Predigt zu Himmelfahrt 2015
Im Himmel gibt es nicht nur Ehrenbürger, sondern sogar einen Ehrenkönig. Wussten Sie das?
Ehrenbürger sind ja nicht so ungewöhnlich. In unseren Städten gibt es ja den einen oder anderen. Man ehrt auf diese Weise bedeutende Töchter und Söhne eines Ortes. Ehrenbürger wird nicht jeder. Da muss man schon einen besonderen Beitrag geleistet haben. Manchmal erhält einer diesen Ehrentitel, weil sie oder er für den eigenen Ort etwas Wertvolles und Wichtiges getan hat. Manchmal wohnt ein solcher Ehrenbürger anderswo, hat eine große Erfindung gemacht oder ein wichtiges Buch geschrieben. Und der Ort ist stolz darauf, dass der oder die hier geboren wurde. Ehrenbürger.
Im Himmel gibt es aber nicht nur einen Ehrenbürger, sondern sogar einen Ehrenkönig.
Im ersten Moment – auf der Suche nach Vergleichen – fiel mir der Titel des Altpräsidenten ein. So bezeichnet man die ehemaligen Bundespräsidenten. Ist der Ehrenkönig im Himmel so ein Altpräsident? Er bekommt noch seine Ehrerbietung, so wie die ehemaligen Bundespräsidenten ihren Ehrensold weiterhin bekommen – aber mehr hat er nicht zu tun?
Man lädt ihn noch einmal zu Talkshows ein, aber er repräsentiert nun nicht mehr den Staat. Er hat zwar noch ein Büro im Präsidialamt, aber Weisung, etwa die Ernennung oder Verabschiedung von Ministern gehen von dort nicht mehr aus.
Der Ehrenkönig – was ist das für einer?
Das Lied, das wir eben noch gesungen haben, stellt ihn uns vor: „Gen Himmel aufgefahren ist der Ehrenkönig Jesus Christ.“ (EG 119) Wir feiern Himmelfahrt, na klar. Das Lied ist ja sogar der Titelsong für die Rubrik „Himmelfahrt“, es eröffnet die kleine Sammlung an Himmelfahrtsliedern. Jesus ist in den Himmel aufgefahren und „sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.“ So sagt es das Glaubensbekenntnis.
Wobei mir die Frage in den Sinn kommt: Sitzt er da wie ein Altbundespräsident und schreibt nette Geburtstagskarten und seine Memoiren? Manche stellen sich Gott so vor. Der ist wie ein alter, feiner Herr mit Rauschebart, der in seinem Palast thront und nichts zu tun hat. Da könnte es doch sein, dass Jesus Christus, nun zurück im himmlischen Palast, ihm Gesellschaft leistet.
Der Apostel Paulus sieht das ganz anders. Er schreibt im Kolosserbrief im ersten Kapitel:
15 Er – Jesus Christus – ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
16 Denn in ihm ist alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.
17 Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm.
18 Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei.
19 Denn es hat Gott wohlgefallen, dass in ihm alle Fülle wohnen sollte
20 und er durch ihn alles mit sich versöhnte, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.
21 Auch euch, die ihr einst fremd und feindlich gesinnt wart in bösen Werken,
22 hat er nun versöhnt durch den Tod seines sterblichen Leibes, damit er euch heilig und untadelig und makellos vor sein Angesicht stelle;
23 wenn ihr nur bleibt im Glauben, gegründet und fest, und nicht weicht von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt und das gepredigt ist allen Geschöpfen unter dem Himmel.
Jesus Christus, der Ehrenkönig. Was Paulus schreibt, klingt aber gar nicht nach Altpräsident und Memoiren. Der Mensch Jesus ist nicht weniger als der Herr von Himmel und Erde. Paulus stellt ihn als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ vor, den „Erstgeborenen vor aller Schöpfung.“ Vielleicht sollten wir den Artikel besonders hervorheben: Jesus ist DAS Ebenbild Gottes.
