Kurzansprache zum Friedensgebet am 18. Januar 2015
in der ev. Kirche in Burtschütz
anlässlich der Demos gegen ein möglicherweise kommendes Asylbewerberheim in Tröglitz
(voraus ging die szenische Lesung von Matthäus 25,31–40)
Aus der Bibel (Lukas 10,25–37)
Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halb tot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.
Das ist ja wohl der Hammer, oder? Da liegt einer im Straßengraben, nicht versteckt, nein. Er ist durchaus zu sehen. Vielleicht auch zu hören, wie er jammert vor Schmerzen. Ein Priester hat ihn gesehen. Die sollten doch immer helfen oder? Ein Levit erblickt ihn – ein Diener, ein Mitarbeiter am Tempel in Jerusalem. Die sind doch für das Dienen sogar ausgebildet und helfen allen, oder? Das ist weit weg, nicht unsere Welt. Jericho und Jerusalem, und dann noch vor 2000 Jahre – was geht uns das an?
Dieser Tage las ich von einer Studie, die die SRH Hochschule in Heidelberg durchgeführt hat. Ein Kind sitzt weinend mit aufgeschlagenem Knie am Straßenrand, ganz allein. Wer würde helfen? In einer Stadt mit 300.000 Einwohnern wendeten sich ganze 7% der Passanten dem weinenden Kind zu. Sogar Mütter mit eigenen Kindern gingen überwiegend vorbei. In einem Dorf mit 6.000 Einwohnern halfen immerhin 30% der Passanten. Aber auch da gingen 70% vorbei. An einem Kind! Es gibt noch mehr solcher Studien, auch mit Erwachsenen. Und die Wirklichkeit hat uns schon gezeigt, dass Menschen oft wegsehen vor der Not anderer. Der Graben am Weg zwischen Jericho und Jerusalem ist nicht weit weg, der ist vor unserer Haustür.
Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Samariter: Für Israeliten zur Zeit von Jesus – der hat diese Geschichte nämlich erzählt – waren Samariter Ausländer. Juden vermieden den Kontakt mit „denen“. Der Samariter half. Krass – bewusst krass für jüdische Ohren erzählt Jesus diese Geschichte seinen Landsleuten. Anlass dafür war eine einfache Frage gewesen: „Wer ist mein Nächster?“ So wollte es einer von Jesus wissen. Der kannte nämlich das Gebot: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen – und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Tja, aber mein Nächster: wer ist das denn? In der Diskussion um Asylbewerber und Flüchtlinge wird diese Frage wieder neu wichtig. Ich erinnere mich an Wahlkampfplakate, auf denen zu lesen war: „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt.“ In den Diskussionen um Asylsuchende hört man immer wieder – zuletzt auch bei der Bürgerfragestunde letzten Mittwoch in Hohenmölsen: „Wenn die ALLE zu uns kommen …“, oder: „Wir können nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen.“ „Wir sehen ja die Not der anderen – aber sie geht uns hier doch nichts an, denn wir haben unsere eigenen Sorgen“, so wird gesagt.
Ist das so? Geht uns die Not anderer nichts an?
Jesus schloss damals seine Gleichniserzählung mit einem kurzen Wechselgespräch mit seinem Fragesteller ab.
Jesus fragt ihn: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“ Er sprach: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat.“ Da sprach Jesus zu ihm: „So geh hin und tu desgleichen.“
Kein Unterschied der Person, kein sozialer Stand, keine Herkunft, kein Geschlecht – nichts schließt einen Menschen davon aus, mein Nächster zu sein. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus. Und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter untermalt es anschaulich.
Wir sind hier, weil uns manchmal der Mut verlässt, so zu handeln. Weil uns manchmal die Kraft fehlt, für die Notleidenden, die zu uns kommen, da zu sein. Wir sind hier, weil wir auch die Not in unseren Orten sehen, die schon da ist. Und die Frage treibt uns um und lähmt uns manchmal auch zugleich: „Wird es nicht alles zu viel?“ „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern …“ – ist das nicht genauso der Bruder, die Schwester neben mir? Der Mensch, der jetzt gerade, vielleicht ganz zufällig neben mir in der Bank sitzt?
Ja, genauso ist es. Jesus schließt keinen aus. Und so schafft er Raum für unsere eigene Not wie auch für die Not anderer.
Die Stärke einer Gemeinschaft, wie sie heute hier zusammen kommt, und genauso die Stärke eines Ortes wie Tröglitz oder Hohenmölsen oder des Burgenlandkreise ist doch, dass wir füreinander da sein können. Da sind welche, die haben im Moment die Kapazität, Not zu lindern und sogar Fremde aufzunehmen. Da sind welche, die gehen mit Mut auf andere zu und unterstützen sie. Da sind welche, die stehen einfach ihrem Nachbarn bei, wenn der Hilfe oder Trost braucht. Da sind auch welche, die können die Ängste und Vorwürfe der Asylgegner hören und aushalten und darüber ins Gespräch kommen. Das alles gibt es in unserer Gemeinschaft.
Wir brauchen uns den Mut nicht nehmen zu lassen durch die Angstmacher dieser Tage. Unsere Gemeinschaft ist stark genug, den einzelnen zu tragen, der mit Ängsten und Fragen kommt, der hier seine liebe Not hat mit dem Leben. Und diese Gemeinschaft ist stark genug, Fremde aufzunehmen, deren Not groß ist und nach Hilfe rufen. Die Grundhaltung von Nächstenliebe und Menschenfreundlichkeit über Geschlechter, Nationalitäten, Sprachbarrieren oder soziale Unterschiede hinweg ist uns möglich. Und diese Haltung ist unser Auftrag einfach schon deshalb, weil wir Menschen sind, die alle, ausnahmslos alle die gleiche Würde haben.
Für Christen ist es der Geist Gottes, der zur Nächstenliebe und zur Menschenfreundlichkeit befähigt. Gott ermöglicht es uns, andere anzunehmen, für sie da zu sein, weil er ja schon zuerst für uns da war und uns angenommen hat. Und so können wir und sollen wir auch mutig dafür eintreten, allen Menschen mit Liebe und Freundlichkeit zu begegnen, offen Arme, offene Herzen und offene Türen für sie zu haben.
Darum werfen wir uns nicht Parolen an den Kopf, sondern lassen Ängste und Fragen zu, die andere – und vielleicht auch uns selbst – umtreiben bei der Asylfrage. Miteinander können wir nach den Gründen für solche Ängste suchen und ihnen begegnen, sie entkräften und abbauen. Darum treten wir mutig ein für diejenigen, die zu uns fliehen, weil sie in ihrem Land nicht mehr leben können und nehmen sie an, nehmen sie auf. Es sind – da lässt die Bibel keinen Zweifel daran – Menschen, denen Gott genauso wie uns das Leben geschenkt hat. Es sind Menschen, die das Bild Gottes in sich tragen und darum eine Würde haben, die ihnen niemand nehmen kann und darf.
In der Gemeinschaft miteinander findet diese Würde, findet dieses, findet jedes Leben Raum und neue Hoffnung kann entstehen. Ja, wenn wir uns so gegenseitig annehmen und aufnehmen – nicht irgendwo unterbringen sondern wirklich aufnehmen – werden wir reicher in uns selbst. „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat!“
Amen.