Gedanken zu Himmelfahrt beim Gottesdienst im Schlosshof in Wittenberg
Psalm 47 (EG 726)
Schlagt froh in die Hände, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall! Denn der Herr, der Allerhöchste, ist zu fürchten, ein großer König über die ganze Erde.
Er zwingt die Völker unter uns und Völkerschaften unter unsere Füße.
Er erwählt uns unser Erbteil, die Herrlichkeit Jakobs, den er liebt.
Gott fährt auf unter Jauchzen, der Herr beim Schall der Posaune.
Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm Könige!
Denn Gott ist König über die ganze Erde; lobsinget ihm mit Psalmen!
Gott ist König über die Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron.
Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams; denn Gott gehören die Schilde auf Erden; er ist hoch erhaben.
Lukas 24,44–53
Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose und in den Propheten und Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass der Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Von Jerusalem an seid ihr dafür Zeugen. Und siehe, ich sende auf euch, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe.
Er führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
Gedanken zu Himmelfahrt
Abgehoben ist das. Ziemlich abgehoben. Ein Höhenflug ohne Gleichen. Es fängt bei Psalm 47 an: Gott ist König über die ganze Erde; […] Gott ist König über die Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron […] Gott gehören die Starken auf Erden. So viel Gott im Himmel und auf Erden. So viel Macht und Klarheit. Jesus fährt in den Himmel auf. Und wir feiern das Ereignis als Krönungsfest. Der Klassiker der Himmelfahrtslieder lautet ja: „Jesus Christus herrscht als König.“ (EG 321)
Aber nicht nur Jesus Christus wird als König eingesetzt und Gott als ewiger König gefeiert. Auch seine Gemeinde feier. Lukas schließt sein Evangelium mit diesem Krönungsfest: die Jünger beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott. (V. 52–53)
Es hört auf, wie es angefangen hat. Oder besser: Die Freude, die die Jüngerinnen und Jünger gepackt hat und die sie laut hinausfeiern, erfüllt, was der Engel in der Weihnachtsgeschichte angesagt hat: Ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. (Lukas 2,10) Ein Höhenflug, gestartet mit Weihnachten, vollendet mit der Himmelfahrt. Eine große Linie zieht sich durch und Gott vollendet, was er angekündigt hat.
Wenn da nur nicht die Landung wäre. Weniger für Jesus. Der ist angekommen. Ich schaue eher auf uns heute. „Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams, denn Gott gehören die Starken auf Erden.“ (Psalm 47,10)
Die Fürsten der Erde machen aber gerade, was sie wollen. Der eine überfällt sein Nachbarland und tut so, als wäre es seins. Andere knechten ihr Volk, lassen keinen raus noch rein, führen sich als ewige Herrscher auf – und sei es auch nur, dass sie ihre Amtszeit auf ihre Lebenszeit hin ausdehnen. West gegen Ost, Nord gegen Süd, reich gegen arm – regiert da noch jemand? Scheinbar regieren nur Geld und Gier, Machtgier und menschliche Stärke. Wo bin ich heute am Himmelfahrtsfest 2023 mit meinen Gedanken, mit meinem Herzen, mit meinem Glauben?
Lukas bringt mich auf eine Idee. Die kann ich heute nicht vollständig umsetzen, aber ich kann damit anfangen. Lukas nämlich packt in die letzten Verse seines Evangeliums noch einmal alles hinein, was ihn die ganze Zeit über beschäftigt hat. Die wenigen Verse strotzen vor Hinweisen, vor Verweisen auf das, was die Jüngerinnen und Jünger, was wir doch schon wissen.
Es muss alles erfüllt werden, was von Jesus „geschrieben steht im Gesetz des Mose und den Propheten und Psalmen“ (V. 44) Mit diesem Hinweis hatte Jesus schon den beiden Jüngern, die von Jerusalem nach Emmaus unterwegs waren, das Herz und den Verstand geöffnet. Die Emmausjünger am Ostermorgen, blind vor Trauer, niedergeschlagen. Und Jesus erinnert sie. (Lukas 24,13–35)
Hier auch wieder. Er erinnert sie an den Kern: Christus wird leiden und am dritten Tag auferstehen (V. 46). Erinnert euch! Das ist aufgeschrieben. Das hat er selbst so oft gesagt.
