Wie fern ist Gott?

Hori­zon­te-Got­tes­dienst am 15. Sep­tem­ber 2012 in Theißen

Lesung: Psalm 42

1 Eine Unter­wei­sung der Söh­ne Kor­ach, vorzusingen.

2 Wie der Hirsch lechzt nach fri­schem Was­ser, so schreit mei­ne See­le, Gott, zu dir.
3 Mei­ne See­le dürs­tet nach Gott, nach dem leben­di­gen Gott. Wann wer­de ich dahin kom­men, dass ich Got­tes Ange­sicht schaue?
4 Mei­ne Trä­nen sind mei­ne Spei­se Tag und Nacht, weil man täg­lich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?
5 Dar­an will ich den­ken und aus­schüt­ten mein Herz bei mir selbst: wie ich ein­her­zog in gro­ßer Schar, mit ihnen zu wal­len zum Hau­se Got­tes mit Froh­lo­cken und Dan­ken in der Schar derer, die da feiern.
6 Was betrübst du dich, mei­ne See­le, und bist so unru­hig in mir? Har­re auf Gott; denn ich wer­de ihm noch dan­ken, dass er mei­nes Ange­sichts Hil­fe und mein Gott ist.
7 Mein Gott, betrübt ist mei­ne See­le in mir, / dar­um geden­ke ich an dich aus dem Land am Jor­dan und Her­mon, vom Ber­ge Misar.
8 Dei­ne Flu­ten rau­schen daher, / und eine Tie­fe ruft die ande­re; alle dei­ne Was­ser­wo­gen und Wel­len gehen über mich.
9 Am Tage sen­det der HERR sei­ne Güte, und des Nachts sin­ge ich ihm und bete zu dem Gott mei­nes Lebens.
10 Ich sage zu Gott, mei­nem Fels: War­um hast du mich ver­ges­sen? War­um muss ich so trau­rig gehen, wenn mein Feind mich dränget?
11 Es ist wie Mord in mei­nen Gebei­nen, / wenn mich mei­ne Fein­de schmä­hen und täg­lich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?
12 Was betrübst du dich, mei­ne See­le, und bist so unru­hig in mir? Har­re auf Gott; denn ich wer­de ihm noch dan­ken, dass er mei­nes Ange­sichts Hil­fe und mein Gott ist.

 „Wo ist denn nun dein Gott?“

„Du bist bei mir, auch wenn ich dich heu­te nicht spü­re.“ Das mag ja gehen, wenn das nur heu­te so ist. Aber was, wenn das vie­le Tage so geht und gar nicht auf­hö­ren  will? Wo ist Gott, wenn er nicht zu spü­ren ist?

Denn das ist ja wohl wahr: Gott ist wei­ter weg, als man­che das voll­mun­dig und immer fromm-fröh­lich behaup­ten. „So viel der Him­mel höher ist als die Erde“, sind Got­tes Wege und Gedan­ken höher als mensch­li­che Wege und Gedan­ken, schreibt der Pro­phet Jesa­ja ein­mal (Jesa­ja 55,8.9)
Ein Bei­spiel dafür bie­tet die uralte Erzäh­lung vom Turm­bau zu Babel. Die Mensch­heit hat­te sich gera­de soweit ent­wi­ckelt, dass sie ihre ers­te Hoch­kul­tur zustan­de brach­te. Aus Jägern und Samm­lern waren sess­haf­te Völ­ker gewor­den, die Städ­te bau­ten, Ver­wal­tun­gen ersan­nen, Paläs­te und Tem­pel errich­te­ten. Und sie streb­ten nach immer mehr Fort­schritt und Anse­hen. „Lasst uns eine Stadt und einen Turm bau­en, des­sen Spit­ze bis an den Him­mel rei­che, dass wir uns einen Namen machen.“ (1. Mose 11,4). Gott nahm’s bis dahin recht gelas­sen, so ent­steht der Eindruck.
Und das ist auch irgend­wie klar. Denn er hat­te doch den Men­schen mit dem Auf­trag in die Welt geschickt, sich die Erde Unter­tan zu machen und über sie zu herr­schen (1. Mose 1,26–28). Dann muss er den Men­schen ja auch machen las­sen. Dann muss er ihnen doch die Frei­heit zum Gestal­ten geben. Gott hält sich raus – zumin­dest eine gan­ze Wei­le. Denn er hat uns Men­schen die Ver­ant­wor­tung für unse­re Welt und unser Leben übertragen.

