Genüge ich für Gott? Oder braucht’s mehr — mehr Glauben, mehr Gaben, mehr Fähigkeiten? Eine Beobachtung am Spendenkasten.
Markus 12,41–44
Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das ist ein Heller. Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn sie haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.
Ja, da schau her!
Machen Sie das auch gerne? Zugucken, was andere so machen? Manchmal genieße ich es, einfach in einem Kaffee zu sitzen, ein Eis zu essen und zu sehen, welche Menschen die Straße entlanglaufen und wie sie so drauf sind. Im Urlaub ist das schön, dem bewegten Leben an einem belebten Ort zuzuschauen – am liebsten irgendwo in einem Hafen, ob Fluss, See oder Meer. Da ist immer etwas los. Und Leute gibt’s.
Jesus sitzt im Tempel, irgendwo im Vorhof wohl, und beobachtet das muntere Treiben. In Jerusalem ist immer Bewegung, gerade auch rund um den Tempel. Gewiss ähnlich wie hier in der Stadtkirche oder der Schlosskirche. Da sitzt er. Wäre es in der Kirche, dann wäre ein guter Platz auf der Seitenempore links von der Orgel. Da kann man die Opfersäulen gut sehen.
Viele Menschen legen etwas ein. Mal klimpern die Münzen, und in unserer Zeit raschelt auch ein Schein durch den Schlitz. Spannend. Manche halten ihre Hand so um ihre Gabe gekrümmt, dass man nicht sieht, was drin ist. Andere zeigen es ganz offen. Kann ruhig jeder sehen, dass ich nicht knausere, wenn es um den Erhalt unseres Tempels geht. Und die Predigt heute war wirklich gut.
Gucken Sie da auch hin? Es ist ja manchmal gar nicht so leicht wegzuschauen. Wer Kollektendienst hat und das Körbchen hält, der kriegt schon mit, was Menschen dort hineintun. Man versucht, die Augen nicht mit jeder Handbewegung zum Körbchen wandern zu lassen; lieber mit den Leuten noch ein Wort gewechselt und ihnen ins Gesicht geschaut. Aber manchmal guckt man ja doch.
„Viele Reiche legten viel ein“. Das ist wirklich schön und aller Ehren wert. Immerhin kostet der Betrieb des Tempels eine Menge Geld. Und wenn dann diejenigen, die große Finanzkraft haben, das auch kräftig unterstützen, ist das toll. Danke. Wirklich! Danke dafür.
„Eine arme Witwe legt zwei Scherflein ein, das ist ein Heller.“ „Zwei kleine Kupfermünzen“ heißt es in der Basisbibel, „das entspricht der kleinsten römischen Münze.“ Auch dafür Danke. Wirklich: Danke dafür.
Wir haben ja ein ausgeklügeltes System für den Gemeindebeitrag. Für jeden gibt es eine Empfehlung der Landeskirche. Studenten und andere, die ein paar Nebeneinnahmen haben, erhalten einen Vorschlag. Kirchensteuerzahler dürfen auch noch etwas nachlegen. Und wer sonst Einnahmen hat, der kann sich anhand einer Tabelle ausrechnen, was angemessen wäre.
Auch Jesus lädt seine Jünger ein, sich damit auseinanderzusetzen, was am Opferkasten im Tempel geschieht. „Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben.“ Das war irgendwie klar, oder? Gewiss waren die Gaben, die von den Reichen kamen, rein rechnerisch größer. Mit zwei Kupfermünzen kann man den Tempel nicht erhalten, mit zwei Goldstücken kommt man schon ein Stück weiter. Aber wir kennen ja Jesus. Und ahnen, dass er auf anderes hinauswill. Er dreht immer alles anders herum, als wir es erwarten.
Da sind „die Reichen“. Und mir fallen zwei aus dieser Gruppe ein, denen eine besondere Geschichte gewidmet ist. Das eine ist der Reiche, der mit dem armen Lazarus zu tun hat. Lukas erzählt die Geschichte (Lukas 16,19–30). Dem Reichen geht es gut, er kleidet sich in die teuersten Klamotten, hat mehr als satt zu essen, hat natürlich ein eigenes Haus. Der arme Lazarus ist ein Bettler. Er liegt vor der Tür des Reichen. Er freut sich über jeden Krümel, der vielleicht vor die Tür gefegt wird oder in der Tonne landet. Beide sterben; Lazarus kommt in den Himmel, der Reiche in die Hölle. Nicht weil er reich war, sondern weil er hier nichts geteilt hat. Ausgleichende Gerechtigkeit?
Aber: solche Kritik bringt Jesus hier gar nicht an. Die Reichen an den Opferstöcken im Tempel werden nur neutral beschrieben. Sie geben von ihrem Überfluss. Und das ist nicht schlecht, das ist nicht verwerflich. Es ist ein gutes Zeichen.
