Haben – oder hatten – Sie in Ihrem Arbeitsleben eine Dienstanweisung? Im Kirchenkreis, und nicht nur da, entbrennt immer wieder einmal die Diskussion, wie wichtig oder sinnvoll solche Dienstanweisungen sind. Einerseits drücken sie klare Erwartungen des Arbeitgebers aus, was ein Mitarbeiter auf seiner Stelle in seiner Arbeitszeit anfangen soll. Es ist gut, wenn Erwartungen auch an die Arbeit klar formuliert werden. Da weiß man, wo man dran ist. Andererseits schützen sie auch den Mitarbeitenden vor überzogenen und spontanen Erwartungen, die gar nicht mehr zu leisten sind.
Gerade bei Arbeitsstellen, bei denen man mehreren Abteilungen, mehreren Gemeinden, mehreren Werken dienstbar ist, ist das nötig. Denn mehr als 100% kann man nicht arbeiten. Bei geteilten Stellen kann niemand jede Stelle zu 100% ausfüllen, auch wenn das vielleicht der jeweilige Vorgesetzte erwarten mag.
Das Beispiel kennen Sie ja nur zu gut. Keiner von uns Hauptamtlichen, ob Gemeindepädagoge oder Pfarrer, ist nur für eine Gemeinde oder gar nur für einen Ort da. Unsere Arbeitskraft, unsere Aufmerksamkeit verteilt sich auf 60 Orte, auf 10 Gemeinden und Kirchspiele, auf 36 Kirchen. 100% in einem Dorf zu sein, geht nicht. Aber 100% in der Region zu sein, das geht wohl.
Aber noch eine andere Frage: Wer von uns hat denn einen Arbeitsvertrag und eine Dienstanweisung mit Gott ausgehandelt? Seltsame Frage? Aber Jesus legt uns hier doch eine Anweisung vor. Die würde vermutlich vor keiner Tarifkommission heute durchkommen. Ist sie ungerecht? Oder was möchte Jesus mit diesem Gleichnis verdeutlichen?
Um dem Gleichnis näher zu kommen, hilft es zu bedenken, mit welchen Fragen und Forderungen oder Erwartungen Jesus so häufig konfrontiert wurde. Sehr oft versuchten einige der gesetzestreuen und tiefgläubigen Juden, Jesus mit genau diesem Gesetz zu konfrontieren. Manchmal grenzen die Vorwürfe ans Lächerliche: „Jesus, deine Jünger haben sich am Sabbat einige Körner Getreide von den Halmen gerauft. Das darf aber nicht sein, weil man am Sabbat nicht arbeiten darf.“ Manchmal sind die Vorwürfe gegen die Mitmenschlichkeit am Feiertag gerichtet: „Jesus, wieso hast du am Sabbat eine Frau gesund gemacht? Am Sabbat darf man nicht heilen.“ Auch mit spitzfindigen Fragen sind Menschen an Jesus herangetreten. Da sagt Jesus: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und einer fragt ihn: „Ja, aber wer ist denn mein Nächster? Wie soll ich das denn entscheiden? Und – gilt das auch für Angehörige anderer Religionen, womöglich für Samaritaner?“
In moderne Zeiten übersetzt sind das Fragen der Dienstanweisung und des Arbeitsvertrages, den Menschen sich Gott gegenüber wünschen. Und oft steht dahinter die Haltung: Mensch, eigentlich müsste Gott mir doch dankbar sein, dass ich so gut zu ihm bin. Wir rechnen gerne mal vor, was wir so alles tun und fragen, wie Gott darauf reagiert. Und: sind sauer, wenn er nicht angemessen reagiert.
Öfter einmal im Gespräch oder in der Erzählung mit anderen höre ich Sätze wie: Dieser oder jener Mensch zahlt immer seinen Gemeindebeitrag, ist ganz gewiss konfirmiert und nie aus der Kirche ausgetreten. Gelegentlich dient das dann der Begründung, warum er oder sie ein besonderes Recht auf einen Besuch des Pfarrers persönlich hat oder auf eine kirchliche Bestattung. Und dahinter schwingt mit, dass auch Gott das bitte anerkennen möge.
Wenn ich mir dann durchlese, was Jesus alles über das Gesetz gesagt hat und wie er es auslegt, dann wird mir angst – um mich und um alle, die gelegentlich versuchen, Gott ihre eigene Gerechtigkeit unter die Nase zu halten.
Angenommen, Gott würde uns tatsächlich nach dem Tarifvertrag behandeln, der in seinem Wort steht und dem wir uns als Christen doch verpflichtet wissen, was wäre dann? Angenommen, Gott würde uns tatsächlich nach dem Maßstab entlohnen, den Jesus etwa in der Bergpredigt deutlich macht. Würden wir nicht gewaltig auf die Nase fallen? „Liebe deinen Nächsten.“ Okay, das mag gehen – bei meiner Frau, bei meinen Kindern, bei Freunden. Aber die Erklärung Jesu geht weiter: Liebe deinen Feind, segne, und fluche nicht! Meinen Feind? Spätestens da steige ich doch aus dem Tarifvertrag mit Gott aus. Selbst wenn ich es äußerlich noch hinbekomme, den anderen auf der Straße zu grüßen – innerlich kocht es, und manchmal wird mir übel, wenn ich bestimmte Menschen sehe. Kennen Sie das?
