Ins Geheim­nis fal­len lassen

Gedan­ken zum Sonn­tag Trinitatis,
ange­sto­ßen durch einen nächt­li­chen Fra­ge­stel­ler und einen ver­zück­ten Paulus.

Johan­nes 3,1–8

Es war aber ein Mensch unter den Pha­ri­sä­ern mit Namen Niko­de­mus, ein Obers­ter der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rab­bi, wir wis­sen, dass du ein Leh­rer bist, von Gott gekom­men; denn nie­mand kann die Zei­chen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus ant­wor­te­te und sprach zu ihm: Wahr­lich, wahr­lich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neu­em gebo­ren wird, so kann er das Reich Got­tes nicht sehen.
Niko­de­mus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch gebo­ren wer­den, wenn er alt ist? Kann er denn wie­der in sei­ner Mut­ter Leib gehen und gebo­ren wer­den.  Jesus ant­wor­te­te: Wahr­lich, wahr­lich, ich sage dir: Wenn jemand nicht gebo­ren wird aus Was­ser und Geist, so kann er nicht in das Reich Got­tes kom­men. Was aus dem Fleisch gebo­ren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist gebo­ren ist, das ist Geist. Wun­de­re dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neu­em gebo­ren wer­den. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sau­sen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist gebo­ren ist.

Pre­digt zu Römer 11,33–36

Lie­gen Sie manch­mal wach und grü­beln über etwas nach? Ich glau­be, das geht vie­len Men­schen so. Manch­mal ist es etwas, das uns Sor­gen macht, viel­leicht sehr kon­kret. Eine hohe, uner­war­te­te Rech­nung ist ins Haus geflat­tert. Das Auto ist kaputt und zwar so, dass ein neu­es her­muss. Die Nach­zah­lung für Strom oder Gas – die Rech­nun­gen muss man noch gar nicht sehen, um sich schon vor ihnen zu sor­gen. Und wir grü­beln, wie das gehen soll. Manch­mal hat ein Mensch etwas zu uns gesagt, das wir nicht ver­stan­den haben. Den gan­zen Tag über konn­ten wir es weg­schie­ben – genü­gend Ablen­kung, genug Arbeit und am Abend auch ein schö­nes Tref­fen mit Freun­den. Doch dann kehrt Ruhe ein. Was war da noch? Wie­so ist der mich so ange­gan­gen? Was habe ich falsch gemacht? Was soll­te die­ser Satz? Und wir grü­beln, ver­su­chen zu ver­ste­hen, was wir nicht ver­stan­den haben.

Johan­nes erzählt von einem gehört, dem es ähn­lich ging: Niko­de­mus. Ein Pha­ri­sä­er, ein Gelehr­ter und Bibel­kun­di­ger Mensch also. Mehr wis­sen wir nicht. Vor­her ist von ihm nicht die Rede. In der Nacht taucht er auf. Ich fra­ge mich, wie lan­ge er vor­her gegrü­belt hat, bevor er end­lich auf­stand und sei­ne Fra­ge los­wur­de. Ob es ihn schon wochen­lang umge­trie­ben hat? Ob er schon län­ger plan­te, Jesus anzu­spre­chen? War es spon­tan? Hat­ten sie sich ver­ab­re­det? In der Nacht kommt er. Und heu­te den­ke ich ein­fach: Er hat sich auf sei­nem Bett hin und her­ge­dreht, ist auf­ge­stan­den, an den Kühl­schrank gegan­gen, hat etwas getrun­ken, sich wie­der hin­ge­legt. Kei­ne Posi­ti­on ließ ihn schla­fen. Und dann stand er auf. „Jetzt oder nie. Ich muss wis­sen, wer die­ser Jesus ist. Ich muss wis­sen, wer der Gott ist, an den ich schon lan­ge glau­be. Ich muss wis­sen, ob die bei­den etwas mit­ein­an­der zu tun haben.“ Er wirft sich in sein Gewand, zieht die San­da­len an, schleicht sich raus. Er geht zu dem Haus und klopft. Ein müdes Gesicht blickt ihn an. „Zu Jesus? Der schläft! Bist du irre?“ „Ja, ich wer­de irre. An mir selbst. An dem, was ich von ihm höre. Ist er Got­tes Sohn? Wer ist Gott? Wer bin ich?“ Und irgend­wie kommt er zu Jesus durch.

