… und was Maria damit zu tun hat
Predigt zu Lukas 1,26–38
Wir warten. Auf Weihnachten. Und können es nicht abwarten. Nicht nur die Kinder fragen ungeduldig und halten die Spannung kaum noch aus. Was es wohl geben wird? Auch wir Erwachsene sind oft schon – manchmal durch äußeren Zwang – mittendrin im Weihnachtsgeschehen, ohne die Wartezeit selbst auch zu würdigen und zu nutzen. Der äußere Zwang? Da muss man nur über einen Weihnachtsmarkt gehen. Die „Stille Nacht“ dudelt jetzt schon seit drei Wochen durch die Lautsprecher, im krassen Gegensatz zur Lautstärke und dem Trubel zwischen den Marktbuden.
Wir wissen eben auch, was kommt. Am 24. Dezember müssen die Geschenke unterm Baum liegen. Der Termin ist hinlänglich bekannt. Da gibt es keine Geheimnistuerei um den Termin.
Ganz anders ging es damals Maria, die die Mutter Jesu werden sollte, aber das so gar nicht erwartete. Im Lukasevangelium ist es nachzulesen:
Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?
Überrascht war Maria. Erwartet hat sie jedenfalls kein Kind. Und auch den Engel in ihrer guten Stube hat sie nicht erwartet. Der kam einfach hinein in ihr Haus, in ihr Leben. Kein Wunder, dass sie erschrickt. Wobei es die Rede ist, die sie besonders verwirrt, schreibt Lukas. Normalerweise sagt man wohl „Guten Tag“ – oder in Israel „Schalom“ oder im Orient „Salem aleikum“. Das weiß man noch aus Karl May. „Du Begnadete? Der Herr ist mit dir?“ Sehr übertrieben, gerade einer fremden und auch sehr jungen Frau gegenüber. Maria denkt: „He, was ist das denn für ein Gruß?“ Vielleicht dachte sie auch: „Was ist dass denn für ein seltsamer Typ?“
So ist das mit Überraschungen manchmal. Nicht alle sind von vorneherein freudig – etwa wenn gute Freunde unverhofft an der Tür klingeln. Das ist ja schön. Meistens. Aber es ist auch keine böse Überraschung. Gewiss nicht. Es ist – so ganz anders.
Das lerne ich zuerst neu in dieser Geschichte, die in eine Zeit gehört, in der uns alle Abläufe völlig klar sind: 1. bis 4. Advent, Heiligabend, Geschenke unterm Baum. So geht das.
Nein – Gott ist anders. Der hält sich nicht an Abläufe und Pläne. Der macht seinen eigenen Plan und überrascht uns damit. Gott kommt manchmal unerwartet, ist plötzlich da. Die Frage ist, wie wir damit umgehen.
Aber hören wir dem Engel noch ein bisschen zu:
Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Es wird nicht gerade einfacher mit dieser Antwort. Der Heilige Geist, Kraft des Höchsten, ein geradezu heiliges Kind, gar der Sohn Gottes. Und als Referenz Elisabeth, die Cousine Marias. Auch schwanger. Auch unerwartet. Elisabeth war hochbetagt, so schreibt Lukas am Anfang seines Evangeliums, bevor er von Maria erzählt.
Gott ist anders. Und Gott lässt Unmögliches geschehen. Er mutet uns damit zu, unser Denken umzustellen. Er erwartet von uns, dass wir unsere Vorstellungen von ihm doch einmal über den Haufen werfen. Immer noch. Nicht erst heute diskutieren die Theologen darüber, ob Maria wirklich Jungfrau war oder ob das nicht einfach besonders hervorheben soll, dass Jesus von Anfang an als Gottes Sohn beschrieben wird.
Ich halte es für legitim, das zu überlegen. Denn anders als von vielen behauptet, muss niemand sein Denken ausschalten, wenn er glauben will. Menschen dürfen diese Frage stellen. Natürlich. Und sie können diese Frage auch unterschiedlich beantworten. Natürlich. Aber ich halte es auch für verkehrt, wenn dann einer sagt: Ganz gewiss war das Kind von Josef, von einem Menschen. Und Jesus galt nur als Gottes Sohn.
