Ein hören­des Herz

Frie­dens­de­ka­de, Pogrom­ge­den­ken, Mau­er­fall, Ewig­keit im Blick – Got­tes­dienst in Wit­ten­berg am Dritt­letz­ten Sonn­tag des Kir­chen­jah­res. Die Frie­dens­de­ka­de 2025 wird mit die­sem Got­tes­dienst eröff­net. Sie steht unter der Über­schrift: “Komm den Frie­den wecken.” Zu Gast sind auch Semi­nar­teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mer des Luthe­ri­schen Welt­bun­des. Von einem stammt der Anhän­ger mit den Sym­bo­len für Glück (fu) und Frie­den (ping an).

Das Evan­ge­li­um des Sonn­tags (Lukas 17,20–24) hat in sei­ner Mit­te das Wort von Jesus ste­hen: “Das Reich Got­tes ist mit­ten unter euch.”

Der Pre­digt­text — Eröff­nungs­text der Frie­dens­de­ka­de — steht in 1. Köni­ge 3,5–15, beson­ders Vers 9:

Und der Herr erschien Salo­mo zu Gibe­on im Traum des Nachts, und Gott sprach: Bit­te, was ich dir geben soll!  Salo­mo sprach: Du hast an mei­nem Vater David, dei­nem Knecht, gro­ße Barm­her­zig­keit getan, wie er denn vor dir gewan­delt ist in Wahr­heit und Gerech­tig­keit und mit auf­rich­ti­gem Her­zen vor dir, und hast ihm auch die gro­ße Barm­her­zig­keit erwie­sen und ihm einen Sohn gege­ben, der auf sei­nem Thron sit­zen soll­te, wie es denn jetzt ist. Nun, Herr, mein Gott, du hast dei­nen Knecht zum König gemacht an mei­nes Vaters David statt. Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein. Und dein Knecht steht mit­ten in dei­nem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen sei­ner Men­ge nie­mand zäh­len noch berech­nen kann. So wol­lest du dei­nem Knecht ein gehor­sa­mes Herz geben, dass er dein Volk rich­ten kön­ne und ver­ste­hen, was gut und böse ist. Denn wer ver­mag dies dein mäch­ti­ges Volk zu richten?
Das gefiel dem Herrn, dass Salo­mo dar­um bat. Und Gott sprach zu ihm: Weil du dar­um bit­test und bit­test weder um lan­ges Leben noch um Reich­tum noch um dei­ner Fein­de Tod, son­dern um Ver­stand, auf das Recht zu hören, sie­he, so tue ich nach dei­nen Wor­ten. Sie­he, ich gebe dir ein wei­ses und ver­stän­di­ges Herz, sodass dei­nes­glei­chen vor dir nicht gewe­sen ist und nach dir nicht auf­kom­men wird. Und dazu gebe ich dir, wor­um du nicht gebe­ten hast, näm­lich Reich­tum und Ehre, sodass dei­nes­glei­chen kei­ner unter den Köni­gen ist zu dei­nen Zei­ten. Und wenn du in mei­nen Wegen wan­deln wirst, dass du hältst mei­ne Sat­zun­gen und Gebo­te, wie dein Vater David gewan­delt ist, so will ich dir ein lan­ges Leben geben.
Und als Salo­mo erwach­te, sie­he, da war es ein Traum. Und er kam nach Jeru­sa­lem und trat vor die Lade des Bun­des des Herrn und opfer­te Brand­op­fer und Dank­op­fer und mach­te ein gro­ßes Fest­mahl für alle sei­ne Gro­ßen. 