Haben Sie schon ein­mal so über Gott gegrü­belt, dass es Ihnen den Schlaf geraubt hat? „Gott, war­um lässt du das zu?“ Men­schen, die mit Gott ernst machen, fra­gen das manch­mal und sie fin­den dar­über auch kei­nen Schlaf mehr. Man­che wer­fen die Fra­ge nur so in die Run­de – und sie ver­su­chen, ande­ren damit den Glau­ben madig zu machen, lächer­lich zu machen. Aber man­cher eben glaubt an sei­nen Gott. Und steht vor Rät­seln, die ihn irre wer­den las­sen. Hiob ist das zeit­lo­se Bei­spiel dafür. Ein from­mer Mensch ist er – und fällt in gro­ßes Leid. War­um, Gott? Jesus selbst stellt ein­mal die­se Fra­ge: War­um? „Mein Gott, mein Gott, war­um hast du mich verlassen?“
Es muss aber nicht solch ein Leid sein, wie es Hiob erlit­ten hat oder wie es Men­schen heu­te erlei­den. Viel­leicht grü­beln wir über den Sinn unse­res eige­nen Lebens nach. Mir geht es gut. Ich bin gesund, kann mich bewe­gen, kann Hob­bys nach­ge­hen. Ich habe Appe­tit und ver­tra­ge das meis­te. Aber: Wo gehe ich hin? Wie sieht mei­ne Zukunft aus? War­um bin ich hier? Und sage mir kei­ner, dass ich hier Pfar­rer bin und des­we­gen hier ste­he.  Ich will den Sinn dahin­ter sehen. Ich will – Gott sehen!

Haben Sie so schon ein­mal gefragt? Hat Sie das schon ein­mal den Schlaf gekos­tet? Ich möch­te wis­sen, war­um ich hier bin. Und ich will ver­ste­hen, ob Gott etwas damit zu tun. Und was. Ich will Gott sehen und ver­ste­hen. Ist das vermessen?
Der ers­te Gedan­ke, der mich beschäf­tigt: Wie sehr fra­gen Men­schen nach Gott? Spü­ren wir eine Sehn­sucht nach ihm in uns? Was wäre das, wenn uns die Sehn­sucht nach Gott nachts aus dem Bett trei­ben wür­de – und nicht die Sor­ge um den Alltag.
Mich treibt oft aber auch die Fra­ge um, wie Gott nun wirk­lich ist. Heu­te ist der Tag, der die­se Fra­ge sehr spe­zi­ell auf­wirft: Tri­ni­ta­tis. Wir glau­ben an den Drei­ei­ni­gen Gott. Wir glau­ben an einen ein­zi­gen Gott und las­sen uns nicht sagen, dass wir im Grun­de drei ver­schie­de­ne Göt­ter hät­ten. Und zugleich glau­ben wir an drei ver­schie­de­ne Wei­sen Got­tes, sich uns zu nähern. Wir glau­ben an drei ver­schie­de­ne Per­so­nen, die sich aber nicht tei­len las­sen, nicht aus­ein­an­der­neh­men. Der Gott, an den wir glau­ben, ist einer. Und du kannst nicht den Schöp­fer allei­ne neh­men und ihn toll fin­den. Du kannst auch nicht den Hei­li­gen Geist weg­las­sen, weil der so ungreif­bar ist. Ein Gott – aber alle drei Per­so­nen gehö­ren zusam­men: Vater, Sohn und Hei­li­ger Geist.

