Licht ins Dunkel

Mat­thä­us 4,12–17

Rück­zug. Jesus zieht sich zurück aus dem Brenn­punkt. Und das mit dem Brenn­punkt ist fast schon wört­lich zu verstehen.

Denn er stand zum einen für einen Moment ganz im Fokus, im Brenn­punkt des Gesche­hens. Am Jor­dan näm­lich ist Jesus sei­nem Cou­sin Johan­nes begeg­net. Aber es war kein Familientreffen.

Johan­nes war ein berühm­ter Pre­di­ger gewor­den. Und ein ziem­lich exo­ti­scher noch dazu. Er leb­te von Heu­schre­cken und wil­dem Honig. Er lief umher wie ein Hip­pie – wür­de man heu­te viel­leicht sagen: in einen Man­tel aus Kamel­haar geklei­det, und ver­mut­lich mit lan­gen, wohl auch struw­we­li­gen Haaren.

Aber gera­de er zog die Leu­te magisch an. So einen Pro­phe­ten hat­te das Land lan­ge nicht gese­hen und gehört. Die Pre­dig­ten von Johan­nes schla­gen ein. Er nimmt ja auch kein Blatt vor den Mund. Wer ihm zuhört, muss sich schon mal als „Schlan­gen­brut und Ottern­ge­zücht“ bezeich­nen lassen.

Johan­nes pre­digt, und er tauft Men­schen im Jor­dan. Sei­ne Tau­fe ist ein Zei­chen der Buße und der Rei­ni­gung. Men­schen wol­len ein neu­es, ande­res, bes­se­res Leben anfan­gen. Zum Zei­chen dafür las­sen sie sich ihr altes Leben abwa­schen, ja regel­recht erträn­ken und begin­nen dann neu.

Zu dem kommt Jesus. Und ihr kennt ja die Sze­ne: Jesus will sich tau­fen las­sen, aber Johan­nes weiß, wer ihm da gegen­über steht. Der braucht kei­ne Tau­fe zur Ver­ge­bung der Sün­den, so viel ist klar. Der ist Got­tes Sohn – sagt die Stim­me aus dem Him­mel, als Jesus getauft ist.

Mit­ten im Brenn­punkt, im Fokus die­ses schon außer­ge­wöhn­li­chen Gesche­hens am Jor­dan ist Jesus.

Aber es gibt auch noch einen zwei­ten Brenn­punkt, und der ist heiß. Man kann sich dar­an ver­bren­nen. Jesus näm­lich geht nach sei­ner Tau­fe vier­zig Tage in die Wüs­te. Und am Ende die­ser Zeit ver­sucht der Teu­fel, ihn mit allen mög­li­chen Tricks zu überlisten.

Er ver­sucht ihn. Er tes­tet Jesus, ob der viel­leicht doch sei­ne Mis­si­on auf­gibt und lie­ber Brot her­vor­zau­bert oder beein­dru­cken­de Wun­der voll­bringt – und am Ende gar den Teu­fel anbetet.

Jesus besteht die Prü­fung, er hält die Hit­ze im Brenn­punkt aus.

Und dann das: Johan­nes wird gefan­gen genom­men. Das war sicher ein har­ter Schlag für Jesus. Und auch nicht ganz ungefährlich.

Wenn einer wie Johan­nes, der doch auch eine poli­ti­sche Gefahr dar­stellt, inhaf­tiert wird, dann sind sei­ne Freun­de und Jün­ger, auch sei­ne Fami­lie eben­falls in Gefahr.

Jesus zieht sich zurück, weg vom Jor­dan aus der Mit­te des Lan­des, weg von der Nähe zu Jeru­sa­lem. Er geht nach Gali­läa zurück, in den Nor­den des Lan­des. Gali­läa ist ein ande­rer Verwaltungsbezirk.

Ob er an sei­ner Sen­dung zwei­felt? Wenn schon Johan­nes gefan­gen genom­men wird – was wird man mit ihm machen, der doch noch ganz anders pre­di­gen will? Und ist er nicht auch Schuld dar­an, dass Johan­nes nun verschwindet?

Immer­hin: Der Bote, der in der Wüs­te das Kom­men des Mes­si­as, des Ret­ters ankün­digt, hat sei­ne Auf­ga­be erfüllt. Der Mes­si­as ist jetzt da.