Wir kriegen nicht immer hin, so zu leben, wie Gott es ganz einfach von uns erwartet. Und berufen uns ihm gegenüber doch gerne auf unsere Taten und unseren Glauben. Wenn das mal nicht nach hinten losgeht.
Im Bild, das Jesus seinen Jüngern, also doch uns, hier malt, bedeutet es: Tatsächlich konsequent nach Gottes Maßstäben zu leben, ist gar keine besondere Leistung. Sondern es ist das Normale. Ein Christ lebt nun mal so, das sollte doch sein Wesen, seine Grundhaltung sein. Was aber, wenn wir schon am Einfachsten scheitern?
Es ist gut, dass es nicht nur dieses Gleichnis gibt. Nur ein Kapitel später im Lukasevangelium erzählt Jesus das Gleichnis vom Zöllner und vom Pharisäer (Lukas 18,9–14). Der Pharisäer tritt tatsächlich mit seinen Taten und Leistung vor Gott und nennt sie in seinem Gebet. Tarifverhandlung – wo bleibt mein gerechter Lohn? Der Zöllner wagt sich gerade bis zur Tür, nicht weiter. Und findet auch nur einen Satz: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Keine Tarifverhandlung, nur die Erkenntnis: Ich kann doch Gott gar nichts bringen. Und wie sieht die Antwort Gottes aus, die Jesus deutlich macht? Gerechtfertigt ist der Zöllner. Weil der nämlich nicht nach Tarif bezahlt wurde, sondern ein Geschenk bekam. Mit biblischen Worten: Gnade und Barmherzigkeit empfing. Und da springt, verzeiht die Wortwahl, mehr raus. Genauer: Nur da springt für uns wirklich etwas raus, wenn wir nicht nach der Entlohnung für unser ach so frommes Leben fragen, sondern nach Gottes Gnade und Erbarmen.
Viel bildreicher ausgeschmückt verdeutlicht Jesus das im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15). Der macht sich ja wortwörtlich vom Acker, geht von zu Hause weg, um sein Leben zu leben. Und geht baden, landet wieder auf einem Acker, allerdings auf einem Fremden, bei den Schweinen. Als er sich in seiner großen Not wieder nach Hause wagt, weiß er, dass er keinen Lohn zu erwarten hat. Und was bekommt er? Barmherzigkeit, Gnade, die Liebe seines Vaters, die ihn wieder an die Positionen des Sohnes, des Erben einsetzt.
Nicht in Bildern, sondern theologisch breit in einer regelrechten Abhandlung angelegt, referiert Paulus in seinen Briefen darüber, wie das mit der Gerechtigkeit zwischen Gott und uns Menschen ist, wie die Tarifgerechtigkeit Gottes aussieht. Den Christen in Rom und darüber hinaus uns schreibt er: Ihr wollt Lohn? Dann schaut im Vertrag nach: Der Lohn der Sünde ist der Tod. (Römer 6,23) Ihm geht es da gar nicht um einzelne Taten. Im Grunde, sagt Paulus, stehen wir als Menschen im falschen Arbeitsverhältnis. Wir arbeiten gegen Gott. So sind wir natürlich veranlagt. Es steckt in uns drin. Paulus sagt es im Bild seiner Zeit: Wir sind Knechte der Sünde. Wie leichtsinnig, wenn wir dann von Gott unseren Lohn einfordern, weil es uns ein paar Mal oder vielleicht sogar oft eingefallen ist, auch etwas Gutes zu tun oder uns zu engagieren. Denn der Grundlohn bleibt bestehen.
Gottes Lösung, im wahrsten Sinn eine Lösung: er macht uns los, macht uns frei von unserem alten Tarifvertrag, der uns aufgezwungen wurde. Gott macht uns aus freien Stücken los von diesem Knechtschaftsverhältnis und bietet uns ein neues Leben an. Nicht mehr als Knechte, sondern als seine Kinder dürfen wir leben. „Die Gabe Gottes“, schreibt Paulus, „ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“
Wir stehen vor der Passionszeit, die uns genau diesen Wechsel deutlich vor Augen stellt. Jesus Christus stirbt unseren Tod. Den Lohn, den wir sogar manchmal von Gott fordern – ohne in dem Moment wohl zu ahnen, wie er wirklich aussehen muss – den trägt Jesus ans Kreuz. Und wenn wir noch einmal zurückschauen auf den Weihnachtsfestkreis, der mit dem letzten Sonntag nach Epiphanias letzte Woche zu Ende gegangen ist, dann sehen wir das in einem Weihnachtslied auch sehr schön beschrieben. „Er wird ein Knecht und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein.“ So heißt es im Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“ (EG 27,5). Gott selbst tritt für uns ein und macht uns von dem Lohngedanken und von den Folgen einer Entlohnung frei.
