War­um? (Heu­te mal von Gott gefragt)

Pre­digt  zu 1. Mose 3

(Text wird im Pre­digt­ver­lauf gele­sen)

Invo­ca­vit (das ist der Name des Pre­digt­sonn­tags, 13. März 2011) – vor­bei mit allem Rausch und den Fes­ten. Schluss mit Lus­tig und Kar­ne­val. Die Mas­ken, so man wel­che getra­gen hat, sind run­ter, der Lack ist ab. Fas­ten­zeit, Pas­si­ons­zeit. Ist zwar die Fra­ge, wer sich da noch ernst­haft dran hält – aber der wenigs­tens ein biss­chen christ­lich-abend­län­disch gebil­de­te Mensch weiß, was die Fas­ten­zeit bedeu­tet. Und ver­zich­ten, weni­ger ist mehr, sich besin­nen auf das Wesent­li­che – die­se Emp­feh­lun­gen kann man von vie­len hören, die dazu kei­ner­lei christ­li­che Begrün­dung brauchen.

In den Kir­chen gehen die Gedan­ken zum Lei­den Jesu. Schuld, Sün­de und Tod wer­den beson­ders in den Blick genom­men. Die Lie­der erzäh­len vom Ster­ben Jesu und kla­gen über die Schuld der Men­schen. Die Bibel­wor­te beleuch­ten Sün­de, Tod und Erlö­sung von allen Sei­ten. Den Anfang macht tra­di­tio­nell die Erzäh­lung von der Ver­su­chung Jesu (Mat­thä­us 4,1–11). Und die Geschich­te vom Sün­den­fall ist der alt­tes­ta­ment­li­che Lese­text für die­sen Tag. Ein Dra­ma, das so bedeu­tend ist, dass es die Welt­ge­schich­te für immer ver­än­dert hat.

Lesung: 1. Mose 3

Alles fängt mit einer Fra­ge an. Und, ver­zeiht den Ver­gleich: das ist wie bei der Sesam­stra­ße. „Der, die, das, wer, wie, was, wie­so, wes­halb, war­um – wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Aller­dings ist es nicht der Mensch, der fragt. Bis zu die­sem einen Tag, dem letz­ten im Para­dies, war der Mensch wohl frag­los glück­lich.  Alles, was er und sie zum Leben brauch­ten, war da. Glück und Zufrie­den­heit zeich­ne­ten das Leben aus. Aber dann erscheint doch ein Fra­ge­zei­chen im Gar­ten. Und es hat die Gestalt einer Schlan­ge ange­nom­men. „Soll­te Gott gesagt haben …? Euch fehlt doch etwas. Macht euch nichts vor in eurem schein­ba­ren Glück. Etwas fehlt noch.“ Aber was? Der Mensch hat­te bis­lang nicht das Gefühl, dass etwas fehlt. Also muss die Fra­ge ein biss­chen grö­ßer auf­ge­zo­gen wer­den. „Sag mal, Mensch, es stimmt doch: Ihr dürft von den wun­der­ba­ren, lecke­ren Bäu­men hier im Gar­ten gar nicht essen, seht die vie­len bun­ten Früch­te vor eurer Nase hän­gen – und dürft sie nicht kos­ten. Oder?“

Raf­fi­niert. Natür­lich ist das falsch. Aber der Wider­spruch – zuerst ein­mal gegen die fal­sche Behaup­tung – ist geweckt. Das Gespräch kommt in Gang, der Nähr­bo­den für die Aus­saat des Zwei­fels ist vor­be­rei­tet. „Ach so – nur von dem einen Baum sollt ihr nicht essen. Mh – aber – habt ihr mal über­legt, ob euch damit nicht Wesent­li­ches vor­ent­hal­ten wird? Ich wuss­te es doch: euch fehlt etwas.“ Die Schlan­ge könn­te aus der Wer­be­bran­che kom­men. Die weckt auch Bedürf­nis­se nach Pro­duk­ten, die kei­ner braucht. Und macht es so, dass wir es nicht mer­ken. „Uns fehlt etwas?“ Ja, ihr habt euch für dumm ver­kau­fen las­sen. Der Baum lässt euch näm­lich sein wie Gott. Ihr wer­det alles wis­sen, ihr kennt dann den Unter­schied – den Unter­schied zwi­schen gut und böse. Erst dann, wenn ihr von die­ser Frucht esst, wisst ihr, was wirk­lich gut für euch ist und was euch scha­det. Raf­fi­niert. Und die List geht auf. Die Saat des Miss­trau­ens geht auf, rasend schnell. Ein Bis­sen – und Adam und Eva wis­sen, was für sie Böse ist und ihnen scha­det. Sie erken­nen, dass ihr Miss­trau­en ihnen die Ruhe genom­men hat, ihre Unschuld geraubt hat. Welch trau­ri­ger Gewinn.