In der Theo­lo­gie gibt es dafür einen Fach­be­griff und ein Bild, dass Gott­fried Wil­helm Leib­niz (+ 1716) präg­te. Der Fach­be­griff ist der Deis­mus. Gott hat die Welt geschaf­fen, aber er hält sich nach Voll­endung der Schöp­fung raus aus allen Ange­le­gen­hei­ten von Mensch und Natur. Der Phi­lo­soph Leib­niz begrün­det das so: Die Welt ist wie ein per­fek­tes Uhr­werk von dem Uhr­ma­cher Gott gemacht. Sie ist per­fekt, und so läuft alles nun nach dem inne­ren Plan der Welt ab. Gott muss nicht mehr ein­grei­fen, sonst wäre sein Werk ja nicht perfekt.

Also: Gott hält sich raus. So wie bei dem Plan und Vor­ha­ben der Turmbauer.
Gott hält sich raus, eine gan­ze Wei­le. Zum Bei­spiel als sein Volk Isra­el in Ägyp­ten immer mehr von gedul­de­ten Gäs­ten zu Skla­ven wird.
Das ver­hei­ße­ne Land hat­ten die Urah­nen 400 Jah­re zuvor ver­las­sen, und an Rück­kehr war gera­de nicht zu den­ken, denn die Ägyp­ter brauch­ten bil­li­ge Arbeits­kräf­te. 400 Jah­re lässt sich Gott nicht bli­cken. Zumin­dest nicht so, dass einer der bibli­schen Autoren dazu auch eine Notiz machen würde.
Gott hält sich auch raus, als die Köni­ge in Isra­el gro­ßen Mist bau­en und von Gott nicht mehr viel wis­sen wol­len. Die Pro­phe­ten mah­nen zwar immer wie­der und war­nen davor, dass es irgend­wann einen gewal­ti­gen Schlag geben könn­te, aber es pas­siert ja nichts. Bis dann doch über 200 Jah­re (722 v.Chr.) nach dem ers­ten kri­ti­schen Urteil Got­tes über das Volk Nord-Isra­el von den Assy­rern über­rannt wird. Der Süden, das Reich Juda, hat nichts dar­aus gelernt. So dau­ert es noch ein­mal 150 Jah­re (587 v.Chr.), bis die Kata­stro­phe auch über den Süden her­ein­bricht. Die Baby­lo­ni­er sind es die­ses Mal.
Gott hält sich raus, das schreit sogar ein Jesus Chris­tus am Kreuz: „Gott, mein Gott, war­um hast du mich verlassen.“

Haben die Deis­ten recht? So, wie man­che Tei­le der Geschich­te Isra­els und die Geschich­te ein­zel­ner Men­schen es beschrei­ben, hält sich Gott raus. Und so erle­ben es vie­le auch heu­te. Krie­ge und Kata­stro­phen neh­men ihren Lauf, ohne dass auf gött­li­ches Ein­grei­fen hin etwas anders wür­de. Die Schre­ckens­herr­schaft des Drit­ten Rei­ches ging durch den Sieg über­mäch­ti­ger Ver­bün­de­ter zu Ende, mit viel Zer­stö­rung, und viel zu spät. Viel zu vie­le Men­schen muss­ten lei­den und fan­den den Tod. Und seit­dem hat der Mensch ja kaum etwas dar­aus gelernt. Hier ist Frie­den, aber im Vor­de­ren Ori­ent kracht es, in Afri­ka toben Bür­ger­krie­ge, in Süd­ame­ri­ka Dro­gen­krie­ge, in Asi­en knech­ten Kom­mu­nis­ten ein gro­ßes Volk.
Gott? Hält sich raus. So erle­ben es Men­schen auch ganz per­sön­lich. Gott schweigt auf ihre Gebe­te. Es gibt Tage, da ist er wohl sehr, sehr fern.
„Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der fer­ne ist?“ Mit die­ser Fra­ge kommt Gott den fal­schen Pro­phe­ten in Isra­el, die das Volk ein­lul­len mit fal­schen, beru­hi­gen­den Wor­ten (Jere­mia 23,23).