Neu, aber auch nicht wirklich neu: Das alles muss erzählt werden. Das wird gepredigt werden auf der ganzen Welt. Lukas schreibt ja, als diese Nachricht von Jesus schon die Runde macht, und zwar nicht nur in Jerusalem, sondern rund ums Mittelmeer. Die Botschaft läuft schon um die Welt, so dass das in dem Moment, in dem Lukas es aufschreibt, auch schon ein Rückblick ist, ein Seitenblick in die Geschichte, die sich gerade abspielt.
So ist meine Idee auch gar nicht neu und nicht heute erst geboren. Schaut zurück und sucht nach, wo Gott schon geredet hat. Schaut, was Gott gesagt hat über seinen Sohn. Schaut, was Menschen schon geglaubt haben, bevor Jesus geboren wurde. Und ihr heute, 2023, schaut auf alles, was von Jesus und von den ersten Christen aufgeschrieben ist.
Egal, wo wir bei Jesus und bei den ersten Christengemeinden anfangen – wesentlich für ihren Glauben ist die Gemeinschaft mit dem, was vor ihnen schon erzählt wurde, wo Gott schon gehandelt und geredet hat. Der Höhenflug braucht eine solide Startbasis.
Daran will ich mich wieder halten und ausrichten: Es steht geschrieben. Es muss erfüllt werden. Und das ist geschehen und geschieht bis heute. Ich stehe mit meinem Glauben nicht allein.
Ja, auch mit meinen Zweifeln stehe ich nicht allein. Andere sind da auch schon durchgegangen. Von ihnen kann ich lernen. An ihnen kann ich wachsen und stark werden. Die Erfahrungen anderer machen mir Mut. Aber der Blick bleibt nicht in der Vergangenheit. Dorthin reichen meine Wurzeln. Ich brauche diesen festen, nahrhaften Boden. Und ich nehme jetzt in Anspruch, was Gott mir zugesagt hat.
Eines beschäftigt mich seit einer Weile besonders in der Erzählung von Lukas. Es ist dieses Bild, wie Jesus in den Himmel auffährt. Da gibt es ja lustige Darstellung in der Welt der christlichen Kunst: Jesus, schon halb in den Wolken, nur die Füße schauen noch raus. Das mit der Wolke steht nur in der Apostelgeschichte (1,9) In seinem Evangelium kommt er ohne Wolke aus. Aber ein anderes Detail begleitet mich heute.
Lukas erzählt: Jesus „hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ (V. 50–51)
Das erste Bild, das ich vor Augen hatte, war die Christus-Statue von Rio de Janeiro, Brasilien. Bis 1981 war sie die höchste Christusstatue der Welt, 31 Meter hoch. Ich vermute, dass sie die bekannteste dieser Statuen ist. Mittlerweile gibt es sieben andere, die gleich groß oder auch etwas höher sind. Eine davon befindet sich quasi um die Ecke, nur 250 Kilometer entfernt in Swiebodzin.
Christus breitet seine Hände aus und segnet. Die Geste selbst ist uns vertraut. Steht sie doch am Ende fast jeden Gottesdienstes. Der Liturg, die Pfarrerin, hebt die Arme, breitet sie etwas aus und legt so Gottes Segen auf die Gemeinde.
Mit kleinerer Geste geht das auch und das ist uns ebenfalls vertraut. Ob das ein Konfirmand ist, ob das ein Jubilar ist, ein Brautpaar vielleicht, ein Mensch der, nach dem Mittagsgebet in der Kirche zum persönlichen Segen nach vorne kommt: So gut wie immer legt ihm derjenige, der Segensworte spricht, die Hände auf den Kopf.
Als ich die Beschreibung von Lukas gelesen habe, lief das fast wie ein Film vor meinen Augen ab.
Jesus breitet seine Hände aus. Am Anfang steht er ganz nah bei seinen Jüngerinnen und Jüngern. Womöglich hat er jedem von ihnen einzeln die Hände aufgelegt. Ich male das Bild ein wenig aus.
