Gedanken zum Letzten Sonntag im Kirchenjahr — Ewigkeitssonntag.
Anregungen dazu kommen aus dem Predigttext für den Sonntag – Markus 13,28–37 –
und aus dem Lied “Der Himmel, der ist” (Ev. Gesangbuch Nr. 153)
Der Himmel, der kommt
Ewigkeitssonntag. Das Ziel ist im Blick. „Der Himmel, der ist, ist nicht der Himmel, der kommt, wenn einst Himmel und Erde vergehen.“
Wir haben ein Jahr hinter uns, das uns erschreckt hat. Halbwegs sind wir aus der Pandemie rausgekommen. Naja, nicht so wirklich. Mancher musste seinen Urlaub streichen, auf den er sich gefreut hatte, weil noch strenge Corona-Regeln galten. Am 24. Februar begann Russland seinen Krieg gegen die Ukraine und die Welt hält seitdem den Atem an, weil immer wieder neue Übergriffe stattfinden. Kaum ging den Montagsspaziergängern das Corona-Thema ein wenig aus, hatten sie damit auch ein neues auf ihren Bannern. Und mit der zweiten Jahreshälfte kam die Teuerung ins Land. Ich glaube, davor fürchten sich die meisten hier mehr als vor dem Krieg, auch wenn der seine bedrohlichen Ausläufer immer wieder Richtung Westen schickt. Ach – die Klimakrise ist auch noch da und an dem Punkt ist auch überhaupt nichts besser geworden.
Warum heute diese Erinnerung und nicht erst an Silvester, wo es doch sonst Zeit für Jahresrückblicke ist? Es liegt an Markus und den Worten Jesu, die er überliefert hat: „Himmel und Erde werden vergehen.“ (Markus 13,31)
Was da so kurz in unserem kleinen Abschnitt steht, hat eine lange Vorgeschichte. Denn Jesus redet mit seinen Jüngern schon eine Weile über kommende Zeiten. Nur ein paar Schlagworte daraus: Krieg und Kriegsgeschrei, Greuel der Verwüstung, ein Volk kämpft gegen das andere, Verfolgung der Christen, Flucht und Vertreibung, eine Bedrängnis, wie sie noch nie gewesen ist. „Jesu Rede über die Endzeit“ überschreibt die Lutherbibel dieses 13. Kapitel bei Markus. Es sind längst nicht mehr nur christliche Sekten oder Splittergruppen, die diese Bilder Jesu Eins zu Eins in unsere Zeit übersetzen.
Wir leben, als ob es immer so weiterginge. Und plötzlich wird uns durch eine Pandemie, durch einen nahen Krieg und durch die Klimakatastrophe ein Riegel vorgeschoben. Geht es nicht mehr so weiter, wie bisher?
Jesus redet ganz klar von einem Ziel für diese Welt und für uns. Der Weg dorthin hat seine ganz verschiedenen Stationen und Zeichen, schmerzliche Zeichen.
Ewigkeitssonntag. Das Ziel ist im Blick. Und es ist wichtig, dass wir über all den Ereignissen, die uns geradezu überfallen haben, nicht erschrocken stehen bleiben, sondern schauen, was sich dahinter verbirgt. „Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr, wenn die Herren der Erde gegangen.“
Wir haben heute das Gefühl, dass die Despoten dieser Welt das Sagen haben: Putin, Xi Jingpin, Kim Jong-un, die Herrscher und Anführer in islamistischen Staaten und Gruppierungen und andere. Aber auch so schräge (Ex-)Präsidenten demokratischer Staaten wie Trump machen uns Angst. Zu viel Macht haben die, die sich keiner höheren Macht mehr beugen. Was können wir dem entgegensetzen? Den Machthabern und der Angst, die sie uns einjagen? Es war ein späterer Bundespräsident, der beim Kirchentag in Essen 1950 sagte (Quelle für das Zitat am Ende des Beitrages):
Lasst uns der Welt antworten, wenn sie uns furchtsam machen will:
Eure Herren gehen, unser Herr aber kommt!
Die Worte hat Gustav Heinemann ausgesprochen – Rechtsanwalt, vierzehn Jahre lange Vorsitzender des CVJM (1936–1950), aktiv in der Bekennenden Kirche und manches mehr. Zurzeit des Kirchentages in Essen – fünf Jahre nach Ende der Naziherrschaft – war er Bundesinnenminister.
Den Blick aufs Ziel richten heißt nicht, irgendetwas Utopisches anschauen. Wir sollen uns nicht in Phantastereien verlieren und genauso wenig in Sorgen verrennen. Unser Ziel, unsere Hoffnung und Zukunft ist Jesus Christus. Auch wenn uns dieser Glaube das ganze Jahr über begleitet – am Ewigkeitssonntag, heute wird uns das noch einmal deutlich gesagt. Und das ist auch wichtig. Denn wir werden leicht müde bei all den schlechten Nachrichten. Und bei der langen Wartezeit. Hat nicht Jesus vor zweitausend Jahren schon gesagt, dass er wiederkommen wird? Mir fällt es manchmal schwer, so hoffnungsvoll abzuwarten. Wir drehen hier unsere Runden – und scheinbar passiert nichts.
Ist jemand hier ein Langstreckenläufer? Ich musste an die Zehntausendmeterläufer denken. Die drehen 25 Runden im Stadion, sie laufen 24 Mal über die Ziellinie hinweg, bevor sie dann endlich am Ziel sind. Mir haben als Schüler schon die zweieinhalb Runden gereicht beim Tausendmeterlauf. Die lange Distanz schafft einer nur, wenn er nicht die scheinbar vergeblichen Runden zählt, sondern wenn er das Ziel fest vor Augen hat: Gottes Ewigkeit, seine Herrlichkeit.
