Gottesdienst
an der Glasarche
im Elstertal zwischen Predel und Profen
Vor der Predigt
wurde 1. Mose 1,26–31 gelesen
Ach war das damals schön im Paradies. Da war die Welt noch in Ordnung. Die Menschen waren glücklich, die Natur noch ganz ohne Katastrophen, es gab keinen Krieg, kein Unglück, keine Not. Wer die Schöpfungsgeschichte der Bibel durchliest, stößt immer wieder auf die Beobachtung Gottes, der seine Werke anschaut und feststellt: „Es war gut.“ Und dann, beim Gesamtüberblick, als auch der Mensch erschaffen ist, lautet Gottes Kommentar: „Es war sehr gut.“ In diese wunderbar geschaffene Welt setzt Gott den Menschen und gibt ihm eine Aufgabe.
Die Bibel erzählt von der Schöpfung aus zwei verschiedenen Perspektiven. Hören Sie, wie das nun in dieser zweiten Perspektive beschrieben wird
(1. Mose 2,4b‑8.15):
4b Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. 5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6 aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete alles Land. 7 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. …
15 Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Eine wunderbare, immer wieder überraschende Welt, in der wir leben dürfen. Eine zerbrechliche Welt, in der wir leben. Eine Welt, in der man viel gestalten kann – mit all dem, was in ihr ist.
Mir fallen zum Beispiel die Floristen ein. Die nehmen ein paar Blumen in die Hand – die doch auch so schon sehr schön sind. Und dann gestalten sie daraus einen Strauß, ein Gesteck, einen besonderen Schmuck, der die Schönheit der Blumen noch einmal verstärkt. Ich muss an die Bildhauer und Holzschnitzer und manch andere denken. Die machen so vieles faszinierende aus den Werkstoffen, die sie in der Natur finden. Und das geht so weiter. Manche Kirche – gebaut aus Holz, Stein, Glas – ist ein richtiges Kunstwerk. Wir Menschen dürfen diese Natur und mit dieser Natur etwas gestalten, immer wieder Neues schaffen.
Das ganz Alltägliche, das wir gebrauchen, einfach nutzen, habe ich dabei noch gar nicht genannt – leckeres Brot, Obst, Festtagsbraten; die Häuser, in denen wir wohnen, die Kleidung die wir tragen, Gartenteiche und Stauseen, die wir anlegen und was nicht alles.
Wir sind Teil dieser Schöpfung und werden darin selbst zu Schöpfern. Ist das nicht verrückt und großartig? Wir sind Ebenbilder Gottes – und das meint auch, dass wir selbst an der Schöpfung weiterwirken dürfen und können. Wir dürfen die Erde nutzen, sie bebauen, sie gestalten, umgestalten, weitergestalten. Essen und Trinken kommt von der Erde; unsere Umgebung richten wir uns in ihr und mit ihr ein. Das ist sogar unser Auftrag: „Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“
Auftrag und Verantwortung für diese Welt gibt uns Gott. Und wir müssen zugeben, dass das mit der Verantwortung nicht immer so klappt. Die Aufgabe hat die Menschheit oft nicht im Sinne des Auftraggebers umgesetzt. Wir haben uns verselbständigt. Haben versäumt, beide Perspektiven der Schöpfung wahrzunehmen. Erinnern Sie sich noch an das, was ich zuerst gelesen hatte — Schöpfungsgeschichte erster Teil, das mit den sieben Tagen? Da sagt Gott: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“
Gott gibt mit diesen Worten uns Menschen eine unvorstellbar hohe Würde. Kein anderes Geschöpf bekommt diesen Herrschaftsauftrag. Nur der Schöpfer darf über sein Werk bestimmen. Und Gott gibt dem Menschen, gibt uns Anteil an diesem Recht. Aber wir haben nur gehört: „Macht sie euch untertan; herrscht!“ Und daraus ist Machtstreben geworden, Unterdrückung, Raubbau an der Natur und an der Menschheit.
Statt auch das Zweite zu hören – bebaut und bewahrt die Schöpfung – haben wir nur das erste in Anspruch genommen: herrscht.
Die Folgen sind auch an so einem schönen Tag unter freiem Himmel in der schönen Elsteraue für uns allzu deutlich zu sehen. Wir mögen sie für einen Moment ausblenden, aber sie sind immer da. Es fängt schon in der Fortsetzung der biblischen Erzählung an: Kain erschlägt Abel, weil er nicht zufrieden ist mit der Art und Weise, wie Gott so unterschiedlich auf die Opfergaben der beiden reagiert. Ein bisschen flapsig gesagt: Das ist der erste Religionskrieg. Ein Mensch bestimmt, wie die Verehrung Gottes auszusehen hat. Es ist in der Erzählung von Kain und Abel ja tatsächlich noch ein und derselbe Gott. Abels Opfer und Gottes Reaktion passt dem Kain nicht, und so schlägt er seinen Bruder tot. Das zieht sich durch die Menschheitsgeschichte durch bis heute. Wohlgemerkt: Das ist nicht Gottes Erfindung, das ist nicht die Schuld eines Gottes sondern Menschenwerk. Bis heute ist das so.