Mit­ten uns ist das Him­mel­reich? Vor 87 Jah­ren brach die Höl­le los über unse­ren jüdi­schen Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­gern. In der Fol­ge auch über Schwa­che, Kran­ke, Sin­ti und Roma und jeden, der dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regime im Weg war.
Mit­ten unter uns das Him­mel­reich? Ich glau­be, es war da – in sei­ner Schwach­heit, in dem Men­schen, der gött­lich, von Gott gesandt war, aber ernied­rigt und ans Kreuz geschla­gen wur­de. Kaum sicht­bar, aber doch da.
Und heu­te? Wir suchen ger­ne das Para­dies auf Erden. Und manch­mal gelingt es jeman­dem, sich in einer Nische ein klei­nes Him­mel­reich ein­zu­rich­ten – denen, die genü­gend Mit­tel dafür haben, die sich aus­klin­ken kön­nen aus Arbeits­druck und sozia­lem Ungleich­ge­wicht. Der Rest? Sehnt sich nach Glück, nach Aner­ken­nung, nach genug Raum und Kraft und Mit­teln zum Leben. Der Rest sehnt sich nach Frieden.

In Isra­el bricht vor rund 3.000 Jah­ren eine Frie­dens­zeit an. Nach den vie­len Krie­gen, die König Saul und König David geführt haben, kommt Salo­mo auf den Thron Isra­els. Die sprach­li­che Wur­zel, die in sei­nem Namen steckt, ist Scha­lom – Frie­de. Sei­ne Herr­schaft wird als eine Zeit des Wohl­stands beschrie­ben. Er baut den Tem­pel, pflegt viel­fäl­ti­ge Bezie­hun­gen zu den König­rei­chen rund­um. Glück und Wohl­stand neh­men zu.
Es ist ein Ide­al­bild. Auch unter Salo­mo gibt es Miss­stim­mun­gen. Wie vie­le arbei­ten an sei­nen Pracht­bau­ten – und sind wohl Skla­ven? Er nimmt tüch­tig Steu­ern ein für die Bau­maß­nah­men und für das fürst­li­che Leben am Hof. Er ver­fällt zuneh­mend den reli­giö­sen Ver­füh­run­gen, die er sich durch sei­ne vie­len Frau­en ins Land geholt hat. Man­ches an ihm ist schräg und wirft Fra­gen auf. Trotz­dem wird von ihm als König erzählt, unter des­sen Herr­schaft es dem Volk gut ging und Frie­den herrschte.

Woher kommt die­ser Frie­den in sei­ner Regie­rungs­zeit? Uns wird eine traum­haf­te Begeg­nung geschil­dert, die er hat und in der er sich fest­legt. „Der Herr erschien Salo­mo im Traum“, fängt die Begeg­nung an. „Und als Salo­mo erwach­te, sie­he, da war es ein Traum“ – so hört sie auf. Aber die­ser Traum hat Folgen.

Was braucht einer, damit er gut regie­ren kann? Ver­mut­lich einen soli­den Haus­halt. Eine Armee, die ihm die Treue hält. Ver­hand­lungs­ge­schick. Stol­zes, macht­be­wuss­tes Auf­tre­ten, eine ehr­furcht­ge­bie­ten­de Erschei­nung. Klugheit.
Salo­mo dage­gen fängt mit einer beein­dru­cken­den Selbst­er­kennt­nis an: „Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein.“ Dass er König ist, ver­dankt er der Barm­her­zig­keit Got­tes sei­nem Vater David gegen­über. Nichts hat er sich ver­dient. Er erhält das König­tum geschenkt. Etli­che sei­ner Brü­der wären vor ihm dran gewe­sen. Aber er, Salo­mo, wird König. Die­ser Selbst­er­kennt­nis schließt sich ein über­ra­schen­der Wunsch an. Immer­hin: Gott per­sön­lich fragt ihn, was er will. Damit steht Salo­mo alles offen. Aber er hat den Blick für das Wesent­li­che: „Gott, ich kann das nicht und habe doch die­se Auf­ga­be über­tra­gen bekom­men. Was brau­che ich dazu? Du fragst mich, was ich mir wün­sche. Ich wün­sche mir ein gehor­sa­mes Herz.“
Mar­tin Luther hat es gleich ein biss­chen gedeu­tet in sei­ner Über­set­zung. Wört­lich heißt Salo­mos Wunsch: „Gib mir ein hören­des Herz.“ Salo­mo will hin­hö­ren, damit er das „Volk rich­ten kön­ne und ver­ste­hen, was gut und böse ist.“

