit noch so viel Buß­leis­tun­gen wie Fas­ten oder Almo­sen geben oder auch Selbst­kas­tei­un­gen wer­de ich doch nie­mals in Got­tes Augen gerecht. Da lag er, der arme Mönch aus Wit­ten­berg und kam nicht wei­ter. Er war genau­so gestol­pert wie die Arbei­ter im Wein­berg, die dach­ten, sie hät­ten das Recht, die Gerech­tig­keit verstanden.
Und dann kam ihm die Erkennt­nis: Es geht nicht um mein Ver­ständ­nis von ere­ch­tig­keit. Es geht nicht dar­um, dass ich vor Gott um mein Recht kämp­fe und es mir erwer­be. Gott spricht mir das Recht zu. „Ich will euch geben, was recht ist“, lässt es Jesus im Gleich­nis vom Him­mel­reich erklin­gen. Und er gibt allen. Er erweist sich als gütig und barm­her­zig, als reich gegen­über jeder­mann. Gott schenkt sei­ne Gerech­tig­keit jedem, der zu ihm kommt.
Der Tage­löh­ner, der mor­gens schon der Ers­te ist im Wein­berg, bekommt, was er zum Leben braucht. Nicht weni­ger. Er bekommt das Leben! Der Tage­löh­ner, der erst abends dazu stößt, bekommt genau­so, was er zum Leben braucht. Er erhält genau­so das Leben, das vol­le Leben geschenkt.

Das ist wie in einer Sym­pho­nie, wie in der Auf­füh­rung eines Wer­kes, an dem vie­le mit­wir­ken. Am Ende bekom­men alle den gan­zen Applaus. Die Musi­ker, die vor allem Pau­sen zäh­len muss­ten und dann ein paar bril­lan­te Stel­len hat­ten genau­so wie die Strei­cher, die sich zumeist ja durch­ge­hend abra­ckern müs­sen und ein­deu­tig die meis­ten Noten zu spie­len haben. Alle zusam­men haben sie zum Gelin­gen des Werks bei­getra­gen und alle zusam­men bekom­men sie den Lohn des Publikums.
Ja – das Bei­spiel hinkt, wie auch ein Gleich­nis nicht bis in alle Details hin­ein aus­ge­dehnt wer­den darf. Natür­lich bekommt die eine oder ande­re Grup­pe oder gar ein Solist auch ein­mal mehr Applaus. Aber der Gesamt­ein­druck wird nur von allen gemein­sam erschaffen.

Im Reich Got­tes, im Him­mel­reich wird nicht nach Leis­tung abge­rech­net. Alle bekom­men das vol­le Leben geschenkt. Alle sind Teil des gro­ßen gan­zen Kunst­wer­kes. Alle bekom­men die vol­le Gerech­tig­keit von Gott zugesprochen.
Das fällt uns auch inner­halb der Gemein­de manch­mal schwer zu ver­ste­hen. „Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?“ Ja, das tun wir manch­mal. Statt uns zu freu­en, dass ein Mensch von Got­tes Lie­be ange­steckt ist, dass ihm ein viel­leicht ein­ma­li­ges Lob Got­tes über die Lip­pen kommt, zäh­len wir, was sonst noch alles zu fin­den ist bei ihm oder ihr. Und wenn die Sum­me nicht stimmt, dann fan­gen wir an zu fra­gen, zu mur­ren, scheel drein­zu­se­hen. Dabei ver­ges­sen wir, dass wir doch mit Gott über unser Leben über­ein­stim­men, in Ein­klang gekom­men sind. Wir haben der Sym­pho­nie des Rei­ches Got­tes und unse­rer Lebens­sym­pho­nie doch zuge­stimmt. Und ver­ges­sen es so leicht wieder.

In die­sen Tagen, in denen gera­de in unse­ren gro­ßen Städ­ten wie auch im klei­nen Trög­litz so viel von Gerech­tig­keit und Unge­rech­tig­keit die Rede ist, macht mich die­ses Gleich­nis beson­ders nach­denk­lich. Laut kom­men die Paro­len daher, die sich auf unse­re Leis­tung beru­fen: wie wir die­ses Land auf­ge­baut haben, was wir alles erwirt­schaf­tet haben. Die Ren­te wird ange­führt, die wir uns ehr­lich ver­dient haben. Das Häus­chen, das Eigen­tum, die Sozi­al­leis­tun­gen, die uns zuste­hen, alles wird aufgeführt.
Und dann gibt es wel­che, die das strei­tig machen. Die ein­fach kom­men – ob als Kriegs­flücht­ling, als Asyl­su­chen­der, als einer, der hier ein bes­se­res Leben zu erlan­gen sucht – und uns alles wegnehmen.