Eine Kri­se. Jesus zieht sich zurück. Das ist in Kri­sen doch oft so. Und es ist auch nicht ver­kehrt. Sich für eine Wei­le aus dem Brenn­punkt des Gesche­hens zurück­zu­zie­hen hilft, sich neu klar zu wer­den: Was will ich über­haupt? Wozu bin ich da? Läuft alles rich­tig oder soll­te ich etwas anders machen?

Kri­sen haben manch­mal eine rei­ni­gen­de Wir­kung. Nur dass wir sie sel­ten aus die­sem Blick­win­kel sehen. Wenn unse­re Kräf­te ermat­ten, wenn wir plötz­lich kalt­ge­stellt sind, dann sehen wir eher auf das, was alles ver­lo­ren gegan­gen ist.

Dass sich uns viel­leicht auch neue, ganz ande­re und viel­leicht sehr unge­wöhn­li­che Wege öff­nen, mer­ken wir nicht.

Vor eini­ger Zeit habe ich ein Buch von einem jun­gen Schwe­den gele­sen. Jonas Hel­gesson heißt er. Bei sei­ner Geburt war er 40 Minu­ten ohne Sau­er­stoff­ver­sor­gung. Als Fol­ge davon ist er seit­dem Spastiker.

Ärz­te haben ihm gesagt, dass er nie nor­mal leben wird. Im Roll­stuhl ist er unter­wegs und erfährt oft genug die Behin­de­run­gen, die im der All­tag in den Weg legt.

Eines Tages reicht es ihm und er wirft sei­nen Roll­stuhl weg. Von da an ist nicht alles gut. Die blau­en Fle­cken sind nicht zu zäh­len, die er sich zuzieht, weil er stän­dig wie­der hinfällt.

Aber er hat sei­nen Wahl­spruch ent­deckt: „Das Unmög­li­che errei­chen kann man erst, wenn man das Absur­de ver­sucht hat.“

Heu­te fährt er Auto, ist Vor­trags­red­ner und Come­di­an. Immer noch mit sei­ner Krank­heit, aber ganz anders als vorher.

Eine Kri­se, die ihn stark gemacht hat mit einer Bega­bung, ande­re zu ermutigen.

Was macht Jesus in sei­ner Kri­se, sei­nem Rück­zug eigentlich?

Von uns wäre bestimmt kei­ner dar­auf gekom­men, aber Mat­thä­us, der Evan­ge­list, hat’s bemerkt. Jesus erfüllt eine der schöns­ten Ver­hei­ßun­gen des Alten Testamentes.

Eine Ver­hei­ßung, die am Hei­li­gen Abend zu den Pre­digt- oder Lese­tex­ten gehört: „Das Volk, das im Fins­tern wan­delt, sieht ein hel­les Licht.“

Es ist noch ganz pas­siv, was da geschieht. Weil Jesus die Kri­se annimmt und zuerst ein­mal still­hält, sich zurück­zieht, kann Gott eine Ver­hei­ßung wahr machen.

Nicht in Jeru­sa­lem, nicht im Zen­trum der welt­li­chen und reli­giö­sen Macht – im heid­ni­schen Gali­läa fängt das Licht der Welt an, auch öffent­lich zu scheinen.

Gali­läa – das ist der Land­strich, der im Nor­den Isra­els liegt. Zusam­men mit Sama­ria bil­de­te es das Nord­reich Isra­el, in dem sich das Volk Isra­el schon früh mit den Hei­den ver­bun­den hatte.

Das Misch­volk der Sama­ri­ta­ner war so ent­stan­den. Dort wur­den auch mal ande­re Göt­ter ange­be­tet. Zumin­dest nah­men es die from­men Juden aus dem süd­li­chen Lan­des­teil, aus Judäa, so wahr.

Und auch der Pro­phet Jesa­ja nennt die­ses Land ganz unver­blümt Heid­nisch: „Galil ha-gojim“, der Land­kreis der Hei­den. Von Galil ha-gojim ist dann nur noch Galil/Galiläa übrig geblieben.

Hier also wohnt Jesus fort­an, in der Stadt Kaper­na­um am See Genezareth.

Nach der lan­gen Pau­se zum Weih­nachts­ge­sche­hen – drei­ßig Jah­re sind ver­gan­gen – setzt sich die Geschich­te fort: Christ, der Ret­ter, ist da.

Mit einer Kri­se, ja einer Kata­stro­phe fängt es an und wird zum Heil für die Menschen.