Stellen wir solch eine Frage nur, weil nicht sein kann, was nicht sein darf – nach unserer menschlichen Vorstellung? Das schränkt doch Gott schon wieder ein! Wir legen damit schon wieder fest, wie Gott handeln muss. Er muss nämlich immer so handeln, wie es uns in den Kram, in unsere wissenschaftliche Vorstellung, in unser Gottesbild passt.
Der Engel macht eins ganz deutlich: Dass Jesus zur Welt kommt, dass Gott Mensch wird, und wie er das wird, ist ganz allein und ausschließlich Gottes Sache. Gott allein hat diesen Entschluss gefasst und den Weg ausgedacht. So fällt Gottes Wahl nicht auf das amtierende Königshaus. Herodes ist so gar nicht nach seinem Geschmack. Gott erwählt Maria. Gott erwählt Bethlehem, eine Stadt abseits des Weltgeschehens. Gott erwählt die Familie eines Zimmermanns, nicht die eines aktuellen Herrschers oder sonstigen Großen in Israel.
Der Weg Gottes auf Erden geht dann ja auch ganz untypisch für einen Gott weiter. Jesus beugt sich unter die Taufe, die Johannes am Jordan verkündet und durchführt – eine Taufe zur Buße und zur Vergebung der Sünden. Jesus, der doch eins ist mit Gott, mit dem Willen Gottes. Der hat diese Taufe nicht nötig. Jesus beugt sich unter das geltende Gesetz. Keines der Gebote hebt er auf. Im Gegenteil. Er deutet sie auf der einen Seite viel strenger noch als die Lehrer, die Rabbiner um ihn herum. Und er stellt auf der anderen Seite ihren Sinn neu heraus als Mittel zum Leben. Jesus geht soweit den Weg eines jeden Menschen, dass er auch dem Tod nicht ausweicht und kurz vorher noch schnell verschwindet. Er stirbt am Kreuz. So etwas macht doch kein Gott! Doch! Dieser schon.
Es ist Gottes Entscheidung allein, genau diesen Weg einzuschlagen, damit wir Menschen wieder zu ihm kommen können. Warum? Aus Liebe zu seinen Menschen. Gottes Beweggrund ist seine Liebe. Auch das wieder einzig seine Entscheidung. Dietrich Bonhoeffer hat das einmal so gesagt: „Der Grund der Liebe Gottes zum Menschen liegt nicht im Menschen, sondern allein in Gott selbst.“ (DB Ethik, S. 74)
Gott handelt unerwartet. Und es ist Gott, der handelt. Er ist der Herr der Weihnachtsgeschichte und nicht wir mit unseren romantischen, heimeligen Vorstellungen einer Wohlfühlweihnacht. Maria hat es ergriffen. Vielleicht nicht verstanden – wer kann das schon verstehen. Aber sie klammert sich daran, hält fest, was geschieht, hält an Gott fest.
Gott kommt unerwartet. Gott handelt souverän. Und wie reagieren wir darauf? Der letzte Vers der Erzählung fehlt noch. Die Antwort Marias fehlt noch.
Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
Maria lässt es zu, was Gott angekündigt hat. Sie lässt zu, dass sie zu einem Werkzeug Gottes wird. Sie ermöglicht Gott, seinen Plan auszuführen, seinen Weg zu gehen, so wie er sich das überlegt hat.
Ist das nicht ein bisschen verrückt? Dass Gott seinen Weg in diese Welt, zu seinen Menschen gehen kann – so gehen kann, wie er das will, hängt am Ja von Maria. Wie oft muss Gott nicht um unsere Bedenken herum handeln und sich etwas anderes ausdenken. „Gott, ich bin doch nicht verheiratet. Der Skandal. Und Josef.“ „Gott, ich bin dieser Aufgabe doch gar nicht gewachsen, bin zu jung, komme aus einfachen Verhältnissen.“ „Gott, eigentlich wollten wir noch kein Kind. Erst mal die Firma weiter aufbauen. Josef hat da eine neue Geschäftsidee.“ Hätte Maria alles sagen können.
„Gott, ich habe eine schwere Zunge, kann nicht reden.“ Das sagte Mose, der den Pharao überzeugen sollte, die Israeliten frei zu geben. Der hatte so gar keinen Drang, mit dem Pharao zu diskutieren und als Anführer aufzutreten.
