Nehmt ein­an­der an

Pre­digt zur Jah­res­lo­sung 2015
Neu­jahr 2015

Neu­es Jahr, neue Vor­sät­ze. Neu­es Spiel, neu­es Glück, sagt man. Nach dem Kon­zert ist vor dem Kon­zert, schrieb mir vor Weih­nach­ten einer mei­ner Gos­pel­sän­ger. Es geht wie­der los. Zeit­lich ein biss­chen ver­scho­ben sind der Jah­res­an­fang und der Beginn des Kir­chen­jah­res. Aber noch ist auch der Neu­an­fang der Jesus­ge­schich­ten in unse­ren Ohren. Es ist ja noch Weihnachtszeit.

Zum neu­en Jahr gehört seit vie­len Jah­ren schon die neue Jah­res­lo­sung. Ein fri­sches Bibel­wort, das uns ein Jahr lang beglei­ten wird. Ein Bibel­wort, das uns zum Nach­den­ken anregt, das uns her­aus­for­dert. Ein Wort, das für man­che unse­rer kirch­li­chen Ver­an­stal­tun­gen ein Mot­to geben mag. Ein Wort, das uns per­sön­lich beglei­tet und dem wir uns hof­fent­lich mehr als ein­mal stel­len werden.

Im ver­gan­ge­nen Jahr ging das Glück mit uns – und ist uns wirk­lich oft begeg­net bei vie­len öffent­li­chen Gele­gen­hei­ten. „Gott nahe zu sein ist mein Glück“, so haben wir es bekannt, hin­ter­fragt, durch­leuch­tet, immer wie­der gefei­ert. Wir waren zum Kir­chen­tag in Stö­ßen zusam­men. Uns als Gemein­den gegen­sei­tig zu beglü­cken haben wir uns vor­ge­nom­men in der Gemein­de­ak­ti­on. Man­ches davon ist schon gesche­hen, man­ches steht auch jetzt noch an. Das Glück, Gott nahe zu sein, begeg­ne­te uns in Lie­dern, in Gemein­de­ver­an­stal­tun­gen, in Got­tes­diens­ten – und hof­fent­lich hat es jeder an wich­ti­gen Sta­tio­nen des ver­gan­ge­nen Jah­res selbst auch erle­ben dür­fen. Das Mot­to von 2014 war vor allem auf die Bezie­hung zwi­schen Mensch und Gott aus­ge­rich­tet, sehr per­sön­lich, sehr auf Gott und den Ein­zel­nen bezogen.

In die­sem Jahr 2015 wen­det sich der Blick wie­der ver­stärkt dem Nächs­ten zu – und lebt dabei von der Bezie­hung zu Gott. „Nehmt ein­an­der an, wie Chris­tus euch ange­nom­men hat zu Got­tes Lob!“ (Römer 15,7) So for­dert uns Pau­lus im Römer­brief auf. Das Glück, Gott nahe zu sein, bleibt nicht für sich, es bleibt nicht für mich allein, es sucht zugleich den andern auf, sucht den Nächs­ten. „Nehmt ein­an­der an, wie Chris­tus euch ange­nom­men hat zu Got­tes Lob!“

Auf den Pla­ka­ten und Kärt­chen zur Jah­res­lo­sung 2015 fehlt ein klei­nes Wort, weil man einen allein­ste­hen­den Satz nicht so anfan­gen kann, wie er im Römer­brief auf­ge­schrie­ben ist. „DAR­UM nehmt ein­an­der an“, schreibt Pau­lus. Wie immer hat auch die­ses Mot­to einen grö­ße­ren bibli­schen Hintergrund.