Und wie nötig Men­schen die­ses Heil haben, drückt die Ver­hei­ßung aus dem Pro­phe­ten Jesa­ja, die Mat­thä­us noch ein­mal aus­drück­lich zitiert, sehr deut­lich aus:

Im Fins­tern sitzt das Volk, am Ort und im Schat­ten des Todes sit­zen die Menschen.

Man könn­te mei­nen, die­se Pro­phe­ten­wor­te beschrei­ben man­che unse­rer Wirk­lich­kei­ten. Gera­de in die­sen Tagen erschre­cken wir über die Anschla­ge, die auf die kop­ti­schen Chris­ten ver­übt wurden.

Nicht ein­mal in der eher siche­ren Welt des Abend­lan­des ist wirk­lich Sicher­heit. Unter schwe­rer Bewa­chung muss­ten die kop­ti­schen Gemein­den ihr Weih­nachts­fest feiern.

Im Fins­tern – da sit­zen man­che Obdach­lo­se in unse­rem sonst rei­chen Land. Im Todes­schat­ten woh­nen unzäh­li­ge Men­schen in Afri­ka und Asi­en, vor allem etwa in Indien.

Hun­ger und die immensen Fol­gen von Umwelt­ka­ta­stro­phen pla­gen die Men­schen mit uner­mess­li­chem Leid.

Und das ist nur das sicht­ba­re, das uns durch die Nach­rich­ten in die Häu­ser kommt, vor die Augen kommt.

Wie viel Leid und Dun­kel­heit in man­cher Men­schen­see­le vor­han­den ist, ahnen wir kaum.

Schnell gera­ten die aus dem Blick, denen man nicht mehr auf der Stra­ße begeg­net. „Aus den Augen aus dem Sinn“ sagt ein Sprich­wort – und sei­ne dra­ma­ti­sche Wahr­heit wird uns immer dann bewusst, wenn es wie­der ein­mal heißt: Mann lagt schon zwei Wochen tot in sei­ner Wohnung.

Das Volk, das am Ort und im Schat­ten des Todes sitzt. Jesa­ja, wie recht du hast.

Aber es gibt Hoff­nung. Als ich das Wort vom Todes­schat­ten gele­sen und bei Jesa­ja auch noch mal genau­er nach­ge­se­hen habe, kam mir die Erin­ne­rung an einen Psalm­vers, der in genau die­ser Lage Mut macht.

Es ist Psalm 23: „Und ob ich schon wan­der­te im fins­tern Tal …“ So über­setzt Mar­tin Luther. Aber genau­er steht dort: „Und ob ich durch das Tal der Todes­schat­ten gehe …“

Sie wis­sen, wie es wei­ter­geht: „… fürch­te ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“

Gera­de denen, die in solch einem Tal, unter solch einem Schat­ten, in solch einer Kri­se leben, ver­spricht Gott, dass er nahe ist.

Und im Gali­läa der Hei­den, wo sich viel­leicht sogar die From­men scheu­en hin­zu­ge­hen, wird es wort­wört­lich wahr: „Du bist bei mir.“

Jesus wohnt dort. Das Licht der Welt scheint am dunk­len Ort.

Aber nicht nur die­se Ver­hei­ßung erfüllt sich in der Per­son von Jesus.

Indem Mat­thä­us die­se Zukunfts­hoff­nung an den Anfang von Jesu öffent­li­chem Wir­ken stellt, gibt er dem gan­zen auch eine bestimm­te Rich­tung, eine Verstehenshilfe.

Jesus greift wört­lich die Pre­digt von Johan­nes, dem Täu­fer auf. „Tut Buße, denn das Him­mel­reich ist nahe herbeigekommen.“

Und die­se Pre­digt – oder bes­ser die Zusam­men­fas­sung der Wor­te und Pre­dig­ten, auch der Taten Jesu – ist eine über­wäl­ti­gen­de Befrei­ung, eine Freudenbotschaft.

Man merkt es nicht, wenn wir die­sen Satz aus sei­nem Zusam­men­hang lösen.

Ohne die vor­aus­ge­hen­den Wor­te klingt es fast wie eine Drohung.

Und so ist die Bot­schaft oft auch gebraucht wor­den. Men­schen wur­den im Namen des Chris­ten­tums unter­drückt. Buß­leis­tun­gen wur­den ihnen auf­er­legt, die sie nur ärmer und unglück­li­cher machten.