Ande­rer­seits – direkt nach die­ser Fra­ge eine ganz ande­re Aus­sa­ge aus Got­tes Mund: „Bin ich es nicht, der Him­mel und Erde erfüllt?“ Wie könn­te Gott sich da raus­hal­ten, wenn er doch immer mit­ten­drin ist?
Also: Gott hält sich nicht raus.
Die Sache mit dem Turm­bau geht näm­lich wei­ter und ist dabei mit einer Pri­se Humor gewürzt. Die Men­schen wol­len einen Turm bau­en, der bis zum Him­mel reicht. Und dann heißt es wört­lich: „Da fuhr der Herr her­nie­der, dass er sähe die Stadt und den Turm, den die Men­schen­kin­der bau­ten.“ Er muss näher­kom­men, damit er das rie­si­ge Bau­werk über­haupt sehen kann. War wohl noch nicht so groß und berühmt, zumin­dest nicht aus erhöh­ter War­te. Den Turm­bau­ern von Babel wirft er Stei­ne in den Weg – sie kön­nen nicht mehr mit­ein­an­der reden, sind ver­wirrt, Miss­ver­ständ­nis­se und böse Wor­te grei­fen um sich, die sprich­wört­li­che baby­lo­ni­sche Sprach­ver­wir­rung been­det das Pro­jekt, mit dem sich Men­schen neben Gott set­zen wollten.
Gott hält sich nicht raus. Nach 400 Jah­ren packen die Israe­li­ten die Kof­fer – und ein Pha­rao, der sie noch im Weg­ge­hen schon wie­der ver­folgt, geht mit Ross und Wagen und Armee unter.
Die fal­schen Köni­ge und Pro­phe­ten in Isra­el fin­den ihr Ende.
Und: Jesus wird an Ostern von den Toten auferweckt.

Gott erfüllt Him­mel und Erde und han­delt. Nicht nur in der gro­ßen Poli­tik, nicht nur an dem einen bedeu­ten­den Men­schen Jesus Chris­tus. Er han­delt an und mit ein­zel­nen. Das sagen die Wun­der­ge­schich­ten im alten und neu­en Tes­ta­ment. Ganz nor­ma­le, gesell­schaft­lich nicht beson­ders bekann­te Men­schen erle­ben Wun­der an Leib und See­le, Men­schen, deren Namen nicht ein­mal in den Wun­der­ge­schich­ten genannt werden.
Und auch das wird bis heu­te erzählt, erle­ben Men­schen heu­te – wie Gott in ihr Leben ein­greift; oder, mal ganz vor­sich­tig aus­ge­drückt: wie sie ein Ereig­nis in ihrem Leben nur als das Ein­grei­fen und Han­deln Got­tes ver­ste­hen kön­nen, weil es sich anders nicht erklä­ren lässt. Das mag eine Hei­lung sein, das mag neu­er Lebens­mut ange­sichts völ­lig wid­ri­ger Umstän­de sein, das mag die Wen­de in der deut­schen Geschich­te sein.
Gott hält sich nicht raus.