Pau­lus hat sich über ein gan­zes Kapi­tel hin mit den Star­ken und Schwa­chen im Glau­ben beschäf­tigt. Sei­ne Beob­ach­tung: Man­che Men­schen machen aus einer Sache eine Glau­bens­fra­ge, die gar kei­ne sein müss­te. So strit­ten sich eini­ge dar­um, ob sie Fleisch essen dür­fen – Vege­ta­ri­er der ers­ten Stun­de, möch­te man den­ken.  Aber das hat­te einen reli­giö­sen Hin­ter­grund. So kön­nen wir im 1. Korin­ther­brief (8,4) Genaue­res nach­le­sen. Man­che Chris­ten aßen Fleisch, das für grie­chi­sche oder römi­sche Göt­ter bestimmt gewe­sen war, das von den Fei­er­lich­kei­ten für Göt­ter übrig war – oder viel­leicht von einem ent­spre­chen­den Metz­ger stamm­te. Sie wuss­ten: Es gibt kei­ne Göt­ter. Also kann das Fleisch auch nichts Gefähr­li­ches an sich haben. Aber ande­ren Chris­ten war das eine gro­ße Anfech­tung, und so kam es in Korinth zum gro­ßen Streit. Ähn­lich wird es bei den Römern gewe­sen sein, denen Pau­lus hier das The­ma eben­falls darlegt.

Ande­re strit­ten sich dar­über, ob man bestimm­te Tage — bestimm­te Fei­er­ta­ge etwa – ein­hal­ten muss, wo man als Christ doch qua­si einer ande­ren Reli­gi­on ange­hört. Und Pau­lus macht in dem vor­aus­ge­hen­den Kapi­tel deut­lich, dass eine neue Art Gesetz­lich­keit und auch Ängst­lich­keit der Ein­heit der Gemein­de scha­den. Damit aber scha­det die­se Zwie­tracht letzt­lich dem Anse­hen Got­tes. Pau­lus treibt es um, dass eine Gemein­de, die sich über sol­chen Fra­gen ent­zweit, nicht mehr Gott loben kann, nicht mehr gemein­sam Gott loben kann.

Ach – ich rede hier von dem Pau­lus, der vor 2000 Jah­ren den Römer­brief geschrie­ben hat. Nur falls jemand dach­te: Das kommt mir doch bekannt vor. Aber: Es stimmt ja auch. Es kommt uns bekannt vor, sehr sogar.

Die fol­gen­de Geschich­te erzäh­le ich heu­te mit einem Schmun­zeln auf den Lip­pen, weil wir – die es direkt betrifft – heu­te dar­über lachen. Ich kam am Anfang mei­nes Diens­tes in eine unse­rer vie­len Kir­chen zum Got­tes­dienst. Und, wie es so oft bei mir ist, habe ich fröh­lich vor mich hin gepfif­fen. Viel­leicht hat­te ich noch eine Musik aus dem Auto im Ohr, viel­leicht war es ein­fach so. Ich pfei­fe oder sum­me oft vor mich hin. Naja, das kam dann aber in der Kir­che nicht so gut an. Denn: in der Kir­che wird nicht gepfif­fen. Heu­te beneh­me ich mich etwas bes­ser und bekom­me aber ande­rer­seits auch kei­ne Rüge, wenn ich in der Kir­che mal pfeife.

Ein ande­res Bei­spiel ist die Müt­zen­fra­ge. Wie vie­le Men­schen tra­gen gera­de im Win­ter eine  Müt­ze auf dem Kopf, Män­ner wie Frau­en, und Kin­der sowie­so. Aber in der Kir­che, das weiß doch jedes Kind, müs­sen Jungs und Män­ner die Müt­ze abset­zen. Böse Bli­cke sind da noch das harm­lo­ses­te, was einer ern­ten kann. Es gibt gele­gent­lich auch böse Wor­te – oder gar eins auf besag­te Müt­ze. Dabei ist es doch ver­nünf­tig, in einer kal­ten Kir­che eine Müt­ze zu tra­gen – sage ich und sagt der luthe­risch-lit­ur­gisch uner­fah­re­ne Mensch, dem es ein­fach kalt ist am Kopf.

Pau­lus könn­te heu­te ein­fach wei­ter­schrei­ben. Wir böten ihm genü­gend The­men, an denen sich Unei­nig­keit und man­cher Zank fest­ma­chen lie­ße. Wir machen schnell aus einer All­tags­fra­ge eine neue Reli­gi­on, neue Geset­ze für ein christ­li­ches Leben. Vor Jah­ren schon bil­de­te sich eine neue Abkür­zung in christ­li­chen Krei­sen, mal ernst gemeint, dann auch spöt­tisch ange­wen­det: GLI­US.