Übrigens: Kain ist sich des Problems sehr bewusst – und weißt es mit einer echt üblen Frage von sich. Als Gott ihn nämlich fragt, wo sein Bruder Abel ist – der ist da schon tot – sagt Kain: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Ja, lieber Kain, das hättest du sein sollen und müssen, denn so lautet die Aufgabe in der Erzählung aus dem Paradies: „Bebaue und bewahre!“ Der Hüter ist im Hebräischen das gleiche Wort wie der Bewahrer. Kain – und jeder Mensch – sollte für seinen Bruder und für seine Schwester, für seinen Nächsten nah und fern ein Hüter sein und ihn, sein Leben, sein Gut, sein Wohlergehen bewahren.
Wir tun oft das Gegenteil, und sei es durch Gleichgültigkeit. Jüngstes und zutiefst erschreckendes Beispiel sind die Geschehnisse in der Türkei, wo der Präsident, der doch der Hüter und Bewahrer seines ihm anvertrauten Volkes sein soll, sein Volk unterdrückt, missachtet, seiner Freiheit beraubt. Und handelt unser Europa, unser Deutschland nicht letztlich genauso? Wir schotten uns ab. Wir hüten unsere Grenzen aber nicht die Menschen, die in Not sind. Wir hüten unseren Besitz aber nicht die Menschen, die gar nichts mehr haben – die hier bei uns obdachlos sind und die aus der Ferne zu uns kommen. Das mit dem Herrschen bekommen wir hin. Das mit dem Bewahren weniger.
Auch der Natur gegenüber verhalten wir uns so. Nur ein Blick über den Bahndamm drüber und wir sind in einem der größten Raubbaue, die der Mensch anrichtet. Wer sonst zerstört so viel Erde, so viel Natur, so viel Lebensraum wie der Mensch mit seinem Hunger nach Energie? Das betrifft nicht nur die Braunkohle, das gilt ja genauso für Öl und Gas und die Abholzung von Wäldern, damit wir in Palmolive baden können und die Nacht zum Tag machen und um die Welt reisen in schnellen Maschinen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir dürfen gestalten, wir dürfen die Ressourcen nutzen, die es gibt. Wir dürfen auch so große Löcher graben wie das nebenan geschieht, dürfen reisen mit Auto und Bahn und Flugzeug und Schiff. Aber wir müssen uns wieder fragen, ob wir noch daran denken, die Erde zu bewahren und sie nicht nur zu nutzen.
Das Kunstwerk, die Glasarche, stößt uns mit ihrer zerbrechlichen Schönheit mit der Nase – oder besser mit den Augen darauf: Unsere Welt ist wundschön und kostbar und zerbrechlich. Sie muss bewahrt werden, aktiv behütet werden, sonst geht sie kaputt. Der Künstler Ronald Fischer hat bewusst das Material gewählt: Glas. Faszinierend schön, spielt mit dem Licht, ist fest und zerbrechlich. Und er hat das Bild der Arche gewählt, das ein ur-religiöses Bild ist. Die Arche schützt, sie hütet, sie trägt das Leben. In allen Kulturen der Erde finden sich Erzählungen von Katastrophen, die die ganze Erde, die ganze Menschenheit bedrohen. Und in den großen und bekannten Erzählungen ist es zumeist eine Arche, ein Schiff, das die Menschheit durch diese Katastrophe trägt.
Für uns im christlichen Abendland ist es die Arche, die Noah im Auftrag Gottes gebaut hat, die Mensch und Tier durch die Sintflut getragen hat. Das Leben wurde bewahrt – in einem Holzkasten, der auf den Wellen schwamm. Die Hand, die diese Glasarche III trägt, ist eine offene Hand. Sie hält die Arche und sie gibt sie zugleich los.
Es gibt ein schönes Gospel, das von der Hand erzählt, die die ganze Welt hält:
Gott hält die ganze Welt in seiner Hand …
Gott hält das winzig keine Baby in seiner Hand
Gott hält die Sonne und den Mond in seiner Hand …
Gott hält auch dich und mich in seiner Hand …
… er hält die Welt in seiner Hand
Das gibt mir heute Hoffnung, wenn ich sehe, wie wir mit dem Auftrag umgegangen sind, den Gott uns mit seiner Welt, in seiner Welt gegeben hat. Er hält diese Welt nämlich immer noch. Aber wie im Kunstwerk: er klammert nicht. Gott vertraut uns immer wieder neu diese zerbrechliche Arche des Lebens, unsere Welt an. Er wird nicht müde, uns daran zu erinnern, dass wir Verantwortung haben für das Leben auf dieser Erde; Verantwortung für die Zukunft der Erde.