Was ist denn nun rich­tig? Oder ist die Fra­ge viel­leicht schon falsch formuliert?
Ich den­ke, ein wich­ti­ger Punkt, an dem wir uns den Zugang zu Got­tes Han­deln erschwe­ren, ist unse­re eige­ne Vor­stel­lung davon, wann und wie Gott han­deln und ein­grei­fen soll. Die weni­gen bibli­schen Bei­spie­le haben es ja gezeigt: Wer mit mensch­li­cher Logik dar­auf schaut, kommt zuerst zu dem Urteil, dass Gott weit weg ist vom Gesche­hen in der Welt. Er lässt die Men­schen machen, sehr lan­ge sogar. Und dabei ent­steht oft gro­ßes Unglück.
Die­je­ni­gen von den Israe­li­ten, die irgend­wann in den vier­hun­dert Jah­ren vor der Befrei­ung aus Ägyp­ten leb­ten, muss­te es doch so vor­kom­men, als ob es ihren Gott nicht mehr gäbe. 400 Jah­re, da sind mini­mal gerech­net wenigs­tens fünf Gene­ra­tio­nen gestor­ben, denen es immer schlech­ter ging. Und Gott war nicht da. Erst die Gene­ra­ti­on, die den Aus­zug selbst erlebt, gewinnt aus dem per­sön­li­chen Leben eine ande­re Ansicht.

Pau­lus schreibt ein­mal in einem fan­tas­tisch ein­fa­chen Satz in einem sei­ner Brie­fe, im Gala­ter­brief: „Als die Zeit erfüllt war, sand­te Gott sei­nen Sohn.“ – Als die Zeit erfüllt war! Eher nicht.
Dabei hat­ten die Juden schon lan­ge auf einen Gott gesand­ten Ret­ter gewar­tet. Und man muss ja zuge­ben: Der Brül­ler war die Herr­schaft rau­ben­der Völ­ker wie der Assy­rer und Baby­lo­ni­er, der Grie­chen und Römer nicht. Sie haben wohl viel Gutes und kul­tu­rell Bedeu­ten­des her­vor­ge­bracht. Aber dabei ist auch viel Blut geflos­sen und vie­le sind ver­ach­tet und unter­drückt worden.
Die Zeit wäre nach mensch­li­chem Ermes­sen, vor allem nach der Beur­tei­lung der unter­joch­ten Völ­ker, schon längst reif gewe­sen für einen Neu­an­fang, für den Messias.
Als die Zeit erfüllt war, als Kai­ser Augus­tus regier­te, als Maria und Josef dazu bereit waren – da sand­te Gott sei­nen Sohn in die Welt, nicht frü­her und nicht spä­ter. Mit mensch­li­chen Augen betrach­tet gab es weder zur­zeit des Jah­res Null – das es ja gar nicht gibt – einen ver­nünf­ti­gen oder beson­ders her­aus­ra­gen­den Grund, dass Got­tes Sohn in die Welt kam, noch gab es zu ande­ren Zei­ten Grün­de, war­um er nicht da hät­te kom­men sollen.
Wir würden’s immer anders machen – und schlie­ßen dar­aus, dass Gott nicht da ist. Es ist eine der Lieb­lings­fra­gen der Kri­ti­ker Got­tes. „Wo war denn da Gott?“ Wenn er nicht ein­greift bei Leid und Krieg und Tod, dann kann er nicht dabei sein.

Ach – wer pas­siv ist, ist also wohl nicht da?
Ich habe im Deutsch­un­ter­richt ein­mal gelernt, dass „Pas­siv“ die „Lei­de­form“ ist. Ich weiß nicht, ob das aktu­ell in der Schu­le noch gebräuch­lich ist, aber zumin­dest in der einen oder ande­ren Lite­ra­tur zur Gram­ma­tik fin­det man die­sen Ver­such, den Begriff mit einem deut­schen Wort wiederzugeben.
Manch­mal ist Gott wohl pas­siv, im engs­ten Sinn des Wor­tes. Er lei­det. In jedem ein­zel­nen Lei­den­den auf die­ser Welt ist Gott gegen­wär­tig, mit­ten­drin und zutiefst davon betroffen.
Das bedeu­tet es auch zuerst, dass in Jesus Gott Mensch wur­de. Er nimmt unser gan­zes Wesen an – und damit auch die Lei­den, die die­ses Wesen mit sich her­um­tra­gen muss.
Der Pro­phet Jesa­ja malt ein­mal das Bild des lei­den­den Got­tes­knech­tes, das in der christ­li­chen Kir­che von Anfang an auf Jesus Chris­tus gedeu­tet wur­de. Ein paar Beschrei­bun­gen des Gottesknechtes?