Ken­nen Sie GLI­US? Gli­us bedeu­tet: Gläu­big in unse­rem Sinn. Wenn einer genau­so sei­nen Glau­ben lebt und mit den­sel­ben Sät­zen und Über­zeu­gun­gen vor­bringt wie wir, dann ist er gläu­big in unse­rem Sinn, dann ist er gli­us. Ach – und anders gläu­big ist ja gar nicht rich­tig gläu­big. Die gro­ßen Kon­fes­sio­nen haben dar­aus tat­säch­lich neue Reli­gio­nen gemacht. Wir kön­nen heu­te von gro­ßem Glück reden, dass wir uns gegen­sei­tig wenigs­tens die Tau­fe aner­ken­nen. Beim Abend­mahl oder dem Amts­ver­ständ­nis von Pries­tern und Pfar­rern hapert es noch gewal­tig. Ich habe ein­mal nach einem Gos­pel­kon­zert von einer ver­mut­lich alt­ein­ge­ses­se­nen ehren­amt­li­chen Mit­ar­bei­te­rin die freund­li­che Auf­for­de­rung gehört, wir müss­ten uns jetzt beei­len mit Abbau­en, weil nun bald die Gläu­bi­gen kämen. Dabei dach­te ich, wir hät­ten gera­de eine Stun­de kräf­tig mis­sio­niert und die gute Nach­richt unters Volk gebracht. Aber wir waren nicht gli­us – unse­re Fröm­mig­kei­ten pass­ten nicht zu einander.

Mon­tag und Diens­tag habe ich im Fern­se­hen die Roman­ver­fil­mung „Der Medi­cus“ ange­schaut. Das Buch hat­te ich vor  Jah­ren schon gele­sen und war gespannt auf die fil­mi­sche Umset­zung. Da reist im fins­te­ren Mit­tel­al­ter ein Eng­län­der nach Per­si­en, um dort bei einem der berühm­tes­ten Ärz­te Medi­zin zu stu­die­ren. In Eng­land hat er bei einem Bader als Gehil­fe gear­bei­tet  und gemerkt, dass Vie­les Quack­sal­be­rei ist. Er woll­te den Men­schen aber auf fun­dier­ter Basis mit wirk­lich guten Mit­teln und Metho­den hel­fen. In Per­si­en herrsch­te – so wie heu­te – der Islam. Die ein­zi­gen, die außer den Mus­li­men gedul­det waren, waren damals die Juden. Und so muss­te sich der jun­ge Christ und Eng­län­der als Jude aus­ge­ben. Unter­wegs reis­te er auch mit Juden zusam­men, in Isfa­han kam er bei Juden unter, soll­te an einem Abend das Tisch­ge­bet spre­chen – und impro­vi­sier­te frei vor sich hin. „Betet ihr so in Eng­land?“, war die Fra­ge. Lus­tig. Er war trotz­dem aner­kannt. Aber gli­us war das eigent­lich auch nicht, es ent­sprach nicht den alten, tra­di­tio­nel­len Vor­ga­ben und Gebeten.

Schon unter­ein­an­der, in einer Gemein­de, in einer Kir­che, unter einem lan­des­kirch­li­chen Dach ist es nicht so ein­fach, sich ein­an­der anzu­neh­men. Wir hän­gen an unse­ren Gewohn­hei­ten und Tra­di­tio­nen. Wir hän­gen an gewohn­ten Wor­ten und Wei­sen. Wir hän­gen an über­kom­me­nen Uhr­zei­ten und sit­zen manch­mal auch auf Stamm­plät­zen in der Kir­che. Womög­lich hat ein Urahn für sie sogar bezahlt. Kommt einer anders und macht es anders, dann ist das für man­chen tat­säch­lich eine Glau­bens­fra­ge. Ein­an­der anneh­men, so wie wir sind, mit unse­ren Gewohn­hei­ten, mit unse­ren Unter­schie­den, mit unse­ren unter­schied­li­chen Bedürf­nis­sen? Schon in der Gemein­de fällt das manch­mal schwer. An sie zuerst aber rich­tet sich Pau­lus, rich­tet sich die Jahreslosung.

