Kar­frei­tag: Aktiv!

Pre­digt zu Lukas 23,33–49

Kar­frei­tag: Wer han­delt eigent­lich an die­sem erschre­cken­den und düs­te­ren Tag? Wer hat die Fäden in der Hand? Und wo ste­hen wir in die­sem poli­tisch-reli­giö­sen Ver­wirr­spiel mit himm­li­scher Dimen­si­on? Es ist befremd­lich, so unwirk­lich und doch wahr: Jesus ist ganz den Hän­den sei­ner Gegen­spie­ler aus­ge­lie­fert. Er war aber doch immer der­je­ni­ge, der alles im Griff hat­te. Er hat Men­schen von ihrem Arbeits­platz weg in sei­ne Nach­fol­ge beru­fen. Er hat­te in Streit­ge­sprä­chen immer die bes­se­ren Argu­men­te. Sei­nen Pre­dig­ten lausch­ten die Men­schen, waren bewegt und tief berührt.

Und – wo es drum geht, wer hier wem in die Hän­de fällt: Jesu Hän­de waren äußerst aktiv. Mit ihnen hat er etwas bewirkt. Er hat sei­ne Hän­de kran­ken Men­schen auf­ge­legt, und sie wur­den gesund, heil an Leib und See­le. Jesu Hän­de haben gute Gaben ver­teilt, ver­mehrt. Wer denkt dabei nicht an die Geschich­te, in der Jesus das Dank­ge­bet über fünf Bro­te und zwei Fische spricht. Und dann wer­den 5000 Men­schen davon satt. Als Petrus im Sturm ein­mal vol­ler Über­mut und Ver­trau­en auf Jesus ins Was­ser springt – er will genau­so dar­auf lau­fen, wie Jesus – da sind es Jesu Hän­de, die ihn ret­ten. Denn als Petrus Jesus aus dem Blick ver­liert, beginnt er zu sin­ken. Jesus aber hält ihn fest. In einer ande­ren Sturm­ge­schich­te auf dem See Gene­za­reth gibt Jesus dem tosen­den Sturm ein kla­res Hand­zei­chen – und es wird still auf dem See. Jesus schenkt sogar neu­es Leben. Als die Toch­ter des Syn­ago­gen­vor­ste­hers Jai­rus im Ster­ben lag, hol­te ihr Vater Jesus in sein Haus. Aber bevor sie ins Haus kamen, hör­ten sie schon die Weh­kla­gen: „Das Kind ist gestor­ben.“ Jesus jagt alle aus dem Haus bis auf die Eltern und drei Jün­ger. Und dann nimmt er die Hand des Mäd­chens und sagt. „Steh auf.“ Das Mäd­chen lebt. Ein Erleb­nis berührt mich zur­zeit aber ganz beson­ders. Mal wie­der war Jesus in ein wich­ti­ges Gespräch ver­tieft. Da kamen ein paar Eltern, die ihre Kin­der seg­nen las­sen woll­ten. Mäch­tig auf­ge­regt haben sich die ande­ren Erwach­se­nen da. „Wir sind jetzt dran. Kin­der, ihr könnt war­ten, geht spie­len.“ Naja, geschrie­ben steht das nicht so, aber viel bes­ser kann es nicht gewe­sen sein. Wört­lich heißt es: „Die Jün­ger fuh­ren sie an.“ Und was macht Jesus? Er lässt die wich­ti­gen Leu­te bei ihrer Wich­tig­keit ein­fach ste­hen und wen­det sich den Eltern mit ihren Kin­dern zu. „Lasst die Kin­der zu mir kom­men und weh­ret ihnen nicht; den sol­chen gehört das Reich Got­tes.“ Und dann kommt einer der schöns­ten Sät­ze – und damit auch eines der schöns­ten Bil­der der Bibel: „Jesus herz­te sie und leg­te die Hän­de auf sie und seg­ne­te sie.“