der Aller­ver­ach­tets­te, der Unwer­tes­te, vol­ler Schmer­zen und Krank­heit; das Ange­sicht ver­birgt man vor ihm; geplagt, gemar­tert, zer­schla­gen, am Ende bei den Gott­lo­sen und Übel­tä­tern ver­scharrt (nach Jesa­ja 53,3–9)

Gott gibt sich pas­siv, er lei­det an und mit sei­nen Men­schen. Er ändert – für einen Moment oder für 400 Jah­re – äußer­lich viel­leicht nichts, aber er ist mit­ten­drin. Er hält sich auf kei­nen Fall raus aus sei­ner Welt und aus unse­rem Leben. Aber er han­delt anders, als wir uns das jemals vor­stel­len oder gar ihm vor­schrei­ben können.
Wir sind dabei ja längst nicht die ers­ten, die an die­ser pas­si­ven Sei­te Got­tes manch­mal ver­zwei­feln und das Hand­tuch werfen.
Einem der Jün­ger, Judas, geht Jesus der­ma­ßen auf den Zei­ger, weil er nicht die Macht ergreift und end­lich den Welt­frie­den her­stellt, die Römer raus­wirft und Isra­el zu einem gro­ßen Volk macht, dass er Jesus ver­rät. Und wer ähn­li­che Erwar­tun­gen wie Judas Ischa­ri­ot hat­te, der steht wohl unterm Kreuz dabei und spot­tet mit: „Andern hat er gehol­fen, er stei­ge nun her­ab vom Kreuz. Lasst uns mal sehen, ob er wirk­lich die­se Macht hat.“
Der Beter von Psalm 42 und 43 – bei­de Psal­men gehö­ren zusam­men – nimmt drei­mal Anlauf und klagt Gott sein Leid, schreit sich die See­le aus dem Leib. Dann wird ein Hoff­nungs­fun­ke wach, nur damit er im nächs­ten Moment mit der nächs­ten Not kon­fron­tiert ist.
Lei­den an Got­tes Pas­si­vi­tät in der Gegen­wart, im eige­nen Leben. „Wie der Hirsch lechzt nach fri­schem Was­ser, so schreit mei­ne See­le, Gott, zu dir“, heißt es wört­lich am Anfang die­ses Gebe­tes. Got­tes Taten kennt er nur aus der Ver­gan­gen­heit. Er erin­nert sich an Jubel­fei­ern im Tem­pel. Er erin­nert sich an man­che gute Gebets­zeit im stil­len Käm­mer­lein in der Nacht.
Aber jetzt? Gott schweigt.
Das ken­nen vie­le Men­schen, auch gera­de vie­le Chris­ten. Gute Zei­ten, fröh­li­che Got­tes­diens­te, eine Gemein­schaft, die einen getra­gen hat, Gebe­te, die nur so von den Lip­pen flossen.
Und nun? Nichts mehr davon.