„Petrus, sei gesegnet. Du bist der Hirte meiner kleinen Herde hier in Jerusalem. Matthäus, sei gesegnet. Du hast dir soviel notiert, während wir auf Wanderschaft waren. Deine Erzählung soll viele Menschen berühren.“
„Maria, sei gesegnet. Du hast mich gesalbt. Und deine Liebe soll viele Herzen bewegen. Martha, sei gesegnet. Du hast dich immer um Essen und Trinken gesorgt und wir mussten in deinem Haus nie hungern oder dürsten. Dein Vorbild soll andere ermutigen, zu teilen und zu füreinander zu sorgen.“
„Thomas, sei gesegnet. Du hast den Mut, Fragen zu stellen. Du hast den Mut, deinen Glauben zu zeigen, der wie eine zarte Knospe ist und sich entfalten wird. Dein Mut gebe anderen die Freiheit, mit Fragen und Zweifeln zu kommen.“
So spricht Jesus nacheinander alle an, die in diesem Moment bei ihm sind. Er legt ihnen die Hände auf den Kopf und segnet sie.
Dann tritt er ein paar Schritte zurück, so dass er alle im Blick hat. Die Hände hat er immer noch erhoben. Sie liegen nicht mehr auf einem einzelnen Kopf, aber alle spüren die Berührung von Jesus. Und zugleich spüren sie, wie Jesus sie umarmt, wie er diese ganze kleine Gemeinschaft umfasst. Wie er sie birgt und schützt. Und wie seine Kraft sie durchströmt. Dann wird er langsam erhoben. Seine Arme sind immer noch ausgebreitet. Und sie umfassen immer mehr Menschen. Sie können die ganze Welt umfassen, während Jesus immer noch segnet.
Sein Körper wird nun langsam unsichtbar. Aber etwas bleibt: Dieses Gefühl, dass Jesus mich berührt. Dieses Gefühl, dass seine Hände auf meinem Kopf liegen. Diese Gewissheit, dass er mich umarmt und dass seine Zuwendung mir Kraft zuströmen lässt.
Und mit einem Mal erinnere ich mich an Momente, in denen Jesus Menschen mit seinen Händen berührt hat.
So wendet er sich einem Aussätzigen zu und fasst ihn an. „Sei rein“, sagt er zum ihm. Und er war geheilt (Matthäus 8,3). Die Schwiegermutter von Petrus war sehr krank und hatte hohes Fieber. Jesus nimmt ihre Hand und das Fieber weicht. (Matthäus 8,15) Eine Frau, die schon lange krank war, berührt Jesu Gewand und sie wird gesund. – Einmal andersherum, die Sache mit dem Berühren. (Matthäus 9,20)
Matthäus und Markus fassen solche Geschichten auch einfach zusammen. Markus etwa erzählt: „Und wo er in Dörfer, Städte oder Höfe hineinging, da legten sie die Kranken auf den Markt und baten ihn, dass diese auch nur den Saum seines Gewandes berühren dürften; und alle, die ihn berührten, wurden gesund.“ (Markus 6,56)
Einmal waren drei von Jesu Jüngern mit ihm auf einem Berg und er wurde vor ihren Augen in seine himmlische Gestalt verwandelt. Gottes Herrlichkeit leuchtete um sie. Vor großem Schrecken fielen sie zu Boden, überwältigt und erschüttert von dieser Heiligkeit Jesu. Er rührt die drei an. Und sie sehen nur Jesus. Nur Jesus. Das genügt. (Matthäus 17,7)
Als Jesus im Garten Gethsemane verhaftet wurde, packte einer seiner Jünger sein Schwert und schlug nach dem Kopf einer der Soldaten. Er erwischte sein Ohr. Jesus berührt das Ohr dessen, der ihn verhaften würde und heilte ihn. (Lukas 22,51)
Jesus berührt. Jesus segnet – das kann bedeuten, dass Menschen gesund werden. Segen legt aber auch Mut in Menschen. Wenn Jesus einen Menschen berührt, wirkt die Kraft Gottes und hebt den Kraftlosen empor.
