Predigt zum Nikolaustag, 2. Advent 2020
Jesaja 61,1.2.10
Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; 2 zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden.
Ich freue mich im Herrn, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.
Ob die Schuhe heute gut gefüllt waren? Immerhin ist es der Gedenktag des Heiligen Nikolaus. In der rot-weißen Variante ist er den allermeisten Menschen bekannt. Oft kann er in den heutigen Darstellungen mit dem Weihnachtsmann verwechselt werden. Rot-Weiß, so wurde er zwar schon früh dargestellt, manchmal auch Gold-Weiß. Aber da trug er in der Regel auch die Zeichen eines Bischofs, etwa die Mitra, die Bischofsmütze. Denn: Bischof war er.
Etliche Wunder werden ihm nachgesagt. Dass wir heute die Stiefel wundersam über Nacht gefüllt bekommen, hat seinen Grund in einer der Wunderlegenden. Ein armer Mann hatte drei Töchter. Sein Problem: Sie konnten nicht heiraten, weil er nicht das nötige Vermögen für die Mitgift hatte. Also auch das Problem der Töchter. Was sich aber der arme Mann ausdachte, war ziemlich grell. Er wollte seine Töchter auf den Strich schicken. Das vorgeblich älteste Gewerbe der Welt brachte schon immer Geld ein. Fraglich für wen. Nikolaus hörte davon. Da war er noch nicht Bischof, aber er hatte ein beträchtliches Vermögen geerbt. So warf er in drei Nächten hintereinander Goldklumpen durch das Zimmerfenster der drei Jungfrauen. Bei manchen Bildern, Ikonen, anderen Darstellungen von Nikolaus hat er deswegen drei goldene Kugeln bei sich.
Vielen andern hat er auch geholfen. Seine Stadt Myra hat er mit Korn versorgt in einer Hungersnot. Tote hat er vom Tod auferweckt, Gefangene wundersam frei bekommen. Ein Heiliger. Einer, der die Augen offen hat für seine Mitmenschen und sich für sie einsetzt, selbst wenn er dadurch in Gefahr gerät. Ob auf ihn zutraf, was Jesaja geschrieben hatte? Hören wir noch einmal, was der Gesalbte Gottes über sich selbst sagt:
Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil der Herr mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden.
Das könnte glatt auch der Bischof von Myra so sagen. Den Elenden brachte er eine gute Botschaft. Wer einmal in der griechischen Übersetzung dieses Propheten nachschaut, stößt auf ein bekanntes Wort für die gute Botschaft. Evangelium steht dort. Der Bote Gottes – vielleicht Jesaja, der hier von sich selbst spricht – verkündet das Evangelium, die gute Nachricht. Nein – er kann noch nicht sagen, was dann der Engel den Hirten in der Weihnachtsgeschichte sagen: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Aber er lässt es schon ahnen. Er deutet es schon an. Auch hier in dieser Art Zukunftsmusik mitten in der Gegenwart. Das ist das Geheimnis und Wunder Gottes, dass sein Reich in unserer Geschichte immer wieder sichtbar wird, auch wenn es oft verborgen bleibt.
Gott lässt Menschen bis heute diese Momente erleben, in denen es gut ist. Momente, in denen etwas heil wird, ganz wird. Dieser Tage wechseln sich neblige Abende und Morgen ab mit klarem Himmel. Wir wissen es ja: hinter den Wolken, hinter dem dichten Nebel funkeln die Sterne und scheint die Sonne. Und trotzdem beklagen wir den Tag oder die Nacht. Wir werden erdrückt, niedergedrückt von den Wolken und dem Nebel. Wir trauen manchmal dem Licht nicht, weil es verhüllt wird. Um so fröhlicher sind wir, wenn die Wolkendecke aufreißt, wenn der Nebel sich lichtet und auflöst. Dann erhellen sich unsere Gedanken, dann hebt sich unsere Stimmung und wir haben neuen Schwung – obwohl sich körperlich gar nichts geändert hat, wir nicht mehr Muskeln haben und das Frühstück genauso energiereich war wie immer.
So stelle ich mir das vor, wenn Gottes Reich manchmal sichtbar durchscheint. In einem kleinen Loch in den Wolken kann ich ein paar Sterne sehen. Für den Vater mit seinen drei Töchtern leuchtete nicht nur das Gold, das durch die Fenster geflogen kam. Er lernte den Menschen kennen, der da ein offenes Ohr und ein waches Auge für seine Mitmenschen hatte. Und er spürte regelrecht die gute Botschaft, das Evangelium: Gott ist da und steht mir zur Seite. Dazu gebraucht er Nikolaus, einen Menschen. Schlicht einen Menschen. Die gute Botschaft, die Nikolaus brachte, bestand eben nicht nur in Worten. Durch ihn wurde Gottes Reich, wurde das Evangelium greifbar. Er gab der Liebe Gottes Hand und Fuß.
Er bringt etwas zum Leuchten, was im „Hohelied der Liebe“ beschrieben wird. Gemeint ist damit das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes. Paulus beschreibt Gottes Liebe mit wunderbaren Worten. Gern werden Verse daraus als Trauspruch genommen. „Die Liebe höret nimmer auf.“ Oder: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Spannend wird es, wenn man in der lateinischen Bibel nachschaut, welches Wort dort für die Liebe eingesetzt ist. Es könnte ja Amor sein – der war bei den Römern ja der Gott der Liebe. Oder Pietas. Das heißt eher Frömmigkeit. Würde aber gut passen, wenn es um Gott geht. Das Wort dort ist aber ein anderes, auch sehr vertrautes: Caritas steht dort. „Es bleiben Glaube, Hoffnung und Caritas. Aber die Caritas ist die größte unter diesen drei Gaben.“ So brachte Nikolaus die Caritas in seine Welt, nach Myra. Evangelium, gute Nachricht, die sich in der tätigen Liebe zeigt.