Deswegen sagt Jesus: „Seht euch vor, wachet!“ Behaltet euer Ziel fest im Blick. Und wenn es euch entschwunden ist, dann schaut wieder danach. Sucht. Fragt. Lest mal nach. Singt davon.
„Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid, wo Gewalttat und Elend besiegt wird.“ Gott wird abwischen alle Tränen. Er wird mit uns zelten in der neuen, herrlichen Stadt Jerusalem. So beschreibt es die Offenbarung des Johannes (Offenbarung 21). Leid und Schmerz und Tod gibt es dann nicht mehr. Alles wird neu werden. Gott selbst macht alles neu – nicht die Herren dieser Welt, aber auch nicht wir als Gottes Kinder. Er selbst packt an und schafft dieses Neue. Das ist das Ziel! „Der Himmel, der kommt, das ist die fröhliche Stadt, und der Gott mit dem Antlitz des Menschen.“
Der Gott mit dem Antlitz des Menschen – das ist Jesus. In dem Gleichnis aus unserem kleinen Abschnitt von Markus ist es der Herr, der über Land ist. Und der wird wiederkommen. Das ist so gewiss, wie das Amen in der Kirche.
Ist uns das so gewiss? Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas erinnern uns daran mit diesen Bildern vom Feigenbaum, der aufblüht, mit den Schreckensbildern und den hoffnungsvollen Ausblicken. Paulus hält diese Hoffnung wach in seinen Briefen und die Offenbarung malt ein riesiges, fantastisches Gemälde von kommenden Zeiten und von Gottes neuer Welt.
Diese Bilder brauchen wir. Die Erinnerung daran ist dringend nötig. Denn vom Ziel her gedacht leben wir anders. „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.“ Die Langstreckenläufer habe ich schon erwähnt. Die haben das Ziel im Blick und nicht die Strapazen der 25 Runden oder gar der 42 Kilometer beim Marathon.
Ich muss gerade schmunzeln. Denn in einem anderen Bereich wird es auch besser und wir kommen besser an, wenn wir das Ziel in den Blick nehmen: beim Gesang. Wenn wir in der Kantorei proben, dann kann man schon darauf wetten, dass eine ganz bestimmte Erinnerung, ja Mahnung kommen wird. Der Kantor ruft es immer wieder ins Gedächtnis: Um einen bestimmten Ton oder Klang zu erreichen, müssen wir schon wissen, wie es klingen wird, bevor wir einen Ton überhaupt singen. Schon beim Einatmen für den nächsten Abschnitt müssen wir wissen, wie der Ton klingt, den wir erst noch singen werden. Das Ziel im Blick verändert das Leben jetzt. Es verändert den Klang unseres Lebens. Die Liebe verändert das Leben!
Dabei sind wir keine Träumer, die doch keine Möglichkeiten haben. Mich hat bei den Worten, die Markus von Jesus notiert hat, eins überrascht. Seine Kollegen schreiben das nämlich nicht. Der Hausherr, der über Land ist, gibt seinen Knechten „Vollmacht“. Und gemeint ist die Vollmacht, mit der Jesus als Sohn Gottes auf dieser Welt handelt und in der Christen als seine Jüngerinnen und Jünger handeln. Vollmacht, die sich auf Gottes Macht gründet. Jesus vertraut uns mehr an als nur Möglichkeiten, als Gelegenheiten. Er gibt uns Gottes Vollmacht, in der wir handeln können. Das ist schon ziemlich fantastisch — und fast schon wieder zum Erschrecken. Was, wenn wir auf Gottes Macht wirklich zugreifen würden? Wobei diese Macht anders ist, als wir es im ersten Moment vielleicht denken. Die Macht Gottes ist seine Liebe. Durch die Liebe wirkt Gott. Sie ist die stärkste Kraft.
Für unsere Zeit auf der Erde, für Runde Drei oder Elf oder Dreiundzwanzig, die wir auf dem Weg zum Ziel durch unsere Jahre drehen, gibt Gott selbst uns die Kraft. Er gibt uns die Ausdauer. Er hält die Hoffnung in uns wach. Er zeigt uns immer wieder das Ziel auf: Leben in seiner Herrlichkeit, Leben in seiner Gegenwart, Leben in seiner neuen Welt in tiefer Gemeinschaft mit ihm und untereinander.
Auf dem Weg haben wir zu tun: Der Herr „gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit.“ Achtet aufeinander und nehmt euch gegenseitig mit auf dem Weg in Gottes Zukunft hinein. Lasst keinen zurück. Ladet andere ein, die das noch nicht wissen. Und bleibt wachsam, wie der Türhüter die Augen offenhält. Wachsam gegenüber den Irreführungen der Welt gegenüber. Wachsam gegenüber den Angstmachern. Wachsam gegenüber denen, die falsche Sicherheiten und falsches Glück verkaufen. Bleibt wach gegenüber Gottes Wort, damit ihr es hört und nicht verpasst. „Eure Herren gehen, unser Herr aber kommt!“ „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.“
Quelle für das Heinemann-Zitat:
Gustav W. Heinemann, Glaubensfreiheit – Bürgerfreiheit. Reden und Aufsätze Kirche – Staat – Gesellschaft 1945–1975, hrsg. v. Dieter Koch, München: Chr. Kaiser 21990, S. 66–68.
Gefunden bei: https://jochenteuffel.com/2019/01/05/lasst-uns-der-welt-antworten-wenn-sie-uns-furchtsam-machen-will-eure-herren-gehen-unser-herr-aber-kommt-gustav-heinemanns-rede-auf-dem-essener-kirchentag-1950-vollstaendiger-text/