In der Gemein­de näm­lich, in die­sem geschütz­ten Raum ent­fal­tet sich das, was Pau­lus beschreibt. Zuerst gilt hier und wird es auch erfah­ren: Chris­tus hat uns ange­nom­men. Das ist die Vor­aus­set­zung für alles ande­re. Bevor wir uns über ein rech­tes christ­li­ches Leben Gedan­ken machen, steht vor uns die Zusa­ge Got­tes: Du bist mein Kind, ich habe dich ange­nom­men und sage Ja zu dir. Das äuße­re Zei­chen, mit dem wir die­se Zusa­ge ver­bin­den, ist die Tau­fe. Gott macht uns zu neu­en Men­schen. Aus dem Tauf­was­ser tau­chen wir als neue Men­schen auf. So im tra­di­tio­nel­len, alten Bild der Taufe.

„Wie Chris­tus euch ange­nom­men hat“ – wir brau­chen gar nicht wei­ter­zu­den­ken, wie christ­li­che Gemein­schaft gelin­gen kann, wenn wir uns über die­se Vor­aus­set­zung und Eigen­schaft eines jeden Chris­ten­le­bens nicht einig sind. Der neben mir in der Bank, die hin­ter mir oder mir gegen­über, der auf der Empo­re, Lek­to­rin oder Pfar­re­rin, Kind oder Erwach­se­ner, ein­sa­mer oder fami­li­en­be­schenk­ter Mensch – sie alle sind von Jesus Chris­tus ange­nom­men. Damit hat­ten schon damals die From­men ihre Schwie­rig­kei­ten. Sie dach­ten, dass ein Mensch Got­tes doch auch in der ent­spre­chen­den Gesell­schaft aner­kannt sein müs­se, zu ihr pas­sen müs­se. Ein Zöll­ner war das nicht – und hat­te so kein Recht auf Gemein­schaft mit Gott. Ein Aus­sät­zi­ger hat­te die­se Aner­ken­nung ver­lo­ren – und so auch kein Recht auf eine glau­ben­de Gemein­schaft. Jesus macht es klar: Dort, wo er hin­geht, haben Men­schen Gemein­schaft mit Gott, weil er selbst die­se Gemein­schaft bie­tet, ob das den From­men passt oder nicht.

Christ­li­ches Leben ist dort, wo Jesus Chris­tus einen Men­schen annimmt, ange­nom­men hat. Das mag uns noch so fremd aus­se­hen, weil es unse­rem Stil, den Glau­ben zu leben, nicht ent­spricht. Aber wo Jesus Chris­tus Ja zu einem Men­schen sagt, ist christ­li­ches Leben. In der Gemein­de zuerst kön­nen wir das ent­de­cken und sagen es uns gegen­sei­tig immer wie­der zu. Wir beten mit­ein­an­der, sin­gen mit­ein­an­der,  hören mit­ein­an­der. Wir beken­nen gemein­sam unse­ren Glau­ben, den einen Glau­ben an den einen Gott. Wir spre­chen mit­ein­an­der das Gebet Jesus, das Vater­un­ser. Wir tei­len das Abend­mahl mit­ein­an­der und leben so in der Gemein­de, was Jesus bewirkt hat. „Wie Chris­tus euch ange­nom­men hat“ – das sagen wir uns doch gegen­sei­tig zu, von der Tau­fe an bis hin zur christ­li­chen Bestat­tung. Das gan­ze christ­li­che Leben wird von die­ser Vor­aus­set­zung bestimmt.

In der Gemein­de ent­fal­tet sich für Pau­lus dann auch die Fol­ge. Jesus hat uns ange­nom­men, bedin­gungs­los, vor­be­halt­los. Also kön­nen wir nicht anders, als uns gegen­sei­tig anzu­neh­men. Nur so leben wir selbst das nach, was Jesus Chris­tus uns vor­ge­lebt hat. Nur dann sind wir sei­ne Nach­fol­ger, wenn wir ihm auf dem Weg zum Nächs­ten auch nach­fol­gen. Er nimmt mich mit mei­nen schrä­gen Eigen­ar­ten an – also neh­me ich mei­nen Nächs­ten mit sei­nen schrä­gen Eigen­ar­ten an. Das ist eines der wich­tigs­ten Kenn­zei­chen einer christ­li­chen Kir­che. „Dar­an wird jeder­mann erken­nen, dass ihr mei­ne Jün­ger seid, wenn ihr Lie­be unter­ein­an­der habt.“ So sagt es Jesus sei­nen Jün­gern, uns (Johan­nes 13,35). In die glei­che Rich­tung weist Pau­lus, weist die Jah­res­lo­sung: „Nehmt ein­an­der an, wie Chris­tus euch ange­nom­men hat!“ Alles ande­re zer­stört die Gemein­de, die Gemein­schaft, die Glaub­wür­dig­keit der Kir­che und unse­re eige­ne Glaubwürdigkeit.