Die­ser Jesus, dem sich Men­schen ganz aus­lie­fern, weil sie ihm, weil sie sei­nen Hän­den ver­trau­en, hängt jetzt am Kreuz. Die­ser Jesus, der bewegt hat wie kein ande­rer und der ver­än­dert hat, Gutes geschenkt hat, dem Men­schen sich ger­ne anver­traut haben, der ist nun aus­ge­lie­fert. Nach ihm grei­fen die Hän­de der Ver­rä­ter, der Die­ner sei­ner Gegen­spie­ler. Nach ihm grei­fen die Hän­de der Sol­da­ten, die ein Gerichts­ur­teil an ihm voll­stre­cken. Nach ihm grei­fen die Hen­kers­knech­te, die ihn ans Kreuz schla­gen. Jesus ist dem Spott sei­ner Fein­de aus­ge­lie­fert. Sie haben genau gese­hen, wie er ande­ren gehol­fen hat. Sie haben auch genau ver­stan­den, was er gesagt hat: „Er ist der Chris­tus, der Aus­er­wähl­te Got­tes.“ Auch ein Ver­bre­cher stimmt in die­ses Lied der Ver­ach­tung ein. Jesus ist sogar einem aus­ge­lie­fert, der selbst jeg­li­ches Recht ver­wirkt hat, der neben ihm an einem Kreuz hängt. Es ist unglaub­lich. Kar­frei­tag steht die gan­ze Welt Kopf – alles läuft ver­kehrt. Ein Pas­si­ons­lied for­mu­liert das so:

„Nun in heil­gem Stil­le­schwei­gen ste­hen wir auf Gol­ga­tha. Tief und tie­fer wir uns nei­gen vor dem Wun­der, das geschah, als der Freie ward zum Knech­te und der Größ­te ganz gering, als für Sün­der der Gerech­te in des Todes Rachen ging.“ (Ev. Gesang­buch Nr. 93,2)

Aber schon im Spott zeigt sich eine ande­re Wirk­lich­keit. Die Obe­ren, die Anfüh­rer des Auf­stan­des gegen Jesus, spot­ten mit den Wor­ten „Er ist der Chris­tus, der Aus­er­wähl­te Got­tes.“ Dabei mer­ken sie gar nicht, dass sie damit die Wahr­heit beken­nen und laut pre­di­gen. Sie mei­nen es als Spott, als Pro­vo­ka­ti­on. Doch sie ver­kün­di­gen laut, was Jesus durch sei­ne Wor­te und Taten bezeugt und gelebt hat: Er ist wahr­haf­tig der Chris­tus, der Mes­si­as, der Gesalb­te, der Aus­er­wähl­te Got­tes. Auch der zwei­te Ver­bre­cher, der mit gekreu­zigt wird, ver­än­dert die Sicht: Wir sind schul­dig, ja, aber die­ser hat nichts Unrech­tes getan. Und er traut Jesus, der so ohn­mäch­tig am Kreuz hängt, etwas Ent­schei­den­des für sein Leben zu: Jesus hat die Schlüs­sel zum Para­dies. Der ohn­mäch­tig erschei­nen­de Jesus hat in den Augen des Mit­ge­kreu­zig­ten die Macht, ihn in das Reich Got­tes zu heben. Jetzt steht die Welt wirk­lich Kopf, oder? Wer hat denn nun die Fäden in der Hand am Kar­frei­tag, dem Tag des vor­der­grün­di­gen Schei­terns und der Ohnmacht?

Äußer­lich ist Jesus aus­ge­lie­fert, gebun­den, ohn­mäch­tig. Aber er han­delt bis zum letz­ten Augen­blick – und dar­über hin­aus. Und er han­delt zuerst, indem er für die­je­ni­gen, die an ihm schul­dig wer­den, die Tür des Lebens öff­net. Das ist so unvor­stell­bar, dass man’s gar nicht recht begrei­fen kann. Nur bestau­nen und glau­ben. „Vater, ver­gib ihnen; denn sie wis­sen nicht, was sie tun.“ Noch am Kreuz – oder muss ich nicht sagen: gera­de am Kreuz, durch das Kreuz? – berei­tet Jesus sei­nen Fein­den den Weg der Ver­ge­bung vor. Er selbst räumt die Schuld derer aus dem Weg, die an ihm schul­dig gewor­den sind und wer­den. Jesus hat das Gesche­hen in der Hand. Er bringt vor­an, was er sich vor­ge­nom­men hat. Er erlöst die Welt, ganz anders, als sich das die Spöt­ter unterm Kreuz vor­stel­len. Er erlöst, in dem er ver­gibt. Für einen wird es ganz kon­kret. Der zwei­te Ver­bre­cher, der all sei­ne Hoff­nung auf Jesus setzt, erlebt die Erlö­sung zuerst. „Heu­te wirst du mit mir im Para­dies sein.“ Nein, das ist nicht der letz­te Satz eines Ster­ben­den, der weiß, dass es nun bald zu Ende geht. Das ist kei­ne Resi­gna­ti­on. Jesus han­delt. „Du mit mir.“