Jesaja zeigt noch einige konkrete Beispiele auf für die gute Nachricht, die der Gesalbte Gottes in die Welt bringt. Zerbrochene Herzen verbindet er. Menschen, die sich nicht mehr für wertvoll ansehen, hebt er auf und gibt ihnen ihren Wert zurück. Sie sind kostbar in Gottes Augen. Einer wie Nikolaus hat das anderen gezeigt. Er verachtet den armen Vater nicht wegen seines abstrusen Plans, seine Töchter auf dem Erotikmarkt zu verkaufen. Er hebt ihn hoch und hilft ihm ganz praktisch. Gefangenen bringt der Bote Gottes die Freiheit, Gebundene sollen frei und ledig sein. Nikolaus setzte sich für Gefangene ein. Wundersam wird das umschrieben. Er erschien in Träumen, in Visionen bei den Verantwortlichen und sie ließen aus lauter Furcht ihre Gefangenen frei.
Jesaja blickt bei seiner Verheißung 500 Jahre voraus. Einer wird diese Worte aufgreifen in einer Predigt. Und dann wird er seine Zuhörer verblüffen mit einem Anspruch, der seinesgleichen sucht (Lukas 14,18–21). Jesus war in Nazareth, in dem Ort, in dem er aufgewachsen war. Er ging in die Synagoge zum Gottesdienst. Es ist Tradition, dass einer der Anwesenden zur Lesung der Schriftrolle ausgesucht wird, die am jeweiligen Tag dran ist. An diesem Sabbat lädt der Synagogenvorsteher Jesus ein, aus der Jesajarolle zu lesen. Genau diesen Abschnitt: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ Er legt die Rolle zur Seite und setzt sich wieder hin. Alle schauen auf ihn. Was wird der Rabbi Jesus noch dazu sagen? „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ Hammer. Auf den warten sie schon so lange. Auf den Gesalbten Gottes, den Messias. Nichts anderes bedeutet das Wort: der Gesalbte. Und der ist nun da? Ja. Ist er. „Euch ist heute der Heiland geboren. Ist er!“
Nikolaus und viele andere setzten das fort, was Jesus getan hat und was Jesaja vorausgesagt hat. Gott kommt in die Welt. Gott ist in der Welt und bringt gute Botschaft. Er bringt nicht nur Worte davon. Er handelt auch. Von Nikolaus ist heute nicht mehr so viel übrig geblieben. Er wird ganz schön verbogen und falsch gezeichnet. Beim rot-weißen Nikolaus fehlt meist die Bischofsmütze. Und so wird er gleichgesetzt mit dem Weihnachtsmann. Der, der damals Geschenke machte, soll heute dazu animieren, möglichst viel zu kaufen. Klar – das sollen dann auch Geschenke werden für andere. Aber Nikolaus wird benutzt, um den Konsum anzuleiern. Und es bleibt von ihm nur das Wunder, dass er bei Nacht seine Gaben zwar nicht in Stiefel, aber durchs Fenster geworfen hat. Dabei wäre so viel mehr zu entdecken.
Vielleicht hilft ja die Verbindung mit Jesajas Botschaft. Was ich dabei gesehen habe: Gottes Geist begabt und Gott sendet. Die wachen Augen für andere, das offene Ohr für andere gibt uns Gott. Und ich glaube nicht, dass er damit sparsam umgeht. Aber manchmal sind wir blind für andere, weil wir diese Begabung nicht zulassen. Vielleicht fühlen wir uns selbst von andern nicht gesehen und kümmern uns schon lange nur um uns selbst – weil es andere nicht machen. Gottes Geist durchbricht dieses Denken – wenn wir das zulassen. Und dann schickt er uns los. Das kann uns ermutigen. Wir sind unterwegs im Auftrag des Herrn. Wer den Film kennt: Die Bluesbrothers hatten das als Motto. Schräge Gaunerkomödie. Aber der Spruch sitzt und passt. Wir tragen Gottes Liebe in die Welt. Was für eine Würde. Was für ein Auftraggeber.
Wir haben viele Vorbilder, mehr als nur den Bischof Nikolaus. Durch die Jahrhunderte haben sich Menschen anstecken lassen von Gottes Liebe, von seiner Caritas. Ein ganzes Hilfswerk trägt diese Liebe in ihrem Namen. Von diesen Vorbildern können wir lernen – von den Gründern der Diakonie und der Caritas, von dem Erfinder des Adventskranzes, der nämlich ein Waisenhaus in Hamburg baute und seinen Kindern die gute Nachricht von Jesus Christus ganz praktisch nahebrachte. Wir können lernen von Bodelschwingh, von Kolping, von Mutter Theresa. Sankt Martin gehört dazu und manch anderer, deren Namen man vielleicht schon einmal gehört hat.
Heute lädt uns Nikolaus ein, die Augen und Ohren offen zu halten und der Caritas, der Liebe Raum zu geben. „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ (Matthäus 5,7) So lautet der Tagesspruch. Segen liegt darauf, Gottes Liebe Raum zu geben. Segen für den, der gibt und Segen für den, der empfängt. Weil Gott selbst in dieser Liebe unterwegs ist. Wir gehen auf den Gott zu, der zu uns gekommen ist. Und sind dabei umgeben von seinen Boten und Zeugen der Vergangenheit und Gegenwart. Nikolaus ist einer von ihnen. Ob wir uns so senden lassen wie Jesaja, wie Nikolaus, wie Jesus selbst? Amen.