Sein Ziel: Unse­re geschwis­ter­li­che Gemein­schaft und Lie­be dient und bezeugt, ver­kün­det Got­tes Lie­be. Wir kön­nen vie­le Pro­gram­me machen und wun­der­ba­re Wor­te. Aber wenn die sicht­ba­re gegen­sei­ti­ge Lie­be, Ach­tung und Annah­me feh­len, wer­den uns die Men­schen fra­gen, wo denn die Lie­be Got­tes ist, von der wir immer reden.

Sonst ärge­re ich mich ja und weh­re mich auch gegen die Dumm­heit der Men­schen, die nur das Schlech­te von der Kir­che wis­sen, das auch schon Jahr­hun­der­te zurück­liegt: Kreuz­zü­ge und Hexen­ver­bren­nung. Aber: Die­se schlim­men Zeug­nis­se eines christ­li­chen Lebens, das ande­re gera­de nicht ange­nom­men hat, behin­dern den Glau­ben an Got­tes Lie­be – erst recht dann, wenn wir unter­ein­an­der schon uneins sind und man­chen Mini­kreuz­zug unter­ein­an­der austragen.

Ande­rer­seits: Wenn Men­schen sehen, dass wir uns gegen­sei­tig anneh­men, dann fal­len ihnen gute Wor­te über die Kir­che ein. Dann fällt ihnen ein gutes Wort über Gott ein. Dann wagen sie sich selbst auch hin­ein, weil sie erhof­fen dür­fen, dass wir sie anneh­men, freund­lich auf­neh­men. Wo, wenn nicht in der Gemein­de, in der wir doch unse­re Grund­vor­aus­set­zung ken­nen, soll­te das mög­lich sein?

Pau­lus betreibt hier kei­ne Gleich­ma­che­rei. Denn wenn alle gleich wären, dann bräuch­te er die­se Mah­nung gar nicht zu schrei­ben. Nein – wir sind alle unter­schied­lich, sehr unter­schied­lich zum Teil. Das ist ja gera­de die Her­aus­for­de­rung! Wir las­sen uns mit unse­ren Eigen­ar­ten ste­hen und ent­de­cken dar­in die Viel­falt des Lebens. Ein­fa­cher wäre es, wenn alle gleich ticken wür­den. Schö­ner und reich­hal­ti­ger ist es, wenn wir so unter­schied­lich sind und den­noch zuein­an­der ste­hen und uns ach­ten und wertschätzen.

Nun hören wir die Jah­res­lo­sung in einer Zeit, in der wir auch wei­ter­den­ken, über die Gemein­de­gren­zen hin­aus wei­ter­den­ken müs­sen. In unse­ren Orten wer­den ver­mehrt Frem­de auf­tau­chen und Hei­mat suchen – für eine gewis­se Zeit, viel­leicht auch für län­ger und auf Dau­er. Zen­tral oder auch dezen­tral wer­den syri­sche Flücht­lin­ge oder ande­re Asyl­su­chen­de auch in unse­re Orte kom­men. Viel­leicht nicht in jedes klei­ne Dorf, aber in jede Kom­mu­ne. Hier und da gab und gibt es in die­sen Tagen Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen dazu. Die Medi­en berich­ten dar­über, auch die Lokal­pres­se wird davon erzäh­len, wenn es hier etwas zu erzäh­len gibt.