Jesus ließ sich oft von ande­ren ein­la­den und war dann bei ihnen zu Gast. Denkt nur an Zachä­us, den Zöll­ner. Immer gab das Ärger, weil der angeb­lich From­me mit den Sün­dern an einem Tisch saß. Jetzt am Kreuz zeigt Jesus, dass er es damals ernst­ge­meint hat mit sei­nen Besu­chen in den Häu­sern der Sün­der. „Ja, mit euch habe ich Gemein­schaft. Ich will bei euch sein. Und: Ihr sollt bei mir sein, mei­ne Gäs­te, mei­ne Freun­de. Ihr seid mei­ne Haus­ge­nos­sen, mei­ne Schwes­tern und Brü­der.“ „Heu­te kommst du in mein Haus, in das Haus mei­nes Vaters, ins Para­dies“, ver­spricht Jesus. Ich muss an Psalm 23 den­ken: „Gutes und Barm­her­zig­keit wer­den mir fol­gen mein Leben lang; und ich wer­de blei­ben im Hau­se des Herrn immer­dar.“ Der gute Hir­te, der sein Leben für sei­ne Scha­fe lässt, bringt nach Hau­se, die ihm vom Vater im Him­mel anver­traut wur­den. Er bringt uns nach Hause.

Wer han­delt? Wer ent­schei­det? Jesus selbst han­delt. Lukas hat den letz­ten Satz Jesu in sei­ner Wei­se auf­ge­schrie­ben: „Vater, ich befeh­le mei­nen Geist in dei­nen Hän­de!“ Das ist ein Zitat aus Psalm 31. Jeder Jude kann­te die­ses Gebet. In gro­ßer Not wur­de es gebe­tet. Heu­te wird die­ser Psalm bei Trau­er­fei­ern gele­gent­lich gele­sen. „Mei­ne Zeit steht in dei­nen Hän­den“, auch das steht in Psalm 31, wird oft zum Trost­wort für Trau­ern­de. Die­ser Satz drückt oft das Ver­trau­en in Got­tes Wege aus, auch wenn sie für uns undurch­schau­bar und nicht zu über­se­hen sind. Jesus ist es, der sich zuletzt fal­len lässt, sich selbst los­lässt. Und auch hier bestimmt er allein den Zeit­punkt und die Rich­tung. Jesus lässt sein Leben los. Und er über­lässt es sei­nem himm­li­schen Vater. Nie­mand sonst hat Anspruch auf Jesu Leben. Nie­mand darf über die­sen Jesus ver­fü­gen, der doch so schein­bar ohn­mäch­tig und aus­ge­lie­fert am Kreuz von Gol­ga­tha hängt und stirbt.

Für den ober­fläch­li­chen Betrach­ter ist Jesus aus­ge­lie­fert und macht­los. Aber wer bei die­sem Bericht von Lukas genau­er hin­hört und hin­sieht, der merkt: Es ist Jesus, der sei­nen Weg kon­se­quent zu Ende geht und aus­führt, was er sich vor­ge­nom­men hat. „Ich befeh­le mei­nen Geist in dei­ne Hän­de.“ Sich und sein gan­zes Werk legt Jesus aus der Hand – aber er über­gibt es nur einem ein­zi­gen: Gott, dem himm­li­schen Vater selbst. Denn der wird die­ses Werk, das Jesus ange­fan­gen hat – das er für uns ange­fan­gen hat, voll­enden. Es steht nach Kar­frei­tag immer das Oster­fest auf dem Kalen­der. Gott bestä­tigt Jesus in allem, was die­ser gesagt und getan hat. Gott bestä­tigt Jesus, indem er ihn von den Toten auf­er­weckt und Jesus so der ers­te Mensch wird, der das neue, ewi­ge, himm­li­sche Leben vom Vater geschenkt bekommt. Kar­frei­tag ist nicht der Sieg des Todes und der Mäch­ti­gen die­ser Erde. Kar­frei­tag ist der Sieg Jesu über den Tod und alle sicht­ba­ren und unsicht­ba­ren Mächte.