Wir haben sie nicht alleine. Er trägt seine Schöpfung und erhält sie. Aber wir haben großen Anteil an dem, was in unserer Welt geschieht. Mit dem gleichen Wort – bewahren – das sich schon in der Schöpfungsgeschichte findet, beschreiben die Menschen in der Bibel, wie Gott bewahrt.
In Psalm 91 entdeckt es der Beter des Psalms: „Denn er, Gott, hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten – oder bewahren – auf allen deinen Wegen.“ Das ist ein beliebter Taufspruch. Diese Zusage geben manche Eltern ihren Babys und Kinder mit auf den Lebensweg. Im 121. Psalm steht das Behüten gleich fünfmal drin in nur acht Versen. Gott selbst behütet und bewahrt. Und er mahnt uns Menschen, dass wir auch behüten und bewahren, was uns anvertraut ist.
Wie das aussehen kann?
Der Gottesdienst ist keine Energiesparveranstaltung. Aber klar gehört es einfach dazu, dass wir uns Gedanken machen, wie viel Energie wir tagtäglich brauchen und wo wir weniger einsetzen könnten.
Der Gottesdienst ist keine Ernährungsberatung und keine Veranstaltung von Greenpeace oder vom Bund.
Aber klar gehört dazu, dass wir uns Gedanken darüber machen, wo unser Essen herkommt. Gerade letztens habe ich wieder einen Bericht darüber gesehen, wie viel Kilometer Nordseekrabben zurücklegen, bis sie bei uns auf den Teller kommen. Sie sind die Weltmeister im Kilometersammeln unter den Lebensmitteln. Denn sie reisen von der Nordsee nach Marokko, weil es dort billiger ist, sie zu pulen, und kommen von dort wieder zurück. Wie krank ist das denn? Und machen wir uns bewusst, wie viel Land gebraucht wird, damit ein Steak auf unseren Tisch kommt?
Wir haben uns daran gewöhnt, dass alles da ist, was wir wollen. Soll ich nun auch noch bei jedem Einkauf hinterfragen, wo das herkommt und was das in Wahrheit kostet, was ich da einkaufe? Soll ich meines Bruders Hüter sein – um es mit Kain zu fragen?
Die Antwort heute an der Glasarche: Ja, genau das sollst du – deines Bruders Hüter sein. Frag nach, was dein Lebensstil mit der Natur macht. Frage vor allem auch nach, was dein Lebensstil mit dem Leben eines Menschen in Marokko macht, oder in Bangladesch, wo die T‑Shirts genäht werden, die hier für drei Euro auf den Markt kommen. Frage nach, denn du bist nun mal der Hüter dieser Erde, Mensch. Das ist deine Würde und Aufgabe.
Du bist würdig, diese Erde zu gestalten, sie wirklich zu beherrschen, wie ein guter Herrscher über das Land herrscht, das ihm anvertraut ist – nämlich als oberster Diener dieses Landes, zu seinem Wohlergehen und Nutzen. Du bist würdig, Mensch, diese Erde zu besitzen und zu verwalten und zu gestalten. Und du, Mensch, hast die Aufgabe, diese Erde und alles was darauf lebt, zu bewahren.
Vor allem achte auf die Menschen links und rechts von dir. Achte auf die Menschen, von denen du hörst oder liest. Achte auf die, die so oft unbeachtet am Straßenrand sitzen. Achte darauf, wie andere miteinander umgehen. Lass nicht zu, dass Leben für unwert erachtet wird, dass es eingeteilt wird in verschiedene Klassen, dass das Recht auf Leben, auf Bildung, auf Wohlstand unterschiedlich zugeteilt wird. Achte darauf, denn jeder Mensch trägt die gleiche Würde vor Gott.
Die Glasarche bringt in einem sehr schönen Kunstwerk zum Ausdruck, was schon auf den ersten Seiten der Bibel steht und was den Glauben von Juden und Christen durch die Jahrhunderte und Jahrtausende ausmacht:
Die Erde ist wunderbar schön. Sie spiegelt das Licht in allen Farben. Und das meine ich auch im kirchlichen Sinn: Sie spiegelt Gottes Licht, seine Fantasie, seine Liebe, seine Kreativität als Schöpfer in allen Farben. Darüber dürfen wir uns freuen, das dürfen wir mit allen Sinnen genießen. Die Erde ist, wie das Kunstwerk, aus zerbrechlichem Material, sie ist kostbar und empfindlich. So ist es nötig, gut auf sie zu achten und auf alles zu achten, was lebt. In jedem Schönen stecken das Geschenk, das Gott uns damit macht und die Aufgabe, die er uns damit anvertraut.
Bebaue und bewahre – du bist als Ebenbild Gottes dazu befähigt und beauftragt.
Amen.
Mehr Fotos von der Glasarche in der Elsteraue:
http://keilissicht.de/gesehen/zerbrechlich-schoene-arche/