Zwi­schen Adam und Eva, zwi­schen Mensch und Natur und zwi­schen Gott und Mensch ist ein Riss ent­stan­den. Alles und jeder wird nach die­ser neu­en Erkennt­nis ein­ge­teilt: du bist gut, du bist böse. Die Natur wird zum Geg­ner des Men­schen, der Mensch wird zu sei­nem eige­nen Gegen­spie­ler und größ­ten Feind. Und Gott – na, der ist doch an allem Schuld.

Gott – wo ist der eigent­lich? Er will in sei­ner hei­len Welt spa­zie­ren gehen, wie so oft des Abends. Aber auch er spürt, dass etwas zer­ris­sen ist. Die Men­schen ver­ste­cken sich. Und es ist kein Kin­der­spiel. Sie haben Angst, Angst vor ihrem Freund, vor ihrem Schöp­fer, vor Gott – der da, so wun­der­schön in einem ver­trau­ten, wirk­lich para­die­si­schen Bild ver­packt, um die Ecke kommt.

Jetzt ist es Gott, der Fra­gen hat. „Wo bist du, Mensch?“ Wo bist du da nur hin­ein­ge­ra­ten? Wo war dein Ver­stand? Nein – bes­ser: Wo war dein Herz, als das Miss­trau­en in dir wuchs? „Wo bist du, Mensch?“ Gott, der den Gar­ten Eden wie sei­ne Wes­ten­ta­sche kennt – er hat ihn schließ­lich gemacht – muss doch nicht nach Adam und Eva suchen. Er weiß doch, wo  sie sind. Was Gott sucht, ist das Gespräch mit den bei­den. Er sucht ihre Her­zen, die ihm ver­lo­ren gegan­gen sind. Er sucht – und fin­det. Und hat noch eine Fra­ge: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?“ Und bevor Adam ant­wor­ten kann, bringt es die nächs­te Fra­ge schon auf den Punkt: „Hast du nicht von dem ver­bo­te­nen Baum gegessen?“

Die Ant­wort Adams, sie ist die Ant­wort, die wir Men­schen Gott seit die­ser ers­ten Ant­wort immer wie­der in ver­schie­de­nen Ver­klei­dun­gen geben: „Gott, der ande­re ist schuld. Ich war’s nicht. Ich bin ein Opfer. Die ande­re ist schuld.“ Und – das ist der Gip­fel: „Gott, du bist eigent­lich schuld. Denn du hast mir die Frau doch an die Sei­te gestellt. War doch nicht so schlau, oder?“ Gera­de die­ses Jahr trifft die Geschich­te sehr gut. Denn die Fas­ten­ak­ti­on „7 Wochen ohne“ hat ein Mot­to, dass mit die­sem ers­ten Dra­ma der Welt­ge­schich­te sei­nen Stich­wort­ge­ber hat: 7 Wochen ohne Aus­re­de. Das hät­ten Adam und Eva schon wis­sen sollen.

Aber wir brau­chen gar nicht auf den bei­den rum­zu­ha­cken, denn im Raus­re­den mit Aus­re­den sind wir unschlag­ba­re Meis­ter. „Ist mir aus der Hand gerutscht“, sagen wir, statt: „Hab ich fal­len las­sen.“ „Ich hab den Blit­zer nicht gese­hen“, sagen wir statt: „Ich bin zu schnell gefah­ren. „Es kann der Frömms­te nicht in Frie­den leben, wenn ihm die schö­ne Nach­ba­rin gefällt“, sang Roland Kai­ser. Und die Trie­be sie­gen über die Lie­be – wir kön­nen doch nichts dazu, die Hor­mo­ne sind schuld. Raus­re­den mit Aus­re­den – im Para­dies wur­de das erfun­den und ist uns, wie immer man das dann deu­ten will, wohl in die Wie­ge gelegt worden.

Was mich nicht erst hier auf den Gedan­ken bringt, dass die Geschich­te gar nicht erzählt wird, um zu erklä­ren, wie die Tren­nung zwi­schen Mensch und Gott damals in die Welt kam. Es ist schlicht unse­re eige­ne Geschich­te. Nur dass sie hier in weni­gen Ver­sen auf den Punkt bringt, was uns ausmacht.