Ja – aber bleibt denn für uns dann gar nichts übrig? Was ist denn mit unserem Leben, was ist denn mit den Momenten, in denen mir tatsächlich ein freundliches Wort über die Lippen kam? Geht denn vergessen, dass ich jeden Sonntag die Kirche geschmückt habe? Sieht Gott denn nicht, dass ich Frau B. oder Herrn G. regelmäßig Besuche? Ist das nichts wert?
Tatsächlich – wenn ihr auf diese Weise mit Gott handeln wollt, dann ist es nichts wert. So verstehe ich das Gleichnis. Wir können Gott nichts bringen. Alles, was wir an Gutem tatsächlich auch tun, ist normal für ein Christenleben. Wenn wir es in die Verhandlungen mit Gott einbringen, machen wir es wertlos. Wir machen das Gute und Schöne, das uns gelingt, selbst wertlos, wenn wir Gott damit beeindrucken wollen.
Aber: Es behält seinen Wert und wird sogar noch kostbarer, wenn wir auch dieses Gute als Geschenk aus Gottes Hand nehmen und es so verstehen. Gott beschenkt uns – und er gibt uns mehr, als wir uns jemals verdienen können.
Vielleicht erinnern Sie sich an die Seligpreisungen (Matthäus 5). Jesus verheißt ein Dankeschön Gottes, ein Geschenk aus Barmherzigkeit und Gnade, das unsere Vorstellungen überschreibt. Das Himmelreich wird denen gehören, die geistlich arm sind – also die Gott gar nichts vorweisen können. Das Himmelreich. Die Erde wird den Sanftmütigen gehören – also denen, die auf Gewalt verzichten, und erscheine sie noch so gerecht. Die ein reines Herz haben, werden Gott schauen. Das geht nicht über Tarif. Das ist Gottes Geschenk an uns Menschen.
Die Jünger von Jesus haben sich einmal Gedanken darüber gemacht, was sie eigentlich davon haben, dass sie mit Jesus unterwegs sind. Schließlich haben sie dafür einiges hinter sich gelassen, ach – nicht nur einiges. Alles haben sie hinter sich gelassen. Und Jesus verspricht ihnen: „Ihr empfangt das alles vielfach wieder in dieser Zeit, und das ewige Leben in der zukünftigen Welt.“ (Lukas 18,28–30) Im Johannesevangelium verspricht Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie – diejenigen, die an ihn glauben – das Leben und volle Genüge haben sollen.“ (Johannes 10,10) „In Jesus Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Und an dieser Fülle habt ihr Teil in ihm“, können wir im Kolosserbrief lesen (Kolosser 2,9f.) Mit unseren kleinlichen Tarifverhandlungen mit Gott können wir das alles nicht erreichen. Es ist ein Geschenk Gottes. Gott möchte uns tatsächlich an seiner ganzen Fülle Anteil geben – nicht auf unser Fordern hin, sondern als Geschenk.
Wo wir unsere leeren Hände Gott offen hinhalten, kann er etwas hineinlegen. Solange wir unsere Abrechungsbögen darin halten, können wir nicht annehmen, was Gott uns schon längst entgegenstreckt.
Was es uns so schwer macht, das zu verstehen, ist unser Erleben im Alltag. Denn da muss man wirklich um jeden Cent kämpfen. Sogar in der Kirche fehlt es oft an Lohngerechtigkeit. Manchmal wird sogar per Arbeitsvertrag das ehrenamtliche und zusätzliche Engagement von Mitarbeitern eingefordert – das spart ja Kosten. Da kann man leicht auf den Gedanken kommen, dass Gott auch so ist.
Aber wir dürfen uns dadurch nicht täuschen lassen. Gott schenkt uns, was wir brauchen, und er sieht sehr wohl, was wir tun. Er gibt uns viel mehr, als wir uns jemals vorstellen können. Weil wir eben nicht mehr Knechte, sondern Kinder Gottes sind. Dieses Gleichnis von den Knechten, die doch nur ihre Schuldigkeit tun, warnt uns davor, mit Gott nach unseren menschlichen Maßstäben in Verhandlung zu treten. Denn dabei können wir nur den Kürzeren ziehen. Aber der Blick zu anderen Bildern der Bibel zeigt uns auch, wie viel mehr Gott uns schenkt, wenn wir auf alle Verhandlungen verzichten und uns ganz seiner Barmherzigkeit anvertrauen.
Das macht uns sogar frei, in unserer Welt anders zu denken und zu handeln. Zum einen, in dem wir selbst barmherzig werden und mit anderen teilen, was uns anvertraut ist. Und zum anderen, indem wir uns in unserer Welt für mehr Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einsetzen. Was wir Gott bringen, das bringen wir ihm, weil wir gar nicht anders können. Es ist Liebe und Dankbarkeit, die uns bewegt. Und was wir Menschen bringen, das wird eben von dieser Erfahrung belebt und bewegt. Lassen wir uns so beschenken und motivieren. Amen.