Das geht in zwei Rich­tun­gen. Wer König sein will, muss zuhö­ren kön­nen. Dass dies eine Eigen­schaft ist, die jede Füh­rungs­per­sön­lich­keit braucht, zeigt sich in unse­rer Zeit auch deut­lich: Men­schen wün­schen sich von ihren Minis­te­rin­nen und Minis­tern, dass sie zuhö­ren, genau hin­hö­ren. Am bes­ten wäre es, sie wür­den nicht nur mit den Ohren hören, nicht nur mit dem Ver­stand, mit Kal­kül und Mach­bar­keits­ab­wä­gun­gen im Kopf, son­dern mit dem Her­zen. Mit dem Her­zen hören heißt auch, sich im Her­zen berüh­ren zu las­sen von dem, was ich höre. Mehr als alle ande­ren Eigen­schaf­ten oder äuße­ren Gege­ben­hei­ten sucht Salo­mo ein Herz, das hören kann auf die Menschen.
Mir geht’s oft so, dass ich bei einer Anmer­kung oder Fra­ge gleich anfan­ge, Ant­wor­ten zu ent­wi­ckeln. Da habe ich die Fra­ge noch gar nicht ver­ar­bei­tet. Da habe ich noch gar nicht danach geschaut, war­um mir ein Mensch die­se Fra­ge stellt, und gehe schon auf Lösungs­su­che. Oder bei Kri­tik in den Ver­tei­di­gungs­mo­dus, ver­su­che, mich zu erklären.

„Komm den Frie­den wecken“, heißt das Mot­to der Frie­dens­de­ka­de 2025. Dazu muss mein Herz wach wer­den, nicht nur mei­ne Ohren. Salo­mo will zuhö­ren. Ihn inter­es­sie­ren die Fra­gen sei­nes Vol­kes. Er steht nicht über dem Volk, er ist mittendrin.
Wie schon gesagt: ein Ide­al­bild. Salo­mo erweist sich spä­ter auch als ziem­lich abge­ho­ben. Aber sein guter Ansatz, der steht heu­te im Mit­tel­punkt: Er will hören, hinhören.

„Gib mir ein hören­des Herz“ meint aber noch mehr. Und das hat Mar­tin Luther mit dem „gehor­sa­men Her­zen“ deut­lich gemacht. Es gibt vie­le Erzäh­lun­gen, in denen wir zum Hören auf­ge­for­dert wer­den. Sein Volk ruft Gott immer wie­der auf, die Ohren auf­zu­sper­ren und ihm zu gehor­chen. Die bekann­tes­te Auf­for­de­rung zum Hören ist gewiss das Glau­bens­be­kennt­nis Isra­els. Und das heißt bezeich­nen­der­wei­se nicht Cre­do, wie bei uns, son­dern eben „Schema – Höre!“ (5. Mose 6,4–5):

Höre, Isra­el, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den Herrn, dei­nen Gott, lieb haben von gan­zem Her­zen, von gan­zer See­le und mit all dei­ner Kraft.

Ein hören­des Herz, ein gehor­sa­mes Herz ist ein Herz, dass Gott zuhört und das auf ihn hört.
Ob Salo­mo das bei sei­nem Vater David ent­deckt hat? Wenn alle Psal­men von David sind, über denen die Über­schrift „Von David“ steht, dann hat Salo­mo die­se Lie­der und Gebe­te schon in sei­ner Kind­heit vernommen.
Manch­mal in Gesprä­chen höre ich den Satz: „Ich bin in einem christ­li­chen Eltern­haus auf­ge­wach­sen.“ Oder auch das Gegen­teil: „Bei uns zuhau­se wur­de nie gebe­tet. Wir waren nicht kirch­lich oder christ­lich.“ Was wir als Kin­der erlebt haben, hat uns geprägt. Es bedeu­tet nicht, dass aus einem christ­li­chen Eltern­haus auto­ma­tisch ein christ­li­ches Leben erwächst. Manch­mal wen­den sich Men­schen auch ab vom Glau­ben der Eltern.
Aber: Was wir gehört haben, haben wir gehört. Und ver­in­ner­licht. Wenn ich im Senio­ren­stift Psalm 23 anstim­me oder das Vater­un­ser bete, dann spre­chen vie­le mit, selbst wenn sie mich sonst jedes Mal fra­gen, wer ich bin.
Salo­mo will auf Gott hören. Und er weiß, dass das Herz das gar nicht immer möch­te. Es gibt so vie­le ande­re Stim­men. Da gehen Got­tes Wor­te manch­mal unter. Got­tes Stim­me mag auch nicht immer so popu­lär sein. Da hört mein Herz auch ger­ne mal drü­ber weg.

