„Wo warst du denn? Ich hab dich überall gesucht!“ Manchmal klingt mir das entgegen, wenn ich vergessen habe, mich zu Hause abzumelden. Die Erfahrung hat wohl jeder schon einmal gemacht. Ob nun Kinder sich danach sehnen, dass Mama oder Papa wieder nach Hause kommen, ob es zwei Liebende sind, die für eine Weile getrennt waren — es kann schlimm sein, wenn ein Mensch für eine Weile nicht für den anderen da ist. Und noch schlimmer, wenn sich einer ganz absichtlich, vielleicht im Streit von einem abwendet. Von einem anderen ignoriert, übersehen zu werden, tut weh. Nichts ist schmerzhafter, als solch eine stumme Ablehnung.
Genauso fühlte sich das Volk Israel: Von Gott verlassen, verraten und verkauft. Fast wörtlich kann man das verstehen. Im Exil sind sie, vertrieben aus der Heimat Israel, behandelt wie Aschenputtel. Die böse Stiefmutter ist Babylon.
Wo ist Gott in all dem? Der war sauer auf sein Volk. Kein Wunder — wollte ja keiner mehr etwas wissen von ihm. Religion war Routine geworden. Und ein Gott allein reichte manchen auch nicht. Die große Liebe war zerbrochen.
Aber nur für einen Moment. Denn das zeigt Jesaja, das zeigen seine Prophetenkollegen, und es zieht sich durch bis in die Briefe von Paulus, Johannes und Co. im Neuen Testament: Gott IST Liebe. Wenn er zornig wird, dann zeigt das, wie sehr er liebt und wie sehr es ihn schmerzt, wenn sein Volk, wenn wir Menschen nicht nach ihm fragen. Doch sein Zorn reicht nur einen Augenblick, seine Liebe dagegen ist sein Wesen, sie gilt immer. Bei Jesaja schreibt er Israel einen regelrechten Liebesbrief, und in der Mitte diesen Satz (Jesaja 54,7):
Gott spricht: Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen,
doch mit großem Erbarmen hole ich dich heim.
Er ist wieder da. Und damit ist der Weg zu neuem Frieden, neuem Glück, neuer Beziehung zwischen Mensch und Gott geschaffen. Das Kennwort heißt „Erbarmen“. Dahinter steckt das hebräische Wort für den Mutterschoß. Näher, tröstender, liebevoller kann das Bild nicht sein: Gott holt uns zu sich auf seinen Schoß.
Gott ist wieder da. Das sagt auch die Advents- und Weihnachtszeit. In dem unvergleichlich zärtlichen Bild vom Kind in der Krippe haben wir wieder die Chance, diesen nahen, zu uns gewandten Gott zu entdecken. Und: andere zu ihm einzuladen!
Gott ist da. Und das ist gut!