Die Fra­ge an uns steht aber noch aus, ist noch offen: Wo ste­hen wir in die­sem poli­tisch-reli­giö­sen Ver­wirr­spiel mit himm­li­scher Dimen­si­on? Sie sind ja nicht hier­her­ge­kom­men, ein­fach weil man Kar­frei­tag auch ein­mal die Karfreitags­ge­schich­te zur Kennt­nis neh­men möch­te. Jeder, der mit die­sem Gesche­hen zu tun bekommt – damals und heu­te – ist Mit­wir­ken­der. Zuschau­er allei­ne gibt es nicht an Kar­frei­tag. Die Schau­lus­ti­gen unterm Kreuz wer­den zu berühr­ten, betrof­fe­nen, beweg­ten Zeu­gen. „Als alles Volk, das dabei war und zuschau­te, sah, was da geschah, schlu­gen sie sich an die Brust und kehr­ten wie­der um.“ Ein Bekennt­nis der Mit­schuld, der eige­nen Schuld – das allein pro­vo­ziert schon das Zuschau­en. Zu unfrei­wil­li­gen Pre­di­gern und Zeu­gen des Evan­ge­li­ums wer­den sogar die Geg­ner Jesu. Der Befehls­ha­ber der Hin­rich­tung preist Gott und bekennt, dass hier ein Unschul­di­ger, ein From­mer stirbt. Und der eine, der eine Ahnung von der Macht und Güte Jesu hat, geht durch das Tor des Ster­bens hin­durch in das Reich Gottes.

Die Pas­si­ons­lie­der laden uns ein, sehr bewusst unse­ren Stand­punkt in die­ser Geschich­te zu suchen und ihn ein­zu­neh­men. Ob wir das wirk­lich und ernst­haft an unse­re Her­zen her­an­las­sen: Weil Jesus stirbt, kön­nen wir leben? „Ich, ich und mei­ne Sün­den, die haben dir erre­get das Elend, das dich schlä­get.“ „Du nimmst auf dei­nen Rücken die Las­ten, die mich drü­cken.“ So dich­tet es Paul Ger­hardt (Ev. Gesang­buch Nr. 84). Wir haben es gesun­gen und damit bekannt, uns zu Eigen gemacht, was der Dich­ter in Wor­te fasst. Jesus bit­tet für uns: „Vater, ver­gib ihnen.“ Und er sagt zu uns. „Du wirst mit mir im Para­dies sein, im Reich Got­tes, in mei­nem Vater­haus.“ Dabei war­tet er im Grun­de nur auf den einen Satz, den er selbst kon­se­quent gelebt und am Kreuz laut gesagt hat: „In dei­ne Hän­de befeh­le ich mei­nen Geist.“ Gott – ich lie­fe­re mich dir völ­lig aus. Du allein hast ein Anrecht auf mein Leben. Und dir allein traue ich zu, dass du mein Leben bewahrst und es an dein Ziel führst. So wird Kar­frei­tag für uns zu einem Tag, an dem wir uns ganz kon­se­quent und neu an Gott selbst bin­den kön­nen, uns in Got­tes Hän­de fal­len las­sen kön­nen, die uns das Leben schen­ken. Wer den Mut hat, an die­sem dunk­len und geheim­nis­vol­len Tag an der Sei­te von Jesus zu blei­ben, der wird an Ostern das Licht des neu­en Lebens sehen.

Pau­lus beschreibt das ein­mal im Zusam­men­hang mit der Tau­fe (Römer 6,3f.): „Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Chris­tus Jesus getauft sind, die sind in sei­nen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begra­ben durch die Tau­fe in den Tod, damit, wie Chris­tus auf­er­weckt ist von den Toten durch die Herr­lich­keit des Vaters, auch wir in einem neu­en Leben wan­deln.“ Amen.

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