Die alles ent­schei­den­de Fra­ge – die wir sonst ger­ne an Gott rich­ten, stellt Gott selbst nun als nächs­te: „War­um? War­um hast du das getan?“ Wer die Geschich­te auf­merk­sam liest und das dra­ma­ti­sche Gesche­hen ver­folgt, muss hier ins Sto­cken gera­ten. Moment mal. Ich ken­ne das doch anders­rum: Gott, war­um muss­te mein Onkel an Krebs ster­ben? Gott, war­um die­ser schlim­me Unfall? Gott, war­um Ausch­witz? Gott, war­um? Sie ist die wich­tigs­te unse­rer Fra­gen und lie­fert uns die stärks­te aller Aus­re­den: Gott – du bist schuld.

Mich beschleicht bei die­ser Sze­ne im Gar­ten ein eigen­ar­ti­ges Gefühl. Gott, der alles weiß, der uns genau kennt, der uns als sein Eben­bild geschaf­fen hat, fragt: „War­um?“ Und es hört sich in mei­nen Ohren nicht wie die Fra­ge eines Rich­ters an. Ich höre die Trau­rig­keit und fast schon Ver­zweif­lung in Got­tes Stim­me. Mensch, war­um? War­um miss­traust du mir? Die Ant­wor­ten von Adam und Eva sind ja kei­ne Ant­wort. Sie wei­sen die Schuld von sich, es ist immer noch einer da, dem man’s anlas­ten kann, bis die Ursa­che bei der Schlan­ge liegt. Gott aber sieht das gan­ze Bild. Die Schlan­ge säte das Miss­trau­en aus. Aber bei Adam und Eva wächst die Saat. Es ist ihre Ent­schei­dung gewe­sen, Gott zu miss­trau­en. Und es ist unse­re Ent­schei­dung, mehr den Zwei­feln und Fra­gen zu trau­en, unse­rer eige­nen selbst­ge­mach­ten Erkennt­nis, als uns Gott anzuvertrauen.

Nicht wir kön­nen Gott in Fra­ge stel­len – er stellt uns die Ver­trau­ens­fra­ge. Nicht als Rich­ter, son­dern weil er uns immer noch bei sich haben will. Er fragt nach dem War­um, weil er uns zurück­ha­ben möch­te. Gott will unse­re Lie­be zurück­ge­win­nen. Er ist der­je­ni­ge, des­sen Lie­be wir nie ver­lo­ren haben – auch wenn wir das viel­leicht behaup­ten. Schon als Gott sich auf die Suche macht, hat er den Plan im Her­zen, sei­ne Men­schen nicht auf­zu­ge­ben. Das Para­dies ist ver­lo­ren, die Unschuld des Men­schen ist zer­stört. Aber Gott setzt sich mit allen Mit­teln dafür ein, das Leben von Adam und Eva zu ret­ten. Und weil Adam und Eva als Namen für die gan­ze Mensch­heit ste­hen, wird deut­lich: Gott ret­tet unser Leben.

Die Geschich­te vom Ende des Para­die­ses ist zugleich die Geschich­te vom Anfang des müh­sa­men Weges, den Gott zu sei­nen Men­schen ein­schlägt. Und die­se Geschich­te fängt mit einem lie­be­vol­len Bild an. Adam und Eva sind der Natur – und sich selbst – schutz­los aus­ge­lie­fert. Also ist das ers­te, was Gott unter­nimmt, um ihr Leben zu ret­ten, dass er ihnen Klei­der macht. Gott wird zum Schnei­der. Aber das bedeu­tet mehr, als wir bei die­sem ehr­ba­ren Beruf viel­leicht ahnen. Um dem Men­schen Fel­le zur Klei­dung geben zu kön­nen, ver­gießt Gott Blut, er muss ja Tie­re töten, damit die Men­schen deren Fel­le tra­gen kön­nen. Ich glau­be, dar­an den­ken wir sel­ten, wenn wir die­se Geschich­te hören oder lesen. Gott unter­wirft sich einer Welt­ord­nung, die von der offen gewor­de­nen Tren­nung von Gut und Böse über­haupt erst geschaf­fen wur­de. Ob man, in Abwand­lung des Weih­nachts­ge­sche­hens, schon hier sagen kann, dass Gott Mensch wird?

