Predigt zu Jona 1,1–2,2.11
Eine krasse Geschichte ist das. Und zumindest Elemente daraus sind recht bekannt. Da ist Jona, der Prophet, der keiner sein wollte. Er läuft in die entgegengesetzte Richtung und flieht vor seinem Auftrag und letztlich vor Gott. Er landet im Wasser, im Bauch eines großen Fisches und am Ende dann doch noch in dem Ort seines Auftrages. Soweit so kurz. Heute, am 1. Sonntag nach Trinitatis, geht es um Apostel und Propheten. So kann man die verschiedenen Predigttexte der kirchlichen Ordnung für die Sonntage zusammenfassen.
Einer dieser Propheten war Jona. Sein Buch ist recht kurz – und auch kurzweilig. Nur vier Kapitel ist es lang. Eine Novelle, eine Kurzgeschichte vielleicht. Aber es geht ab in diesem Buch. Schon im ersten Kapitel ist nichts mit langen Reden oder großen Worten zu finden. Stattdessen Aktion auf dem Meer. Sturmwind, die Segel ächzen und knarzen, der Mast bricht, die Ladung geht über Bord und wird selbst rüber geworfen, damit das Schiff leichter wird. Gestandene Seeleute, die gewiss schon ein paar Stürme erlebt haben, schreien vor Angst und fürchten sich. Und sie beten. „Not lehrt beten“, sagt ein Sprichwort. Und im Altertum galt das ganz gewiss noch. Denn die Menschen wussten noch nicht so viel von Hochdruck- und Tiefdruckgebieten. Wenn es blitzte und krachte, war das eine Strafe der Götter. Und wenn das Meer tobte, dann lag das an dem Gott, der für das Meer zuständig ist. Bei Jona geht’s rund. Warum eigentlich? Was war los?
Jona kommt aus Galiläa, nicht weit weg von Nazareth. Er wird im 2. Buch der Könige erwähnt (2. Könige 14,25). Gat-Hefer heißt dort der Ort, aus dem er stammt. Sein Vater: Amittai. mehr wissen wir nicht. Scheinbar aus heiterem Himmel heraus bekommt er von Gott einen Auftrag.
Das geht noch andern in der Bibel so. Abraham etwa wird einfach so mitten im Alltag angesprochen (Genesis 12). Er soll seine Heimat verlassen und in ein fremdes Land ziehen – ohne Karte, ohne Kompass und vor allem ohne Ortsangabe und Wegbeschreibung. So fängt die Geschichte des Volkes Israel an.
Mose erwischt es am brennenden Dornbusch (Exodus 3). Der hütete in der Steppe die Schafe seines Schwiegervaters. Da sieht er ein Feuer, geht näher und staunt: Ein Dornbusch brennt. Erst mal nicht so ungewöhnlich in der Steppe. Kommt vor. Aber der hier verbrennt nicht. Und als er näherkommt, spricht auch noch einer mit ihm, den er nicht sehen kann. Der aber um so lauter in sein Herz hineinredet: Gott selbst.
Samuel ist noch ein junger Mann, der gerade bei dem alten Priester Eli sein freiwilliges Soziales Jahr macht (1. Samuel 3). Naja, genauer: er ist dort, weil seine Mutter das Gott versprochen hatte. „Wenn du, Gott, mir ein Kind schenkst, dann weihe ich es dir.“ Und so war Samuel zum Priester gekommen. Eines Nachts hörte er, wie Gott ihn direkt anspricht, mit Namen.
So geht das immer wieder. Normaler Alltag. Und auf einmal redet Gott unüberhörbar. Vielleicht sogar heute noch. Wir sollten Gott nicht unterschätzen. Jona wundert sich auch gar nicht. Aber ihm passt der Auftrag nicht. Ninive. Eine riesige Stadt. Ein fremdes Volk, das schon viele Völker unterdrückt hat. Man hört nur Schlechtes von dort. Da will er lieber nicht hingehen. Anders als Mose diskutiert Jona nicht mit Gott. Er geht los. Aber – Ups – er schlägt die entgegengesetzte Richtung ein. Statt Richtung Osten nach Ninive geht er nach Westen, will mit dem Schiff bis Tarsis fliehen. Spanien. Das könnte reichen.