„Gib mir ein hören­des, gehor­sa­mes Herz.“ Was für ein genia­ler Wunsch, gera­de im Blick auf die Frie­dens­de­ka­de und unse­re Sehn­sucht nach Frie­den. Denn zum einen kann Frie­den ent­ste­hen und wach­sen, wenn wir ler­nen, uns zuzu­hö­ren. Wenn wir dem ande­ren zuhö­ren, rich­tig hin­hö­ren, dann erken­nen wir, was ihn bewegt. Und wir kön­nen es in Ver­bin­dung brin­gen mit dem, was uns beschäf­tigt. Das Herz muss hören – unser Mit­ge­fühl muss zuhö­ren, dann sind wir auf dem Weg des Friedens.

Genau­so wich­tig ist es, auf Gott zu hören, denn er hat vie­le Wor­te für uns bereit, die zum Frie­den füh­ren und Raum für Frie­den schaf­fen. Der Frie­den braucht einen geschütz­ten Raum, aus dem wir die Bedro­hun­gen für Leib und See­le fern hal­ten. Die 10 Gebo­te eröff­nen einen sol­chen Raum. Hören wir auf sie, ist Krieg unmög­lich und es wird ein fried­li­ches Mit­ein­an­der gestiftet.
Wir hören mut­ma­chen­de Wor­te, an denen auch eine Ver­hei­ßung Got­tes hängt: „Selig sind die Fried­fer­ti­gen; denn sie wer­den Got­tes Kin­der hei­ßen.“ (Mat­thä­us 5, 9).
Das wich­tigs­te Wort, das alles ver­än­dert, wenn wir es mit dem Her­zen hören, fin­den wir schon bei Mose; und Jesus bekräf­tigt es (Mat­thä­us 22,37–39):

Du sollst den Herrn, dei­nen Gott, lie­ben von gan­zem Her­zen, von gan­zer See­le und von gan­zem Gemüt. Dies ist das höchs­te und ers­te Gebot. Das ande­re aber ist dem gleich: Du sollst dei­nen Nächs­ten lie­ben wie dich selbst.

„Komm den Frie­den wecken.“ Wir wecken ihn am bes­ten, wenn wir zuerst unse­re Ohren und Her­zen wach­rüt­teln, damit sie zuhö­ren – den Men­schen und Gott.
Bei Gott hören wir, wie sehr er uns liebt und dass er uns schon in sei­nen Frie­den hin­ein­ge­nom­men hat – schon längst. Hören wir auf ihn, dann hören, reden, den­ken und han­deln wir von einer Posi­ti­on des Frie­dens aus.
Und wenn unser Herz ein inne­rer Ort des Frie­dens ist, kön­nen wir dem andern nicht mehr im Ver­tei­di­gungs- oder gar Angriffs­mo­dus begeg­nen. Gewiss ein Ide­al­zu­stand, an dem wir aber Gott in uns arbei­ten las­sen kön­nen. Hören wir auf ihn, wer­den wir dar­in wachsen.
Bei den Men­schen hören wir, was in ihren Her­zen los ist. Und als Frie­dens­stif­ter, die in Got­tes Frie­den ruhen, erken­nen wir, nach wel­chem kon­kre­ten Frie­den sie sich seh­nen. Wir ler­nen, unse­re Sehn­sucht mit­ein­an­der zu tei­len und uns gemein­sam mit ande­ren aus­zu­stre­cken nach Frie­den, nach Hei­lung, nach Leben. Und dar­in ent­steht Friede.

„Gib mir ein hören­des Herz.“

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