Hält sich Gott raus? Hat er sich zurück­ge­zo­gen? Kön­nen wir das auf Grund unse­rer Gefühls­la­ge beurteilen?
Mich beein­druckt, wie der Beter mit die­ser Erfah­rung umgeht. Sei­nen drei­ma­li­gen Anlauf been­det er – gut Luther­deutsch for­mu­liert – mit einer Ermu­ti­gung und Auf­for­de­rung an sich selbst:

„Har­re auf Gott; denn ich wer­de ihm noch dan­ken, dass er mei­nes Ange­sichts Hil­fe und mein Gott ist.“

Sein Gefühl hat sich nicht ver­än­dert. Sei­ne Situa­ti­on hat sich nicht ver­än­dert. Sei­ne Ermu­ti­gung ent­hält ein­zig und allein Zukunfts­mu­sik: „Ich wer­de Gott noch dan­ken.“ Er hat für sich die Ent­schei­dung getrof­fen: Ich will von Gott alles erwar­ten, davon gehe ich nicht ab. Und mit die­ser Ent­schei­dung liegt er Gott stän­dig in den Ohren.

Es gibt ein paar Gebe­te in der Bibel, in denen Beter der­ma­ßen pene­trant vor Gott tre­ten und um ihr Recht, um Bei­stand und Hil­fe beten. Jesus ruft im Gar­ten Geth­se­ma­ne drei­mal nach Gott.
Abra­ham han­delt Gott ein­mal in fünf Gesprächs­gän­gen run­ter von 50 auf 5 Gerech­te, die viel­leicht in dem üblen Sodom zu fin­den sind. Wenn wenigs­tens die da sind, dann wür­de doch Gott die Stadt nicht zer­stö­ren. Ein echt ori­en­ta­li­scher, pene­trant durch­ge­zo­ge­ner Handel.
Ein­mal erzählt Jesus selbst ein Gleich­nis, um deut­lich zu machen, dass wir Gott stän­dig in den Ohren lie­gen sol­len und dür­fen. Eine Wit­we such­te bei einem Rich­ter um ihr Recht nach. Immer und immer wie­der – aber der hör­te wohl nicht rich­tig, der war sein eige­ner Herr und scheu­te sich vor nie­man­dem. Er war wohl auch nie­mand Rechen­schaft schul­dig. Immer und immer wie­der stand aber die Wit­we vor sei­ner Tür und for­der­te ihr Recht ein. Und schließ­lich hört er sie an und spricht sein Urteil. Weil er Angst hat, dass ihm eines Tages viel­leicht doch eine run­ter­hau­en wür­de – oder Schlim­me­res antun – wenn er nicht reagiert.
Ein ziem­lich kras­ses Bei­spiel. Aber schon die­ser doch selbst­ge­rech­te Rich­ter spricht irgend­wann Recht. Soll­te Gott nicht sei­nen Aus­er­wähl­ten viel eher zuhö­ren und auf ihre Gebe­te reagie­ren? So ist Jesu Schluss­fol­ge­rung. (Lukas 18,1–8)

Es ist ein gläu­bi­ger Trotz, mit dem sich sol­che Beter in der Bibel und dar­über hin­aus an Gott wen­den. Weil sie eins ganz fest glau­ben und das Gott auch stän­dig vor­hal­ten: „Gott, du bist nicht nur pas­siv und lei­dest mit uns. Du hast schon gehan­delt. Und nun hand­le wieder.“
Dabei leben sie, wie jeder Christ, in der Span­nung zwi­schen der vol­len Ver­ant­wor­tung, die Gott uns für unser Leben und für die­se Welt über­tra­gen hat, und der Gewiss­heit, dass wir Kin­der Got­tes sind, denen Gott selbst­ver­ständ­lich beisteht.
Der Schlüs­sel liegt für mich in dem klei­nen Wort „mein“, das der Beter von Psalm 42 spricht.
Ohne das bleibt die­ser Gott, der sich schein­bar raus­hält, ein unper­sön­li­cher Gott. Ja, den kann man links lie­gen las­sen, wenn er nicht so funk­tio­niert, wie wir das wollen.
Aber: „Du bist mein Gott.“ Und des­we­gen las­se ich dich nie­mals links lie­gen, son­dern lie­ge dir stän­dig in den Ohren, weil ich umge­kehrt dein Kind bin. Und dann wer­de ich dir gewiss noch dan­ken, weil du mein Gott bist und mir hilfst.

Amen.

 

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