Gewiss kann man die­ses Gleich­nis nicht rück­über­tra­gen in den poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen All­tag. Es dient gewiss nicht als Ver­hand­lungs­grund­la­ge für das Gespräch, weder wenn es um Asyl­be­wer­ber geht, noch im Streit zwi­schen Gewerk­schaf­ten und Arbeit­ge­bern. Aber muss es uns als Chris­ten nicht nach­denk­lich machen gera­de in die­sen Fra­gen, die so inten­siv zur Dis­kus­si­on gestellt wer­den wie schon lan­ge nicht mehr? Und die die Gesell­schaft – auch inner­halb der Kir­che – zu spal­ten drohen?

Ist es wirk­lich unser Recht, auf unse­re Errun­gen­schaf­ten und Leis­tun­gen zu pochen und sie nicht mit denen zu tei­len, denen alles zum Leben fehlt?Vielleicht ver­ges­sen wir dabei, dass uns selbst doch alles geschenkt wur­de, was wir heu­te haben.
Ich sage bewusst geschenkt, auch wenn ich sehr wohl weiß, wie viel har­te und ehren­wer­te, bewun­derns­wer­te Arbeit dahin­ter steht und wie hart so man­cher auch nur um ein Stück­chen Lebens­qua­li­tät rin­gen muss­te und immer noch muss. Den­noch — geschenkt: Zuerst ein­mal das Leben und alle Gesund­heit und Schaf­fens­kraft. Dass es uns gibt, war nicht unser Ent­schluss. Dass wir die ers­ten Lebens­jah­re über­stan­den haben, war nicht unse­re Leis­tung. Dass wir im Wes­ten – ich muss das als West­deut­scher so sagen – nicht ent­eig­net wur­den und das Wirt­schafts­wun­der aktiv gestal­ten und genie­ßen konn­ten – ein Geschenk. Dass 1989 die Dik­ta­tur im Osten nicht fort­ge­setzt wur­de und kei­ne Waf­fen gegen das Volk ein­ge­setzt wur­den wie noch Tage und Jah­re zuvor etwa an der inner­deut­schen Gren­ze und heu­te noch zum Bei­spiel in Chi­na oder Nord­ko­rea – ein Geschenk. Dass einer ein Leben lang genug Arbeits­kraft hat und damit auch etwas anzu­fan­gen weiß – ein Geschenk. Dass einer nicht schon mit 30 durch einen Schlag­an­fall umge­wor­fen und aus der Bahn gewor­fen wird – ein Geschenk. Dass wir in Mit­tel­eu­ro­pa leben, wo es kei­ne Wüs­te, kei­nen uner­träg­li­chen Dau­er­frost, kei­ne end­lo­se Tro­cken­heit gibt – ein Geschenk. Dass wir in einer Demo­kra­tie leben – mit all ihren Macken zwar, aber frei und wohl­be­hü­tet und ver­sorgt – ein Geschenk.

Kann man allen erns­tes scheel dar­auf sehen, dass Güte und Barm­her­zig­keit ande­ren Men­schen wie­der­fährt? Muss es uns nicht im Gegen­teil freu­en, dass ande­re die Chan­ce zum Leben erhal­ten? Wir sind Teil der gro­ßen Sym­pho­nie Got­tes, die­ser Sym­pho­nie sei­ner Gerech­tig­keit, sei­nes Him­mel­rei­ches. Und wir sind es, weil Gott selbst uns dort hin­ein­ge­nom­men hat, weil er uns dar­in haben will. Dar­über kön­nen wir uns zual­ler­erst freuen.

Und dann kön­nen wir dar­über fröh­lich wer­den, wo ande­re auch einen Platz in die­ser Sym­pho­nie fin­den. Denn Gott macht die Tore nicht dicht, er schaut immer wie­der auf dem Markt­platz des Lebens nach, wen er noch ein­la­den kann. Ja,  mehr noch: Er schickt uns als sei­ne Haus­hof­meis­ter, als sei­ne Haus­hal­ter los, Men­schen ein­zu­la­den und ihnen die Gerech­tig­keit, die Güte und Barm­her­zig­keit ent­ge­gen­zu­brin­gen, die Gott uns schon ent­ge­gen­ge­bracht hat. Dabei schau­en wir nicht danach, was einer mit­bringt, wie inten­siv er sich schon enga­giert, wie lan­ge er schon dabei ist. Wir tei­len Wür­de und Ach­tung nicht nach Vor­leis­tun­gen zu son­dern gehen allein davon aus, wie Gott einen Men­schen ansieht. Und das gilt inner­halb und außer­halb der christ­li­chen Gemeinschaft.

Der Lohn, der uns erwar­tet, ist das Leben selbst – und das ist unteil­bar und nicht verhandelbar.
Amen.

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