Brich dem Hung­ri­gen dein Brot

Kurz­an­spra­che zum Frie­dens­ge­bet am 8. März
in der Burtschüt­zer Kir­che in Tröglitz

Dem Frie­dens­ge­bet und der Kurz­an­spra­che ging die Lesung aus dem Pro­phe­ten Jesa­ja voraus:

Jesa­ja 58,7–10 

7 Brich dem Hung­ri­gen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, füh­re ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so klei­de ihn, und ent­zieh dich nicht dei­nem Fleisch und Blut! 8 Dann wird dein Licht her­vor­bre­chen wie die Mor­gen­rö­te, und dei­ne Hei­lung wird schnell vor­an­schrei­ten, und dei­ne Gerech­tig­keit wird vor dir her­ge­hen, und die Herr­lich­keit des HERRN wird dei­nen Zug beschlie­ßen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir ant­wor­ten. Wenn du schreist, wird er sagen:Siehe, hier bin ich. Wenn du in dei­ner Mit­te nie­mand unter­jochst und nicht mit Fin­gern zeigst und nicht übel redest, 10 son­dern den Hung­ri­gen dein Herz fin­den lässt und den Elen­den sät­tigst, dann wird dein Licht in der Fins­ter­nis auf­ge­hen, und dein Dun­kel wird sein wie der Mittag.

 

Heu­te ist Frau­en­tag. Aber wuss­ten Sie auch, dass heu­te der Tag des Kor­rek­tur­le­sens ist? Das Datum geht auf den Geburts­tag der Mut­ter von Judy Bea­ver zurück, die es lieb­te, Leu­te bezüg­lich ihrer Recht­schrei­bung zu kor­ri­gie­ren. Judy Bea­ver hat den Tag 2011 ins Leben gerufen.

Sie wun­dern sich viel­leicht über die­se eigen­ar­ti­ge und kurio­se Anmer­kung. Aber als mir mei­ne Frau das sag­te – ich hat­te ihr gera­de das Lied­blatt für heu­te Abend gege­ben, weil sie den Druck­job über­nom­men hat – kam mir der Gedan­ke an die­sen kurio­sen Gedenk­tag sehr pas­send vor. Denn irgend­wie geht es heu­te um Feh­ler­kor­rek­tu­ren. Gewal­tig dane­ben geht so Eini­ges in unse­rem Land. Und hier in Trög­litz ist etwas in der letz­ten Woche so fürch­ter­lich falsch gewor­den, dass wir dar­un­ter lei­den, rat­los sind, vol­ler Zorn und Ohn­macht zugleich. Ein ehren­amt­li­cher Orts­bür­ger­meis­ter ist von sei­nem Amt zurück­ge­tre­ten. Er hat sich dafür ein­ge­setzt, in der Fra­ge der Unter­brin­gung von Asyl­be­wer­bern die Mensch­lich­keit vor­ne­an zu stel­len. Not zu lin­dern und Not­lei­den­de auf­zu­fan­gen ist die aller­ers­te Men­schen­pflicht – und Chris­ten­pflicht sowieso.

Mar­kus Nierth hat sich für die Wer­te stark gemacht, die vor zwei­ein­halb Tau­send Jah­ren der Pro­phet Jesa­ja ein­ge­for­dert hat. Er hat sie nicht in die­ser Schär­fe for­mu­liert – aber die Grund­wer­te, die Jesa­ja aus­spricht, gel­ten heu­te immer noch: Mit dem Hung­ri­gen Brot zu tei­len, Elen­den ohne Obdach ein Dach über dem Kopf anzu­bie­ten, Mit­tel­lo­sen Klei­dung zur Ver­fü­gung zu stel­len. „Ent­zieh dich nicht dei­nem Fleisch und Blut.“ Das ist das Kern­wort in die­sem Vers, das wir heu­te neu zu hören haben.

Denn das Fleisch und Blut, dem wir Heu­ti­gen uns nicht ent­zie­hen sol­len, das wir nicht links lie­gen las­sen sol­len, unbe­ach­tet, im Gra­ben, an unse­ren EU-Außen­gren­zen, sind nach dem Ver­ständ­nis des christ­li­chen Glau­bens alle Men­schen – egal wel­cher Her­kunft, egal wel­cher Haut­far­be, wel­cher sozia­len Schicht oder was sonst ger­ne als Kri­te­ri­um her­an­ge­zo­gen wird.

Die Ängs­te, die vie­le Bür­ge­rin­nen und Bür­ger des­we­gen haben, wie sie mit der neu­en Situa­ti­on – die ja noch gar nicht ein­ge­tre­ten ist – umge­hen sol­len, wer­den von denen aus­ge­nutzt, die gene­rell gegen bestimm­te Men­schen­grup­pen sind.