Ein sauberer Plan. Doch die Rechnung geht nicht auf. Gott ist schon vor ihm da. Er umspannt die ganze Welt. Und so stellt er Jona eine Naturgewalt in den Weg: ein Meer, vom Sturmwind aufgewühlt, bedrohlich, lebensbedrohlich. Dieses Hindernis kann Jona nicht überwinden. Dass hier Größeres, ein Größerer am Werk ist, erkennen auch die Seeleute. Sie haben Respekt vor den Göttern. Sie haben auch großen Respekt vor Jonas Gott. Der ist ihnen nicht fremd. Durch die Seefahrerei waren sie wohl schon häufig mit dem Land Israel und mit denen in Kontakt gekommen, die an den Gott Israels glaubten. Selbst wenn sonst kein frommer Jude auf dem gewesen sein sollte, wussten sie doch, um welchen Gott es hier geht.
„Und was hast du getan, Jona?“ Nichts. Ich laufe nur vor Gott und meinem Auftrag weg. Das ist schon krass. Jona mag nicht nach Ninive. Und ich kann ihn verstehen. Ich bin auch keiner, der so mir nichts dir nichts auf fremde Menschen zugeht. Dass mich einer anspricht, das ist in Ordnung. Aber ich von mir aus? Nur wenn ich muss, sonst lieber nicht. Und Jona sollte gar mit einer Drohung nach Ninive: „Gott macht eure Stadt platt, weil ihr so böse seid.“ Das möchte ich ja nicht mal heute von mir geben, wo die Welt allerhand Spinner erträgt. Im alten Ninive kann das ziemlich böse ausgehen.
Ich verstehe auch nicht, warum Gott dann nicht einen anderen beauftragt; vielleicht einen, der mutiger ist als Jona. Oder dem die Leute in Ninive wirklich am Herzen liegen. Einen, der ein missionarisches Gemüt hat.
Nein, es muss ausgerechnet Jona sein. Gott – muss es ausgerechnet ich sein? Mancher Prophet diskutiert das mit Gott. Mose habe ich schon erwähnt. Stundenlang diskutiert er am Dornbusch: “Wer bin ich denn schon? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außerdem kann ich gar nicht reden. Ich stottere und stammle, mir fehlen die Worte.“ Jeremia sagt: „Gott, ehrlich, ich bin zu jung.“ (Jeremia 1) Mich wundert, dass Abraham nicht gesagt hat: „Ich bin zu alt.“ 75 war er, als er umziehen sollte – nicht ins Seniorenheim, sondern von Haran an der syrisch-türkischen Grenze nach Kanaan-Israel. Mit dem Auto heute dauert das ca. 13 Stunden, wenn es an den Grenzen läuft, es sind dann fast 1.000 km. Ich bin zu alt dafür. Sagt Abraham nicht. Aber es hätte mich nicht gewundert. Gott, warum ich?
Weil Gott etwas vorhat. Ist das nicht erstaunlich? Gott hat etwas vor. Bei Jona will er eine Mega-City vor dem Untergang bewahren, indem er sie durch seinen Propheten warnen lässt. Gott setzt sich ein für seine Menschen. Die liegen ihm am Herzen. Uns oft nicht. Aber ihm. Wir springen nicht sofort ins Auto und fahren an die Mittelmeerküsten, wenn wir hören, dass dort Menschen auf dem Wasser treiben. Wir würden nicht mal losfahren, wenn wir das wirklich aktuell aufs Handy bekämen per WhatsApp. Unser Mitgefühl – ja, das ehrliche, aufrichtige, gute Mitgefühl, das im besten Sinne mitfühlt – kriegt den Sprung ins Auto zur Rettung Schiffbrüchiger nicht hin. Gewiss ganz zurecht würden wir den Sinn einer solchen Aktion hinterfragen. Wir kämen zu spät. Andere könnten eher da sein. Wir haben ja nicht mal ein Boot. Wer weiß, ob wir sie dann auf dem Meer auch finden. Alle Fragen würden wir ganz recht stellen. Es wäre Unsinn, sie nicht zu stellen.
Und wieso urteilen wir über Jona? Der macht nichts anderes. Er braucht eine Woche bis Ninive wenn er schnell ist. Hören wird eh keiner auf ihn – ein dahergelaufener Bauerntrampel aus dem Galiläischen. Wo liegt das bitteschön? Er, ein Prophet – also letztlich auch nur ein armer Mensch, der plötzlich eine Vision hatte – soll mit dem König reden? Er kommt nicht mal an der äußersten Wache vorbei. Er denkt nur logisch – und geht in die andere Richtung. Und wir sagen: Hättest du lieber mal gleich die Fahrkarte nach Ninive gebucht. Gott ist doch mit dir, lieber Jona.
