Ich den­ke an Gott und bin — betrübt?

Got­tes­dienst am 9. Juni 2013
in Draschwitz

Gera­de ein paar Tage ist das Els­ter­hoch­was­ser her — der Pegel ist wie­der halb­wegs nor­mal, jetzt sind die Fol­gen der Über­schwem­mung zu spü­ren. Zwei der “Was­ser­dör­fer” zwi­schen Profen und Bor­nitz waren über­flu­tet, ande­re sind mit viel Ein­satz, Ban­gen und Hof­fen davongekommen. 

 

Pre­digt zu Psalm 77

Psalm 77,2–5
2 Ich rufe zu Gott und schreie um Hil­fe, zu Gott rufe ich und er erhört mich. 
3 In der Zeit mei­ner Not suche ich den Herrn; / mei­ne Hand ist des Nachts aus­ge­reckt und lässt nicht ab; denn mei­ne See­le will sich nicht trös­ten lassen. 
4 Ich den­ke an Gott – und bin betrübt; ich sin­ne nach – und mein Herz ist in Ängsten.
5 Mei­ne Augen hältst du, dass sie wachen müs­sen; ich bin so voll Unru­he, dass ich nicht reden kann. 

Schlaf­lo­se Näch­te – die hat­ten und haben in den letz­ten Tagen sehr vie­le Men­schen in den Hoch­was­ser­ge­bie­ten an der Els­ter, an Elbe und Saa­le, an der Donau und vie­len klei­ne­ren Flüs­sen und Flüsschen.
Am Anfang war es viel­leicht nur ein biss­chen Unru­he, eher Unmut, weil es ein­fach nicht Som­mer wer­den will. Immer nur reg­net es. Wer ein paar Urlaubs­ta­ge im Mai hat­te und nicht in die Son­ne reis­te, der mach­te Urlaub unterm Regenschirm.
Mit dem Regen stie­gen die Was­ser­pe­gel an. Und die ban­ge Fra­ge: Wie weit kann das gehen? Wird es schlimm? Wie schlimm kann es wer­den? So wie damals 2002 an der Elbe, an der Mulde?
Die ers­ten haben viel­leicht von den Bil­dern geträumt, die gera­de ein­mal gut zehn Jah­re alt sind. Eine Wei­le ver­ges­sen, jagen sie jetzt neu­en Schre­cken ein.
Und dann die Wirk­lich­keit, die sich nicht leug­nen lässt: Die Flüs­se tre­ten über die Ufer und über­win­den auch die Deichanlagen.
Schlaf­lo­se Nacht, denn jeder­zeit kann es soweit sein, dass ein Deich durch­bricht, kann es sein, dass ein Kel­ler, eine Woh­nung, ein Geschäft voll­lau­fen mit Wasser.
Schlaf­lo­se Nacht – und auf ein­mal klopft es an der Tür: „Ihr müsst raus, es wird zu gefähr­lich hier; der Strom wird abge­schal­tet. Ihr könnt hier nicht bleiben.“
Schlaf­lo­se Nacht – im frem­den Haus, mit vie­len ande­ren zusam­men. Eini­ge wei­nen, eini­ge sind ganz apa­thisch, ande­re ver­su­chen zu trös­ten, weni­ge haben dazu die Kraft.
Schlaf­lo­se Nacht auch für die Hel­fer, die Ret­ter, die uner­müd­li­chen und irgend­wann doch erschöpf­ten Frei­wil­li­gen und Profis.
Men­schen in Not suchen nach Hil­fe – und kön­nen sich manch­mal nicht trös­ten las­sen. Wie auch, wenn alles buch­stäb­lich davon schwimmt, was ihr Leben aus­ge­macht hat, was sie müh­sam auf­ge­baut haben?
Selbst wer glaubt, ver­liert manch­mal den Glau­ben, wenn alles zu viel wird, wenn alles zer­bricht. „Ich den­ke an Gott – und bin betrübt. Mei­ne See­le will sich nicht trös­ten lassen.“

