Wer hat Gott schon einmal gesehen? Biblische Gestalten, die Gott gesehen haben?
Adam und Eva, Abraham, Jakob, Mose, Älteste, Elia, Jesaja …
Ein Gott, den man sehen kann – das wäre doch was. Die Götter der alten Welt konnte man sehen.
Götterstatuen erzählen noch heute Volksgeschichten und Völkergeschichte. Sie geben Einblick in die Kultur, den Glaube und den Alltag der Menschen aus alter Zeit.
Tiere müssen herhalten, denen man verschiedene Eigenschaften zuschreibt: Stiere etwa, die für besondere Kraft stehen. Das goldene Kalb der Israeliten war ein Sinnbild für einen mächtigen, starken Gott.
Die Natur muss herhalten: Sonne, Mond und Sterne etwa. Ra ist der ägyptische Sonnengott. Ohne Sonne kein Leben.
Unerklärliche Naturgewalten bekommen einen Gott zugewiesen, der sie lenkt: Poseidon, der Gott des Meeres; Thor, der mit seinem Hammer den Donner erzeugt.
Götter, die man sehen kann oder denen man wenigstens ein Symbol zuweist, das sichtbar und greifbar ist.
„Du sollst dir kein Bild von Gott machen“ sagt das zweite Gebot. Martin Luther hat’s uns Lutheranern unterschlagen. Aber wir Reformierte haben es im Heidelberger Katechismus stehen.
Mach dir kein Bild von Gott – und doch ist die Bibel selbst voller Bilder.
Wir befinden uns noch im Weihnachtsfestkreis. Der 2. Sonntag nach Epiphanias ist heute. Und Epiphanias, das ist doch das Fest des Bildes, das Fest der Erscheinung.
„Wir haben seine Herrlichkeit gesehen“, schreibt Johannes. Das ist die Tagesüberschrift für das Erscheinungsfest.
Weihnachten selbst lebt von Bildern, allen voran das Kind in der Krippe, drum herum Maria und Josef, die Hirten, Ochs und Esel.
Schon da merken wir – mit den Bildern ist es nicht so einfach, denn: wer malt die eigentlich? Ochs und Esel gehören nicht an die Krippe, jedenfalls nicht nach dem biblischen Bericht. Unsere Fantasie stellt sie dort hin.
Und wenn bei den Hirten auch die Weisen aus dem Morgenland stehen, ist das eine Erweiterung, die unsere Fantasie sich ausgedacht hat. Die Hirten sind schon längst weg, bevor die Weisen ankommen.
Bilder – es geht nicht mit, es geht nicht ohne.
Das war dem Volk Israel mehr als einmal zum Verhängnis geworden. Mal abgesehen von den bildhaften Göttern der umgebenden Völker – einmal machten sich die Israeliten selbst ein Götterbild.
Ich habe es schon erwähnt, es war das goldene Kalb, das sie sich bei der Wüstenwanderung gegossen haben.
Mose war lange auf dem Berg Sinai. Er holte die Gesetzestafeln ab. Dem Volk wurde die Zeit zu lang. Außer Gott war nun auch Mose unsichtbar.
Da musste Ersatz her, etwas Handfestes, Greifbares. Wer kann es den Israeliten verdenken?
Mose war natürlich außer sich vor Zorn. Und er bekam Angst vor der Aufgabe, dieses so eigenwillige Volk durch die Wüste zu führen.
Und was macht er? Er sucht – genau wie das Volk vorher – etwas Greifbares, Handfestes.
Aber hört selbst, was die Bibel erzählt: 2. Mose 33,17b-23:
17 Der Herr sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.18 Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.21 Und der Herr sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.23 Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Mensch, Mose, du bist ja genau wie alle andern. Du bist ja genau wie wir. Du brauchst etwas, an dem du dich festhalten kannst. Und sei es ein Bild.
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“
Es gibt Momente, da sehnen sich Menschen nach dem Angesicht Gottes. Da reicht uns nicht mehr die Zusage, dass wir Gnade vor Gottes Augen gefunden haben. Es gibt Augenblicke, da wollen wir etwas sehen und nicht nur glauben.
Schmerzlich bewusst wird uns das, wenn wir sehr konkret, gezielt beten. Oft machen wir das, wenn ein Mensch krank ist. Wir bitten um Heilung. Wir hoffen auf Heilung, wollen sehen, dass es dem anderen besser geht.
Nach einem handfesten Beweis für Gott suchen wir auch, wenn unser Glaube in die Krise gerät, wenn uns nicht mal mehr unser Glaube trägt und Gott dazu schweigt.
Lass mich deine Herrlichkeit sehen – oder deine Güte, deine Hilfe, einfach nur deine Gegenwart.
Wo ist Gott, wenn man all das Leid ansieht, das auf der Erde zu finden ist? Wo ist Gott, wenn nicht einmal die Menschen, die doch an ihn glauben, in Frieden leben können?