In der Schöpfungsgeschichte wird erzählt, dass Gott sich den Menschen, alle Menschen als sein Ebenbild gedacht hatte – ein Gegenüber, das Gottes Eigenarten, Gottes Wesen in sich trägt, voller Liebe, aller Ehre wert, ein schöpferischer Geist, der die Erde weiter gestaltet, so wie Gott sie angelegt hat. Und dann entschied sich der Mensch gegen Gott, missbrauchte seine Fähigkeiten und schuf manches Üble, das die Welt zerstörte.
Einzig Jesus, der Menschensohn, wie er sich selbst oft bezeichnet, lebt als DAS Ebenbild Gottes. Er ist völlig eins mit Gott, in völliger Übereinstimmung mit dem Schöpfer der Welt. Er ist aber zugleich auch der Sohn Gottes.
Paulus geht hier über das hinaus, was uns aus den Evangelien, den Erzählungen aus dem Leben Jesu, bewusst ist. Dort sehen wir Jesus vor allem als den Menschen, der als ein besonderer Mensch auf dieser Erde gelebt hat, der zu Gott eingeladen hat, der gestorben ist und von den Toten auferstanden – aber vor allem eben als Menschensohn.
Paulus lenkt unseren Blick auf eine größere Wirklichkeit. „Vor aller Schöpfung“ ist Jesus schon da. „In ihm, durch ihn und zu ihm ist alles geschaffen.“ Der da als Wanderprediger durch Israel gezogen ist, hat die Welt erschaffen. Der da 40 Tage in der Wüste fastete, mit den Theologen seiner Zeit diskutierte, keine Scheu hatte, sich mit Sündern an einen Tisch zu setzen oder Kranke zu berühren, ist der Grund, warum es diese Welt gibt.
Ich glaube, wenn wir die Geschichten von Jesus hören oder lesen, denken wir zu wenig daran, dass dieser Mensch wirklich der König über Himmel und Erde ist, auch wenn das immer einmal aufleuchtet.
Die Weisen aus dem Morgenland machen es in der Weihnachtsgeschichte deutlich, als sie vor dem Kind armer Leute in einem kleinen Stall niederknien – als wäre es ein König.
Die Wunder machen es deutlich, wenn Jesus die Grenzen überwindet, die wir nicht überwinden können. Er ist der Herr der Schöpfung – der Herr über Sturm und Wellen, als er den Sturm auf dem See Genezareth zum Schweigen bringt.
Er ist der Herr über Krankheit und Tod und weist sie in ihre Schranken, als er Blinde und Lahme und Stumme heilt und sogar Tote zum Leben erweckt.
Aber oft verstehen wir das nur als einzelne Wundertaten eines Menschen, der von Gott besonders gesegnet ist. Ist uns klar, dass in jeder dieser Begegnungen zwischen Jesus und anderen Menschen Gott selbst den Menschen begegnet?
Die Evangelisten beschreiben mit diesen Erzählungen, was Paulus in klaren Sätzen auf den Punkt bringt: Jesus ist nicht nur ein besonders gesegneter und begabter Mensch. In ihm hat Gott selbst die Erde betreten und begegnet uns. Jedes Wort, das Jesus spricht, ist ein Wort Gottes. Johannes beschreibt das in den ersten Versen seines Evangeliums mit recht philosophischen Gedanken: „Das Wort – also Jesus – ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Jesus selbst ist das Wort Gottes.
Jesus ist aber nicht nur der Herr und Mitschöpfer der Welt. Er ist zugleich der Herr seiner Gemeinde, seiner Kirche. Das kommt uns selbstverständlich vor. Wir nennen uns Christen, sind eine christliche Kirche. Ist doch klar, dass Jesus der Herr der Kirche ist. Und doch kennen wir auch so viele andere Herren nicht nur der Welt, sondern eben auch in der Kirche und Gemeinde Gottes.
