Normalerweise haben es die Evangelischen nicht so mit Reliquien. Da ist es schon etwas Besonderes, wenn eine evangelische Kirche eine solche beherbergt.
Dennoch: Verwirrt und verwundert beobachte ich, was da geschieht: ein kleines, angeknackstes Tonkrüglein steht auf den zum Tisch umfunktionierten Kirchenbänken. Drumherum Denkmalschützer, Konservatoren, Domstifter, Pfarrer und ein paar andere. Wohl an die zehn Fotoapparate klicken (meiner auch, klar), strahlen ihre Blitze aus. “Oh” und “Ah” ob der feinen, textilen Reliquientäschchen in dem Krüglein. Es ist ja auch wirklich faszinierend — erzählt dieser Fund doch schon jetzt eine Geschichte über vergangene Zeiten, über Glauben, Hoffnung, Trost und Zuversicht. Und wird nach seiner eingehenden Untersuchung wohl noch mehr preisgeben.
Mich beschleicht ein eigenartiger Gedanke, denn plötzlich sehe ich obendrüber den “Herrn der Kirche” hängen — Jesus Christus. Und der guckt — zur Seite. Er guckt in die leeren Bänke, die auch sonntags meist leer bleiben. Heute beachtet ihn keiner, alle Blicke gelten dem Fund (der wohl nicht besonders kostbar ist, aber von großem historischen Interesse).
Vermutlich denkt in diesem Foto-Moment keiner daran, dass dieser Fund mit unserem Leben nichts Wesentliches machen wird — aber der da drüber hängt, alles in unserem Leben verändern kann.
Wir schauen so oft nach unten, nach den Kleinigkeiten, nach dem faszinierend Unwesentlichen, hängen dran, investieren dafür Kraft, Zeit und Geld (und kalte Füße — es waren ‑4 Grad).
Aber Leben gibt es bei dem, der nicht “unten” geblieben ist. Leben gibt es beim gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus. Wird Zeit, dass wir unsere Blickrichtung ändern und den wieder ansehen.
PS: den klassischen Bericht zum Ereignis gibt es natürlich auch.
http://noezz.de/index.php?id=339