Was passt besser zum Sonntag Kantate — Singet! als ein Lobpreisgottesdienst?
Ein paar Gedanken daraus. Im Zentrum der Psalm des Sonntags.
Psalm 98
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn Wunder hat er getan! Geholfen haben ihm seine starke Hand und sein heiliger Arm. Der Herr hat seine Hilfe bekannt gemacht. Vor den Augen der Völker hat er offenbart, dass seine Gerechtigkeit allen Menschen gilt. Er dachte an seine Güte und Treue, die er dem Haus Israel erwiesen hat. Menschen aus der ganzen Welt haben gesehen, wie unser Gott geholfen hat.
Heißt den Herrn willkommen, alle Länder! Brecht in Jubel aus, seid fröhlich und musiziert! Musiziert für den Herrn mit der Leier, mit der Leier und vollem Saitenklang! Mit dem Schall von Trompeten und Widderhörnern heißt den Herrn als König willkommen!
Das Meer soll brausen und alles, was in ihm lebt! Der Erdkreis soll jubeln und alle seine Bewohner! Die Flüsse sollen in die Hände klatschen, und die Berge sollen im Chor jubeln – 9 vor dem Angesicht des Herrn. Denn er kommt, um Gericht zu halten auf der Erde. Über den Erdkreis wird er ein gerechtes Urteil fällen und die Völker nach Recht und Ordnung richten.
Predigt
Es war schon dran obwohl noch nicht Sommer ist. Aber sobald es wärmer wird und die ersten Blumen blühen, geht das los in den Gemeinden: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben.“ Das wohl beliebteste kirchliche Naturlied (Paul Gerhardt, Ev. Gesangbuch Nr. 503) ist dann nicht mehr aufzuhalten. Als ich mich an die Gedanken für heute setzte, hatte ich es schon zweimal in dieser Woche gesungen – einmal im Erzählcafé und einmal im Mittagsgebet.
Beim Mittagsgebet war es besonders. Denn vorher hatte ich einen Geburtstagsbesuch und auf dem Rückweg wollte ich doch endlich mal durch die kirschblütenberühmte Heubnerstraße fahren. Glück gehabt. Die Bäume blühten noch.
Die zwei Sonntage, die die wohlklingenden Namen Jubilate und Kantate tragen, setzen den Jubel von Ostern fort. Und der Jubel fällt leichter, wenn auch die Natur mitspielt. In unseren Breiten ist Frühling – da bricht allerhand auf: Kirschblüten, ob nun japanisch oder deutsch, viele Blumen – von Narzissus und den Tulipan erzählt Paul Gerhardt in seinem Sommerlied. Der Rasen im Pfarrgarten ist schon zweimal gemäht worden, die Vögel zwitschern wieder, die Störche sind wieder da. Aufbruchsstimmung überall.
Gott tut Wunder. Der Mensch von heute, der manchmal mit Gott nichts anfangen kann, ist trotzdem empfänglich für Wunder. Viele reden vom Wunder der Natur. Zurecht. Was sich unseren Augen an Vielfalt bietet, das ist schlicht überwältigend. Und wir sind da noch in den ärmeren Gegenden, was das angeht. Sendungen, die die Wunder im Titel tragen, bringen uns Bilder aus den Tropen ins Haus, die uns den Mund offenstehen lassen: Wunder der Erde oder Wunder der Natur heißen sie. Und die Wunderwelt Technik lässt uns ja nicht minder staunen. Auf meinen ersten Computer war ich recht stolz. Ich hatte mir sogar eine externe Festplatte dazu geleistet, um mehr Speicherplatz zu haben. 40 MB groß und 30 cm x 30 cm Platz hat sie gebraucht. 40 MB – das ist der Platz, den ein Farbfoto braucht, wenn es mit einer sehr guten digitalen Kamera aufgenommen wurde. Ein Foto! Damals reichte das für einen ganzen, voll funktionsfähigen Computer. Heute hustet der bei so wenig Speicher nicht einmal.
Wunder der Welt, Wunder des Alls, Wunder der Technik. Aber es geht um viel mehr – obwohl das alles schon unvorstellbar ist. Gottes Wunder ist, dass er sich uns zuwendet. Gottes Wunder ist, dass er sich seinem Volk Israel zugewendet hat. Dorther stammt ja der Psalm 98. „Er dachte an seine Güte und Treue, die er dem Haus Israel erwiesen hat. Menschen aus der ganzen Welt haben gesehen, wie unser Gott geholfen hat.“ (V. 3)
Gott begleitet sein Volk Israel mit Wundern, immer wieder. Ein Wunder ist es schon, dass das Volk überhaupt entstanden ist.
Abraham und Sara waren bis ins Alter hinein kinderlos. Und trotzdem verheißt Gott ihnen Nachkommen, so viele wie Sand am Meer oder Sterne am Himmel. Isaak und Rebekka bekamen zwei Söhne – und die gleiche Verheißung. Jakob dann hatte mit seinen Frauen 12 Söhne und eine Tochter. Und er bekam den Namen Israel. Die Sippe wuchs zum Volk. Und zwar in der Sklaverei in Ägypten. Wunder über Wunder.
Mose befreit im Auftrag Gottes das Volk. 40 Jahre dauert der Weg ins gelobte Land. Manna und Wachteln, Wasser aus Felsen, am Anfang der Durchzug durch das Schilfmeer. Wunder über Wunder.