Lesung: Psalm 77,6–11
6 Ich geden­ke der alten Zeit, der ver­gan­ge­nen Jahre.
7 Ich den­ke und sin­ne des Nachts / und rede mit mei­nem Her­zen, mein Geist muss forschen.
8 Wird denn der Herr auf ewig ver­sto­ßen und kei­ne Gna­de mehr erweisen?
9 Ist’s denn ganz und gar aus mit sei­ner Güte, und hat die Ver­hei­ßung für immer ein Ende?
10 Hat Gott ver­ges­sen, gnä­dig zu sein, oder sein Erbar­men im Zorn verschlossen?
11 Ich sprach: Dar­un­ter lei­de ich, dass die rech­te Hand des Höchs­ten sich so ändern kann.

Das ist wirk­lich erschre­ckend und beängs­ti­gend: Nicht ein­mal die Gedan­ken an gute Zei­ten hel­fen. Nicht ein­mal die Erin­ne­rung an eine Hil­fe, die da war und die schon ein­mal gro­ßer Not getrotzt hat, kann noch ermutigen.
Nein – die Erin­ne­rung an gute Zei­ten und Got­tes Hil­fe schmerzt und tut weh.
Denn die Fra­ge lässt sich nicht abstel­len: Hört Gott nicht mehr? Will er nicht mehr? Ist er taub und stumm?
Viel­leicht haben die Recht, die sagen: es gibt kei­nen Gott.
Oder – genau­so schlimm: haben die Recht, die sagen: das ist eine Stra­fe Got­tes? Da wird mir erst recht Angst, Angst vor Gott.
Kann Gott so han­deln? Wie war das mit der Sint­flut? Man­che reden jetzt schon wie­der von so etwas.

Lesung: Psalm 77,12–16
12 Dar­um den­ke ich an die Taten des Herrn, ja, ich den­ke an dei­ne frü­he­ren Wunder
13 und sin­ne über alle dei­ne Wer­ke und den­ke dei­nen Taten nach.
14 Gott, dein Weg ist hei­lig. Wo ist ein so mäch­ti­ger Gott, wie du, Gott, bist?
15 Du bist der Gott, der Wun­der tut, du hast dei­ne Macht bewie­sen unter den Völkern.
16 Du hast dein Volk erlöst mit Macht, die Kin­der Jakobs und Josefs.

Trotz allem: die Erin­ne­rung an Got­tes Wun­der ist da. Auch wenn sie weh­tut – sie ist da. Und sie lässt Hoff­nung aufkeimen.
Gott hat gehol­fen. Dar­an klam­mert sich so man­ches Herz. Selbst wenn es resi­gniert und jetzt ver­zwei­felt: Gott war mal da.
Die Israe­li­ten kamen immer wie­der auf die eine Geschich­te zurück, in der alles für das Volk auf dem Spiel stand.
Das scheint fast eine Marot­te zu sein: Aber egal wel­che gro­ße Not im Lauf der Geschich­te über Isra­el her­ein­bricht: Die Erin­ne­rung geht immer auf den Aus­zug, auf die Befrei­ung aus Ägyp­ten zurück.
Wenn ein ein­zel­ner Israe­lit in Not ist, dann denkt er an den Aus­zug aus Ägyp­ten. Als das Volk im Exil in Baby­lon ist, denkt es an die Befrei­ung aus Ägyp­ten und die Heim­kehr ins gelob­te Land.
Und: hat­te die­ser Aus­zug nicht auch mit Was­ser zu tun? Denn das lag ja als Hin­der­nis und gro­ße Bedro­hung vor den flüch­ten­den Israeliten.
Von hin­ten kam die Armee des Pha­ra­os und vor ihnen war das Meer – unüber­wind­lich, zer­stö­re­risch, lebensbedrohlich.
Kein Wun­der, dass einer in einem Psalm mal schreibt: „Das Was­ser steht mir bis zum Hals.“ (Psalm 69) Und er beschreibt damit sein Leben.
Man­che Not kann so groß wer­den, wie die Was­ser­flut im Hoch­was­ser­ge­biet. Sor­ge und Angst kön­nen so hoch stei­gen, wie die Pegel über­ge­lau­fe­ner Flüsse.
Als es den Israe­li­ten schon wört­lich genom­men so ging, war Gott da, damals.