Wo ist Gott, wenn ich mehr Zweifel habe, als ich ertragen kann?
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“
Mose bringt es auf den Punkt, in einem einzigen Satz. Der ist Bitte, der ist verzweifelter Ausruf. In ihm schwingt Hoffnung und Angst zugleich.
Wird Gott mir Halt geben? Gott wird doch hoffentlich ganz gewiss zu mir stehen und mich jetzt nicht fallen lassen!
Mose bekommt eine dreifache Antwort.
Schau genau hin und höre genau zu – das ist die erste Antwort.
„Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ (Psalm 103,8)
Der Wortlaut ist anders, aber so formuliert es der Beter von Psalm 103.
Der erinnert sich selbst, er erinnert seine Seele an die Güte Gottes, die immer da ist, alle Morgen neu. „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
Schau auf das Gute, das Gott geschaffen und getan hat. Fang damit an, genau hinzuschauen und Gottes Güte wieder zu entdecken. Sie war schon da, lange bevor es dich gab.
Schau hin und höre hin.
Was hört ihr bei diesem Satz? „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“
Mir kam sogleich ein Satz in den Sinn, der genau den gleichen Aufbau, genau die gleiche Struktur hat. Viel kürzer ist er: „Ich bin, der ich bin.“ (Exodus 3)
Als Mose bei seiner Berufung zum Anführer des Volkes Gott nach seinem Namen fragt, da sagt Gott genau das: „Ich bin, der ich bin.“
Und – ihr habt es noch im Ohr: Auch jetzt wieder sagt Gott, dass das sein Name ist, was Mose nun zu hören bekommt: „Ich bin gnädig, wem ich gnädig bin; und ich erbarme mich, wessen ich mich erbarme.“ – „Ich bin, der ich bin.“
Gott verändert sich nicht. Wer sich verändert, das sind wir. Was sich verändert, das sind unsere Erfahrungen, unsere Gefühle, unsere Liebe, unser Vertrauen.
Gott bleibt aber derselbe. Er bleibt sich treu. Und – was für uns von entscheidender Bedeutung ist: er bleibt uns treu.
Er hat uns sein Erbarmen, seine Gnade, seine Güte und Treue zugesagt – und das gilt immer noch, egal wie unsere Gemütsverfassung jetzt im Moment ist.
Hör und sieh: Gott ist immer noch derselbe – und er ist es für dich.
Die zweite Antwort malt uns vor Augen, wie unendlich groß und herrlich und heilig Gott ist. Und wie gefährlich seine Nähe ist, wenn er auch nur für einen Moment seine Güte und Gnade außer Acht lassen würde.
„Kein Mensch wird leben, der mich sieht.“
Als der Prophet Jesaja zu seinem Prophetenamt berufen wird, da sieht er Gott. Das heißt, er sieht ihn gerade nicht. Er schaut den Tempel, und der ist erfüllt allein schon vom Saum des Gewandes Gottes.
Unvorstellbar. Und Jesaja erschrickt zu Tode: „Weh mir, ich vergehe. Denn ich bin doch gar nicht rein, bin nicht heilig – und stehe dem einzig reinen, dem heiligen Gott gegenüber. Ich werde verzehrt werden vom diesem Licht, dieser Klarheit und Wahrheit Gottes.“ (Jesaja 6)
Auch Mose ist diese Heiligkeit Gottes schon klar. Bei seiner Berufung begegnet er Gott, der sich durch einen brennenden Dornbusch zu erkennen gibt – ein Feuer, das nicht verlischt.
Und als Zeichen der Achtung und Ehrerbietung musste Mose damals seine Schuhe ausziehen. „Es ist heiliges Land.“ Wo Gott nahe kommt, fällt alles unter seine Heiligkeit, was er berührt.
Mose kennt die Ungeheuerlichkeit seines Wunsches. Aber die brennende Sehnsucht nach Gott ist stärker als alle Ehrfurcht und als alles Wissen.
Und so gibt Gott ihm die dritte Antwort.
Für mich ist sie die schönste, auch wenn sie in den Bibeln, die die wichtigen Bibelverse fett drucken, gerade nicht fett gedruckt ist.
Die Antwort fängt mit einem Satz an, der leicht überlesen wird bei all den theologisch so schwergewichtigen anderen Sätzen:
„Siehe es ist ein Raum bei mir“, sagt Gott zu Mose.
Und dann wird kommen, was Moses Wunsch – nicht so erfüllt, wie er das dachte, aber so, wie es möglich ist und neuen Mut schenkt.
Während Gottes Herrlichkeit an Mose vorübergeht, wird Gott selbst seine Hand schützend über Mose halten, und er darf hinter Gott hersehen.
Und das meint nicht, Mose kann noch mal einen wehmütigen Blick hinter Gott herwerfen, bevor er wieder in die Niederungen des Alltags muss.
Es bedeutet: Gott geht voran – und ich kann nicht nur hinterher sehen, ich kann auch hinterhergehen!