Gott handelt für sein Volk und er handelt mit seinem Volk. Das größte Wunder aber kommt mit Jesus auf die Erde. Gott wird Mensch. Das ist nicht so wie bei den Gottheiten rundum. Die verkleiden sich manchmal als Menschen und treiben ihr Unwesen, ihren Schabernack. Aber sie sind niemals wirklich Mensch. Der Einzige, der wirklich Gott ist, der wird auch wirklich Mensch.
Mir fällt das immer noch schwer, mir das überhaupt vorzustellen und dieses Wunder auch nur zu erahnen. Der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist mir viel zu groß, als das ich ahnen kann, was Jesus da tut. Und ja – vielleicht stelle ich mir Gott dann doch auch viel zu menschlich vor, um diesen unfassbaren Unterschied zu entdecken.
Wenn wir über Gott reden, sind es immer menschliche Bilder, die wir brauchen. Er ist König. Er ist wie eine Mutter. „Unser Vater“ sagen wir zu ihm. Er hat eine starke Hand, er spricht mit seinem Mund, er hört mit seinem Ohr. Alles menschlich. Und ich merke: Ich müsste mich über Gott mehr wundern. So unfassbar ist er. Das müsste mir viel größer werden, so dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr rauskomme. Der wird Mensch. Und er wechselt nicht einfach von einer besonderen menschlichen Art mit ein paar übernatürlichen Eigenheiten – so wie Unsichtbarkeit oder ewigem Leben.
Er ist doch völlig anders. Und gibt sich in unser Leben hinein. Das ist unfassbar. Das Wunder schlechthin.
Ich schaue noch einmal in den Psalm. „Vor den Augen der Völker hat er offenbart, dass seine Gerechtigkeit allen Menschen gilt.“ (V. 2) „Er kommt, um Gericht zu halten auf der Erde. Über den Erdkreis wird er ein gerechtes Urteil fällen und die Völker nach Recht und Ordnung richten.“ (V. 8). Gottes Gerechtigkeit gilt allen Menschen. Ich glaube, dass wir das heute wieder besonders hören müssen. Denn so vieles liegt im Argen und geht schief. Zuerst sind da die großen Auseinandersetzungen – Krieg in der Ukraine, Stellvertreterkriege im Jemen, wo sich die arabische Welt bekämpft. Stammeskriege in Afrika. Bürgerkrieg und Kämpfe im Sudan. Die Kämpfe in Syrien, im Iran, im Irak. Der Kampf zwischen Juden und Palästinensern. Immer die gleichen Schauplätze und hier und da auch neue. Und viele kleinere, die übersehen werden.
Gerechtigkeit schaffen? Wo wir Menschen eingreifen, entsteht selten Gerechtigkeit. Weil wir gar nicht durchblicken. Wir schaffen vielleicht eine Waffenruhe, vielleicht auch einen Frieden und Vereinbarungen. Aber wirklich gerechte Gerechtigkeit? Wir kriegen es nicht hin. Und gar für die vielen Einzelnen auf der Erde. Da hat jeder noch seine eigene Rechnung offen – und andere mit ihm.
Gott wird ein gerechtes Urteil fällen. Nach Karfreitag und Ostern hat das für mich einen besonderen Klang. Da klingt der Osterjubel durch. Denn Gott kommt nicht, um dreinzuschlagen. Er baut keine großen Gefängnisse. Er trampelt nicht alles nieder. Gott geht zuerst in alle ungerechten Verhältnisse hinein und hält sie aus. Er nimmt alle Ungerechtigkeit auf sich. Jesus trägt und erträgt alles Unrecht und nimmt es mit sich ans Kreuz. Und dann bringt er neues Leben hervor. Am Sonntag Jubilate hieß die Überschrift: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen; siehe, Neues ist geworden.“
Wunder über Wunder. Gerechtigkeit Gottes heißt: Alles Unrecht hängt er ans Kreuz. Alles Unrecht trägt Jesus weg. Denn wir können es beim besten Willen nicht tragen und niemals ausgleichen. Gott allein und Gott selbst erledigt das. Und dann schafft er ein Neues. Dann gibt er Leben. Dann schafft er Freiheit. Es braucht noch, um sich durchzusetzen. Es wird am Ende der Zeiten erst vollkommen sein. Aber seit Ostern ist dieser Weg eröffnet und Gott selbst geht ihn Schritt für Schritt.
Allzu oft erschrecken wir vor dem, was an Unrecht geschieht. Und dann sehen wir nicht mehr, was Gott einsetzt für uns und dass er uns Leben und Gerechtigkeit schenkt. Oft trauen wir dem zu wenig. Aber heute werden wir daran erinnert. Heute werden wir aufgefordert uns zu erinnern und Gott zu loben. Sollen wir es uns denn von den Bergen und Flüssen und dem Meer vormachen lassen und selbst dabei still bleiben?
Heißt den Herrn willkommen, alle Länder! Brecht in Jubel aus, seid fröhlich und musiziert! Musiziert für den Herrn mit der Leier, mit der Leier und vollem Saitenklang! Mit dem Schall von Trompeten und Widderhörnern heißt den Herrn als König willkommen! Das Meer soll brausen und alles, was in ihm lebt! Der Erdkreis soll jubeln und alle seine Bewohner! Die Flüsse sollen in die Hände klatschen, und die Berge sollen im Chor jubeln – vor dem Angesicht des Herrn.
Singt dem Herrn ein neues Lied – weil er es wert ist. Weil Gott gut ist. Weil er Leben gibt und Neues schafft. Weil er uns Mut und Kraft gibt. Singt es trotzig. Singt es überzeugt. Singt es gegen die Angst. Singt, weil Gott Gott ist – und weil er bei uns und für uns ist.