Sie sagen es per­fi­de ver­schlüs­selt: „Wir haben nichts gegen Flücht­lin­ge. Aber bit­te kei­ne Wirt­schafts­flücht­lin­ge.“ Aus­schluss von Men­schen in Not, bil­lig und vol­ler Ver­ach­tung als „blo­ße“ Wirt­schafts­flücht­lin­ge abgetan.
„Wir haben nichts gegen Flücht­lin­ge. Aber bit­te kei­ne schwar­zen, star­ken Män­ner. Die sol­len ihr Land ver­tei­di­gen.“ Man schickt sie lie­ber zurück in den Tod, in den Krieg und igno­riert die Todes­angst die­ser Menschen.

Nur zwei Bei­spie­le, weil Sie alle genü­gend ande­re, noch sub­ti­le­re, Bei­spie­le ken­nen. Kor­rek­tur ist nötig – im Den­ken und Handeln.

Was in Trög­litz letz­te Woche schief ging und drin­gend kor­ri­giert wer­den muss: Aus der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung ist ein per­sön­li­cher Angriff gewor­den auf einen Men­schen, der sei­ne Mei­nung hat und dafür klar und fair ande­ren gegen­über eintritt.
Nein – nie­mand hat Fami­lie Nierth bedroht, nicht mit Wor­ten, nicht mit Schmie­re­rei­en an der Wand. Aber allein das ursprüng­li­che Ziel des soge­nann­ten Abend­spa­zier­gangs vor die  das Pri­vat­haus von Nierths zu legen, ist eine unver­fro­re­ne Bedro­hung – auch wenn sie poli­zei­lich und recht­lich nicht rele­vant erschei­nen mag.

Ich wage es, das zu so for­mu­lie­ren, denn dass es gegen Nierths per­sön­lich aus­ge­rich­tet war, zeigt die Ände­rung der Marsch­rou­te,  nach­dem Mar­kus Nierth von sei­nem Amt zurück­ge­tre­ten ist. Aus­schließ­lich per­sön­lich auf sei­ne Per­son ziel­te die­se Stre­cken­pla­nung. Und damit ist etwas ein­ge­tre­ten, was eine neue Qua­li­tät in der Dis­kus­si­on um die Unter­brin­gung von Asyl­be­wer­bern dar­stellt. Es ist Bedro­hung der hin­ter­häl­tigs­ten Art. Hier ist eine gewal­ti­ge Kor­rek­tur nötig.

Viel­leicht müs­sen wir als Kir­che, als Gesell­schaft, als Ver­tre­ter aus der Poli­tik beken­nen, dass wir die­se Art der Bedro­hung nicht im Blick hatten.
Viel­leicht müs­sen wir als Chris­ten beken­nen, noch zu wenig gebe­tet zu haben. „Mei­ne Augen sehen stets auf den Herrn“, so heißt die­ser Sonn­tag heu­te in Lang­form: Ocu­li. Wir beken­nen, dass wir alle  Hil­fe von Gott erwar­ten. Aber schrei­en wir ihm wirk­lich die Ohren voll, wenn ande­re bedroht sind?
Viel­leicht müs­sen wir als gewähl­te Ver­ant­wor­tungs­trä­ger – als Pfar­rer und Gemein­de­kir­chen­rat, als Land­rat, als MdB, als Innen­mi­nis­ter beken­nen, dass wir zu wenig Mut hat­ten, auch ohne aus­drück­li­che gesetz­li­che Rücken­de­ckung die­sem Ansin­nen der Asyl­geg­ner ent­ge­gen zu treten.

Was das mit Jesa­ja zu tun hat? Ent­fer­ne ich mich gera­de von dem Anspruch, dass wir vor Gott zusam­men sind und sei­nem Wort, sei­nem Anspruch an unser Leben begeg­nen wol­len, dass ein Got­tes­dienst kei­ne poli­ti­sche Ver­an­stal­tung ist? Nein. Ich über­set­ze es nur in die aktu­el­le Situa­ti­on. Zurück zu Jesa­ja – 2015.

Was pas­siert, wenn wir uns unse­rem Fleisch und Blut ent­zie­hen und dem Hung­ri­gen nichts geben, den Obdach­lo­sen drau­ßen las­sen? Wir den­ken, wir schüt­zen damit unser Eigen­tum, unse­re Art zu leben im christ­li­chen Abend­land, unser Gemein­we­sen. Aber das Gegen­teil tritt ein: Wer so denkt und han­delt, zer­stört die Wer­te, die das christ­li­che Abend­land aus­ma­chen. Er zer­stört eine Dorf­ge­mein­schaft. Er zer­stört letzt­lich auch sich selbst damit.