Der andere, der mir einfällt, ist der reiche Jüngling (Markus 10,17–22). Der kam zu Jesus, wollte wissen, wie er das ewige Leben erwerben kann. „Gebote halten“, ist Jesu Tipp. „Hab ich“, sagt der Mensch. „Toll“, sagt Jesus und meint es ganz ernst. „Eins noch: Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen. Und dann folge mir nach.“ Das geht nicht. Der Mensch hängt an seinem Reichtum. Sich selbst will und kann er nicht geben, nicht aufgeben.
Was passiert hier an dem Gotteskasten im Tempel? Da geht es ja nicht um Gerechtigkeit, nicht um Zuwendung an Arme. Es geht auch nicht um den Gegensatz von Arm und Reich, um den leichteren oder schwereren Weg in den Himmel. Mich beschäftigt die Quelle, aus der die Witwe ihre Gabe einlegt. Sie gibt von ihrer Armut. Und die Frage taucht unweigerlich auf: Reicht das?
Vor einer Woche kamen Predigttext und Evangelium aus dem Johannesevangelium. Die Speisung der 5.000. Und die Frage von Andreas, einem der Jünger, ist mir noch gut in Erinnerung: „Aber was ist das für so viele?“ (Johannes 6,1–15) Er meinte die fünf Brote und zwei Fische, die ein Knabe zu dem Event mithatte. Das reicht doch nie. Was ist das für so viele?
Was ist die Quelle für das Wunder vor einer Woche? Und was ist die Quelle für die Gabe der Witwe? Die erst einmal verwirrende Antwort: Die Armut der Menschen wird zur Quelle, die satt macht. Die Armut reicht aus, damit alle satt werden. Die Armut macht die Gabe der Witwe reicher als alle reiche Gabe der Wohlhabenden. Das ist paradox. Und es ist Gottes Weg. Nur mal ein kurzer Blick in ein paar wenige Geschichten, die das beschreiben.
Als erstes Abraham. Der war jetzt nicht arm. Er besaß einige Viehherden, Knechte und Mägde gehörten zu ihm. Aber etwas ganz Wesentliches fehlte ihm, vor allem im Blick auf das, was Gott ihm versprochen hatte: Du sollst zu einem großen Volk werden, Nachkommen so viele, wie der Sand am Meer. (1. Mose 12,1–4; 1. Mose 15,1–6) Das Problem: Da war Abraham wirklich bettelarm. Denn er hatte gar kein Kind, kein einziges. Die logische Antwort wäre gewesen: „Gott, das geht nicht. Sara und ich haben keine Kinder. Und selbst wenn. Ein großes Volk? Naja.“ Aber er antwortet anders. Gott beauftragt ihn, loszuziehen in ein unbekanntes Land, das ihm und seinem Volk gehören soll. Und er geht los. Abraham macht es an der Stelle wie die Witwe im Tempel. Er legt seine ganze Armut in den Gotteskasten. Er legt seine ganze Armut Gott hin – in seinem Fall schlicht nichts. Das Ergebnis kennen wir: Volk Israel.
Ein zweiter kommt mir in den Blick, der auch an einer gewissen Armut litt: Mose. Gott will ihn zum Anführer machen für die Rettung seines Volkes Israel aus Ägypten. Mose hatte mehrere Handycaps. Er war ein Flüchtling, gesucht wegen Totschlags in Ägypten. Er war ein einfacher Viehhirte im Land Midian geworden und trottete mit den Schafen seines Schwiegervaters, nicht mal mit seinen eigenen, durch die Wüste. Ob er Gotteserfahrungen hatte, wird nicht erzählt. Nichts Besonderes jedenfalls. Und er kann nicht reden – sagt er. Ist er schüchtern? Stottert er? Fallen ihm keine Worte ein? Er hat eine schwere Zunge. Nicht gerade reich ausgestattet mit dem, was ein Diplomat im Gespräch mit dem mächtigsten Mann Ägyptens braucht. Arm also. Und? Gott gebraucht Mose und er ist sein mächtiger Leiter für das Volk (2. Mose 4,10–17).Mit ihm redet Gott direkt, wie von Freund zu Freund, heißt es einmal (2. Mose 33,11).