„Nehmt ein­an­der an!“ Was Pau­lus damals vor allem in die Gemein­de hin­ein­ge­schrie­ben hat, wird für uns heu­te – aber nicht erst heu­te – zu einer bren­nen­den Fra­ge und letzt­lich zum Prüf­stein unse­rer Glaub­wür­dig­keit als Chris­ten über unse­re Gemein­den hinaus.

Zuge­spitzt, über­spitzt gesagt: Wir sind die Kir­che eines Asy­lan­ten. Wir sind die Kir­che des Got­tes, der in sein Eigen­tum kam, aber die Sei­nen nah­men ihn nicht auf. So beschreibt Johan­nes an Stel­le einer Weih­nachts­ge­schich­te Jesu Ankunft auf der Erde (Johan­nes 1). Wir nen­nen uns nach einem, der kei­nen Raum in der Her­ber­ge fand und im Stall  gebo­ren wer­den muss­te (Lukas 2). Wir fol­gen einem nach, der nach eige­nen Wor­ten kei­nen Ort hat, an dem er sein Haupt hin­le­gen kann – anders als Füch­se und Vögel, die ihre Gru­ben und Nes­ter haben (Mat­thä­us 8,20).

So wird der Blick über die Gemein­de­gren­zen hin­aus über­aus wich­tig und bedeut­sam. Geben wir denen Raum, die ihre Hei­mat ver­lo­ren haben? Die­se Erfah­rung haben ja sogar etli­che in unse­ren Gemein­den noch selbst gemacht – damals vor 70 Jah­ren waren viel selbst Flücht­lin­ge und such­ten eine neue Hei­mat, gezwun­ge­ner­ma­ßen. Schaf­fen wir es, mit die­ser eige­nen Erfah­rung im Rücken, den jet­zi­gen Ver­trie­be­nen und Flüch­ti­gen Lebens­raum zu geben?

Es sind – auch das müs­sen wir uns klar vor Augen füh­ren – Men­schen, die Jesus Chris­tus ange­nom­men hat. Wir haben ihnen gar nichts vor­aus, son­dern leben unter den­sel­ben Bedin­gun­gen des Glau­bens: Gott schenkt sich den Flücht­lin­gen unse­rer Tage genau­so, wie er sich damals den Juden und Hei­den geschenkt hat, wie er sich uns geschenkt hat – „als wir noch Sün­der waren“, wie es Pau­lus ein­mal aus­drückt (Römer 5,8). Er schenkt sich denen, die Mus­li­me sind, die Athe­is­ten sind oder Zweif­ler, die gar nicht mehr wis­sen, was sie über­haupt noch glau­ben sol­len, die sich fana­tisch einer Glau­bens­rich­tung zuwen­den – oder genau­so fana­tisch dage­gen weh­ren, die man­che der alt­her­ge­brach­ten Reli­gio­nen wild durch­ein­an­der­men­gen und ver­mi­schen oder die auf gro­ße Rein­hal­tung der Reli­gi­on bedacht sind. Gott schenkt sich und nimmt uns an, bevor wir an ihn glauben.

Und des­we­gen kön­nen und sol­len wir ein­an­der anneh­men. Üben und im siche­ren Raum leben kön­nen wir das inner­halb der Gemein­de. Hier ist der Ort, es zu wagen, weil wir eins sind in die­sem einen Gott. Hier ist der Ort, auch mit Zwei­feln umzu­ge­hen, mit Ängs­ten und Vor­be­hal­ten auf­ein­an­der zuzu­ge­hen und sie abzu­bau­en. Und dann kön­nen wir, gestärkt, erprobt, ermu­tigt und getra­gen auf ande­re zuge­hen, auch außer­halb der Gemeinden.

„Nehmt ein­an­der an wie Chris­tus euch ange­nom­men hat zu Got­tes Lob!“ Mit die­sem Auf­trag und die­ser Erin­ne­rung an sei­ne Lie­be schickt uns Gott in die­ses Jahr, in unser Leben als Chris­ten. Wenn wir es wagen, wird dar­aus ein neu­er Blick auf Gott frei, wer­den Men­schen Gott loben und ihm dan­ken für sei­ne Lie­be, die er sicht­bar wer­den lässt. 365 Tage haben wir Zeit, es zu erpro­ben und zu erle­ben. Amen.

 

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