Jesa­ja ver­kün­det voll­mun­dig: Wenn wir uns dem zuwen­den, der Not lei­det, dann „wird dein Licht her­vor­bre­chen wie die Mor­gen­rö­te, und dei­ne Hei­lung wird schnell vor­an­schrei­ten, und dei­ne Gerech­tig­keit wird vor dir her­ge­hen und die Herr­lich­keit des Herrn wird dei­nen Zug beschlie­ßen.“ So sieht Jesa­ja die Chan­cen von Mit­mensch­lich­keit, von Nächs­ten­lie­be, von Hilfs­be­reit­schaft, von Offen­heit gegen­über der Not ande­rer. So gelingt das Leben und nicht, indem wir eine Burg bau­en und ande­re schutz­los drau­ßen ste­hen lassen.

Selt­sam – Ich sage das Ihnen, ich sage das euch, die ihr hier seid, weil ihr doch genau für die­se Wer­te eines Jesa­ja, eines Jesus Chris­tus ein­tre­tet. Ich sage das Ihnen und euch, die ihr doch für Men­schen­wür­de und Grund­rech­te aufsteht.
Ja – ich sage es uns. Denn wir müs­sen uns das immer wie­der bewusst machen, damit uns auch sol­che Aktio­nen wie der ange­kün­dig­te Marsch gegen Nierths nicht irre­wer­den las­sen, nicht zwei­feln las­sen an unse­ren Grund­wer­ten und an unse­rem christ­li­chen Glauben.
Ich sage es uns, damit wir noch inten­si­ver beten – für die Men­schen in Not und für einen Sin­nes­wan­del in der Gesellschaft.
Ich sage es uns, damit wir muti­ger beken­nen, dass es ein fata­ler Irr­weg ist, sich der Not von Asyl­be­wer­bern und ande­ren zu ver­schlie­ßen und sie ableh­nend zu behandeln.
Ich sage es uns, damit wir für inten­si­ver für unse­re Poli­ti­ker beten – ob haupt- oder ehren­amt­li­che – die schwie­ri­ge Ent­schei­dun­gen tref­fen müs­sen, die selbst oft genug nicht wis­sen, was nun letzt­lich der rech­te Schritt ist, weil Vie­les so unüber­schau­bar gewor­den ist.
Ich sage es uns, damit wir mehr ler­nen, den Wor­ten Got­tes zu ver­trau­en und Jesus Chris­tus zu fol­gen. Die meis­ten Schrit­te, die er gegan­gen ist und denen wir nach­fol­gen sol­len, gin­gen auf ande­re Men­schen zu. Er ging auf sei­nen Nächs­ten, sein Gegen­über zu mit Lie­be und gan­zem Inter­es­se an dem Menschen.
Das ist unser Weg als Chris­ten. Und damit wir ihn gehen kön­nen, brau­chen wir drin­gend das Gespräch mit Gott – im Hören auf ihn und im Reden mit ihm.

Amen.

TEILEN :

Facebook
WhatsApp
Twitter
Email

Mehr Beiträge

Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
Filter by Categories
Advent
Allgemein
Altmark
Augenblicke
Bamberg
Bautzen
Bei anderen gelesen
Berlin
Bibel
Blumen
Bremen
Bremerhaven
Celebrate
Dies und Das
Dies und Das
Dresden
Drübeck im Harz
Eisenach
Erfurt
Events
Familie
Festliches
Fotobeiträge
Frankenberg
Frankfurt a.M.
Frühling
Gesehen
Görlitz
Hamburg
Harz
Herbst
Herrnhut
Karabambini
Karambolage
Kirchenkreis NMB-ZZ
Kirchens
Köln
Konstanz
Kulinarisch Gastlich
Kunst und Kultur
Leipzig
Licht
Lübeck
Luther
Mainz
Marburg
Müritz
Musik
MUTH
Nacht
Natur
Naumburg
Orgel
Ostsee
Ostseestrand
Passion
Potsdam
Prag
Region NöZZ Zeitz
Regionalkonvent
Rostock
Rund um Zuhause
Schule
Schweden
Seiffen
Sommer
Stadtansichten
Stralsund
Stuttgart
Technik
Textbeiträge
Tierisch
Tour d'Est
Tübingen
Unterwegs
Urlaub
Vogelsberg
Warnemünde
Was Pfarrer so reden
Wasser
Weihnacht
Weimar
Winter
Wismar
Wittenberg
Wolfenbüttel
Worms
Zeitz
Zoo