Das Geld und die Steine sind solche Herren. Sie diktieren uns, was in der Gemeinde geht und was sich nicht verwirklichen lässt. Die Strukturen sind solche Herren. Sie schreiben vor, wie viel Kirche wir in unseren Orten noch haben können und wo sich nur noch Spurenelemente christlichen Lebens finden. Ein Pfarrer für 18 Kirchen – wo soll da noch Leben sein? Vergessen ist dabei schnell, dass Jesus Christus auch heute noch der Herr seiner Gemeinde ist, das Haupt des Leibes, wie Paulus es schreibt.
Wenn wir wieder einmal kopflos unsere Entscheidungen treffen oder kopfschüttelnd vor den Entscheidungen des Landeskirchenamtes, der Denkmalpflege oder anderer stehen, sollten wir uns an das Haupt des Leibes erinnern. Und nicht erst dann.
Mir fällt die Begründung auf, die Paulus anfügt: „Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei.“ Wir sind Kirche Gottes, weil es Ostern gibt. Wir sind Kirche des lebendigen Gottes, weil wir einen lebendigen Herrn haben – Jesus, der von den Toten als erster auferweckt wurde.
Dieser lebendige Jesus, der Ehrenkönig im Himmel, der Schöpfer der Welt, hat uns wieder zu Kindern Gottes gemacht – versöhnt, schreibt Paulus. Er versöhnt sogar diejenigen, die so gar nichts von Gott wissen wollten, mit Gott: uns. Das mag uns erstaunen. Wieso gerade uns? Wir sind doch nicht gegen Gott. Und doch: Das gilt auch für uns. Noch bevor wir von Gott etwas geahnt haben, hat Jesus uns den Weg zu Gott schon gebahnt. Noch bevor wir das erste Mal von Gott gehört haben, war er schon für uns da, kannte uns.
Es sind nicht wir, die sich in ihrer menschlichen Huld auch mal Gott zuwenden, damit er nicht so alleine ist. Es ist Gott, der sich uns zuwendet, damit wir nicht alleine sind und sterbliche Menschen bleiben.
Paulus führt aus, was Martin Luther in zwei Worte zusammengefasst hat: Solus Christus – allein Christus. Wenn wir Himmelfahrt feiern, dann werden wir besonders daran erinnert, dass Jesus dieser Erste, dieser Einzige ist, der Herr seiner Kirche und der Herr der Schöpfung – der sichtbaren und der unsichtbaren.
Unter den besonderen kirchlichen Feiertagen hat der Himmelfahrtstag eine ungünstige Stellung. Weihnachten, Ostern und Pfingsten sind wenigstens mit zwei Feiertagen bedacht. Es gehört Weihnachten für viele noch dazu, einmal die Kirche zu besuchen. Ostern und Pfingsten ist der Besuch auch noch stark, aber schon viel schwächer als an Weihnachten. Dabei feiern wir doch auch da besondere Ereignisse.
Aber an Himmelfahrt, mitten in der Woche, Start für ein langes Wochenende, Ausflugstag der Familien, manchmal nur der Väter und solcher, die es werden wollen – da sieht es schlecht aus mit dem Blick auf Gott.
Dabei fasst dieser Tag zusammen, was mit Weihnachten, Karfreitag und Ostern geschehen ist. Himmelfahrt ist in gewisser Weise das theologische I‑Tüpfelchen auf all unseren Feiertagen.
Weihnachten: Gott wird Mensch, Jesus kommt zu uns herab vom Himmel auf die Erde. Karfreitag: Jesus stirbt für uns und versöhnt die Welt, versöhnt die Menschen mit Gott. Ostern: Jesus wird von den Toten auferweckt. Pfingsten: Gott sendet seinen Heiligen Geist.