Es geht noch viel weiter. Wer in Jesu Namen einen Menschen segnet, der legt einem anderen die Hände Jesu auf. Und er gibt damit weiter, was Jesus selbst verschenkt hat: Gottes Lebenskraft. „Noch während er sie segnete, entfernte er sich von ihnen und wurde zum Himmel emporgehoben.“ (V 24,51) So übersetzt die Basisbibel diese Stelle. Der Segen hört nicht auf. Der Segen geht weiter und hat Folgen. Die Jüngerinnen und Jünger beten Jesus an und gehen „mit großer Freude“ nach Jerusalem zurück. Und auch dort hat es kein Ende: Sie „waren allezeit im Tempel und priesen Gott.“ Kein Ende, sondern ein Anfang ist gesetzt. Es mag nur ein Bild sein: aber wenn Jesus sich auf diese Weise scheinbar entfernt, kann er damit erst die ganze Welt umfassen und überall sein.
Wenn ich im Gottesdienst einem Menschen die Hände auflege und ihn segne, dann kann ich in diesem Moment nur einem so nah sein. Wenn ich am Ende eines Gottesdienstes weiter weg stehe und die Arme zum Segnen erhebe, kann ich mehr umfassen. Das ist ein wahrlich schwaches, menschliches Bild. Aber vielleicht kann uns diese Vorstellung ein bisschen helfen, das Bild aus dem Lukasevangelium zu erfassen.
Himmelfahrt bedeutet heute für mich: Jesus nimmt den Platz, den Standpunkt ein, von dem aus er alle Menschen auf der Erde zugleich berühren und segnen kann. Wir gebrauchen dafür das Wort Himmel. Das ist der Himmel über uns und um uns. Das ist auch der Himmel in uns. Der durchdringt uns, der umgibt uns. „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21)
Ich kann den Höhenflug der ersten Christen erahnen. Sie sind begeistert, berührt von Jesus, durchdrungen von seinem Segen. Und ein Stück erheben sie sich mit ihm, ahnen die Höhe und Größe und Herrlichkeit Gottes, die sie durchströmt. Ich sehe die Not, die wir heute haben. Wo von der Herrschaft Gottes beim Blick auf das Weltgeschehen so wenig zu ahnen ist.
Aber ich sehe und höre auch Segensgeschichten. Vor drei Wochen war Kinderkirchentag des Kirchenkreises in Bergwitz. 200 Kinder und über 30 Mitwirkende waren dabei. Ein Segen. Letzten Sonntag wurden elf Frauen und Männer als Qualifizierte Lektorinnen und Lektoren eingesegnet und beauftragt. Auch zwei Wittenberger sind dabei und werden bald regelmäßig Gottesdienste halten. Ein Segen. Eine über neunzigjährige Frau war im Gottesdienst zur Jubiläumskonfirmation vergangenen Sonntag in der Stadtkirche – Kronjuwelenkonfirmation müsste das wohl heißen. Weil sie im Rollator nicht zur Altarstufe konnte, ging ihr die Gruppe der Gnadenjubilare entgegen und stellte ich an der Stufe zum Chorraum auf. Und sie war gesegnet. Ein Kollege kann sich vor Taufanfragen kaum retten. Ein Segen.
Der Segen geht weiter. Und er dringt auch dorthin, wo wir es oft gar nicht mitbekommen. Weil Jesus Herr und König im Himmel ist und nichts ihn und seinen Segen begrenzt. Seine Hände sind immer noch ausgebreitet über uns. Und wir sind dazu befähigt und beauftragt, seinen Segen direkt anderen Menschen zuzusprechen. Vielleicht wäre das was, um es gleich anzuwenden. Bei der nächsten Begegnung einem Menschen die Hände auf den Kopf legen oder den Arm um die Schulter und sagen: „Ich segne dich im Namen Gottes.“ Gottes Segen selbst spüren und ihn weitergeben. Denn führt die Himmelfahrt uns nicht von der Erde weg, sondern sie führt uns zueinander und lässt den Himmel auf Erden spürbar werden. Dann geht Jesu Segen geht weiter, auch durch unsere Worte und Hände.