Wie ist Gott? Ich will ihn sehen. Ich will Vater, Sohn und Hei­li­gen Geist erle­ben. Ich will ver­ste­hen, wie sie mit­ein­an­der in Bezie­hung sind. Die­ses Unbe­greif­li­che will ich nicht nur glau­ben; ich will es ver­ste­hen. Auch das lässt mich manch­mal grü­beln – bei Tag und auch bei Nacht. Auch wenn ich wirk­lich mit einem guten Schlaf geseg­net bin. Gibt es etwas, das uns in die­ser doch unlös­bar schei­nen­den Fra­ge hel­fen kann? Mir ist, als ob die Aus­wahl der Pre­digt­tex­te für die­sen Sonn­tag dazu ein Ange­bot machen. Wenn alles Nach­den­ken nicht hilft, dann pro­bier‘ es doch ein­mal hiermit:

Wie uner­schöpf­lich ist doch der Reich­tum Got­tes, wie tief sei­ne Weis­heit und Erkennt­nis! Wie uner­gründ­lich sind sei­ne Ent­schei­dun­gen und wie uner­forsch­lich sei­ne Wege!  Wer kennt die Gedan­ken des Herrn? Wer ist sein Bera­ter gewe­sen?  Wer hat ihm je etwas gege­ben, sodass er es von ihm zurück­for­dern könn­te? Denn alles hat in ihm sei­nen Ursprung. Durch ihn besteht alles und in ihm hat alles sein Ziel. Denn er regiert in Herr­lich­keit für immer. Amen.

Das hat Pau­lus an die Chris­ten in Rom geschrie­ben, Römer­brief, 11. Kapi­tel., Ver­se 33–36.

Wobei: ich glau­be eher, dass er sich das selbst geschrie­ben hat, dass ihn die­se Gedan­ken über­kom­men haben beim Nach­den­ken über Gott. Vor­her näm­lich legt er den Chris­ten in Rom dar, wie das Ver­hält­nis Got­tes zu sei­nem Volk Isra­el ist und wie das Ver­hält­nis von Chris­ten zum Volk Isra­el zu fas­sen ist. Und er über­legt, wie die Juden, die noch nicht an Jesus als ihren Mes­si­as glau­ben, den­noch geret­tet wer­den. Eins ist für ihn klar: Es muss durch Jesus Chris­tus gesche­hen. Der ist für alle Welt gestor­ben und hat für alle das ewi­ge Leben erwor­ben – also auch für die Juden, für sein eige­nes Volk. Das Ver­hält­nis zwi­schen Chris­ten und Juden beschreibt er mit dem Bild eines Ölbaums: Da war die­ser gute, hei­li­ge Ölbaum Isra­el. Und wir, die wir kei­ne Ahnung von dem ein­zi­gen wah­ren Gott hat­ten, wur­den in die­sen Ölbaum ein­ge­pfropft. So kommt es ja auch, dass wir auf das ers­te Tes­ta­ment, auf Mose, die Pro­phe­ten, die Psal­men und ande­ren Schrif­ten ange­wie­sen sind. Sie sind Wur­zel unse­res Glau­bens genau­so, wie es das zwei­te Tes­ta­ment ist.
Pau­lus über­legt und erklärt, er deu­tet, er greift Fra­gen auf. Er hält an Jesus als dem ein­zi­gen Weg zum Heil fest. Und sagt zugleich, dass Gott immer an sei­ner Wahl fest­hält: Isra­el ist sein Volk. Und Gott erlöst sein Volk. Und dann, wäh­rend er noch die­ses Geheim­nis zu erklä­ren ver­sucht, über­kommt ihn die­ser Lobpreis.

O welch eine Tie­fe des Reich­tums, bei­des, der Weis­heit und der Erkennt­nis Gottes!

Es fällt plötz­lich über ihn. Ich glau­be, er hat erst ein­mal den Grif­fel zur Sei­te gelegt und gestaunt über Gott. Wäh­rend er grü­belt und mit Wor­ten ringt, um Gott zu beschrei­ben, hat er die­sen Blick: Gott ist so groß, so unend­lich groß. Und sei­ne Weis­heit über­steigt alles, was wir uns vor­stel­len können.
In einer eng­li­schen Bibel­über­set­zung bin ich auf das Wort „unse­archa­ble“ gesto­ßen – uner­gründ­lich, uner­forsch­lich. Aber wört­lich „unsuch­bar“. Du kannst das Geheim­nis Got­tes gar nicht auf­tun. Wenn einer kommt und sagt: „Ich habe Gott ver­stan­den“, dann soll­ten wir getrost und mutig miss­trau­isch sein. Gott ist so groß, dass wir ihn nicht ein­mal suchen kön­nen. Er ist unsuch­bar. Umso grö­ßer ist das Wun­der, dass er sich fin­den lässt! Er kommt uns ent­ge­gen. Sein Geheim­nis lüf­tet er dabei nicht – Gott, der Drei­ei­ni­ge. Aber wir kön­nen in die­sem Geheim­nis leben.