Ich staune immer wieder über mich selbst. Denn was Jona hätte tun sollen – und dann ja auch tat, später, weiß ich nur zu genau. Dass Gott ihn behüten würde, weiß ich. Naja und ich kenne die Geschichte. Klar wenden die Niniviten ihr Herz und hören auf Gottes Wort. Aber wenn es um mich geht, traue ich Gott nicht über den Weg. Lieber doch auch erst mal die andere Richtung einschlagen, wen von einem vielleicht unbequemen Auftrag.
Jona merkt es. Spät, aber er merkt es. Gott will ihn. Und das ist auch erstaunlich. Gott fragt nämlich nicht, ob wir uns stark und fähig genug fühlen für eine Aufgabe. Er fragt auch nicht, ob wir ihm genug zutrauen und ihn richtig einschätzen. Er lässt uns an seiner Mission Weltrettung mitmachen, obwohl wir gerade keine Superhelden sind. Wer will, lese einmal den Stammbaum Jesu in Lukas 3 oder Matthäus 1: Jakob – ein Betrüger, selbst mal geflitzt vor Gott. Rahab – eine Prostituierte. David – Mörder und Ehebrecher. Salomo? Weise und zugleich unheimlich stolz. Rehabeam, Salomos Sohn, treibt die Ausbeutung des Volkes ärger als sein Vater. So mancher der Nachkommen Davids „tat, was dem Herrn missfiel.“ Und alle waren sie Vorfahren von Jesus, dem Gottessohn und Retter.
Gott sucht keine Superhelden und keine Superfrommen. Er würdigt uns, seine Mitarbeiter zu sein. Aber fiel mehr noch: Er würdigt uns, seine Kinder zu sein – jede und jeden. Vor ihm wegzulaufen heißt letztlich: Wir haben noch nicht gemerkt bzw. vergessen es immer wieder, dass wir seine Kinder sind, nicht weniger. Und dass er mit uns alles erreichen kann. Dass wir mit ihm alles erreichen können.
Jona resigniert. Er ist auf seiner Flucht vor Gott am Tiefpunkt angekommen. „Ich fürchte den Herrn, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat.“ So sagt er es. Und er denkt: Nun wirft mich Gott selbst ins Meer. Ich werde untergehen, vergessen gehen. Er hat Gott immer noch nicht verstanden. Gott will nicht, dass die große Stadt Ninive untergeht. Und geht will nicht, dass sein Prophet untergeht. Hier wird es nur kurz erwähnt. Was wir in Bildern so oft sehen und Jona vor allem deswegen kennen, ist fast kein Thema hier. Ein großer Fisch verschlingt Jona und wirft ihn nach drei Tagen wieder an Land. Gott rettet Jona. Der soll nicht untergehen, auch wenn er geflitzt ist vor Gott. Der soll leben. Und er darf Gottes Botschaft nach Ninive tragen. Eine Botschaft, die so in die Herzen der Menschen eindringen wird, dass sie umkehren und Gott die ganze Stadt rettet.
Jona – der davonlief. Der darf immer noch an der Rettung dieser Stadt mitwirken. So ist Gott. Wir rennen weg, in unseren Alltag, in unsere Sorgen hinein, in Diskussionen hinein, warum dieses und jenes nicht geht. Und Gott rennt uns nach. Manchmal stellt er uns ein aufgewühltes Meer entgegen – in unserem Herzen. Manchmal lässt er uns eine Weile im Dunkeln tappen – wie Jona im Bauch des Fisches. Manchmal führt er uns in eine Wüste – wie den Propheten Elia mal oder sogar Jesus. Weil er uns will. Weil er uns liebt. Weil er mit uns zusammenarbeiten will. Weil er uns für so würdig hält, dass wir seine Weltretter sein dürfen.
Jona geht für einen Moment unter. Und schon geschieht die erste Rettung: der Sturm legt sich, das Meer wird still und die Seeleute sind gerettet. So ist Gott. Er rettet. Weil er liebt ohne jede Einschränkung – den, der ihm offen widerspricht und den, der sich klammheimlich und voller Furcht davonstiehlt. Er liebt uns. Und er sendet uns heute in unsere Welt. Gott liebt! Darum geht es, immer! Amen.