Ein Beispiel noch: Maria, die Mutter Jesu. Wer war sie? Bevor der Engel sie besucht und die Geburt Jesu ankündigt, wissen wir nichts von ihr. Sie war mit einem Zimmermann verlobt. Das ist nicht ganz arm. Handwerk hatte vielleicht keinen goldenen Boden, aber es war schon besser, als Tagelöhner zu sein, der sich jeden Tag einen Job suchen muss. Aber reich war sie vielleicht auch nicht. In ihrem Lobgesang sagt sie: „Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ (Lukas 1,48) Das können wir sehr vergeistigt deuten. Sie hatte eine da vielleicht eine große, eigene Sündenerkenntnis, die Größe Gottes war ihr bewusst, sie wusste, wie klein jeder Mensch vor Gott doch in Wirklichkeit ist. Aber wir könnten es auch einfach als Realität annehmen: Sie war eine sehr einfache Frau, die nichts Großartiges mitbrachte – jedenfalls nichts, warum Gott gerade sie als Mutter des Gottessohnes erwählen sollte. Wie bei Abraham. Warum gerade der? Warum gerade sie? Als der Engel sie besucht und ihr die Geburt von Jesus ankündigt, antwortet sie: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“ (Lukas 1,38) Sie tut das Gleiche wie die Witwe, die materiell betrachtet wirklich arm war: Sie stellt sich mit dem, was sie hat und was sie ist, voll zur Verfügung.
Und diese Haltung – die von Maria und Abraham, aber auch die von Mose, der eine Weile diskutiert – gibt den Schlüssel ab für die Beobachtung Jesu am Gotteskasten und seine Deutung der Geschichte. „Sie hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.“ Und damit hat sie mehr eingelegt, als alle anderen.
Ich muss gerade schmunzeln, weil mir dazu auch einfällt, was die Reichen vielleicht gedacht haben und was mir auch schon als Frage begegnet ist: Muss ich den Zehnten eigentlich vor oder nach Abzug der Steuern geben? Das ist ja eine alte Regel, biblisch begründet: Der zehnte Teil der Ernte und der sonstigen erworbenen Güter gehört Gott, gehört dem Tempel, den Priestern, den Leviten. Ganz pragmatisch wird damit der Lebensunterhalt derer bestritten, die ja kein eigenes Land im alten Israel hatten und damit kein Einkommen und keine Altersversicherung. Aus dieser Regel leitet sich bis heute die Empfehlung ab, zehn Prozent des Einkommens für christliche, kirchliche Arbeit zu geben. Und wie ist das nun: Vor oder nach Abzug von Lohn- und Einkommenssteuer? Sie merken schon, dass die Fragestellung falsch ist. Womöglich dachten die Reichen, die gewiss ehrbar waren und fromm und gläubig, so ähnlich. Und Jesus will damit bestimmt nicht sagen, dass jeder alles verkaufen und den Erlös in den Kasten legen soll.
Doch mit welcher Haltung komme ich zu Gott? Und lassen wir das mit dem Geld beiseite. Mit welcher Haltung kommen wir zu Gott? Was gebe ich Gott von mir? Nur noch ein Gedankenanstoß dazu. Wie arm fühle ich mich vor Gott und hält mich vielleicht diese gefühlte Armut davon ab, mich noch als geliebtes Kind Gottes zu sehen?
„Ach, ich kann dies nicht und das nicht. Ich habe nicht so viel. Mit Geld kann ich nicht dienen, aber singen kann ich auch nicht und für den Begrüßungsdienst bin ich zu schüchtern und richtig laufen geht auch nicht mehr. Gott braucht mich nicht mehr.“ Oder schlimmer: „Gott sieht mich nicht mehr. Liebt er mich überhaupt noch?“
Die Haltung der Witwe sagt: „Ich gebe Gott mich selbst. Etwas anderes habe ich nicht.“ Und ehrlich: Etwas anderes will Gott auch nicht als uns selbst. Er will keinen Anteil von uns, keine zehn und auch keine 80 oder 120 %. Er will einfach nur uns – so wie wir sind, mit kleinen und großen menschlichen Möglichkeiten. Mit Stärken und mit Schwächen – und zwar mit allen Stärken und allen Schwächen. Unsere ganze Armut können wir ihm geben. Er macht sie reich, macht daraus etwas Großartiges für sein Reich.
Besonders unsere Armut kann Gott gut gebrauchen, weil er erst da wirklich viel hineinlegen kann. Ich befürchte, dass wir ihm mit unserem Reichtum manchmal sogar im Weg stehen. Und da denke ich wiederum nicht an das Geld. Wer viel kann, der kann und macht viel aus sich. Und Gott kommt erst ins Spiel, wenn wir nicht mehr können. Statt Gott um Hilfe und Segen zu bitten, wenn wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, könnten wir das am Anfang von allem tun. Erst einmal all unsere Möglichkeiten aus der Hand legen und Gott fragen. Damit er die Möglichkeit hat, uns die leeren Hände zu füllen.
Machen wir es wie Jesus: Beobachten wir. Aber nicht die andern, sondern uns selbst. Wenn ich zu Gott komme, wie komme ich da? Mit Gaben und vollen Händen? Oder kann ich sagen: Gott, meine Hände sind leer, selbst da, wo ich viele Möglichkeiten habe. Ich lege mich selbst in deine Hände. Ich gebe dir mein ganzes Leben. Aus meiner Armut gebe ich mich dir. Mach du mich reich. Und fülle mir die Hände, dass ich andere an deinem Reichtum beteiligen kann.