Der bes­te Zugang besteht nicht dar­in, alles zu erfor­schen und zu erfra­gen. Das ist wich­tig. Gute Theo­lo­gie ist wich­tig. Wir brau­chen Bil­der und Wor­te, Deu­tun­gen, Fra­gen und Ant­wor­ten, um mit­ein­an­der reden zu kön­nen. Jede Pre­digt, jedes Bibel­ge­spräch lebt ja von unse­ren Fra­gen und Deu­tun­gen und Rück­fra­gen. So leben wir Men­schen. So ent­de­cken und ver­ste­hen wir. Das ist wich­tig. Das ist gut.
Doch gibt es zu Gott noch einen ande­ren Zugang. Pau­lus ist so plötz­lich in sei­nem Römer­brief dar­auf gesto­ßen. Anbe­tung heißt das Wort dafür. Ich fal­le nie­der vor Gott. Ich stau­ne über ihn. Ich las­se mich fal­len in die­ses uner­gründ­li­che Geheim­nis und weiß dabei eins ganz gewiss: Gott fängt mich auf. Manch­mal führt tat­säch­lich die­ser Lob­preis mei­ne Gedan­ken zur Ruhe. Indem ich auf­ge­be, das Unter­gründ­li­che zu ergrün­den, kom­me ich gewis­ser­ma­ßen auf dem Grund an. Wenn ich stram­pe­le und mich abmü­he, die Lösun­gen zu fin­den, wenn ich sogar Gott damit bedrän­ge und immer mehr und lau­ter zu ihm schreie, sprin­ge ich gewis­ser­ma­ßen immer wie­der raus aus die­ser Ruhe und Gebor­gen­heit. Statt mich in Got­tes Hand gebor­gen zu wis­sen und das als Geschenk anzu­neh­men, trei­ben mich mei­ne Fra­gen immer wie­der raus.
Noch ein­mal: Fra­gen ist gut. Nach­for­schen ist gut und wich­tig. Rede und Gegen­re­de füh­ren wei­ter und tie­fer. Wenn wir über den Glau­ben, über Gott, über das Geheim­nis der Drei­ei­nig­keit reden, davon erzäh­len, um Wor­te rin­gen, ist das gut. Das ist eine der wich­tigs­ten Eigen­schaf­ten von uns Men­schen: Wir kön­nen Wor­te for­men und Gedan­ken aus­drü­cken und tei­len. Aber den Grund selbst errei­chen wir, wenn wir Gott vol­ler Stau­nen anschau­en. Wenn wir ihn loben, wenn wir auch sein Geheim­nis loben, die unfass­ba­re Grö­ße, dann berüh­ren wir den Boden, das fes­te Fun­da­ment. „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Din­ge.“ Jede unse­rer Fra­gen hat bei ihm ihre Ant­wort. Unser Leben hat sei­nen Grund in Gott. Und das Ziel ist er. Das Ziel ist nicht ein Him­mel, wie wir ihn uns nur irgend­wie aus­ma­len kön­nen, oder eine Erde, die wir mit unse­ren schwa­chen mensch­li­chen Bil­dern best­mög­lich beschrei­ben. Gott selbst ist das Ziel. Den Weg zu die­sem Ziel betre­ten wir, wenn wir Gott loben, wenn wir ihn Ehren. Pro­bie­ren Sie es mal aus, wenn die Sehn­sucht nach Gott groß wird: Loben Sie ihn – mit eige­nen Wor­ten, mit einem Psalm, mit einem Lied. Und wenn die Fra­gen des Lebens groß wer­den, fan­gen Sie nicht bei der Lösungs­su­che an. Loben Sie Gott. Beten Sie ihn an, weil er die Lösung schon hat. Und dann las­sen Sie sich von ihm zur Lösung lei­ten. Er ist das Ziel. Er ist die Ant­wort. Bei ihm sind wir zuhau­se mit allem, was uns beschäf­tigt. Es kommt bei Gott zur Ruhe. Er ist Gott. Er ist alles!

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