Und Himmelfahrt? Dieser Festtag heute macht in einzigartiger Weise deutlich, wer da an Weihnachten Mensch wird, wer da für uns stirbt, wer der ist, der von Gott aus den Toten zuerst vor allen anderen auferweckt wird. Dieser Tag macht auch deutlich, dass Gottes Geschichte mit uns weitergeht und wir dazu seinen Geist brauchen. An allen kirchlichen Feiertagen, letztlich an jedem Sonntag begegnen wir dem „Ehrenkönig Jesus Christ“. Wenn wir das kleine Kind in der Krippe anschauen, dann liegt da vor uns nicht nur ein süßes Menschenkind. Es ist Gott, der Schöpfer der Welt, der sich so klein macht und aus seinem himmlischen Thronsaal in unsere kleine und arme Welt hineinkommt.
„Er äußert sich all seiner G’walt, wird niedrig und gering, und nimmt an sich eins Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding.“ So sagt es ein Weihnachtslied (EG 27,3).
Wann hätte man je den Bundespräsidenten oder die Queen so gesehen, dass sie in armen Kleidern die Ärmsten der Armen besuchen? Das macht nur der König der Könige und Herr aller Herren, dass er sich in eine Futterkrippe legen lässt.
Wenn wir den geschundenen und zerschlagenen Jesus am Kreuz anschauen, dann sehen wir dort den Schöpfer der Menschen. Wir sehen dort den, dem wir alle unser Leben zu verdanken haben. Und er ist mehr noch als der König der Juden, wie es Pilatus über Jesus schreiben lässt. Welcher König, welcher Kanzler, welcher Firmenchef hätte sich je für seine Menschen kreuzigen lassen, freiwillig und ohne Schuld?
An Ostern begegnet uns der Erste der neuen Menschen, der Erste, der das neue, ewige Leben geschenkt bekommt. Und es ist der, dem es doch schon von Anfang an gehörte, der es aber für uns aufgegeben hat.
„Er wechselt mit uns wunderlich, Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran.“ Noch einmal das Weihnachtslied (EG27,4).
Das ewige Leben, das Jesus von Anfang an zu eigen war, hat er für uns aufgegeben – und es an Ostern neu erhalten.
Himmelfahrt stellt uns diesen König und Herren von Himmel und Erde vor Augen. Dieses Fest will uns zum Staunen bringen. „Was, diese Baby in der Krippe – das ist dieser mächtige König?“ „Was, der Gekreuzigte – das ist dieser wunderschöne, strahlende Prinz des Himmels?“ „Was, dieser geheimnisvolle Auferstandene – das ist der Herr des Lebens, der Herr alles Lebens?“
Und wir können das in unseren Alltag weiterspinnen. Jeden Sonntag im Gottesdienst begegnet uns dieser Jesus. Jeden Tag der Woche können wir mit ihm unterwegs sein – mit dem, der im Himmel schon als Schöpfer und König gefeiert wird.
Himmelfahrt bedeutet nicht: Nun seid ihr auf euch gestellt. Eine Prise Heiliger Geist, und dann wird das schon, während euer Chef im Himmel an seinen Memoiren schreibt. Himmelfahrt heißt: Macht euch jeden neuen Tag klar, welch großes Glück ihr habt, dass ihr mit diesem wunderbaren König durch euer Leben gehen könnt.
„Gott nahe zu sein, ist mein Glück“, so hat uns letztes Jahr die Jahreslosung begleitet. Ja, das ist wirklich ein Glück, dass dieser Gott uns so nahe ist. Das zu entdecken, mit dem Himmelfahrtsfest zu entdecken, ist nicht weniger bedeutsam als Weihnachten und Ostern.
„Jesus Christus herrscht als König.“ Das war er von Anbeginn an. Das war er in jedem Moment seines Lebens auf dieser Erde. Das ist er an jedem Tag unseres Lebens. Und er ist so an unserer Seite. Was für ein Glück.
Amen.