Man braucht nur an das Streit­the­ma der Refor­ma­ti­on zu den­ken: die Angst vor dem Fege­feu­er war so groß, dass die Men­schen Unsum­men für Ablass­brie­fe aus­ge­ge­ben haben.

Mar­tin Luther selbst wur­de von der Fra­ge gequält, wie der einen gnä­di­gen Gott bekom­men kann, sprich: was er alles tun muss, damit Gott gnä­dig ist.

Aber dann hat er ent­deckt, dass Gott selbst die Umkehr ein­lei­tet, die Wen­de ein­lei­tet. Gott ändert das Geschick derer, die im Fins­tern wan­deln und am Ort der Todes­schat­ten sitzen.

„Das Him­mel­reich ist nahe her­bei­ge­kom­men“, das ist eine gute Nach­richt. „Chris­tus ist gebo­ren.“ Und er wohnt bei denen, denen er Ret­tung brin­gen will.

Tut Buße bedeu­tet dann auch nicht: Bringt Leis­tung, damit Gott sich euch zuwen­det. Das ver­bin­den wir ja lei­der all­zu oft mit dem Wort Buße.

Du musst in Sack und Asche gehen, dei­ne Punk­te in Flens­burg abar­bei­ten, die Geld­bu­ße bezah­len. Was für eine Ver­keh­rung der Absicht Got­tes hin­ter die­sem Wort.

Tut Buße heißt: Dreht euch um und schaut dem Licht ent­ge­gen. Oder, wie es der Wochen­spruch vom 2. Advent sagt: „Seht auf und erhebt eure Häup­ter, weil sich eure Erlö­sung naht.“ (Lukas 21,28)

So wer­den die Bot­schaft von Jesus und die auf­merk­sa­me Beob­ach­tung von Mat­thä­us auch zu einer Hil­fe in den Kri­sen unse­res eige­nen Lebens.

In den Kri­sen näm­lich fan­gen die Ver­hei­ßun­gen Got­tes an zu wir­ken. Wir müs­sen nicht ver­zwei­feln, denn Gott kommt zu uns in unser ganz per­sön­li­ches fins­te­res Tal.

Wir den­ken manch­mal: gera­de jetzt ist Gott so weit weg und ich weiß auch gar nicht, wie ich ihn mir gewo­gen machen soll.

Ich ver­ste­he ihn nicht und weiß auch nicht, was ich ihm noch alles sagen soll, damit er mir ent­ge­gen­kommt und hilft.

Und Gott? Er ist schon längst da, wohnt mit­ten unter uns Men­schen, hat Teil an unse­rem Erle­ben und Leiden.

Er ver­steckt sich nicht hin­ter Kir­chen­mau­ern und einer beson­de­ren Fröm­mig­keit. Er sucht nicht die Orte auf, an denen alles gut und rich­tig ist.

Wie sagt Jesus mal zu eini­gen Kri­ti­kern, als die ihn angif­ten, weil er mit schlim­men Sün­dern zusam­men an einem Tisch sitzt und fei­ert? „Die Gesun­den brau­chen kei­nen Arzt. Ich bin gekom­men zu suchen und selig zu machen, was ver­lo­ren ist.“

Und ich glau­be, er meint damit auch Men­schen, die sich selbst ver­lo­ren haben, die sich selbst ver­lo­ren geben, aufgeben.

Jesus kommt in unser Gali­läa. Und wir kön­nen ihn ent­de­cken, wenn wir Buße tun, näm­lich ihm entgegensehen.

Genau das ist die Bot­schaft, die von Weih­nach­ten noch in unse­ren Her­zen schwingt: Gott wird Mensch.

Und sie setzt sich fort: Got­tes Reich, das Him­mel­reich ist nahe. Es ist sogar mit­ten unter euch. Nehmt es auf, nehmt es an, ver­lasst euch darauf.

Viel­leicht kön­nen wir uns ja im Lauf des Jah­res, wenn uns ande­re Geschich­ten von Jesus begeg­nen, an den Anfang sei­ner öffent­li­chen Wirk­sam­keit erinnern.

Egal, was Jesus sagt oder tut: Es geschieht, weil er damit Got­tes Reich brin­gen will, weil er sein Licht in die Fins­ter­nis­se die­ser Welt brin­gen will.

Zu uns.

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