Das war eine der vielen Bitten von Mose gewesen: dass Gott selbst sein Volk führt und leitet und zum versprochenen Ziel bringt. Ein Mensch kann das doch gar nicht.
Gottes Herrlichkeit geht voran – und wer jetzt mit ihm aufbricht, der wird Gottes Herrlichkeit immer im Blick haben, vor sich.
So wird Moses Wunsch auf eine ganz andere Weise aufgenommen und erfüllt, als er es sich dachte.
Und es zeigt sich damit auch eine Weise, wie wir mit unserer Sehnsucht nach einem Zeichen, nach der sichtbaren Gegenwart Gottes umgehen können.
„Es ist ein Raum bei mir.“
Von Mose lerne ich, dass er zuerst einmal ohne Scheu diesen Raum bei Gott aufgesucht hat.
Er hat sich nicht von seinem Zorn über das halsstarrige Volk abhalten lassen.
Auch seine Resignation hält ihn nicht ab. Immerhin: Das Volk hatte doch schon großartige Wunder gesehen. Erst der Auszug aus Ägypten, dann der Durchzug durch das Schilfmeer. In der Wüste gab es Wachteln und Manna zu essen. Und wo kein Wasser war, sprudelte es auf Gottes Geheiß aus einem Felsen.
War das alles umsonst gewesen? Immer noch hatte es keiner kapiert.
Kennen wir ja auch, gerade wenn es um den Glauben geht.
Im Dezember waren wir ja alle tüchtig mit Schneeschieben beschäftigt. Jeden Morgen wieder – weil’s geschneit hatte oder weil der Räumdienst natürlich wieder die Ausfahrt zugeschoben hat.
Mir ging eines Morgens der komische Vergleich durch den Sinn, dass Heilig-Abend-Gottesdienste wie Schneeschieben sind.
Du musst es alle Jahre wieder erzählen, weil es durch 364 andere Tage wieder verschüttet wird.
Und manchmal, denk ich mir, geht uns das mit anderen Glaubenserfahrungen genauso – mit Gottesdiensten, mit anderen Gemeindeveranstaltungen, mit dem, was wir persönlich mit Gott erleben, in der Bibel lesen oder in wachen Momenten von Gott wahrnehmen:
Wir müssen es ständig wiederholen, weil es verschüttet geht. Glauben ist wie Schneeschieben, oder?
Gut, dass es im Leben auch den Sommer gibt, in dem kein Schnee liegt, wo unser Glaube auch mal eine Weile wirklich stark und fest ist.
Mose bleibt der Nähe Gottes nicht fern – auch nicht wegen dieser resignierenden Erfahrung, dass so Vieles scheinbar umsonst gewesen ist.
Durch seine Zweifel lässt Mose sich ebenfalls nicht abhalten. Er bittet Gott um ein Bild, um etwas zu sehen. „Gott, mein Glaube braucht jetzt was Handfestes.“
„Es ist ein Raum bei mir.“ Für alles das ist Raum bei Gott.
Ja, er ist der Heilige, in dessen Gegenwart wir doch vergehen müssten. Ja, er ist der ganz Andere, den wir nicht begreifen, nicht verstehen können.
Ja, er gibt uns kein Bild, das wir festhalten können. Alle Bilder, die sogar die Bibel von Gott aufzeigt, sind Momentaufnahmen. Und sie alle zusammengenommen reichen immer noch nicht aus, Gott zu beschreiben. Gott gibt uns kein festes Bild an die Hand.
Aber er gibt uns einen Raum, in den wir mit all unseren Bildern kommen können. Er gibt uns Raum für unsere Sorgen und Ängste, für die Zweifel an ihm.
Er gibt uns Raum für unsere Freude, für unsere Möglichkeiten und Gaben und Interessen.
Er gibt uns Raum zum Leben – Lebensraum. Er gibt uns – ein Zuhause.
Das ist der entscheidende Punkt.
Bilder können wir mit uns herumtragen. Manche sind Leichtgewichte, die sich aber auch schnell verflüchtigen und uns in Krisen nicht weiterhelfen.
Manche sind so schwer, dass sie uns sogar niederdrücken und nicht mehr vorwärts kommen lassen; sie führen uns vielleicht sogar erst in Krisen hinein.
Bilder können wir mit uns herumtragen – aber wir können in ihnen nicht leben. Sie sind manchmal hilfreich, verleihen unseren Gefühlen und Erlebnissen und Vorstellungen Gestalt.
Geborgenheit und Frieden aber finden wir nur in der Nähe Gottes selbst. Er bietet uns den Raum an, in dem wir mit unserem ganzen Leben Platz haben und wo wir sein können, wie wir sind.
Auch das – wieder ein Bild, ein Versuch, das Unbeschreibliche zu beschreiben.
Aber probieren wir es auch und suchen diesen Raum auf, den Gott für uns eröffnet. Von dort dürfen wir auf Gott schauen, der vor uns her geht und uns so zum Leben führt.
Amen.