Lesung: Psalm 77,17–21
17 Die Was­ser sahen dich, Gott, die Was­ser sahen dich und ängs­tig­ten sich, ja, die Tie­fen tobten.
18 Was­ser ergos­sen sich aus dem Gewölk, / die Wol­ken don­ner­ten, und dei­ne Pfei­le fuh­ren einher.
19 Dein Don­ner roll­te, Blit­ze erhell­ten den Erd­kreis, die Erde erbeb­te und wankte.
20 Dein Weg ging durch das Meer / und dein Pfad durch gro­ße Was­ser; doch nie­mand sah dei­ne Spur.
21 Du führ­test dein Volk wie eine Her­de durch die Hand des Mose und Aaron.

Mit­ten in dem Getö­se, mit­ten in den lebens­be­dro­hen­den Flu­ten gibt es einen Ausweg.
Ist das nicht erstaun­lich, dass Gott in der Geschich­te nicht strah­len­den Son­nen­schein an den Him­mel zau­bert, son­dern sogar noch das Was­ser auf­wühlt und ein Gewit­ter her­nie­der geht?
Und doch: Für die Israe­li­ten ist sei­ne Spur sicht­bar  — im Rück­blick, auch wenn in der Not­la­ge selbst nie­mand die Spur Got­tes sah.
Jetzt kön­nen sie nichts ande­res sagen, als dass Gott selbst ein­ge­grif­fen hat und sie mit­ten in der bestehen­den Not geret­tet hat.
Im Gespräch mit Men­schen habe ich es in den Tagen oft gehört: „Wir beten. Ich bete. Und das gibt mir Mut und Kraft.“
Da war das Was­ser immer noch vor der Haus­tür und die Men­schen haben immer noch gebangt, dass der Deich hält.
In die­ser Bedro­hung und Not reden sie von Kraft und Mut. Gott war an dem Tag genau­so wenig sicht­bar wie an ande­ren Tagen. Und doch war er da, unsicht­bar, aber mit gro­ßer Kraft.
Viel­leicht zu erah­nen in dem Ein­satz der vie­len Frei­wil­li­gen. Zu erah­nen in dem trös­ten­den, ermu­ti­gen­den Wort eines Nach­barn. Zu erah­nen in dem auf­kom­men­den Sonnenschein.
Das Herz ist immer noch bang, aber es weiß: wenn ich einen Trost fin­den kann, dann ist es bei dem barm­her­zi­gen Gott.
Wenn ich einem mei­ne Trau­er und Angst sagen kann, dann ist es dem Gott, der selbst Angst und Not und Ver­zweif­lung ertra­gen hat – mehr als jeder ande­re Mensch, in dem Men­schen Jesus Christus.
Wenn ich einem mei­ne ohn­mäch­ti­ge Wut und mei­nen Zorn ent­ge­gen schleu­dern kann, dann ist auch das Gott.
Er fängt mich auf, wie eine Mut­ter ihr ver­zwei­fel­tes, ihr wüten­des, ihr so zer­schla­ge­nes Kind auf­fängt, in den Arm nimmt, trös­tet und neu aufrichtet.
Das Ende des eigent­lich so ver­zwei­fel­ten Psalms bringt ein neu­es Bild. Gott führt sein Volk, er lei­tet uns wie ein Hir­te sei­ne Herde.
Noch über die Kir­chen­mau­ern hin­aus ist das Bild vom Guten Hir­ten ein bekann­tes Bild.
Gott selbst führt das unru­hi­ge und auf­ge­wühl­te Herz zur Ruhe und schenkt Frie­den. Ein Frie­de, der die äuße­re Not nicht weg­wischt, son­dern der sich inmit­ten die­ser Not als stär­ker erweist und neu­es Leben ermöglicht.
Amen.

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