Es pas­siert das Glei­che, wie bei der Geburt Jesu, bei der Tau­fe Jesu und auch sei­nem Ster­ben: Gott unter­stellt sich der Welt­ord­nung, die wir ver­ur­sacht haben. Er unter­wirft sich, damit wir leben kön­nen. Ganz zuge­spitzt sage ich: die Pas­si­ons­zeit fängt damals an, als Adam und Eva in ihrem Miss­trau­en Gut und Böse tren­nen. Das Lei­den Got­tes an sei­ner Welt sind nicht nur die „7 Wochen ohne“. Seit dem Sün­den­fall lei­det Gott.  Er geht mit Adam und Eva her­aus aus dem Para­dies. Er geht hin­ein in unse­re Welt. Punk­tu­ell sehen wir das in vie­len Geschich­ten schon im Alten Tes­ta­ment. Gott mischt sich in die Welt ein. Er lei­det unter den Zustän­den in Sodom und Gomor­rha, er ist bei sei­nem Volk in der Gefan­gen­schaft in Ägyp­ten, er zieht mit durch die Wüs­te, er erträgt die Spal­tung sei­nes Vol­kes in zwei König­rei­che und vie­les mehr. Viel­leicht ist es ein biss­chen zu steil for­mu­liert, aber die Opfer des Alten Tes­ta­men­tes – sind das nicht Fort­set­zung des ers­ten Tier­op­fers, das Gott selbst brin­gen muss­te, damit Men­schen leben kön­nen? Es sind kei­ne Opfer, die Gott braucht. Wir brauch­ten sie.

In letz­ter Kon­se­quenz schließ­lich kommt Gott in Jesus Chris­tus zur Welt, wird wahr­haft Mensch. Die­se letz­te Kon­se­quenz bedeu­tet, dass er auch unse­ren Tod stirbt. Aber das ist der Schlüs­sel, die Wen­de, der neue Anfang. Jesus been­det die Opfer, denn jetzt sind sie unnö­tig gewor­den. Er macht ein neu­es Leben möglich.

Heu­te lesen wir die Geschich­te vom Sün­den­fall. Wir kön­nen die­ser Geschich­te mit vie­len Fra­gen kom­men, so als ob wir selbst Rich­ter die­ses Ereig­nis­ses wären. Wir könn­ten über Adam und Eva urtei­len, ja sogar über Gott. Das Ergeb­nis wäre nichts ande­res als damals: Miss­trau­en gegen Gott und Tren­nung – von ihm, von der Natur, von unse­ren Lie­ben, letzt­lich auch von uns selbst.

Wir kön­nen aber die­se Geschich­te auch als unse­re eige­ne Geschich­te lesen – und Got­tes Erbar­men in den Hoff­nungs­zei­chen ent­de­cken, die er dar­in gibt. Gott geht uns nach. Er sucht uns. Er redet mit uns vol­ler Lie­be und Inter­es­se. Gott fragt nach unse­rem „War­um“, er fragt nach unse­rem Miss­trau­en. Weil er alles tun will, um unser Herz zurück­zu­ge­win­nen. Auch in den Kon­se­quen­zen, die unse­re Ableh­nung Got­tes bedeu­ten, ist Gott immer noch für uns und sorgt sich um uns. Um das zu ver­ste­hen, müs­sen wir mit die­ser Geschich­te anfan­gen. Sie lädt uns ein, vol­ler Ver­trau­en in Got­tes bedin­gungs­lo­se und gren­zen­lo­se Lie­be den Weg mit ihm zu gehen, auf das neue Leben zu. Gott ver­trau­en und sei­ner Lie­be alles zutrau­en? Statt mit Zwei­feln und Ankla­gen zu kom­men könn­te die Ant­wort auch hei­ßen: „War­um eigent­lich nicht?“ Gott sucht uns. Las­sen wir uns fin­den. Amen.

TEILEN :

Facebook
WhatsApp
Twitter
Email

Mehr Beiträge

Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors
Filter by Categories
Advent
Allgemein
Altmark
Augenblicke
Bamberg
Bautzen
Bei anderen gelesen
Berlin
Bibel
Blumen
Bremen
Bremerhaven
Celebrate
Dies und Das
Dies und Das
Dresden
Drübeck im Harz
Eisenach
Erfurt
Events
Familie
Festliches
Fotobeiträge
Frankenberg
Frankfurt a.M.
Frühling
Gesehen
Görlitz
Hamburg
Harz
Herbst
Herrnhut
Karabambini
Karambolage
Kirchenkreis NMB-ZZ
Kirchens
Köln
Konstanz
Kulinarisch Gastlich
Kunst und Kultur
Leipzig
Licht
Lübeck
Luther
Mainz
Marburg
Müritz
Musik
MUTH
Nacht
Natur
Naumburg
Orgel
Ostsee
Ostseestrand
Passion
Potsdam
Prag
Region NöZZ Zeitz
Regionalkonvent
Rostock
Rund um Zuhause
Schule
Schweden
Seiffen
Sommer
Stadtansichten
Stralsund
Stuttgart
Technik
Textbeiträge
Tierisch
Tour d'Est
Tübingen
Unterwegs
Urlaub
Vogelsberg
Warnemünde
Was Pfarrer so reden
Wasser
Weihnacht
Weimar
Winter
Wismar
Wittenberg
Wolfenbüttel
Worms
Zeitz
Zoo