„Gott, alles verkaufen und dir nachfolgen? Das fällt mir sehr schwer. Nein das geht dann doch nicht.“ Sagt und denkt der reiche Jüngling, der doch schon alles getan hat und wirklich an Jesus interessiert ist.
„Gott, nicht jetzt, später.“ „Gott, nicht mit dem, den kann ich nicht leiden.“ „Gott, kann das nicht ein anderer besser?“ „Gott, hältst du das für eine gute Idee? Das haben wir noch nie so gemacht.“ „Gott, nein.“
„Sollte Gott gesagt haben?“ Damit gingen die kritischen Anfragen an Gottes Souveränität und an seine Liebe, seinen guten Willen mit uns Menschen los. Adam und Eva zweifelten schließlich daran, dass Gott ihnen alles, aber auch wirklich alles zum Leben geschenkt hatte. Sie zweifelten an seiner Liebe, an seiner Offenheit, an seiner Souveränität. Und Gott konnte das Paradies dicht machen, das er doch für die Menschen gestaltet und eingerichtet hatte.
Ob das manchmal so ist, dass Gott am Nein eines Menschen scheitert? Auch das sprengt unsere Vorstellung von Gott. Andere Götter nehmen sich, was sie wollen, setzen durch, was sie wollen. Unser Gott aber lässt Dinge zu, wenn wir uns ihm verweigern. Er achtet unseren Willen, auch wenn dann etwas liegenbleibt und nicht gelingt.
Mir fällt ein Cartoon wieder ein, den ich einmal gesehen habe (sinngemäß):
Sitzt Jesus mit einem Menschen auf einer Parkbank. Der Mensch klagt: „Jesus, so viel Leid auf dieser Welt, so viel Krieg. Jeder denkt nur an sich. Wann tust du etwas dagegen?“ „Komisch“, sagt Jesus, „dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen.“
Gott wird Mensch – und er handelt an und mit uns Menschen unter menschlichen Bedingungen. Er sucht Menschen, die wie Maria sagen: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Menschen, die zu Gott ebenso bedingungslos ihr Ja sagen, wie Gott schon lange bedingungslos zu uns Ja gesagt hat. Menschen, die Gott wirklich Gott sein lassen in seinen Entscheidungen, in seiner Art zu handeln, mit allem Geheimnis, das ihn umgibt und das wir nicht knacken können. Menschen, die Gott vertrauen, ihm etwas zutrauen und von ihm alles erwarten. Menschen, die sich Gott zur Verfügung stellen – und zwar gerade mit allem was sie sind: mit ihrem Verstand, ihrer körperlichen Kraft, ihren Ideen und Träumen. Und genauso mit ihren Schwächen, ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten.
Von Maria können wir das lernen und dabei die Seite Gottes entdecken, die er uns auf so vielen Seiten der Bibel und nun auch in der Weihnachtsgeschichte zeigt. So wird Maria zu einem genauso großen Vorbild für das, was glauben, was Gott vertrauen bedeutet, wie es Abraham war, der auf ein Wort von Gott in ein völlig neues Leben aufbrach.
Sie wird zum Vorbild als ein Mensch, der Gott lobt und preist und seine Herrlichkeit und Größe besingt, so wie es David gewesen ist, der uns mit seinen Psalmen Worte gibt, mit denen wir noch heute beten.
Die Weihnachtsgeschichte, die schon mit der Ankündigung der Geburt von Jesus beginnt, ist eine Herausforderung an uns, Gott neu zu suchen. Und uns für ihn ganz neu zu öffnen und ihn handeln zu lassen nach seiner Weise.
Gott kommt unerwartet und er kommt mit überraschend anderen Ideen zu uns, als wir das denken.
Gott handelt, immer noch. Und ob er dabei auf Wunder und völlig Außergewöhnliches setzt oder auf ganz gewöhnliche menschliche Wege, ist seine Sache allein.
Und Gott wirkt mit Menschen, die ihm völlig vertrauen. Da kann jeder Tag ein bisschen wie Weihnachten werden – überraschend, mit Gott in der Mitte, der die Welt mit seinen Menschen verändert.
Amen.
Fotos: Landesmuseum Mainz, „Meister des Hausbuchs“,
Marienzyklus (1505)
© Foto: Matthias Keilholz